Tom stürzte sich auf das Biest.
„Komm nicht näher!“, rief Elenna. Sie wand sich im Maul des Biests hin und her, aber dessen Kiefer drückten immer fester zu. „Lass mich! Geh!“
„Niemals!“, rief Tom. „Nicht, solange Blut in meinen Adern fließt!“ Während er durch den Schnee rannte, entkorkte er das Fläschchen mit dem grünen Puder.
Das Biest trat wild um sich. Tom konnte einen der Tritte gerade noch mit seinem Schild abblocken. Die tödlichen Krallen ratschten dabei über das Holz. Der Aufprall war so heftig, dass Tom auf den Rücken geworfen wurde.
Schnell sprang er wieder auf und schlug einen Salto über die Pfote des Wolfs hinweg. Tom hatte Schnee in Mund und Augen und die Kälte war ihm durch das dicke Schaffell bis auf die Knochen gekrochen. Dennoch rollte er durch den Schnee weiter auf das Biest zu. „Ich bin fast da!“
Seitlich von dem Biest sprang er wieder auf. Er hielt das Fläschchen fest in der Hand und schleuderte das grüne Pulver auf das Fell des Biests.
Tom sah, wie das Biest seinen riesigen Kopf hob und Elenna hin und her schüttelte. Die Luft war von seinem zornigen Knurren erfüllt. Elenna hing hilflos zwischen den Kiefern, aus denen der Speichel heraustropfte. Nur die dicke Schafweste schützte sie davor, von den Fangzähnen zerfetzt zu werden.
„Es geschieht einfach nichts!“, dachte Tom verzweifelt. „Ich habe den falschen Gegenstand gewählt.“
Tom ballte die Faust um den Schwertgriff. Er hatte einen magischen Gegenstand verschwendet. Jetzt musste er mit Silver kämpfen.
Doch dann bemerkte er, dass sich an einigen Stellen, an denen grünes Pulver im Schnee gelandet war, dünne grüne Rauchfäden gebildet hatten.
Das Fell des Biests war trocken, aber der Schnee feucht. Wirkte das Pulver etwa nur, wenn es mit Wasser vermischt wurde? Er schaute in das Fläschchen. Es waren noch ein paar grüne Körnchen übrig geblieben. Er ließ sich auf die Knie fallen und schaufelte Schnee in das Fläschchen.
Doch ein Hieb von der mächtigen Wolfspranke schleuderte ihn zu Boden. Ein zweiter Hieb erwischte ihn an der Wange, die sofort blutete. Benommen von dem Hieb und den Schmerzen schlitterte Tom auf den Fluss zu.
Im letzten Moment gelang es ihm, den Rand seines Schilds in den Schnee zu bohren und sich festzuklammern, um nicht in das rauschende Wasser zu stürzen. Keuchend holte er Luft und stellte fest, dass der Wolf ihn mit seiner Attacke zur perfekten Stelle für seinen Plan katapultiert hatte.
Er streckte zitternd einen Arm aus und tauchte das Fläschchen in das eiskalte Wasser. Dicker grüner Rauch quoll aus der Öffnung. Da hörte Tom dumpfe Schritte im Schnee neben sich. Er drehte sich auf den Rücken und sah das Biest über sich aufragen. Elenna baumelte immer noch in seinem Maul. Es hatte eine Pranke gehoben, bereit, Tom zu erledigen.
Tom warf das Fläschchen zu dem Biest hoch. Der grüne Rauch breitete sich aus, legte sich um die Beine des Biests und stieg an seinem Körper empor.
Die Augen des Biests weiteten sich vor Schreck, als der Rauch seinen Kopf einhüllte. Der gigantische Wolf richtete sich auf den Hinterbeinen auf und versuchte, die Schnauze aus dem Rauch zu halten. Kurz öffneten sich dabei die Kiefer. Diese Chance ließ Elenna sich nicht entgehen. Sie drückte sich gegen den Unterkiefer und wand sich heftig. Knurrend ließ das Biest sie fallen. Sie stürzte in den Schnee und blieb still und regungslos liegen.
Tom hatte keine Zeit, zu ihr zu eilen, er musste zuerst das Biest erledigen. Wenn ihm das nicht gelang, konnte Aduro niemals wieder zurück ins Leben geholt werden. Und Toms bedeutsame Mission, den bösen Magier Malvel zu besiegen, würde scheitern.
Er steckte das Fläschchen in sein Hemd und sprang auf die Füße. Dann stürzte er sich auf das Biest und packte es seitlich am Fell. Geschickt zog er sich daran hoch. Der riesige Wolf heulte wütend und bemühte sich vergeblich, den grünen Rauch abzuschütteln. Tom kletterte mit großer Anstrengung über den Körper des Biests und musste husten. Der Rauch drang ihm in Nase und Lunge.
Das Biest drehte den Kopf um und schnappte mit seinen messerscharfen Fangzähnen nach Tom. Speichel flog in alle Richtungen. Tom war nun hoch oben auf dem Rücken des Wolfs und klammerte sich an den Stacheln fest. Er würde sich nicht abschütteln lassen.
„Gib auf“, rief Tom. „Kämpfe nicht gegen mich!“
Endlich gelang es Tom, sich rittlings auf das Biest zu setzen. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte und das Biest versuchte weiter, ihn abzuwerfen. Er hatte nur noch wenig Zeit, bevor ihn seine Kräfte verlassen würden. Tom sah Elenna hilflos im Schnee liegen. Er holte das Fläschchen aus seinem Hemd. Noch immer quoll grüner Rauch aus der Öffnung. Er zog sich an dem zuckenden Hals des Biests hoch. „Wenn ich es doch nur bis zu seinen Augen schaffe!“, dachte Tom.
Er war beinahe da!
Das Biest hob den Kopf, stellte sich auf die Hinterbeine und heulte ohrenbetäubend laut. Tom musste sich mit beiden Händen festhalten, um nicht zu Boden zu stürzen. Doch als er mit den Fingern das Fell packte, glitt ihm das Fläschchen aus der Hand und fiel in den Schnee.
Tom spürte, wie sich sein Griff lockerte. Er hatte versagt. Malvel hatte ihn im letzten Augenblick geschlagen.