Heute

Luke

Sollten Hannah und ich jemals heiraten, wäre Ben mein Trauzeuge. Das habe ich ihm schon unzählige Male gesagt, aber er zieht mich jedes Mal damit auf, dass ich eine Hochzeit plane, an der meine Freundin offensichtlich kein Interesse hat.

»Sei kein Bräutigammonster«, meinte er neulich, als ich wieder davon anfing. »Ihr braucht keinen Pfarrer oder irgendeinen Wisch. Hannah und du, das ist wahre Liebe.«

Heute Abend treffen wir uns mit Ben und seiner Freundin Elizabeth im Kensington Place. Lieblingsrestaurant, Lieblingsmenschen, ich könnte mich kaum mehr darauf freuen.

Hannah trägt ein schwarzes Kleid mit Spaghettiträgern und bunten Zickzackstreifen auf der Vorderseite aus der Zeit vor ihrer Schwangerschaft. Ihre Mähne hat sie mit einem Samtgummi zusammengebunden und hochgesteckt. Dazu trägt sie Goldcreolen und dunkelroten Lippenstift. Sie ist so schön, dass einem das Herz stillsteht. Ich sage es ihr, als wir durch die Drehtür des Restaurants gehen, und sie lacht.

»Ich weiß nicht, ob du gut für mein Ego bist oder ganz schlecht. Wenn du so weitermachst, werde ich noch richtig eingebildet.«

Ben und Elizabeth sitzen im hinteren Bereich nebeneinander auf einer roten Lederbank. Er erhebt sich halb, als er uns sieht, und reckt die Faust zum sozialistischen Gruß, ein alter Schuljoke, aus dem wir immer noch nicht herausgewachsen sind.

Ben, der wie Hannah aus einer Familie kommt, in der man sich viel anfasst, zieht uns in eine Dreierumarmung, die mir zu lange dauert. Er weidet sich an meinem Unbehagen, lacht darüber, wie ich mich winde.

Wir haben uns seit sechs Wochen nicht gesehen, und es gibt Wichtiges zu besprechen. Am dringlichsten: Wie ist es, meine wirklichen Eltern gefunden zu haben?

»Eigentlich ein Unding, dass ihr sie noch nicht kennengelernt habt«, sage ich lässig, in diesen Anzug der Normalität schlüpfend, um zu sehen, ob er passt. Ich, der Sohn von Richard Fields und Alice Garland. Ja, er ist mein Vater, wussten Sie das nicht?

Aber Ben kann ich nichts vormachen.

»Ach, und wie oft hast du sie schon getroffen? Zweimal?«

»Alice dreimal, Rick einmal.«

»Ich kann es echt nicht fassen«, sagt Elizabeth. »Ihr wisst ja, ich habe zwei Drucke von ihm zu Hause hängen. Es ist, als hätte man herausgefunden, dass man mit Van Gogh verwandt ist.«

Wir lachen, und als der Kellner die Speisekarten bringt, bestellt Ben eine Flasche Champagner.

»Du hast deine leiblichen Eltern gefunden. Das ist ein großes Ding. Ein Riesending. Das muss gefeiert werden.«

Ben weiß von allen am besten, wie oft ich im Laufe der Jahre von so einer Zusammenführung geträumt habe. Er war als Einziger in der Schule darin eingeweiht, dass ich adoptiert bin, ansonsten hielt ich mich an den Rat meiner Mutter und bewahrte strikte Geheimhaltung darüber. Als wir in einem Jahr ein Zimmer miteinander teilten, nahm die Unterhaltung abends nach dem Lichtausmachen unweigerlich eine bestimmte Richtung. Im Dunkeln konnte ich meinen Fantasien freien Lauf lassen. War sie eine Musikerin oder eine Schauspielerin, diese schöne, liebevolle junge Frau, die so sehr darum gekämpft hatte, mich behalten zu können? Lebte sie in London? In Paris oder Rom? Dachte sie jeden Tag an mich, so wie ich an sie? Wie sich herausstellen sollte, lag ich gar nicht mal so sehr daneben.

Als der Kellner zurückkommt, bestellen wir, ohne einen Blick in die Karte geworfen zu haben. Hähnchen und Ziegenkäsemousse als Vorspeise für vier, gefolgt von Jakobsmuscheln für die Frauen und Kalbsleber für mich und Ben. Wenn man sein Lieblingsrestaurant mit dem Lieblingsgericht gefunden hat, warum sollte man etwas ändern?

Ben will alles über unser Mittagessen bei Rick hören. Schon auf der Kunsthochschule wurde er wegen seiner kühnen, wild übertriebenen Porträtmalerei »der neue Richard Fields« genannt. Zu sagen, dass Rick sein Held ist, wäre noch eine Untertreibung. In seinem Kopf ist Ben Richard Fields.

»Alles bei ihm zu Hause haut einen um«, berichtet Hannah. »Selbst die Sofas sind ein Kunstwerk. Noch dazu ist er ein fantastischer Koch.«

»Und könnt ihr euch die beiden als Paar vorstellen?«, fragt Elizabeth. »Damals, meine ich?«

»Sie sind es immer noch auf eine Art, oder?« Hannah sieht mich an. »Es war, wie mit einem anderen Paar am Tisch zu sitzen. Wenn man es nicht wüsste, hätte man keinen Unterschied bemerkt.«

»Und warum haben sie sich dann getrennt?«

Elizabeth ist Kinderpsychologin und sanfte Beharrlichkeit ihr vorherrschender Charakterzug. Wie oft hat sie mich schon durch ein Gespräch geschubst, das ich lieber nicht führen wollte.

»Liegt auf der Hand, oder? Er ist schwul. Ich nehme an, er hat einfach eine Zeit lang gebraucht für sein Coming-out.«

»Aber sie hätten dich doch trotzdem behalten können, oder? Hätte Richard nicht für Alice und dich sorgen können? Hätte er nicht die Kunsthochschule schmeißen und so sein Glück versuchen können? Genug Talent hatte er ja.«

Ben schaltet sich ein. Er nimmt die Champagnerflasche und schenkt den Rest aus, achtet penibel darauf, ihn gerecht aufzuteilen.

»Elizabeth«, sagt er. »Mein Liebling, meine Süße. Du trampelst gerade mit zehn Zentimeter hohen Plateauabsätzen auf den Gefühlen unseres Freundes herum. Er braucht Zeit, um das alles zu verarbeiten. Setz ihm nicht so zu.«

»Tut mir leid, Luke.« Elizabeth wirft mir eine Kusshand zu. »Du kannst mir jederzeit sagen, dass ich die Klappe halten soll, das weißt du.«

Beim Essen erzählt Ben von seiner neuesten Auftragsarbeit: das Porträt eines Hedgefonds-Managers in den Vierzigern, von seiner Frau bestellt.

»Das Tolle daran ist, dass sie Kunst sammeln. Abgefahrene, unkonventionelle Sachen, die sie bei Examensausstellungen kaufen. Und sie haben mich ermutigt, es ruhig ordentlich zu übertreiben. Er hat, was ich eine …« Ben unterbricht sich lachend. »… eine übermäßig große Nase nennen möchte. Die habe ich noch überzeichnet, sodass sie im Zentrum steht. Außerdem ist er ein passionierter Angler, also haben wir ihn in Gummistiefel gesteckt, mit einer picassoartigen Forelle im Hintergrund.«

»Ach, das vermisse ich«, sagt Hannah. »Ich kann es kaum erwarten, wieder zu schreiben, Künstler zu interviewen, zu Ausstellungen zu gehen.«

»Habt ihr schon eine Tagesmutter gefunden?«, erkundigt sich Elizabeth.

»Noch nicht. Die, die wir mögen, sind alle zu teuer.«

Die bittere Realität ist, auch wenn wir ihr nicht gern ins Auge sehen, dass wir uns Hannahs Wiedereinstieg in den Beruf eigentlich nicht leisten können. Sie wird nicht voll arbeiten, sondern auf drei Tage die Woche reduzieren, was bedeutet, dass sie nur noch ungefähr halb so viel verdient. Und jede Kinderbetreuungsmöglichkeit, die wir uns bisher angesehen haben, einschließlich einer Krippe, in der die Babys aufgereiht in Gitterbettchen lagen wie in einem rumänischen Waisenhaus (Hannah hat geweint, als wir gingen), würde ihr gesamtes Gehalt auffressen. Wir haben dieses Problem endlos hin und her gewälzt, soll sie, soll sie nicht, und sind zu der Entscheidung gekommen, dass sie bald in ihren geliebten Job zurückkehren wird. Immerhin ist sie Kunstberichterstatterin bei einer überregionalen Zeitung, und das mit gerade mal siebenundzwanzig. Bleibt sie zu Hause, sitzt in null Komma nichts jemand anderes an ihrem Schreibtisch. Und obwohl sie sich Abend für Abend selbst zerfleischt mit ihren Bedenken, sagen wir uns, dass sie es wenigstens versuchen muss. Auch wenn sie unterm Strich nichts hinzuverdient, es werden vielleicht gerade mal hundert Pfund am Monatsende übrig bleiben.

»Wenn nur meine Mutter in der Nähe wohnen würde«, sagt Hannah. »Oder deine.«

Das löst ein vielsagendes Schweigen am Tisch aus, bei dem die unerwähnte Mutter – die andere Mutter – plötzlich im Raum steht.

»Wir kennen Alice noch kaum«, wehre ich ab, »und außerdem arbeitet sie. Sie ist selbst Künstlerin.«

»Trotzdem keine schlechte Idee«, sagt Hannah und küsst mich auf die Wange. »Wir haben zusammen drei Mütter, vielleicht könnten sie sich den Job ja teilen.«

Als wir kurz darauf bezahlen und Taxis für den Heimweg bestellen, signalisiert mein Handy den Eingang einer Textnachricht. Alice.

»Na also.« Zufrieden zeige ich meinen Freunden den Bildschirm, als müsste ich ihre Existenz beweisen. »Sie fragt, ob wir uns am Sonntag mit ihr und Rick treffen wollen«, sage ich zu Hannah.

»Super, lade sie zum Essen ein. Wir sind an der Reihe.«

Als sie Bens sehnsüchtige Miene sieht, fügt sie hinzu: »Kommt doch auch, ihr zwei. Du bist schließlich Lukes bester Freund, es wird Zeit, dass sie dich kennenlernen.«