Nach der Konfrontation mit Michael zerbrach etwas in mir. Bei meiner Mom war es mir immer gelungen, mich selbst davon zu überzeugen, dass sie zumindest teilweise für mein Verhalten verantwortlich war und ich nichts für ihre giftigen Bemerkungen konnte.
Bei Michael verhielt es sich anders. Einer der Gründe, warum ich mich in ihn verliebt hatte, war, dass er niemanden verurteilte. Für ihn war es verständlich, dass Menschen Fehler machten, und er konnte sie ihnen verzeihen. Er verzieh Gary in all den Jahren einiges, weil er wusste, dass sein Freund mit seinem alleinerziehenden, gewalttätigen Vater keine leichte Kindheit gehabt hatte.
Auch seiner Mutter vergab er, dass sie ihn nie vor seinem Dad in Schutz genommen hatte – er wusste, sie ging von Natur aus Konflikten lieber aus dem Weg und war auch nicht sehr mutig. Das hatte jedoch nicht bedeutet, dass sie ihn nicht liebte, und so hatte er ihr verziehen.
Dass er mir nicht vergeben konnte, dass er mich sogar hasste, zeigte mir, wie furchtbar das war, was ich ihm angetan hatte. Warum aber konnten mir andere Menschen vergeben? Darragh und Davina? Sogar Dermot, der so nett zu mir gewesen war, als er gesehen hatte, wie sehr mich die Begegnung mit Michael mitgenommen hatte. Er hatte mich in Dads Haus zurückgebracht, wo ich mich sofort in sein altes Zimmer eingeschlossen hatte.
Weil ich Dad nicht gegenübertreten konnte.
Von allen Beteiligten sollte eigentlich mein Vater derjenige sein, der mir nicht verzeihen konnte. Schließlich hatte ich ihn in die ganze Sache hineingezogen und ihm das Versprechen abgenommen, meiner Familie nichts über meinen Aufenthaltsort zu verraten. Und ich hatte einen Keil zwischen ihn und meine Mutter getrieben.
Ich hatte … Ich war der Auslöser für den Tod seiner jüngsten Tochter.
Warum hasste er mich nicht?
So wie Michael.
»Ich hasse dich.«
Auf der Fahrt nach Hause wünschte ich mir verzweifelt, die Stimme eines Menschen zu hören, der mich mochte, den ich nicht verletzt hatte. Dann würde alles wieder gut werden. Also rief ich Bailey an. Anschließend konnte ich mich kaum noch an das Gespräch erinnern. Sie hatte gesagt, sie werde nach Boston kommen, und ich hatte versucht, sie davon abzuhalten. Ich wollte mit meinem egoistischen Gejammer nicht das Leben eines anderen Menschen belasten. Nicht noch einmal.
Als ich dann im früheren Zimmer meines Bruders im Bett lag, fühlte ich mich jedoch wieder wie mit zweiundzwanzig. So verloren, dass ich kaum atmen konnte.
Ich weiß nicht, wie oft mein Dad an die Tür klopfte. Dass viele Stunden vergangen waren, sah ich nur an den Lichtstrahlen, die sich den Weg durch die Vorhänge bahnten.
Eine Weile war es ganz ruhig, und ich versuchte, in dem abgedunkelten Zimmer wieder zu mir zu finden.
Ich war stark.
Ich würde das allein schaffen!
Wieder klopfte es an der Tür. »Dahlia, Besuch für dich.«
Als ich den Kopf drehte, hörte ich, wie mein Haar über das Kissen glitt. »Soll später wiederkommen.«
»Dahlia, ich bin’s.«
Ich blinzelte und fragte mich, ob ich mich verhört hatte.
»Dahlia?«
Bailey?
Ich hievte mich aus dem Bett, hastete durch das Zimmer und riss die Tür auf. Auf der Türschwelle stand Bailey Hartwell und hinter ihr mein Vater.
Erleichterung durchflutete mich; ich umarmte sie und genoss ihre bedingungslose, unbefangene Zuneigung.
Sie drückte mich an sich. »Alles wird gut«, versprach sie mir. »Jetzt bin ich ja hier.«
Bailey und ich saßen auf dem Gästebett. Die Schlafzimmertür stand weit offen, aber von Dad war keine Spur zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich zurückgezogen, damit wir ungestört miteinander reden konnten.
Der Ausdruck in Baileys Augen verriet, wie besorgt sie war. »Ich glaube, ich würde mich besser fühlen, wenn du weinen würdest. Dass du so gespenstisch ruhig bist, beunruhigt mich viel mehr.«
Darauf ging ich nicht ein. »Wie kommst du hierher?«
»Na ja, ich habe deine Schlüssel, also habe ich in deiner Wohnung herumgeschnüffelt, bis ich die Telefonnummer deines Dads gefunden habe. Er hat mir dann die Adresse verraten und mir gesagt, ich sei hier jederzeit willkommen. Aydan und Vaughn kümmern sich um die Pension, also kann ich hierbleiben, so lange du mich brauchst.«
Mir war nach Weinen zumute, aber meine Tränen waren versiegt. »Ich hab dich sehr lieb.«
»Ich dich auch. Und ich mache mir wirklich Sorgen um dich.«
»Wo ist Dad?«
»Er ist nach unten gegangen. Soll ich ihn holen?«
»Ich bringe es nicht fertig, ihm gegenüberzutreten«, sagte ich kopfschüttelnd. »Bailey, warum verzeiht er mir? Warum haben mir auch die anderen vergeben? Wenn Michael und meine Mom es nicht können, sollten die anderen das vielleicht auch nicht tun.«
In ihren katzenförmigen Augen flackerte Zorn auf. »Von wegen! Ich kann es nicht fassen, dass er das tatsächlich zu dir gesagt hat. Und deine Mutter reagiert immer psychotisch, wenn es um dich geht. Ich sage das nicht, weil ich voreingenommen bin, sondern als emotional reifer Mensch. Wenn Michael nicht mit der Vergangenheit umgehen und nach vorne schauen kann, ist das sein Problem. Du hast versucht, den Bruch zu kitten, du hast dich bemüht, und mehr kann niemand von dir verlangen.
Dein Dad und deine Geschwister haben dir verziehen, dass du weggelaufen bist, weil sie dich lieben. Und was die andere Sache betrifft, gibt es nichts zu verzeihen. Wenn du das nicht endlich in deinen sturen Kopf hineinbekommst, werde ich dich eigenhändig wieder zur Therapie schleifen.«
Ihre direkte, unverblümte Art brachte mich zum Lächeln. »Dein Verhalten einer Kranken gegenüber lässt einiges zu wünschen übrig.«
»Du bist nicht krank, Dahlia. Du bist traurig. Und du fühlst dich schuldig. Ja, du hättest eher nach Hause zurückkehren können, und, ja, du hast deiner Familie große Sorgen bereitet. Daran trägst du die Schuld, und das ist dir bewusst. Du hast ihnen alles erklärt und dich entschuldigt, und alle außer Michael können jetzt damit umgehen. Aber was mit Dillon passiert ist, ist nicht deine Schuld. Niemand glaubt das – ich gehe davon aus, nicht einmal Michael. Hör auf, dir das einzureden.«
»Meine Mom glaubt es, Bailey, und vielleicht hat sie ja recht. Möglicherweise bin ich dazu bestimmt, Menschen, die ich liebe, Schmerz zuzufügen.«
Sie schaute mich frustriert an. »Nein, das will ich nicht hören. Und ich werde es nicht zulassen, dass du dir das antust. Nicht noch einmal. Meine Güte, das ist nicht die Dahlia, die ich kenne und liebe. In Wahrheit bist du viel stärker.«
»Bailey?«
Wir drehten uns beide ruckartig um und sahen überrascht meinen Vater an der Türschwelle stehen; wir hatten ihn nicht kommen hören.
»Kann ich bitte mit meiner Tochter allein sprechen?«
Bailey schaute mich an und fragte mich mit ihrem Blick wortlos, ob mir das recht sei, was ich sehr liebenswert fand. Als ich nickte, stand sie auf und ging zu Dad hinüber. »Ich koche uns Tee.« Sie drückte ermutigend seine Schulter, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kennen.
Mein Dad schenkte ihr ein freundliches Lächeln. Offensichtlich hatte er sie bereits in sein Herz geschlossen, was mich nicht überraschte.
Mit besorgter Miene kam Dad auf mich zu. Ich konnte diesen Blick kaum ertragen, aber wahrscheinlich würde ich ihn mir gefallen lassen müssen, bis ich aufhörte, in Selbstmitleid zu schwelgen, und mich endlich zusammenriss.
»Wir alle haben unsere schwachen Momente, Bluebell.« Dad setzte sich neben mich. »Es ist kein Zeichen von Versagen, wenn man zugibt, dass man mit etwas nicht fertigwird. Und dass man jemanden braucht, der einem dabei hilft.«
»Meinst du damit Bailey?« Zögernd schaute ich ihn an.
»Sie gehört jetzt auch zu deiner Familie. Es ist vollkommen in Ordnung, dass sie dir auf eine Weise helfen kann, wie es uns nicht möglich ist.«
»Darum geht es nicht«, versicherte ich ihm rasch. »Sie ist kein Teil meiner Fehler, daher empfinde ich in ihrer Gegenwart keine Schuldgefühle. Und ich darf traurig sein. Ohne dafür verurteilt zu werden.«
»Hast du das Gefühl, bei mir nicht traurig sein zu können?«
»Das verdiene ich nicht.«
»Oh, Bluebell …« Seine Stimme klang brüchig, und er nahm mich in die Arme. »Das bricht mir das Herz, Schätzchen.«
Ich schmiegte mich an ihn, und wir schwiegen eine Weile.
»Ich habe gehört, was du zu deiner Freundin gesagt hast, und ich muss dir etwas erklären. Das hätte ich wahrscheinlich schon vor langer Zeit tun sollen.«
Ich versteifte mich in seinen Armen. »Was meinst du damit?«
»Du trägst keine Schuld an Dillons Tod. Das habe ich nie angenommen. Auch deine Geschwister haben das nie gedacht. Und ebenso wenig Michael Sullivan. Ich weiß nicht, was zwischen dir und ihm gestern Abend vorgefallen ist, und Dermot hat es mir auch nicht sagen können, aber was immer es auch war, es hatte nichts mit Dillon zu tun. Und was deine Mutter betrifft …« Er atmete schwer aus. »Das geht weit zurück. Viel weiter als die Sache mit Dillon. Damals wart ihr Kinder noch gar nicht auf der Welt. Tief in ihrem Inneren ist deine Mutter ein guter Mensch, aber sie hat einige Probleme. Es gibt einen Grund dafür, warum wir keinen Kontakt zu ihren Eltern oder ihrer Schwester haben.«
Ich wich ein Stück zurück und sah ihn überrascht an. Meine Großeltern mütterlicherseits und meine Tante existierten für meine Mutter nicht. Ich hatte nur einmal von ihnen gehört, als Davina eine Schuhschachtel mit Fotos von ihnen gefunden und Mom nach ihnen gefragt hatte. Mom hatte Davina ein wenig über sie erzählt und danach jedes Mal, wenn Davi sie erwähnte, wieder so getan, als gäbe es sie nicht.
»Der Vater deiner Mutter hat seine Familie körperlich misshandelt, aber deine Großmutter hat sie seelisch gequält.«
Ich holte hörbar Luft. Trotz allem, was sie mir angetan hatte, tat mir das sehr leid für meine Mom. »Was genau haben sie gemacht?«
»Ihr Vater war sehr jähzornig, und ihm rutschte schnell die Hand aus. Ihre Mutter war, nun ja, nicht sehr liebevoll. Ihre Zuneigung musste man sich verdienen. Sie spielte deine Mom gegen ihre Schwester aus und veranstaltete jede Woche einen Wettbewerb, um zu bestimmen, wer ihre Liebe bekam. Manchmal hat deine Mom gewonnen, manchmal aber auch ihre Schwester. In deiner Mom erzeugte das ein ungutes Konkurrenzdenken und eine Eifersucht, wie ich sie vorher noch nie erlebt hatte. Dieser Neid zerstörte die Beziehung zu ihrer Schwester. Ich wusste das alles, und da ich deine Mom so sehr liebte, bemühte ich mich, Verständnis dafür aufzubringen, wenn sie sich manchmal ein wenig verrückt verhielt. Sie war immer sehr besitzergreifend und konnte es nicht ausstehen, wenn jemand, der ihr am Herzen lag, einem anderen Menschen mehr Zuneigung schenkte als ihr. Dadurch sind viele ihrer Freundschaften kaputtgegangen, und ich musste immer sehr vorsichtig sein, wie ich mich in Gegenwart anderer Frauen verhielt.«
»Aber du bist bei ihr geblieben.«
»Ich habe sie geliebt. Als wir jünger waren, war deine Mutter eine sehr lustige und nette Frau. Ich mochte es, sie zum Lachen zu bringen.« Bei der Erinnerung daran glitt ein zärtliches Lächeln über sein Gesicht. »Niemand brauchte Lachen und bedingungslose Liebe mehr als deine Mutter. Und wir haben Fortschritte gemacht. Je mehr sie mir vertraute, umso seltener brach ihre Eifersucht durch. Dann wurden wir Eltern, und unsere Beziehung wurde noch stärker. Bis du gekommen bist.«
Mir stockte der Atem, und mein Herz begann zu rasen. Hatte Mom mich angelogen? War ich doch nicht ihre Tochter? »Dad?«
Als er meine Angst sah und verstand, was in mir vorging, schüttelte er den Kopf. »So dramatisch ist es nicht. Ich habe deine Mutter nie betrogen, egal, wie schlimm es manchmal auch um uns stand. Doch als du zur Welt gekommen bist, ist zwischen uns wie von selbst eine Verbindung entstanden, die sich ein wenig von der unterschied, die ich zu deinen Geschwistern hatte. Versteh mich nicht falsch – ich liebe alle meine Kinder, aber vom Moment deiner Geburt an hast du definitiv mehr zu mir gehört als zu deiner Mutter. Und je älter du geworden bist, umso deutlicher war das zu sehen. Du warst eine kleine Ausgabe von mir, eine McGuire durch und durch.«
Er lächelte mich so liebevoll an, dass ich kaum mehr Schmerz empfand. Doch dann verschwand sein Lächeln. »Deine Mutter hasste es. Als du klein warst, wolltest du immer zu mir, wenn du dir wehgetan hattest, und wenn du einen bösen Traum hattest, hast du nach mir gerufen. Auch wenn du einmal krank warst, hast du nur nach mir verlangt und wolltest niemand anderen sehen. Deine Mutter und ich haben deswegen ständig gestritten. Sie behauptete, ich wollte dich ihr wegnehmen. Als du dann etwas älter, aber immer noch ein Kind warst, das noch nicht wusste, was es tat, begann diese Kränkung sich bei deiner Mutter immer stärker zu manifestieren. Das bemerkte ich daran, dass sie dir gegenüber immer strenger wurde. Sie glaubte, den Wettbewerb um die Zuneigung zu verlieren, und grollte dir deswegen.«
Entsetzt starrte ich Dad an. »Aber das habe ich doch nicht gewollt.«
»Ich weiß.« Er drückte mich an sich. »Und deiner Mom hätte das auch klar sein müssen, doch die Erlebnisse mit ihrer Mutter und ihrer Schwester hatten eine Störung in ihr verursacht, gegen die ich nichts tun konnte. Im Laufe der Jahre hat mich das so beunruhigt, dass ich ihr sogar eine Therapie vorgeschlagen habe. Sie sollte sich alles von der Seele reden und sich helfen lassen, aber sie weigerte sich. Ich fand es schrecklich, wie sie dich behandelte, und ich hätte schon vor langer Zeit etwas dagegen unternehmen sollen. Die Schuld daran trifft mich und sonst niemanden.«
»Dad …«
»Doch, das ist wahr. Ich bin dein Vater, und es ist meine Aufgabe, dich zu beschützen. Wenn es sein muss, sogar vor deiner Mutter. Die Reibereien zwischen euch beiden waren jahrelang ein wunder Punkt in unserer Ehe.«
»Das tut mir leid.«
»Du kannst nichts dafür. Deine Mutter ist ein schwieriger Mensch.« Er atmete tief aus. »Nach Dillons Geburt war sie fest entschlossen, sie zu ihrem Kind zu machen. Sie wollte, dass Dillon mit ihr ebenso verbunden war wie ich mit dir. Du trägst keine Schuld an Dillons Tod, auch wenn deine Mom dir das einreden will. Mein Gott, Schätzchen, schlag dir das endlich aus dem Kopf. Deine kleine Schwester hatte dich sehr lieb. Ich weiß, dass sie am Schluss wütend auf dich war, aber eigentlich hat sie dich verehrt wie eine Heldin. Falls sie zu uns herunterschaut, bricht es ihr sicher das Herz, dass du jetzt so leidest. Und dass deine Mutter sich dir gegenüber so verhält.
Ich liebe deine Mom. Doch sie hat sich geweigert, mit jemandem darüber zu sprechen, was ihr als Kind widerfahren ist, wie sehr das ihr Leben als erwachsener Mensch und als Mutter beeinflusst hat. Und nun ist alles in ihrem Inneren so verquer, dass sie nicht mehr klar denken kann. Als sie Dillon verloren hat, ist irgendetwas in ihr zerbrochen, und es war leichter für sie, dich dafür verantwortlich zu machen, als einzusehen, dass es sich um einen tragischen, sinnlosen Unfall gehandelt hat. Auf diese Weise konnte sie ihren Zorn in eine Richtung lenken.
Und nun hat sie alles verloren«, fügte er leise hinzu. »Mich und auch ihre Kinder. Alle. Als Tochter war ihr nur Davina geblieben, und sie entwickelte sich ganz anders, als Dillon es getan hätte, also stieß sie auch sie von sich weg. Ich liebe deine Mom, aber meine Kinder liebe ich noch mehr, und ich will sie nicht wegen ihr verlieren.
In unserer Ehe kriselte es schon lange – wir haben uns zu weit auseinandergelebt. Ein gemeinsamer Kern war allerdings immer noch da, bis sie mir dann gestand, dass sie dich geschlagen und dir all die Jahre diese schlimmen Sachen gesagt hat, die dich letztendlich zum Trinken getrieben haben. Erstaunlicherweise hat mir diese Erkenntnis Frieden verschafft. Ich habe begriffen, dass es richtig gewesen ist, sie zu verlassen, dass sie nicht mehr die Frau ist, die ich vor so langer Zeit geheiratet habe. Bei unserer Scheidung geht es nicht um dich, sondern nur um sie und mich. Das verstehst du doch, oder?«
Ich nickte schweigend, während mir ein paar Tränen über die Wangen liefen, obwohl ich gedacht hatte, bereits alle vergossen zu haben.
»Du musst dich von all dem Gift, das sie dir eingeimpft hat, befreien, Bluebell. Ich kann es nicht ertragen, mit anzusehen, dass mein kleines Mädchen ein unerfülltes Leben führt und sich selbst für etwas bestraft, was es nicht getan hat.«
Ich ließ mich wieder gegen ihn sinken und weinte leise. Seine Worte, alles, was er mir über die Vergangenheit meiner Mutter erzählt hatte, machten mich zutiefst betroffen. Viele Jahre lang hatte ich geglaubt, dass etwas Grundlegendes an mir falsch war und meine Mutter dazu gebracht hatte, mich zu hassen. Dass ich jetzt einen Grund für ihr Verhalten erfahren hatte, befreite mich von der Schuld, die ich in mir getragen hatte. Nicht ganz, aber zu einem großen Teil. Von einer Schuld, die ich nicht hätte auf mich nehmen sollen.
Und in diesem Moment konnte ich plötzlich freier atmen.