Massachusetts College of Art & Design, neuneinhalb Jahre zuvor
Lautes Gehämmer drang durch die Werkstatt, als ich und meine Mitstudenten im Kunstschmiedekurs an unseren Projekten arbeiteten. Der Raum war warm, weil wir mit Lötlampen die Metalle erhitzten und so weich genug machten, um sie bearbeiten zu können. Trotz des Herbstwetters trug ich daher ein Sommerkleid und Biker Boots. Mom hatte mich mit der Prophezeiung genervt, ich würde eine Erkältung bekommen, also hatte ich meinen Wintermantel über das Kleid gezogen. Auf eine Strumpfhose hatte ich jedoch verzichtet, denn bei stundenlangem Arbeiten in einem Raum mit mehreren Lötlampen geriet man schnell ins Schwitzen.
Eine gute Entscheidung, sonst würde es mir jetzt so gehen wie meiner Kommilitonin Shauna, die bereits ihren Strickpullover ausgezogen hatte und nur noch ein Top zu ihrer Jeans trug. Trotzdem schimmerten Schweißperlen über ihrer Oberlippe.
Doch die Hitze ließ sich ertragen, wenn man sah, wie allmählich Schmuckstücke entstanden. Mein Lieblingsmaterial war Silber, und ich arbeitete damit an einer Kollektion für eine Theateraufführung von Ein Sommernachtstraum. Sie war Teil meines Abschlussprojekts.
Ich hämmerte das Silberhalsband zurecht, das Titania tragen würde, wobei ich sorgfältig auf die Aussparungen für die Peridotsteine achtete. Als arme Studentin konnte ich mir keine Smaragde leisten. Selbst die viel günstigeren Peridotsteine rissen ein großes Loch in mein Budget, aber ich war begeistert, wie gut sie sich für die Schmuckstücke der Elfenkönigin eigneten.
Unsere Lehrkraft Rita war ziemlich locker. Sie spazierte durch den Raum, gab Ratschläge und äußerte Kritik und Lob, aber letztendlich ließ sie uns nach unseren Vorstellungen und in unserem Tempo arbeiten.
Plötzlich sträubten sich mir die Nackenhaare, und ich hatte das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Langsam hob ich den Kopf und wandte mich zur Tür um.
Als ich Michael Sullivan in seiner Polizeiuniform dort stehen sah, krampfte sich mein Magen leicht zusammen.
Er bedeutete mir mit einer Kopfbewegung, zu ihm zu kommen.
Verdammt.
Nach unserer Auseinandersetzung in dem Lokal hatte Michael sich von Dillon getrennt. Sie war am Boden zerstört, launisch und gereizt gewesen, und mich hatten Reuegefühle geplagt. Seit ihrer Trennung vor sechs Wochen hatte ich konsequent alle Anrufe und SMS von Michael ignoriert.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Rita und warf Michael von der anderen Seite des Raums einen Blick zu.
Michael trat über die Türschwelle. »Ich möchte mit Dahlia McGuire sprechen.«
»Oh, Dahlia?«
Ich wandte mich ihr zu.
Wenn Michael mich offensichtlich während seiner Arbeitszeit im College aufsuchte, würde er sich wohl kaum abwimmeln lassen, solange ich nicht mit ihm gesprochen hatte. Auch wenn ich dafür nicht bereit war, musste ich es hinter mich bringen. »Ist das in Ordnung?«
»Natürlich.«
Ich stand von meinem Hocker auf. »Ich bin gleich wieder da.«
Rita nickte und wandte sich einer anderen Studentin zu.
Mit leicht zitternden Beinen ging ich langsam zu Michael hinüber. Unter seinem intensiven Blick schoss mir die Röte in die Wangen.
Ziemlich verärgert über seinen Überfall – und auch darüber, wie heiß er in dieser Uniform aussah – blieb ich vor ihm stehen. »Was willst du hier?«, fragte ich zischend.
Er schaute mich finster an. »Können wir hier irgendwo unter vier Augen sprechen?«
Ich nickte, schob mich an ihm vorbei und nahm zornig das Prickeln auf meiner Haut wahr, das ich dabei empfand. Schweigend gingen wir den Gang hinunter bis zum Fotografiebereich, in dem es abschließbare Dunkelkammern gab. Die meisten der Türen waren abgesperrt, aber die vorletzte ließ sich öffnen. Obwohl dort gerade einige Fotos entwickelt wurden, war der Raum leer. Ich führte Michael hinein, schloss die Tür und sperrte sie hinter mir ab.
Mein Bauch sagte mir, dass das kein guter Einfall war.
Sondern eine ganz schreckliche Idee.
Aber diese Erkenntnis hatte mich nicht aufgehalten.
»Eine Dunkelkammer?« Der rote Schein der Lampe fiel auf sein attraktives Gesicht.
»Hier stört uns niemand. Also, was willst du? Und warum trägst du Uniform? Rita wird wahrscheinlich glauben, ich hätte etwas ausgefressen.«
Michael sah mich skeptisch an. »Ich trage meine Uniform, weil ich im Dienst bin. Ich habe gerade Pause und war in der Gegend, also dachte ich mir, ich könnte Dahlia aufsuchen und sie fragen, warum sie nach meiner Trennung von Dillon alle meine Anrufe und SMS ignoriert hat. Seit sechs Wochen, Dahlia. Sechs Wochen. Kannst du mir bitte erklären, warum du mich seit verdammten sechs Wochen warten lässt?«
Unfähig, ihm in die Augen zu schauen, rieb ich mir den Nacken. »Du weißt doch, warum, Michael.«
»Nein, das tue ich nicht. Ich war mit Dillon nur knapp drei Monate zusammen, und wir hatten keinen Sex.«
Bei der bloßen Vorstellung, dass er sie jemals angefasst hatte, stiegen Eifersucht und Zorn in mir auf. »Davon will ich nichts hören.«
»Dahlia …« Er kam einen Schritt auf mich zu. Ich versuchte, Abstand zu halten, und rumpelte gegen die Tür. »Es tut mir leid«, stieß er verzweifelt hervor. »Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, mich mit deiner kleinen Schwester zu verabreden. Es tut mir wirklich leid. Ich bedauere es mehr, als ich sagen kann.«
Gut und schön, aber er hatte alles kaputt gemacht. Meine Schwester würde mich hassen, wenn ich mich jetzt mit ihm treffen würde, und meiner Mom würde das weitere Munition verschaffen. Es würde sie in ihrer Meinung bestärken, dass ich egoistisch und verzogen war.
»Ja, mir tut es auch leid.« Ich griff nach dem Türriegel und der Klinke.
»Nicht.«
Er griff nach meiner Hand, um mich am Gehen zu hindern, und drückte mich mit seinem harten Körper, Brust an Brust, gegen die Tür. Hitze durchströmte mich, und ich unterdrückte mühsam einen Laut des Verlangens, als er seine Stirn an meine Schläfe presste.
»Ich kann es nicht ertragen, dich zu verlieren«, sagte er heiser. »Verdammt, ich habe dich so sehr vermisst. Es war, als hätte ich einen Arm verloren.«
Ich musste etwas sagen, damit er mich losließ und diese Qual und die Versuchung aufhörten. »Vielleicht könnten wir versuchen, wieder Freunde zu werden«, flüsterte ich.
»Gehst du mir deshalb aus dem Weg? Weil du nur Freundschaft willst?«
»Michael, das ist nicht fair.«
Er drehte den Kopf so, dass seine Wange an meiner lag und seine Lippen mein Ohr berührten. »Ich liebe es, wie du meinen Namen sagst. Ich träume davon. Davon, dass du ihn mir zuflüsterst, während wir zusammen sind.«
Jede Faser meines Körpers schien in Flammen zu stehen, so, als hätte jemand mehrere Streichhölzer auf meiner Haut entzündet. Meine an ihn geschmiegten Brüste schienen anzuschwellen, und die Brustwarzen versteiften sich zu harten Spitzen, die man wahrscheinlich durch mein Kleid sehen konnte.
An die plötzliche feuchte Hitze zwischen meinen Oberschenkeln wagte ich gar nicht zu denken.
Warum musste es gerade er sein?
»Michael … das geht nicht. Was ist mit Gary?«
Er hob den Kopf und schaute mir in die Augen. Ich wusste, dass das, was zwischen uns war, nicht nur physischer Natur war. Da war so viel mehr, es schmerzte beinahe. Und der quälende Nebeneffekt war, dass wir uns körperlich wie im Fieber voneinander angezogen fühlten. »Gary hat dich betrogen. Er ist zwar mein Kumpel, aber … Da ist so viel mehr, als ich dachte, Dahlia. Jetzt spielt er dabei keine Rolle mehr. Er hat die Sache vermasselt, und ich möchte eine Chance bekommen, um alles besser zu machen als er. So viel besser, dass du mich nie wieder gehen lassen willst.«
Er senkte den Kopf, sodass seine Lippen fast meine berührten, und ließ eine Hand über meinen Arm gleiten. »Du fehlst mir«, wiederholte er. »Ich denke ständig an dich.«
In meinen Augen brannten Tränen, denn ich hatte mir nie träumen lassen, dass ich einmal solche Gefühle für jemanden empfinden würde und sie auf gleiche Weise erwidert würden. Warum hatte er nur alles kaputt machen müssen, bevor wir überhaupt eine Chance hatten? »Du hast Dillon sehr wehgetan, und sie ist meine Schwester.«
»Es tut mir leid«, brachte er stöhnend hervor. »Verdammt, in meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas so sehr bedauert. Doch wir reden hier nicht von einer schnellen Nummer. Was wir beide haben, ist es wert, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Hauptsache, wir können daran festhalten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das kann ich ihr nicht antun.«
Michael löste sich von mir und trat von der Tür weg. Seine Augen funkelten, und seine angespannte Miene wirkte frustriert. »Es geht nicht darum, ob wir Dillon damit kränken. Ich war nicht einmal richtig mit ihr zusammen, und das weißt du. Du bist nur wütend auf mich, weil ich mich überhaupt mit ihr getroffen habe, und nun willst du mich dafür bestrafen!«
Zorn stieg in mir auf. »Natürlich bin ich wütend! Du hast meine kleine Schwester in unseren Mist mit hineingezogen!«
»In unseren Mist? Wir reden hier über unser Leben und unsere Zukunft, Dahlia.«
»Ich will nur wissen, warum! Warum sie? Wo du doch gewusst hast, was ich für dich empfinde.«
»Ich habe gewusst, was du empfindest?« Seine Stimme klang beängstigend leise.
Ich presste mich gegen die Tür, in der Hoffnung, irgendwie damit verschmelzen zu können.
»An dem Abend, an dem du mich angerufen hast und wir uns auf dem Parkplatz beinahe geküsst hätten, wer hat da plötzlich einen Rückzieher gemacht? Ich habe nicht gesagt, dass ich das nicht tun könne. Mir war es in diesem Moment scheißegal, dass ich kurz davorstand, meinen besten Freund zu betrügen – ich wollte nur mit dir zusammen sein. Ich habe geglaubt, dass du dich zwar von mir angezogen fühltest, dir Gary aber wichtiger war. Mit Dillon habe ich mich getroffen, bevor ich von eurer Trennung erfuhr. Sie hat mich ein wenig an dich erinnert. Es war nicht richtig, das ist mir bewusst, aber was dich betrifft, habe ich schon immer alles falsch gemacht.«
Die feuchte Hitze zwischen meinen Oberschenkeln verstärkte sich, und ich bemerkte, dass ich schneller und flacher atmete. »Ich habe mich an diesem Abend deinetwegen zurückgehalten. Nicht meinetwegen. Ich habe gewusst, wie viel dir die Freundschaft mit Gary bedeutete, und ich wollte mich nicht zwischen euch stellen. Ich wollte nicht, dass du dich schuldig fühlst.«
Er schwieg einen Moment. Grübelte. Angestrengt. Sexyer, als ihm guttat. »Und deshalb empfinde ich so für dich, wie ich es tue. Aber du sollst wissen, dass ich von dem Augenblick an, in dem ich erfahren habe, dass du Garys Freundin bist, tatsächlich Schuldgefühle hatte. Weil ich es ihm übel genommen habe, dass er dich vor mir kennengelernt hatte. Und ich habe versucht, meine Gefühle für dich zu verdrängen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber sie verschwinden einfach nicht, Dahlia.«
Wie sollte ich da widerstehen können?
Wie?
Aber Dillon, meine Mom …
Meine Güte.
»Willst du mich oder nicht?«, fragte er.
Ich sollte lügen.
Ich sollte ihn wegschicken.
Doch dieser Nebel aus Sehnsucht und Verlangen quälte mich so unbarmherzig, dass ich es nicht fertigbrachte. »Ich habe dich schon immer gewollt.«
Eine Sekunde später war er bei mir und drückte seine Lippen auf meine.
Ich schnappte nach Luft, hob die Hände und versuchte, ihn wegzuschieben, doch er schmeckte so gut und fühlte sich so fantastisch an, dass meine Sinne überwältigt wurden und ich mich stattdessen an ihn klammerte.
Als sich unsere Zungen berührten, fuhr mir sein Stöhnen durch die Kehle direkt nach unten zwischen die Beine. Meine Finger vergruben sich in seinem Haar, und als ich ihn noch näher an mich heranzog, ließ er jede Zurückhaltung fallen. Seine Hände berührten mich überall, so, als wollte er keinen Zentimeter meines Körpers auslassen. Ein lustvolles Ziehen in meinem Bauch entlockte mir ein leises Stöhnen, sowie er meine Brüste streichelte. Michael drückte seine Hüften an meine, und ich spürte, wie hart er war.
Mit einem erstickten Stöhnen wurden seine Küsse immer hungriger und feuchter. Eine Welle der Lust überlief mich. Jetzt zählten nur noch seine Berührungen. Ich zerrte an seinem Hemd, während seine Hände zu meinen Hüften wanderten. Ein Ruck ging durch meinen Körper, und ich erbebte, da er seine rauen Fingerspitzen unter mein Kleid und zwischen meine Oberschenkel schob. Eine Stimme in meinem Hinterkopf flehte mich an, ihn aufzuhalten, bevor es zu spät war. Das verzweifelte Verlangen, ihn in mir zu spüren, drängte mich, diese Stimme zu ignorieren, aber …
»Michael, hör auf«, brachte ich keuchend hervor und schob ihn zurück.
Er versteifte sich. »Dahlia?«
Alle meine Nervenspitzen schrien danach, ihn weitermachen zu lassen, sodass ich seine Hände zwischen meinen Oberschenkeln spüren konnte. Ich sehnte mich danach, wie ich mich noch nie nach etwas gesehnt hatte.
Doch das Gesicht meiner Schwester tauchte immer wieder vor meinem geistigen Auge auf, und mein Wille musste stärker sein als meine Begierde. Ich wollte offen und ehrlich zu meiner Schwester sein. Wenn ich Sex mit Michael hatte, bevor ich mit ihr über ihn sprach, würde sie mir das nie verzeihen, das wusste ich.
Nur wenn ich mich aufrichtig und ehrenhaft verhielt, hatten wir vielleicht eine Chance, damit fertigzuwerden.
»Verdammt, Dahlia, bitte mich nicht darum, jetzt aufzuhören«, flehte er.
Mehr zu meinem eigenen als zu seinem Trost strich ich ihm übers Haar. In meinen Augen brannten Tränen der sexuellen Frustration. Diesen quälenden Stachel der unerfüllten Lust hatte ich bisher noch nie gespürt. Wenn Michael sich nur halb so schlecht fühlte wie ich, tat er mir sehr leid. »Wir müssen aufhören.«
Er stützte sich, die Hände neben mir, an der Wand ab und vergrub sein Gesicht an meinem Nacken. Dann drückte er mir einen sanften, süßen Kuss auf den Hals, stöhnte leise und trat zurück.
Ein Schauer überlief mich, als ich ihm ins Gesicht schaute. Er sah so verdammt gut aus.
Er spürte meinen Blick und erwiderte ihn, wobei er jedoch Augenkontakt vermied. »Ich gehe jetzt besser.«
Die Bitterkeit in seiner Stimme verriet mir, dass er nicht begriffen hatte, warum ich aufgehört hatte. Er dachte, ich wollte ihn zurückweisen.
Ich ging zu ihm, schmiegte mich an ihn und legte eine Hand an seine Wange. Reflexartig schlang er seine Arme um mich und zog mich an sich.
»Ich schicke dich nicht fort«, erklärte ich. »Aber wenn ich mit dem Exfreund meiner kleinen Schwester zusammen sein will, muss ich dabei so klug wie nur möglich vorgehen. Das heißt, ich muss mit Dillon reden, bevor zwischen uns etwas geschieht.«
Michael entspannte sich am ganzen Körper. »Soll das heißen, du gibst uns eine Chance?«
Ich nickte.
Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das so ansteckend war, dass ich lachen musste.
»Verdammt, ich würde dich so gerne noch einmal küssen, aber offensichtlich gerät bei mir alles augenblicklich außer Kontrolle, wenn ich das tue.«
Geschmeichelt, dass ein paar Küsse von mir ausreichten, um ihn so scharfzumachen, legte ich lächelnd den Kopf zur Seite. »Willst du damit sagen, dass ich die einzige Frau bin, bei der du so schnell den Kopf verlierst?«
Er drückte seine Stirn an meine. »Ich hätte beinahe in der Öffentlichkeit in meiner Uniform Liebe mit dir gemacht. Also was glaubst du wohl?«
Liebe machen.
Bei Gary hieß das immer »vögeln«.
Michael wurde ernst. »Ich möchte dabei sein, wenn du es Dillon sagst. Es ist nicht fair, dir das allein zu überlassen.«
Die Vorstellung gefiel mir, aber … »Wenn wir beide zu ihr gehen, fühlt sie sich vielleicht überrumpelt. Oder sogar gedemütigt. Ich glaube, es ist besser, wenn ich das übernehme.«
Michael legte die Hände auf meine Taille. »In Ordnung. Aber ich bin da, wenn du mich brauchst.«
»Das weiß ich. Danke.«
Er drückte mir einen sanften Kuss auf die Nase. »Es wird alles gut werden, Dahlia. Wir schaffen das.«