Am Morgen zogen Wolken am Himmel über Hartwell auf. Zum Glück schienen sie keinen Regen mitzubringen. Im Februar war es hier sehr oft bewölkt, aber solange es trocken blieb, mussten wir bei Kell keinen Nervenzusammenbruch befürchten.
In einer Hand mein Nähzeug und in der anderen den Umhang für Maleficent (ich hatte in der letzten Minute noch den Saum aufnähen müssen) und meine Handtasche, die Autoschlüssel und eine Flasche Wasser, lief ich mit klappernden Absätzen die Treppe meines Mietshauses hinunter. Ich war nervös. Der Winterkarneval war ein großer Tag für mich. Der Festzug fuhr zum Auftakt des Festivals durch die Stadt, und ich musste als eine der Näherinnen auf Abruf verfügbar sein und deshalb hinter den Festwagen hergehen. Das bedeutete, dass auch ich kostümiert sein musste, also hatte ich mich als Schneewittchen verkleidet. Nach dem Umzug musste ich rasch zum Anfang der Main Street, die dort für einen Markt abgesperrt worden war. Ich war dort auch vertreten. Zum Glück half mir Bailey in diesem Jahr – sie kümmerte sich um meinen Stand, während ich am Festzug teilnahm.
Ich fragte mich, ob ich Michael heute sehen würde.
Nein.
Denk nicht an ihn!
Raum, hatte er gesagt. Er wolle mir mehr Raum geben.
Nun, das hatte er tatsächlich getan. In den letzten zwei Wochen hatte ich ihn nur einmal gesehen – am Freitag bei Cooper’s. Er war nach seinem Dienst dort erschienen, und es wunderte mich nicht, dass er sich mit Cooper auf Anhieb sehr gut verstand. Bei Bailey, Jess und Emery verhielt es sich nicht anders. Wenn Michael einmal seine charmante Seite hervorkehrte, konnte man ihm kaum widerstehen. Emery hatte noch nie zuvor so stark gestottert und gestammelt.
Er flirtete ein wenig mit mir, bis er gegen elf Uhr aufbrach. Nachdem er sich von allen verabschiedet hatte, blieb er neben mir stehen. Er schaute mich eine Weile an und streichelte dann mit einem Finger sanft über meine Wange. »Gute Nacht, Darling«, sagte er leise.
Unfair!
Mein Körper hatte auf diese einfache Berührung so stark reagiert, als hätte er mich geküsst. Und meine Freundinnen fanden das großartig.
Bailey konnte es kaum erwarten, mich auszufragen. Sie wollte wissen, was mich zurückhielt, doch ich brachte es nicht über mich, es ihr zu erklären.
Seit diesem Abend hatte ich Michael nicht mehr gesehen. Cooper rief mir ins Gedächtnis, dass Michael als Mitarbeiter des Büros des Sheriffs nicht nur Polizist in Hartwell war. Er war für den gesamten Landkreis zuständig, und auch wenn sich das Büro des Sheriffs in Hartwell befand, gab es einige viel größere Städte im Westen des Bezirks. Jeff hatte Michael zur Polizeibehörde in Georgetown geschickt, um die Kollegen dort bei den Ermittlungen zu einem verdächtigen Selbstmordfall zu unterstützen.
Wahrscheinlich war er damit ausreichend beschäftigt, während er mir noch Zeit gab.
Herrje.
Auf der Treppe im ersten Stock stolperte ich beinahe, als ich Ivy Green im Flur vor der Wohnung unter meiner stehen sah. Bei meinem Anblick verzog sie das Gesicht, und ich wäre beleidigt gewesen, wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie zurzeit bei allen so reagierte.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir das bringe.« Ira schob mit einer Kiste in den Händen die Wohnungstür auf.
»Wir brauchen es aber vor diesem Karton«, erwiderte Iris hinter ihm.
Die beiden gingen miteinander zankend den Gang entlang.
Und sie stritten sich immer noch, als sie den Eingangsbereich erreicht hatten.
Iris entdeckte mich als Erste, und auf ihrem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. Ich lächelte zurück.
Die Besitzer des Antonio’s waren die warmherzigsten, freundlichsten Menschen, die ich jemals kennengelernt hatte. Iris und Ira stritten sich über jede Kleinigkeit, liebten sich aber heiß und innig.
Von meinen kurzen Gesprächen mit Iris wusste ich, dass sie sich große Sorgen um Ivy machten.
»Hey«, begrüßte ich sie und jonglierte mit den vielen Gegenständen in meinen Händen. Ich stellte mein Nähkästchen ab. »Was macht ihr beiden hier?«
»Wir helfen Ivy beim Einzug«, erwiderte Ira.
»Ach, dann sind wir ja Nachbarinnen.« Ich drehte mich zu Ivy um. »Wie schön.«
Sie nickte lustlos.
Stirnrunzelnd musterte ich sie.
Iris und Ira hatten Ivy als Baby adoptiert. Alles, was sie über sie wussten, war, dass ihre Mutter von den Philippinen stammte. Selbst wenn sie das nicht gewusst hätten, zeigte sich das ganz deutlich an ihrer Tochter. Ivy war sehr hübsch. Sie hatte große dunkle Augen, die leicht schräg nach oben verliefen und sich in den äußeren Winkeln verengten. Sie hatte hohe Wangenknochen und einen kleinen, aber volllippigen Mund. Immer wenn ich Ivy bisher getroffen hatte, war ihr glattes, tiefschwarzes Haar perfekt gestylt gewesen. Ihre Fingernägel waren immer manikürt und ihr dezentes Make-up makellos.
In den letzten Jahren hatte ich ihr Bild oft in Hochglanzmagazinen und Online-Meldungen gesehen. Sie hatte Oliver Frost als Regisseur eines Films kennengelernt, der von einem Ehepaar handelte, dessen Tochter entführt worden war. Ein Thriller. Ich hatte ihn mir angesehen – er war sehr gut gemacht.
Beide wurden für den Oscar nominiert. Frost war von einem anderen Regisseur geschlagen worden, aber Ivy hatte den Oscar als beste Drehbuchautorin gewonnen. Iris und Ira waren unglaublich stolz auf sie gewesen.
Ivy war tatsächlich eine der stylishsten, glamourösesten Personen, die ich kannte.
Zumindest war das einmal so gewesen.
Jetzt war ihr dunkles Haar zu einem unordentlichen Knoten auf ihrem Kopf zusammengebunden. Sie trug kein Make-up und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ihre Wangen waren blass, und sie hatte mehr Gewicht verloren, als ihrer schlanken Figur guttat. Der Pullover und die Jogginghose, die sie trug, waren ihr viel zu weit.
Und auf ihrem Pulli zeichnete sich ein Ketchupfleck ab.
Das war nicht gut. Kein Wunder, dass Bailey sich Sorgen um sie machte. Natürlich war es tragisch, dass ihr Verlobter an einer Überdosis gestorben war. Grauenhaft. Wirklich schrecklich. Doch sie schien nicht nur zu trauern. Es war beinahe so, als …
Sie wirkte, als hätte sie sich aufgegeben.
Das war beängstigend, denn ich kannte Ivy als freche, kluge, talentierte und ehrgeizige Frau. Bailey, die so viel Energie besaß wie kein anderer Mensch, den ich kannte, hatte Schwierigkeiten gehabt, mit ihr mitzuhalten.
Iris und Ira beobachteten ihre Tochter mit großer Besorgnis.
»Wie geht es dir?«, fragte ich.
Ivy warf mir einen ausdruckslosen Blick zu. »Gut.« Sie drehte sich zu ihren Eltern um. »Ich gehe rein und packe meine Sachen aus.«
Beschämt stellte ich fest, dass ich erleichtert war, als sie in ihrer Wohnung verschwand.
»Tut mir leid …« Iris senkte die Stimme. »Es fällt ihr immer noch schwer, sich wieder aufzurappeln.«
»Nun …« Ich versuchte angestrengt, mir etwas Positives einfallen zu lassen. »Immerhin zieht sie in eine eigene Wohnung. Das ist schon ein Fortschritt.«
»Wir wollten, dass sie bei uns bleibt«, erwiderte Ira mit finsterer Miene. »Doch sie bestand darauf, allein zu wohnen.«
»Ich halte das für eine gute Sache.«
»Dieses Haus liegt am Stadtrand, fünfzehn Minuten Autofahrt entfernt.«
»So weit ist das nicht.«
»Zumindest bist du auch hier, Dahlia.« Ira schaute mich bekümmert an. »Du gibst acht auf sie, ja?«
»Natürlich«, versprach ich, obwohl mir Ivys depressiver Zustand ein wenig Angst einjagte. Er erinnerte mich sehr an mein absolutes Tief. Bailey würde jedoch begeistert sein, dass ihre alte Freundin nun im selben Haus wohnte wie ich, also würde ich mein Bestes geben. Für Iris und Ira und für Bailey. »Ich werde mich um sie kümmern.«
»Danke, Schätzchen.« Ira lächelte mich an. »Bist du unterwegs zum Umzug?«
»Ja. Sehen wir uns dort?«
»Nur, falls wir diese wandelnde Leiche dazu überreden können, mit uns zu kommen«, warf Iris spöttisch ein.
»Iris«, tadelte Ira sie.
Seine Frau schnitt eine Grimasse und rief mir über die Schulter einen Abschiedsgruß zu, als sie die Wohnung betrat.
»Ira, ich kenne Iris schon lange und weiß, dass sie sich in Sarkasmus rettet, wenn ihr etwas sehr nahe geht. Das wird sicher bald besser. Ivy wird das schon schaffen.«
Er nickte, aber in seinen Augen lag ein trostloser Ausdruck, der mir wehtat. Ich atmete tief ein und ein wenig zittrig wieder aus, bevor ich etwas sagte, was ich normalerweise für mich behielt. »Vor langer Zeit hatte ich eine schlimme Krise. Alle, die sich Sorgen um mich machten, glaubten schon, ich würde es niemals schaffen, doch es ist mir gelungen. Es braucht nur seine Zeit.«
Er nickte erleichtert. »Danke, Schätzchen.«
Ich nickte ebenfalls und machte mich auf den Weg. Und hoffte um ihretwillen, dass ich recht behalten würde.
Zum Glück verlief der Umzug ohne Pannen. Ich musste nur einmal einen Riss an der Schulter von Aschenputtels Kostüm nähen. Rasch lief ich zum Markt, wo Bailey meinen Stand hütete. Vaughn, Cooper, Jess und Emery hatten sich zu ihr gesellt.
Sie pfiffen und jubelten, als ich in meinem Schneewittchen-Kostüm auf sie zuging, und ich verdrehte die Augen. »Oh ja, diese Puffärmel sind wirklich sexy.« Ich schlüpfte in meinen Stand und drückte Baileys Schultern. »Vielen Dank, Süße.«
»Jederzeit wieder. Ich habe einen Ring mit einem Peridot verkauft.«
»Großartig.« Ich wandte mich den anderen zu. »Ihr verscheucht meine Kunden. Eine Gruppe vor einem Stand wirkt immer abschreckend.«
»Vielen Dank«, schnaubte Jess. »Und dabei sind wir nur gekommen, um dich zu fragen, ob du etwas essen oder trinken möchtest.«
»Eine heiße Schokolade«, erwiderte ich, ohne zu zögern. »Und ein Churro wäre auch nicht schlecht.«
»Oh, da bin ich dabei.« Bailey griff nach ihrer Handtasche.
»Das geht auf mich.« Ich öffnete meine Geldkassette.
»Nein, das übernehme ich«, erklärte Vaughn. Er folgte Jess, Coop und Emery, die sich bereits auf den Weg gemacht hatten, um uns das Gewünschte zu besorgen.
»Lässt er dich überhaupt noch für irgendetwas bezahlen?«, fragte ich und sah dem großen, sehr attraktiven Hotelbesitzer nach. Unter dem Wollmantel und der Anzughose zeichnete sich die Figur eines kräftigen Schwimmers ab. Dank Baileys Beschreibung und meiner guten Vorstellungskraft wusste ich, dass unter seiner teuren Kleidung ein reizvoller, perfekter Körper steckte.
»Glotzt du etwa meinem Verlobten hinterher?«
Ich seufzte resigniert. »Es tut mir leid … Ich bin …« Sexuell frustriert, ständig erregt – und das, seit Michael Sullivan mich in meiner Werkstatt gevögelt hat.
Bailey hatte ich davon noch nichts erzählt. Sie würde es sofort zum Anlass nehmen, mich über meine Gefühle auszufragen.
»Du bist …?«
»Erschöpft«, log ich. »Ich bin froh, wenn der Karneval vorüber ist.«
»Das ist Frevel!«
Ich zuckte zusammen, als Kell Summers wie aus dem Nichts erschien. Er war als ein zwar ziemlich kleiner, aber durchaus attraktiver Märchenprinz verkleidet.
Er sah mich finster an. »Eigentlich wollte ich dich um etwas bitten, aber nach dieser Bemerkung befehle ich es dir.«
Oh nein. Was würde jetzt auf mich zukommen? »Ich habe ein wenig Angst, dich zu fragen, worum es geht.«
»Speeddating. Es findet im Hotel von Baileys Verlobtem statt.«
»Sein Name ist Vaughn«, warf Bailey ein.
Kell grinste. »Aber es klingt viel besser, wenn ich ihn deinen Verlobten nenne, oder?«
»Dagegen habe ich nichts einzuwenden.«
»Da fällt mir ein …« Er beugte sich über meinen Stand zu ihr vor. »Ich würde gerne mit dir über eine Rede bei deiner Hochzeit sprechen. Eine kleine Hommage an deine Geschichte als Nachfahrin der Gründerfamilie.«
Ich spürte, dass Bailey kurz davor war, laut loszuschreien, also mischte ich mich rasch ein. »Wie war das mit dem Speeddating, Kell?«
»Ach ja. Wir wollen am kommenden Wochenende einen Versuch starten. Ich möchte alle unsere Singles dafür gewinnen, und dazu gehörst auch du, obwohl es Gerüchte über dich und einen gewissen Detective gibt.« Er zwinkerte mir zu.
Oh, verflixt.
Diese verdammten Kleinstädte mit ihren Schandmäulern.
»Kell …«
»Keine Widerrede, Dahlia. Du machst mit.« Mit einem letzten strengen Blick rauschte er in dem Kostüm davon, an dem ich mühsam gearbeitet hatte.
Ich wandte mich meiner besten Freundin zu und hob die Hände. »Siehst du das? Ich habe überall Schnitte, Kratzer und kleine Einstiche, weil ich Annie und Jake in den letzten Monaten dabei geholfen habe, fünfundzwanzig Kostüme anzufertigen. Die meisten Teilnehmer am Festzug leihen oder kaufen sich ihre Kostüme, also warum mache ich das? Warum können wir uns nicht alle unsere Kostüme ausleihen? Das ergibt keinen Sinn! Ich habe ein Drittel des Jahres damit verbracht, Kostüme für diesen Mann zu schneidern. Wann hört das endlich auf?«
Bailey zeigte kein Mitleid mit mir. »Wenn du Nein sagst.«
Ich ließ stöhnend den Kopf auf die Theke sinken. »Das Leben ist eben kein Wunschkonzert.«
Das tiefe, kehlige Lachen, das über mir ertönte, ließ mich erschauern. Als mir klar wurde, wessen Stimme das war, richtete ich mich langsam auf und schaute in Michaels Augen. Ich wünschte, er würde nicht ständig wie aus dem Nichts auftauchen.
In diesem Moment kamen Vaughn, Cooper, Jess und Emery mit unserem Essen zurück, und er wandte, von ihnen abgelenkt, den intensiven Blick von mir ab.
»Was tust du hier?« Mir fiel auf, dass er seine Dienstmarke nicht trug.
Michael musterte mich und betrachtete mein Kostüm. »Ich habe einen Tag frei. Hübsches Kleid. Wo sind deine Zwerge?«
»Apropos Trolle«, warf Bailey ein, während Vaughn ihr eine heiße Schokolade reichte. Sie schenkte Michael ein süßes Lächeln. »Es heißt, dass Dana Kellerman hinter dir her ist. Sicher ist es schmeichelhaft, von der früheren Schönheitskönigin der Stadt so große Aufmerksamkeit zu bekommen.«
Michael verzog langsam die Lippen zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. »Jetzt weiß ich, warum du und Dahlia gute Freundinnen seid.«
»Ach ja?«
»Ihr labert beide viel Mist«, frotzelte er.
Vaughn verschluckte sich an seinem Kaffee, und Cooper stieß ein lautes Lachen aus.
Bailey war ausnahmsweise sprachlos, und das brachte mich zum Lächeln.
»Du hast recht«, sagte Vaughn zu Cooper. »Ich mag ihn.«
»Vorsicht, mein Freund.« Bailey schaute ihren Verlobten mit zusammengekniffenen Augen an. »Hier bestimme immer noch ich, wie nahe du anderen kommen darfst.« Sie wandte sich an Michael. »Welchen Mist labere ich denn?«
Er zuckte mit den Schultern. »Du wolltest wissen, ob ich an einer anderen Frau als Dahlia interessiert bin. Warum hast du mich nicht danach gefragt? Stattdessen versuchst du, Dahlia zu beeinflussen. Ich muss dich bitten, das zu unterlassen.« Er schaute mir tief in die Augen. »Was sich zwischen uns abspielt, geht außer uns niemanden etwas an.«
»Uff.« Bailey warf mir einen Blick zu. »Unverblümt, freimütig und noch dazu so attraktiv. Er ist wirklich sehr sympathisch.« Ich konnte beinahe hören, wie sie lautlos hinzufügte: Was willst du noch?
»Alles klar, dann mag ich ihn vielleicht doch nicht«, sagte Vaughn.
Bailey griff lachend nach Vaughns Hand, und als er seine Finger um ihre legte, trafen sich ihre Blicke. Die tiefe Verbindung und Zuneigung, die darin lag, raubte mir vor Verlangen den Atem. Und vor Frustration. Weil ich das mit Michael nicht haben konnte. Wenn ich nur einen Weg finden könnte, um diesen Knoten in mir zu lösen, der mich vor Angst lähmte. Dann wäre ich frei, um mit Michael zusammen zu sein.
»Wie gefällt es dir in Hartwell?«, fragte Jess Michael und riss mich aus meinen Gedanken.
»Bisher gut. Ich genieße die Seeluft mehr, als ich dachte.«
»Ja, Cooper hat mir erzählt, dass ihr gemeinsam am Strand joggt.«
Tatsächlich? Seit wann?
Ich schaute zwischen Michael und Cooper hin und her und empfand eine leichte Panik, weil mein Ex sich so rasch mit meinem Bekanntenkreis angefreundet hatte.
»In Boston bin ich jeden Morgen gejoggt, bevor ich ins Fitnessstudio gegangen bin. Der Sand bietet zusätzlichen Widerstand, das ist gut.«
Ich ließ den Blick über Michaels Körper schweifen. Er trug einen dunklen Pullover mit Zopfmuster. Die drei Knöpfe am Hals waren offen, sodass ein kleines Stück des weißen T-Shirts, das er darunter trug, hervorblitzte. Die Jeans und die Stiefel waren schwarz. Seit ich Michael kannte, trug er bevorzugt dunkle Kleidung.
Jess klopfte auf Coopers festen Bauch. »Ich nehme an, ihr müsst ständig die Burger und das Bier abarbeiten«, meinte sie scherzhaft.
Cooper schüttelte grinsend den Kopf. »Michael ist ein Gesundheitsfanatiker.«
Ach ja?
Ich musterte ihn wieder und bemerkte, wie er mich gedankenverloren ansah. Unter seinem intensiven Blick errötete ich leicht.
»Tatsächlich?«, fragte Jess.
Michael nickte, und es fiel ihm offensichtlich schwer, den Blick von mir abzuwenden. »Jeder Körper braucht genügend Brennstoff.«
In unserer Jugend war Michael kein Fitnessfanatiker gewesen, aber es erklärte, warum er nun so aussah. Ich hatte Cooper schon ohne T-Shirt am Strand laufen sehen, und das war wirklich ein Anblick für die Götter. Er war durchtrainiert und muskulös und sah zum Anbeißen aus. Michaels Körper war jedoch noch härter und gestählter. Wenn ich mir seine Muskeln vorstellte … Allein bei dem Gedanken daran rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.
Michael war also ein Fitnessfanatiker.
Es ärgerte mich, dass Cooper das wusste und ich nicht.
Und es gefiel mir nicht, dass Jess über Michaels Gewohnheit, jeden Morgen am Strand zu joggen, informiert war und ich nicht.
Was gab es sonst noch, was andere Leute über ihn wussten und ich nicht?
Was gab es, was andere Frauen über ihn wussten?
Gott, seine Ex-Frau wusste sicher so viel mehr über ihn als ich. Warum tat mir das so weh? Es fühlte sich an, als hätte mir jemand eine Metallstange in die Brust gerammt. Das Atmen fiel mir schwer.
»Wenn du einen guten Bioladen suchst, kann ich dir das Feinkostgeschäft in Atlantic Village empfehlen«, sagte Jess. »Das ist eine sehr gepflegte Wohnsiedlung etwas über sechs Kilometer von hier entfernt.«
»Ich wohne dort«, erwiderte Michael. »Der Laden ist wirklich gut.«
Ich und alle anderen sahen ihn verblüfft an. Atlantic Village war nicht gerade billig. Außerdem gab es für die Wohnungen dort eine lange Warteliste. Bei all dem Klatsch über Michael war ich überrascht, dass ich davon noch nichts gehört hatte.
Michaels schöner Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Jeff hat seine Beziehungen spielen lassen und mich auf der Warteliste nach oben befördert. Es ist nur vorübergehend, bis ich etwas auf lange Sicht gefunden habe.«
»Dann bleibst du also hier?«, fragte Bailey.
Er hielt den Blick auf mich gerichtet, während er ihr antwortete: »Das hoffe ich.«
Jess rettete mich aus dieser unbehaglichen Situation. »Emery, wen starrst du denn an?«
Emery wurde rot, und Jess folgte ihrem Blick auf den überfüllten Markt.
»Niemanden«, murmelte sie und biss sich auf die Unterlippe.
Dummerweise führte ihre Antwort dazu, dass wir uns alle angestrengt umsahen; selbst Michael trat einen Schritt zur Seite und drehte sich um. Während die Männer noch ratlos den Blick schweifen ließen, hatten Bailey, Jess und ich bereits das Zentrum von Emerys Interesse entdeckt.
Jack Devlin.
Seit er Cooper betrogen hatte, war Jack in der Gesellschaft von Hartwell so etwas wie ein Aussätziger geworden. Niemand traute ihm mehr, und er wurde immer mürrischer. Hinter Jacks Entscheidung, auf die dunkle Seite zu wechseln, steckte mehr. Selbst Cooper war das klar, aber seit sein Freund ihn betrogen hatte, machte er sich (zu Recht) keine Gedanken mehr um ihn. Coop hatte die Sache hinter sich gelassen.
Bailey und ich waren dazu noch nicht bereit, da wir uns beide noch gut daran erinnern konnten, wie Jack früher gewesen war. Wir ließen unsere Fantasie spielen und fragten uns unwillkürlich, ob es irgendeinen unheilvollen Grund für seine Wesensveränderung gab. Bailey war eher bereit, ihm zu verzeihen, als ich – sie glaubte, bemerkt zu haben, dass es zwischen ihm und Emery gefunkt hatte, und hatte nun die romantische Vorstellung, Emery würde ihn bekehren.
Ich mochte Emery sehr.
Sie hatte offensichtlich keine Erfahrung mit Männern.
Ich wollte sie nicht in Jack Devlins Nähe sehen.
Das wäre, als würde man ein Panda-Baby in einen Tigerkäfig schieben. Der Gedanke daran weckte die Beschützerinstinkte einer erbosten Bärenmutter in mir.
Jack Devlin würde Emery nicht guttun.
Auf keinen Fall!
Jack stand an einer Burgerbude in der Schlange, und eine hübsche Brünette – sicher eine Touristin – redete munter auf ihn ein. Er schenkte ihr jedoch keine Aufmerksamkeit. Jack war etwa eins dreiundneunzig groß und schlank und hatte breite Schultern. Sein dunkelblondes Haar war dicht und ein wenig zerzaust, sodass er immer aussah, als hätte er sich soeben aus dem Bett gewälzt. Er hatte den Blick aus seinen blaugrauen Augen auf Emery gerichtet – düster und zu schön für diese Welt.
Sein Blick war so intensiv, dass er sogar mich heißmachte.
Das war nicht gut.
Ganz und gar nicht.
Die Frau neben ihm zupfte ihn am Ellbogen, und er riss sich los und wandte sich ihr zu.
»Wohin starrt ihr alle?«, wollte Vaughn wissen.
»Nur so.« Bailey konnte sich vor Aufregung kaum mehr auf ihrem Stuhl halten. Ich stieß ihr meinen Ellbogen in die Rippen – ziemlich heftig –, und sie warf mir einen bösen Blick zu, den ich sofort erwiderte.
»Ich … ähm … Ich glaube, ich gehe jetzt nach Hause«, sagte Emery und vermied den Blickkontakt mit uns.
»Oh nein, bleib doch noch«, bat Bailey sie.
»Wenn sie möchte, darf sie doch gehen«, stieß ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Meine beste Freundin schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich will aber nicht, dass sie jetzt schon geht.«
»Es spielt keine Rolle, was du willst, vor allem nicht, weil du dich gerade im Wolkenkuckucksheim befindest.«
»Ich habe das Gefühl, uns ist irgendetwas entgangen«, sagte Vaughn zu Cooper.
Er nickte. »Da bin ich ganz deiner Meinung.«
»Das hört sich so an, als wolltest du Emery nicht hierhaben«, schnaubte Bailey.
»Ich mag Emery sehr. Und natürlich möchte ich, dass sie hier bei uns ist, aber du willst etwas ganz anderes von ihr.« Ich beugte mich zu ihr vor. »Und das ist verrückt«, zischte ich ihr zu.
»Ähm … Ladies.« Michael trat näher an den Stand heran, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Eure Freundin ist schon gegangen.«
Frustriert seufzend stellte ich fest, dass der Platz neben Jess leer war und diese uns anstarrte wie eine enttäuschte Lehrerin.
»Da siehst du, was du angestellt hast«, murrte Bailey.
»Wenn du Emery nicht in Ruhe lässt, erzähle ich Cooper und Vaughn von deiner verrückten Idee«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Die beiden werden sie ganz schnell vor Jack Devlin abschirmen, und du kannst deine Hoffnungen begraben.«
»Prinzessin.« Vaughn stützte sich mit beiden Händen auf den Tresen meines Stands und beugte sich zu Bailey vor, sodass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. »Was ist hier los?«
»Nichts.« Sie lächelte ihn strahlend an und drückte ihm rasch einen Kuss auf den Mund. »Alles in Ordnung.«
»Warum schaut dich dann Dahlia, die sich normalerweise für dich vor einen Bus werfen würde, so an, als würde sie dich am liebsten umbringen? Was hast du vor, und was hat das mit Emery zu tun?«
Bailey verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen. »Sprich nicht so mit mir. Niemals.«
Ich schüttelte leicht den Kopf. Bailey Hartwell war eine Meisterin in Sachen Ablenkungsmanöver. Vaughn zwinkerte überrascht über ihren schroffen Ton. »Ich brauche jetzt einen Kaffee«, verkündete Bailey und schob ihren Stuhl zurück.
Vaughn sah ihr misstrauisch nach, als sie sich auf den Weg machte. »Entschuldigt mich«, murmelte er und ging ihr rasch nach.
Schon bald waren beide in der Menge verschwunden, und ich wandte mich an Jess.
»Sie ist nicht wirklich böse auf Vaughn, oder?«
Ich verdrehte die Augen. »Sie macht sich wohl eher Sorgen darum, wie gut er sie bereits kennt.«
»Geht es um die Person, an die ich dabei denke?« Coopers Stimme klang nicht erfreut.
Wusste er etwa über Jack und Emery Bescheid?
Oje.
»Wieso fühle ich mich plötzlich, als wäre ich noch in der Highschool?«, warf Michael beunruhigt ein.
Jess lachte. »Willkommen in der Kleinstadtwelt. Hier steckt jeder seine Nase in die Angelegenheiten der anderen.«
»Wo wir gerade davon reden …« Cooper schaute stirnrunzelnd in die Menge. »Wer ist dieser Typ neben meiner Schwester? Und wo ist Joey?« Er marschierte davon und zog Jess an der Hand mit sich. Sie winkte mir zu, und ich nickte. Nun war ich mit Michael allein, und schon hatte ich wieder Schmetterlinge im Bauch.
»Joey ist Coopers Neffe, richtig?« Michael trat einen Schritt näher an den Stand heran.
»Ja«, bestätigte ich nickend und lehnte mich auf meinem Hocker zurück, obwohl wir durch die Theke voneinander getrennt waren. »Er ist fast zehn und ein musikalisches Genie. Cooper ist eher ein Vater als ein Onkel für ihn.«
»Den Eindruck habe ich auch.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn. »Du hast dich anscheinend sehr schnell mit ihm angefreundet.«
»Er ist ein netter Kerl.«
»Michael, was tust du hier?« Ich hob frustriert die Hände. »Warum machst du das?«
»Du hast mir gefehlt. Hast du mich auch vermisst?« Er ignorierte meine Frage und stützte sich mit den Händen auf den Tresen. »Habe ich dir in den letzten Wochen gefehlt?«
Mehr als alles andere.
Noch schlimmer war, dass ich mich, obwohl wir uns nicht gesehen hatten, allmählich an den Gedanken gewöhnte, dass er jetzt hier lebte, in derselben Stadt wohnte und sich um die Sicherheit der Bewohner kümmerte. Und natürlich auch um meine. Der Gedanke gefiel mir sehr.
Doch der Knoten in meinem Bauch sagte mir etwas anderes.
»Mike!«
Bei dieser Stimme zuckte ich zusammen.
Ich kannte sie.
Und ich hasste sie.
Kurz nachdem sie sich lautstark bemerkbar gemacht hatte, tauchte Dana Kellerman auf. Michael drehte sich zu ihr um. Ich ließ den Blick über ihre hochgewachsene, straffe Figur gleiten und kam mir in meinem Schneewittchen-Kostüm dumm, kindisch und plump vor. Das hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich hatte den Catsuit aus Lycra für Dana geschneidert, und er saß wie eine zweite Haut an ihrem durchtrainierten Körper. Das Elastigirl-Kostüm hätte eigentlich lächerlich aussehen sollen, aber das tat es nicht. Das Rot passte hervorragend zu ihrem gebräunten Teint. Normalerweise trug sie ihr langes Haar in sanften Wellen, doch heute hatte sie es zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihre eisblauen Katzenaugen betonte und in die Länge zog. Sie hatte eine perfekte kleine Nase, perfekte Lippen und perfekte Wangenknochen, und natürlich trug sie keine Maske. Wer würde ein so perfektes Gesicht schon verstecken wollen?
Dana Kellerman war eine der schönsten Frauen, die mir jemals im wahren Leben begegnet waren, und bisher hatte ich ihr das nie verübelt. Es lag nicht in meiner Natur, andere Frauen um ihr Aussehen zu beneiden. Doch als ich sie nun beobachtete, wie sie in ihrer ganzen Pracht Michael anflirtete, hasste ich sie.
Sie war fast so groß wie er und trug hochhackige Stiefel, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichten und ihre langen Beine noch länger wirken ließen.
Diese abscheuliche Frau.
»Mike, ich bin so froh, dich gefunden zu haben. Ich stehe mit ein paar Kindern am Eisstand, und sie möchten so gerne einen echten Detective aus der Großstadt kennenlernen. Kommst du bitte mit und unterhältst dich ein wenig mit ihnen?«
Bah!
Diese manipulative abscheuliche Frau.
Sie machte sich nichts aus Kindern. Sie hatte nur eines im Sinn: Michael in ihr Bett zu kriegen.
Dana legte eine Hand auf seinen Bizeps, legte den Kopf zur Seite und klimperte mit den Wimpern. »Bitte.«
Michael drehte sich zu mir um. »Hast du all diese Kostüme geschneidert?«
Diese Frage überraschte mich, und mein Blick wurde weicher. »Das von Dana und noch ein paar andere. Der Rest ist geliehen.«
Er schaute mir tief in die Augen. »Du bist wirklich talentiert, Darling. Alle sehen darin toll aus.«
Er hatte Danas fantastisches Aussehen auf das Kostüm bezogen, das ich gemacht hatte. Das war ein Beweis dafür, dass Michael Sullivan der beste Mann der Welt war. Ich lächelte unwillkürlich. »Danke.«
Michael grinste mich an.
»Oh.« Dana blickte mich an, und ich sah in ihren eisblauen Augen boshafte Berechnung aufblitzen. »Ja, Dahlia ist großartig. Deshalb wird sie es mir sicher nicht übel nehmen, wenn ich dich für eine Weile entführe. Ich weiß, sie ist nicht der mütterliche Typ, aber selbst sie möchte dich bestimmt den Kindern nicht vorenthalten.«
Miststück.
Ich lächelte verkniffen. »Natürlich nicht. Wo sie sich doch so verzweifelt nach ihm sehnen.«
Michael hustete hinter vorgehaltener Hand, und als ich ihn angrinste, funkelten seine dunklen Augen. Er war nicht an Dana Kellerman interessiert. Er war an keiner anderen Frau interessiert, nur an mir, und das sollte mich nicht so glücklich machen, wie es tatsächlich der Fall war. Gab es eine Frau, die noch komplizierter war als ich?
»Du solltest zu den Kindern gehen«, meinte ich. »Sie werden sich freuen, dich kennenzulernen. Und lass deinen Akzent hören, das wird ihnen gefallen.«
Seine Zurückhaltung war ihm deutlich anzumerken, aber schließlich nickte er. Dana hakte sich bei ihm unter und führte ihn durch die Menge davon.
»Was war denn das?«, brüllte Bailey mir ins Ohr.
»Oh mein Gott!« Ich wäre beinahe von meinem Hocker gefallen. »Willst du, dass mich der Schlag trifft?«
»Hast du soeben zugelassen, dass Michael mit Dana Kellerman abgezogen ist?«
»Hast du vorhin so getan, als seist du böse auf Vaughn, nur um von deinen hinterhältigen Verkupplungsversuchen abzulenken?«
Wir starrten uns an.
Schließlich verdrehte Bailey die Augen und setzte sich neben mich auf einen Hocker. »Ich habe nicht nur so getan. Vaughn neigt dazu, immer den Ton angeben zu wollen. Hin und wieder muss ich ihn darauf hinweisen, mit wem er es zu tun hat.«
»Er weiß genau, dass du irgendetwas vorhast.«
»Natürlich, er kennt mich sehr gut. Du warst mir keine große Hilfe, als du mich beinahe verraten hättest.« Sie schnaubte verächtlich. »Wenn es um Menschen geht, die ihm etwas bedeuten, sieht er nur noch schwarz-weiß. Er würde das mit Emery und Jack nicht verstehen.«
»Es gibt keine Beziehung zwischen Emery und Jack.« Ich griff nach ihrer Hand. »Bails, ich hab dich wirklich gern, das weißt du, aber das begreife ich nicht. Du hasst Dana und Jack, weil sie Cooper das angetan haben. Warum also möchtest du Emery mit Jack Devlin verkuppeln?«
»Weil sie stärker ist, als ihr glaubt. Ihr wollt sie alle verhätscheln und beschützen, aber vielleicht braucht sie einen Schubs, der sie aus ihrer Komfortzone befördert. Es gibt einiges, was sie uns nicht erzählt. Und auch Jack gibt nicht alles von sich preis. Vergiss nicht, dass ich mit Jack Devlin aufgewachsen bin. Für mich war er damals ein Held. Er ist kein schlechter Mensch, Dahlia.« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat Stu verprügelt, nachdem ihm zu Ohren gekommen war, dass sein Bruder mich angegriffen hatte. Und er hat Jess davor gewarnt, dass sein Dad Cooper die Ausschanklizenz für alkoholische Getränke entziehen lassen wollte.«
Das stimmte. Als Jess und Cooper am Anfang ihrer Beziehung standen, hatte Ian Devlin Cooper monatelang schikaniert, weil er seine Bar kaufen wollte. Devlin hatte jemanden im Stadtrat bestochen, Coopers Lizenz nicht zu verlängern, um ihn so aus dem Geschäft zu drängen. Hätte Jack Jessica nicht gewarnt, hätte Cooper nicht rechtzeitig davon erfahren.
Danach hatte Jess vorgeschlagen, dass alle Ladenbesitzer an der Promenade eine Petition unterschreiben sollten. Darin teilten wir mit, dass wir alle unsere Geschäfte schließen würden, wenn Coopers Lizenz nicht verlängert würde. Jess und Cooper brachten das Schreiben zum Stadtrat, und die Vorsitzende entschied, dass diese Sache in ihrem Interesse lag und wichtig für die Tourismuswirtschaft war, also erhielt Cooper eine neue Lizenz.
»Ich teile deine Meinung, dass hinter der Geschichte mit Jack mehr steckt.« Ich beugte mich zu meiner Freundin vor und hoffte, dass meine Worte sie erreichten. »Und ich glaube auch, dass Emery uns nicht alles von ihrer Vergangenheit erzählt hat. Es gibt sicher einen Grund dafür, warum sie so introvertiert und schüchtern ist. Ich habe tatsächlich das Bedürfnis, sanft mit ihr umzugehen, denn ich befürchte, irgendjemand in früheren Zeiten hat sie nicht gut behandelt, Bailey.«
Bailey lehnte sich zurück, und in ihre Augen trat ein Ausdruck der Besorgnis.
»Jack verbirgt etwas. Dieser Mann hat eine Menge Probleme. Ich weiß, dass Emery für ihn schwärmt – das sieht doch jeder. Und ich habe selbst einige Schwierigkeiten in meinem Leben, und trotzdem interessiert sich ein wunderbarer Mann für mich. Ich möchte nicht, dass Emery das durchmachen muss, was Michael mit mir erlebt. Sie braucht einen einfühlsamen Mann, der weiß wo es langgeht. Misch dich da nicht ein. Bitte.«
Nachdem sie eine Weile darüber nachgedacht hatte, nickte Bailey. »Ich werde sie in Ruhe lassen.«
»Gut.« Ich seufzte erleichtert.
»Aber ich kann nicht ignorieren, was du soeben gesagt hast. Du bist nicht Jack Devlin, Dahlia. Und Michael ist nicht Emery. Du bist ein guter Mensch. Und du hast Michael wirklich verdient. Und welcher Dämon auch immer dich in seinem Griff hält …« Sie drückte meinen Arm und schaute mich ernst und besorgt an. »Du musst ihn loswerden, bevor du Michael für immer verlierst.«
»Bailey …«
»Hast du dir das überlegt? Ernsthaft darüber nachgedacht, wie dein Leben ohne ihn sein wird?«
Ja, das hatte ich.
Es wäre bedeutungslos, leer und kalt.
Doch es war mehr, als Dillon jemals hatte erfahren dürfen.
»Das steht alles zum Verkauf, oder?« Die Stimme einer Frau riss uns aus unserer Unterhaltung. Eine Touristin war vor meinem Stand aufgetaucht und schaute neugierig zwischen uns hin und her.
Ich zwang mich zu einem Lächeln, versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich kurz vor einem emotionalen Zusammenbruch stand, und deutete auf meine Schmuckstücke. »Natürlich. Und sie sind alle handgefertigt.«