Bailey hatte recht. Ich musste Nein zu Kell Summers sagen. Vielleicht sogar: Verdammt, nein!
Während ich mich in dem Konferenzraum in Vaughns Hotel umschaute, krampfte sich mein Magen zusammen. Seit dem Karneval war eine Woche vergangen. Ich war Michael aus dem Weg gegangen und hatte alle ernsthaften Gedanken an ihn beiseitegeschoben, aber Kell Summers konnte ich nicht entkommen.
Kell hatte für das Speeddating Tische mit gegenüberliegenden Stühlen in zwei langen Reihen aufgestellt. Die vielen vertrauten, aber auch unbekannten Gesichter bestätigten die Gerüchte: Die Veranstaltung hatte Leute aus dem gesamten Landkreis angelockt.
Für mich war Speeddating keine große Sache.
Schon mit Mitte zwanzig hatte ich regelmäßig solche Events besucht und war mit allen entsprechenden Apps und Online-Datingseiten vertraut. Dating hatte mich überall in unserem kleinen Staat herumgebracht – ich war dafür nach Philadelphia, Maryland und New Jersey gefahren. Nur wenige Begegnungen hatten zu etwas geführt, was einer Beziehung glich. Nachdem mir das bewusst geworden war, hatte ich davon Abstand genommen.
Die längste »Beziehung« hatte ich mit Jeff King gehabt. Für mich war es zuerst nur eine kurze Affäre gewesen, doch dann waren wir über drei Monate zusammen gewesen. Mein Unterbewusstsein hatte mir signalisiert, dass es allmählich ernst wurde, aber der Sex war so gut gewesen, dass ich ihn nicht missen wollte. Jeff war ein toller Mann und erinnerte mich ein wenig an Michael. Aber Jeff war eben nicht Michael, und als mir klar wurde, dass er echte Gefühle für mich entwickelte, beendete ich das Verhältnis. Es war nicht fair, Jeff – oder irgendeinen anderen Mann – in dem Glauben zu lassen, ich könnte ihn jemals so lieben, wie er es verdient hatte.
Ich kehrte zu meinen regelmäßigen Datingveranstaltungen zurück, die mir halfen, mir die Zeit zu vertreiben und mit meiner quälenden sexuellen Frustration umzugehen. (Obwohl mein Vibrator mir dabei oft bessere Dienste leistete.) Speeddating sollte mir also keine Angst einjagen.
Aber das tat es doch.
Es beunruhigte mich sehr.
Weil Kell Summers nicht nur mich dazu überredet hatte.
Michael und Jeff befanden sich in dem Veranstaltungsraum.
Obwohl Dana Kellerman ihn in Beschlag genommen hatte, entdeckte er mich sofort, als ich hereinkam. Was für eine Überraschung. Er nickte mir zu, und ich hob kurz die Hand zum Gruß. Jeff sprach gerade mit einer Frau, die ich nicht kannte, als er mich sah. Nervös beobachtete ich, wie er sich entschuldigte und durch den Raum auf mich zukam.
Jeff war groß, und sein Gang erinnerte mich an die Art, wie Cowboys in alten Hollywoodfilmen herumstolzierten. Er war nicht so muskulös wie Michael, aber schlank und sehnig. Sehr attraktiv, sehr männlich, kräftig und sexy. Und er war sehr gut im Bett. Ich wurde rot und verdrängte rasch die Erinnerungen daran.
Seine blauen Augen leuchteten auf und verrieten mir, dass er sich freute, mich zu sehen.
Ich freute mich auch, wie immer, wenn ich ihn traf. Doch meine Gedanken rasten – ich fragte mich, ob Michael sich mit seinem Boss über mich unterhalten hatte.
»Du siehst großartig aus.« Jeff musterte mich.
Ich trug ein rotes Bleistiftkleid im Vintagelook, das meine ausgeprägten Kurven betonte, dazu passende rote Peeptoes mit Plateausohle und schmalen Knöchelriemchen. Mein langes dunkles Haar fiel mir in sanften Wellen über den Rücken, und hellroter Lippenstift ergänzte meinen Look, der ein wenig an die Pin-ups der Fünfzigerjahre erinnerte. »Danke. Du siehst auch gut aus.« Das tat er tatsächlich. Wie immer. »Wer kümmert sich um das Revier, während der Sheriff und der Detective hier sind?«
Er grinste bei meiner spöttischen Frage. »Ich bin gezwungen worden, hierherzukommen, und ich wollte nicht allein leiden müssen.«
Ich biss mir auf die Unterlippe und spähte über seine Schulter zu Michael hinüber. Er schoss böse Blicke auf Jeffs Rücken, und so etwas tat er nie ohne triftigen Grund.
Mist, er wusste Bescheid.
»Er weiß von uns«, bestätigte Jeff.
Ich musterte ihn. »Und was weißt du über Michael und mich?«
»Nicht viel. Er hält sich ziemlich bedeckt. Ich weiß nur, dass ihr euch aus Boston kennt. Und dass er wegen dir hier ist. Er hat erwähnt, dass er dich schon einmal verloren hat und das kein zweites Mal zulassen wird.«
Das hatte er gesagt? Zu Jeff?
»Jeff, ich …«
»Ist er der Grund, Dahlia?«
Ich wusste, was er damit meinte. Er wollte wissen, ob Michael der Grund war, dass ich die Beziehung mit ihm beendet hatte. »Ja.«
»Warum unterhalte ich mich dann jetzt mit dir, und er steht dort drüben bei Dana?«
»Das ist eine komplizierte Sache.«
»Nur, wenn du sie kompliziert machst.« Er warf einen Blick über seine Schulter, bevor er sich mir belustigt lächelnd wieder zuwandte. »Sieht so aus, als würde Mike sich nicht genügend Mühe geben.« Er beugte sich zu mir herunter, legte eine Hand an meine Hüfte und flüsterte mir ins Ohr: »Vielleicht sollte ich ihm einen kleinen Schubs verpassen.«
Ich sah rasch zu Michael hinüber; er beobachtete uns mit angespannter Miene. Plötzlich schob er Dana abrupt zur Seite und ging auf uns zu. Jeff hatte sich bereits zurückgezogen, und mein Herz begann zu rasen.
»Meine Damen und Herren!« Kells Stimmte dröhnte durch die Lautsprecheranlage und hielt Michael zurück. »Willkommen zu Hartwells erster Speeddatingveranstaltung. Ich möchte nun die Damen bitten, auf dieser Seite des Raums Platz zu nehmen.« Er deutete auf die Stühle, die mit dem Rücken zur Tür aufgestellt waren. »Die Herren setzen sich bitte ihnen gegenüber. Wenn die Glocke ertönt, können Sie anfangen, miteinander zu flirten. Beim nächsten Glockenton rücken die Herren einen Stuhl weiter nach rechts.«
Ich warf Jeff einen warnenden Blick zu. »Ich halte es für keine gute Idee, wenn du mit einem deiner Mitarbeiter Spielchen treibst, Jeff.«
»Wer sagt denn, dass ich das tue?« Auf seinem Gesicht erschien ein begehrlicher Ausdruck.
Na großartig, das hatte mir gerade noch gefehlt. Noch mehr ungewollte männliche Aufmerksamkeit.
Warum zum Teufel hatte ich mich von Kell dazu überreden lassen?
Ohne Michael Beachtung zu schenken, durchquerte ich den Raum und setzte mich auf einen der letzten Stühle auf der linken Seite. Die meisten Männer hatten sich bereits niedergelassen, also blieben für Jeff und Michael ebenfalls nur noch Plätze am Ende der Reihe übrig. Jeff saß vier Stühle links von mir entfernt und Michael drei Stühle weiter rechts.
Gequält lächelnd schaute ich mein Gegenüber an. Der dünne Mann war in den Vierzigern, hatte schütteres Haar und eine verkniffene Miene, die mich an eine Maus erinnerte. Sein Hemd war bis zum Kragen zugeknöpft, und ich fragte mich besorgt, ob er genügend Luft zum Atmen bekam.
Die Glocke ertönte, und der Mäusemann sprach als Erster. Und das sehr laut. »Sie sind nicht mein Typ.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Wie bitte?«
»Ich wollte das gleich klarstellen, damit wir nicht unnötig Zeit miteinander vergeuden.«
Das war nicht die unhöflichste Bemerkung, die ich mir bei einem solchen Dating hatte anhören müssen, also war ich nicht besonders überrascht. »Ich nehme an, Sie beurteilen Frauen nur nach ihrem Äußeren?«
Der Mäusemann runzelte die Stirn. »Nein.«
»Sie haben nicht einmal abgewartet, bis ich etwas sagen konnte, bevor Sie Ihr Urteil gefällt haben, also möchte ich Ihnen in diesem Punkt höflich widersprechen.«
»Ähm … nun ja …« Er rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Ich … Ich mag nur sehr schlanke Frauen.«
»Habe ich das richtig verstanden?«, warf Michael von rechts ein.
Offensichtlich schenkte er seiner Gesprächspartnerin gegenüber keine Aufmerksamkeit, sondern belauschte die Unterhaltung mit meinem »Date«.
»Michael«, sagte ich warnend.
»Gibt es ein Problem?«, fragte der Mäusemann Michael.
Michael beugte sich über die Männer neben ihm und starrte mein Date an. »Achten Sie auf Ihre Manieren.« Plötzlich verstummten alle auf unserer Seite des Tischs.
Dann hörte ich Jeffs Stimme. »Habt ihr dort unten irgendwelche Schwierigkeiten?«
Oh mein Gott, lass mich im Erdboden versinken.
»Michael, ich komme schon allein damit klar«, sagte ich zischend.
Er ignorierte mich und rief Jeff zu: »Sheriff, hier sitzt ein Mann, der sich nicht zu benehmen weiß.«
»Tatsächlich? Nun, hier gibt es noch einige Männer, die keinen Stuhl mehr ergattern konnten«, erwiderte Jeff.
Den Rest der Unterhaltung hörte ich nicht mehr, denn ich legte peinlich berührt die Stirn auf den Tisch und blendete alles um mich herum aus.
»Ich kann es kaum erwarten, bis er bei mir an der Reihe ist«, flüsterte die Frau neben mir. »Ich liebe Männer mit guten Manieren. Und diese Arme! Zum Anbeißen.«
Ich war in der Hölle gelandet.
Als ich das Scharren von Stühlen und den leisen Protest vom Mäusemann hörte, hob ich den Kopf wieder. Jace, ein junger Barkeeper aus dem Cooper’s, nahm seinen Platz ein, während Kell den Mäusemann unsanft aus dem Raum bugsierte. »Hey, Dahlia«, sagte Jace frech grinsend. »Entschuldige die Verspätung.« Er musterte mich. »Du siehst heiß aus.«
Ich verdrehte die Augen. Jace war Weltmeister im Flirten. »Was machst du hier? Du brauchst doch keine Hilfe, um ein Date zu bekommen.«
»Du doch auch nicht«, konterte er und beugte sich verschwörerisch über den Tisch. »Was war denn da los? Warum haben der Sheriff und der Detective dein letztes Date vertrieben?«
»Der Typ hat mich ziemlich laut fett genannt, also haben die beiden beschlossen, ich sei eine Vierjährige, die mit einer solchen Situation nicht allein klarkommt.«
Jace nickte und wirkte nicht mehr ganz so aufgeregt. »So ein Arsch. Du bist nicht fett – du bist perfekt.«
»Hör auf, mir auf die Brüste zu glotzen, Jace.«
Er richtete den Blick weiter nach oben. »Tut mir leid, aber sie sind einfach …«
»Ich weiß. Sie sind einfach da.«
Bevor Jace antworten konnte, ertönte wieder die Glocke. Er zwinkerte mich an und wandte sich dann der Frau zu meiner Linken zu. Der Mann, der nachrücken wollte, lächelte freundlich, und ich wollte sein offenes Lächeln soeben erwidern, als Michael ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Tut mir leid, aber dieser Stuhl ist bereits besetzt.«
Rasch ließ er sich auf dem Stuhl mir gegenüber nieder, bevor der Mann protestieren konnte. Wie ich aus dem Augenwinkel sehen konnte, zögerte dieser kurz und verschwand dann.
»So läuft das hier nicht«, erklärte ich.
»Sie hat recht«, mischte sich die Frau neben mir ein. »Sie haben mich übergangen.«
Michael streifte sie ungeduldig mit einem kurzen Blick und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Was tust du hier?«
»Was tust du hier?«, entgegnete ich.
»Jeff hat mich dazu gezwungen, ihn zur Unterstützung zu begleiten. Allerdings war mir nicht klar, dass er sich an dich heranmachen wollte.«
Ich funkelte ihn böse an. »Wie ich gesehen habe, bist du in Danas Begleitung hier.«
»Ich habe sie nicht angefasst.«
»Das weiß ich.« Ich seufzte. »Deshalb ist sie auch immer noch hinter dir her.«
»Bei dir und Jeff ist das wohl anders.«
»Nicht hier, Michael.« Ich schüttelte den Kopf.
Er beugte sich zu mir vor. »Verrat mir bitte nur eines«, bat er leise.
Sein Blick hielt mich gefangen, und ich brachte es nicht fertig, mich von ihm abzuwenden. »Was?«
»Ist er der Mann? Derjenige, der es geschafft hat, dass du mich vorübergehend vergessen hast?«
Ich zuckte zusammen und bereute, es ihm gestanden zu haben. Und es tat mir leid, dass Michael es nicht vergessen hatte. »Das … habe ich nicht so gemeint.«
»Und?«
»Michael …«
»Dann ist das wohl ein Ja.«
Bei dem harschen Ton seiner Stimme griff ich spontan nach seiner Hand, um ihn daran zu hindern, sich von mir zurückzuziehen. »Es ist nicht so, wie du glaubst.«
Er legte eine Hand auf meine, und ich erschauerte bei dieser heißen Berührung. Seine Finger schienen zu schwelen – ich fand kein anderes Wort dafür. Und ich fing Feuer. »Macht dir das Spaß?«
»Speeddating?«, schnaubte ich. »Nein, ich finde es schrecklich.« Als ich daran dachte, wie er sich kurz zuvor verhalten hatte, zog ich meine Hand rasch zurück. »Und um das klarzustellen: Du musst mich nicht vor irgendwelchen Vollidioten beschützen. Du hast mich blamiert.«
»Der kleine Mistkerl kann froh sein, dass ich ein Cop bin, sonst hätte er meine Faust zu spüren bekommen. Niemand darf so mit dir reden.«
Damit löste er einen gewaltigen Konflikt in mir aus. Über sein Verhalten hatte ich mich geärgert, aber seine Gefühle gefielen mir sehr. »Ich passe schon lange auf mich selbst auf.«
»Ja, zu lange.«
Die Glocke läutete, aber Michael rührte sich nicht von der Stelle. Der nächste Kandidat stellte sich neben ihn, aber Michael hielt den Blick auf mich gerichtet. »Gehen Sie weiter.«
Der Mann zögerte verwirrt einen Moment lang und verschwand dann.
»Willst du tatsächlich den ganzen Abend hier verbringen?«
Michael nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. Er trug ein dunkles Henley-Shirt, das seine durchtrainierte Figur betonte. Als er sich bewegte, spannten sich seine Muskeln an, und mein Mund wurde trocken. Warum konnte er nicht auf eine übertriebene Art und Weise muskulös und massig sein, die mich abtörnte? Warum hatte er die perfekte Größe und Figur, gestählt, durchtrainiert? Eine Augenweide. Ich wünschte, er wäre nackt, damit ich ihn überall küssen könnte.
Oh Gott. Ich schalt mich selbst für diese abwegigen Gedanken.
»Du gaffst mich an«, stellte er belustigt fest.
Ich wurde rot, weil er mich dabei erwischt hatte, und kniff dann verärgert die Augen zusammen. »Du trägst dieses T-Shirt mit Absicht.«
Laut lachte er auf. »Männer tragen Klamotten, weil es Vorschrift ist. Und nicht mit Absicht.«
»Manche Männer schon.«
Sein Blick glitt zuerst über meinen Ausschnitt und dann nach oben zu meinen Lippen. »Du hast dieses Outfit mit Absicht ausgewählt.«
»Ich habe nicht gewusst, dass du hierherkommen würdest.«
»Umso schlimmer. Du hast es für andere Männer angezogen.«
»Ich habe es gewählt, weil ich es tragen wollte. Für mich.« Ich starrte ihn wütend an. »Falls du noch irgendetwas von früher über mich wissen solltest, müsste dir das klar sein.«
Nachdenklich neigte er den Kopf zur Seite. »Ich kann mich noch sehr gut an Unterwäsche erinnern, die du, wie du mir gesagt hast, nur für mich getragen hast.«
Bei der Erinnerung daran wurde mir heiß. Wir hatten in seinem Wagen rumgemacht, und ich hatte einen smaragdgrünen BH aus Seide mit dem dazu passenden Slip getragen, die ich mir extra für ihn gekauft hatte. Diese Dessous hatten dafür gesorgt, dass wir nach einem langsamen Vorspiel plötzlich gierig übereinander herfielen. Zum ersten Mal war er kurz davor, in mich einzudringen, doch dann wurden wir gestört.
Ich schüttelte rasch diese wehmütigen Gedanken ab. »Unterwäsche ist etwas anderes.«
»Hast du dir für Jeff Unterwäsche gekauft?«
In seinen Augen blitzte Eifersucht auf, und ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Hat sich deine Frau für dich Unterwäsche gekauft?«, konterte ich.
Wieder ertönte die Glocke.
Michael rührte sich nicht. Wie vorhin bereits.
»Hey, Sie müssen einen Stuhl weiterrücken.« Ein netter Typ mit einem dichten dunklen Haarschopf sprach Michael an und musterte mich interessiert.
Nett.
Michael war offensichtlich anderer Ansicht. Er drehte sich um und warf dem Mann einen kühlen Blick zu. Und dann tat er etwas Unfassbares: Er nahm sein Dienstabzeichen vom Gürtel und hielt es hoch. »Gehen Sie weiter.«
Der Mann hastete eilig davon.
Sehr schnell.
Unwillkürlich verzogen sich meine Lippen zu einem amüsierten Lächeln. »Hast du tatsächlich gerade diesem Mann deine Dienstmarke vor die Nase gehalten?«
Michael sah den Ausdruck der Belustigung in meinen Augen und grinste. »Ich tue, was getan werden muss.«
Kell tauchte neben Michael auf. »Detective Sullivan … Sie sollen sich eigentlich bei jedem Glockenton einen Stuhl weiter setzen.«
»Ich weiß, wie das abläuft.«
»Warum nehmen Sie dann Miss McGuire in Beschlag? Muss ich den Sheriff bitten, sich darum zu kümmern?«
Michael schaute sich um und entdeckte Jeff an dem Tisch hinter uns. »Jeff, hast du etwas dagegen, wenn ich mich nicht von diesem Stuhl wegbewege?«
Es wurde still im Raum, während Jeff den Blick zwischen uns hin und her wandern ließ. Wenn ich mich nicht täuschte, amüsierte ihn diese Situation. Und zu allem Überfluss waren die beiden offensichtlich auch schon zum vertraulichen Du übergegangen – trotz des lächerlichen Gezankes um mich. »Ich schlage dir einen Deal vor: Wenn die Glocke das nächste Mal ertönt, tauschen wir die Plätze, und wenn sie wieder klingelt, bekommst du deinen Stuhl zurück und kannst dort bleiben.«
Michael straffte die Schultern.
Jeff grinste. »Ich finde, das ist ein faires Angebot.«
»Aber, Sheriff«, jammerte Kell, »so läuft das nicht.«
Jeff ignorierte den Stadtrat. »Und, Sullivan?«
Meine Wangen wurden heiß, als sich alle umdrehten und mich neugierig anstarrten, während die beiden professionellen Cops (eher professionelle Arschlöcher!) aushandelten, wie viel Zeit sie mit mir verbringen durften.
»Ich werde euch die Entscheidung erleichtern.« Ich stand auf und schob meinen Stuhl vom Tisch zurück. Ich war mir nicht sicher, wem von beiden ich lieber eine Ohrfeige verpasst hätte. Rasch griff ich nach meiner Handtasche, wirbelte herum und ging los, ohne auf Kells Protest zu achten.
»Dahlia!«, rief Michael hinter mir her, aber ich öffnete schon die Tür des Konferenzraums und marschierte hinaus, so schnell es meine hochhackigen Schuhe mir erlaubten.
Auf meinem Weg über den glänzenden Fliesenboden in der Eingangshalle wurde ich plötzlich herumgeschleudert und stieß gegen Michaels muskulösen Körper. Er hielt mich an beiden Armen fest, und ich versuchte, mich loszumachen.
»Lass mich los.«
Auf seinem Gesicht spiegelte sich Verärgerung, aber auch Besorgnis. »Dahlia, bleib stehen.«
»Nein«, zischte ich. Ich wollte keine Szene machen. »Hast du soeben versucht, mich dort drin bloßzustellen?«
Seine Kinnmuskeln spannten sich an. »Du weißt, dass ich das nicht wollte.«
»Nein.« Ich riss mich mit aller Kraft los von ihm und taumelte leicht. »Bildlich gesprochen hast du nur versucht, dein Revier zu markieren.«
Jeff tauchte mit geröteten Wangen neben uns auf. »Dahlia, alles in Ordnung?«
»Auf dich bin ich auch sauer«, erklärte ich.
Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und seufzte: »Tut mir leid, wir wollten nicht …«
»Was? Wolltet ihr euch nicht benehmen wie zwei Teenager aus der Steinzeit?« Ich starrte sie wütend an und sah, wie sich ihre Mienen bei dieser Beleidigung verdüsterten. »Du bist der Sheriff und du ein Detective. Und ich bin ein Mensch. Ihr seid keine Hunde, die sich um einen Spielzeugknochen zanken.«
»Dahlia, das ist nicht fair«, erwiderte Michael schnaubend.
»Weißt du, was nicht fair ist? Mich zum Klatschfutter in dieser Stadt zu machen. Was habt ihr euch bei eurer Vorstellung dort drin nur gedacht?« Ich deutete auf den Konferenzraum. »Sollte das lustig sein? Michael hat vielleicht eine Entschuldigung dafür, doch du, Jeff, lebst schon lange genug hier, um zu wissen, was passiert, wenn so etwas die Runde macht. Vor allem, wenn die eifersüchtige Dana Kellerman dabei ist. Dann werde ich schnell zur Schlampe abgestempelt, die ein Spiel mit dem Sheriff und seinem neuen Detective treibt.«
»Wenn das jemand zu behaupten wagt …«, stieß Michael wütend hervor.
Jeff hingegen wirkte zerknirscht; ihm war klar, dass ich recht hatte. Als ich mich vor ein paar Jahren von ihm getrennt hatte, wurde über mich geredet, und dabei waren viele hässliche Dinge gesagt worden. »Es tut mir leid, Dahlia.«
Erschöpft, verärgert und besorgt über die möglichen Folgen dieser kindischen Mätzchen schüttelte ich den Kopf und wandte mich zum Gehen. Plötzlich erregte Lärm vor dem Hotel unsere Aufmerksamkeit. Als wir uns umdrehten, sahen wir Deputy Wendy Rawlings und Deputy Eddie Myers durch die Lobby auf Jeff zulaufen.
»Sheriff.« Wendy kam schlitternd zum Stehen.
Der Anblick der angespannten, blassen Gesichter ihrer Deputys versetzte Jeff und Michael in Alarmbereitschaft. »Was ist los?«, fragte Jeff.
»Ich weiß, Sie sind nicht im Dienst, aber …« Wendy schaute sich kurz um und bemerkte, dass ich in Hörweite stand. »Sheriff, Sie und Detective Sullivan müssen sofort mit uns kommen.«
Angesichts von Wendys ernstem Ton und Michaels und Jeffs besorgten Mienen beschleunigte sich mein Herzschlag.
»Schon unterwegs«, erwiderte Jeff und wandte sich dann an mich. »Wir reden später weiter.«
Ich nickte. Die negativen Schwingungen, die seit der Ankunft der Deputys im Hotel zu spüren waren, ließen mich meinen Zorn beinahe vergessen.
Jeff ging mit seinen Mitarbeitern los, aber Michael zögerte noch. Als er meinen betroffenen Gesichtsausdruck sah, wurde sein Blick weich.
»Sei vorsichtig.«
»Das bin ich immer.« An seinen Augen sah ich, dass er mir noch so viel sagen wollte. Schließlich entschied er sich für eine Entschuldigung. »Es tut mir leid, dass ich mich dort drin wie ein Arsch verhalten habe. Ich habe … Ich habe einfach Angst, dich noch einmal zu verlieren.«
Mir stiegen Tränen in die Augen, als er den Kopf senkte und sich mit der Hand über den Nacken fuhr. Mit einem Mal wirkte er sehr verletzlich. Ich wollte Michael nicht so angreifbar sehen – vor allem nicht, wenn er sich gleich in eine möglicherweise gefährliche Situation begeben musste.
»Was ist los?« Vaughn kam durch die Empfangshalle auf mich zu.
Er sah den Polizisten nach. Mein Magen krampfte sich vor Angst zusammen, und ich seufzte tief. »Keine Ahnung. Irgendetwas Schlimmes, befürchte ich.«
»Scheint so.« Er richtete den Blick aus seinen eindrucksvollen silberfarbenen Augen auf mich. »Geht es dir gut?«
»Mein Leben ist eine große Seifenoper, Vaughn.«
»Dann lautet deine Antwort Nein?«
»Klar und deutlich.«