»… und hier ist der Herzschlag.«
Ich starrte auf den Bildschirm neben Mae und sah, wie ein winziger Punkt darauf zu flattern begann. Das Geräusch eines schnellen Herzschlags war zu hören.
Und ich platzte beinahe.
Ich rührte mich nicht, sondern blieb vornübergebeugt sitzen, Maes Hand fest in meiner. Ich konzentrierte mich auf den winzigen Umriss unseres Babys.
Ich konnte mich nicht rühren.
»River«, flüsterte Mae und führte unsere verschränkten Hände an ihren Mund. Ich blinzelte, einmal, zweimal, als mein Blick verschwommen wurde. Dann räusperte ich mich, drehte mich zu Mae – und sah, dass sie Tränen in ihren Wolfaugen hatte.
Es waren Freudentränen.
»Baby.« Sie zog meine Hand an sich, damit ich zu ihr kam. Ich tat es; ich machte verdammt immer, worum sie mich bat. Ich stand auf, beugte mich über sie und drückte meine Lippen auf ihren Mund. Ich eroberte ihn genau so, wie ich es wollte – hart. Mir war scheißegal, was die Frau am Ultraschall neben uns dachte. Das war meine Frau, und das war unser Baby. Alle anderen konnten zur Hölle fahren.
Ich löste mich wieder von ihr, und Mae legte sich atemlos wieder zurück. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem makellosen Gesicht aus und raubte mir wie immer den Atem.
Die Ärztin räusperte sich. Ich stand auf und drehte mich zu ihr um. Sie wurde blass und gab mir mit zittriger Hand ein kleines Foto.
»Sie können sich jetzt wieder anziehen«, sagte sie zu Mae. »Ich lasse Sie kurz allein.« Ohne einen Blick zurück rannte sie aus dem Zimmer, als wäre der Teufel hinter ihr her. Mae lachte leise. Sie schwang die Beine seitlich vom Bett und warf einen Blick über die Schulter. Einen Moment lang war ich fassungslos, weil sie so verdammt schön war. Sie gehörte mir, und das nun schon seit einer ganzen Weile, aber ich konnte immer noch nicht fassen, wie zur Hölle ich jemanden wie sie an Land gezogen hatte. Ich war schließlich ein stummer Idiot. Sie dagegen war ein richtiger Engel, der vom Himmel gefallen war.
Aber vielleicht war sie ja auch genau für mich geschaffen.
Ich ging um das Bett herum, spreizte ihre Beine und schob mich dazwischen. »W-Worüber l-lachst d-du?«
Mae schüttelte den Kopf und legte mir die Hand aufs Herz. »Darüber, wie du die Schwestern einschüchterst. Seit wir das Krankenhaus betreten haben, macht uns einfach jeder sofort hier Platz und starrt dich mit großen, ängstlichen Augen an.« Sie tippte mit dem Finger auf den »Präs«-Aufnäher an meiner Kutte. »Ich denke, dein Titel könnte etwas damit zu tun haben. Das und der Teufel auf deinem Rücken.«
»F-Findest d-du, Baby?«, witzelte ich trocken, und Mae lachte wieder. Ich brauchte noch einen Kuss von ihr, also küsste ich sie und schob die Hand in ihr langes schwarzes Haar. Mae stöhnte an meinem Mund, und ihre heiße Zunge begegnete meiner. Mein Schwanz in der Hose pochte, und ich musste mich zwingen, loszulassen, oder ich würde hier auf der Liege über sie herfallen. Nicht dass uns irgendwer hier im Krankenhaus aufhalten würde, das würde keiner wagen, aber Mae würde nicht wollen, dass ich sie in Verlegenheit brachte. Sie war nach wie vor rein. Irgendwie immer noch unverdorben von diesem Leben als Outlaw.
Ich zog mich zurück und drückte tief atmend meine Stirn an ihre. »Ich … ich l-liebe dich.« Ich hob das Foto auf. »Das ist u-unser B-Baby.«
Mit funkelnden Augen nahm Mae das Foto und starrte auf das Bild. Ihr Finger fuhr über den Umriss von Kopf und Körper unseres Babys. »Er oder sie ist wunderschön«, sagte sie. Ich konnte ihre Liebe zu ihm oder ihr schon in ihrer Stimme hören. Sie seufzte. »Ich frage mich, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird.«
Mir ging dieselbe Frage durch den Kopf. Mae sah mich an, und ich zuckte mit den Schultern. Sie legte mir die Hand an die Wange. »Ein kleiner Junge, der genau wie sein Papa aussieht. Braune Augen und dunkles Haar. Gut aussehend und stark. Ein geborener Anführer.«
Ich schluckte und trat einen Schritt zurück. Ich wusste, dass ich ohne Stottern kein verdammtes Wort herausbringen würde, also nahm ich die Hände: »Oder ein kleines Mädchen wie du. Schwarzes Haar und Wolfaugen. Das allerschönste Mädchen auf der Welt, abgesehen von seiner Mama.« Bei dem Gedanken setzte mein Herz einen Schlag lang aus. Noch eine kleine Mae. Ich wäre ihr vom ersten Moment an verfallen, sobald ich sie sah.
Zwei Frauen, um die ich mich sorgen musste.
Mae erstarb das Lächeln auf den Lippen. Sie blickte wieder auf das Foto und runzelte die Stirn.
»W-Was ist?«, fragte ich. Mae holte tief Luft. Sie sagte nichts, also hob ich ihren Kopf mit den Händen und forderte: »R-Rede mit m-mir.«
Mae schloss kurz die Augen. »Ich denke nur, dass die Welt sicherer für einen ist, wenn man als Junge geboren wird. Wenn wir ein Mädchen bekämen und es aussieht wie ich …« Mir wurde schwer ums Herz. Ich wusste, was jetzt kommen würde. »Ich würde sie ansehen und mir immer Sorgen machen, dass jemand sie verletzt.« Mae wurde blass. »Das könnte ich nicht ertragen, Styx. Ich könnte nicht ertragen, dass unser Baby verletzt wird. Wenn sie schön wäre … die sündigen Gedanken, die manche Männer haben …«
Meine Hände zitterten, als ich sie hob: »Das würde nie passieren. Ich würde jeden Scheißkerl umbringen, der ihr auch nur ein Haar krümmen will. Wenn einer sie auch bloß ansieht, würde ich ihm den Schwanz abreißen. Ich bin der Scheißpräs des härtesten Scheißclubs in den Staaten. Sie hätte eine Armee aus Beschützern um sich.«
Mae verfolgte meine Hände, und die Farbe kehrte wieder in ihre Wangen zurück. »Ich weiß, dass du das tun würdest«, sagte sie leise. Sie zog das schwarze Tanktop über ihren leicht gerundeten Bauch. »Ich mache mir einfach immer noch Sorgen, dass etwas schiefgeht.« Sie gab einen leisen, angstvollen Laut von sich. »Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Jeden Tag frage ich mich, ob heute der Tag ist, an dem ich irgendwie versage. Ich könnte es nicht ertragen, eine schlechte Mutter zu sein.«
Ich streckte die Hand aus, half ihr beim Aufstehen und zog sie an mich. Maes zierliche Arme legten sich um meine Taille. Ich spürte, wie sie sich langsam entspannte, und dann schmolz ich fast dahin, als sie sagte: »Ich liebe dich, River. Mehr als mein Leben, weißt du das? Du bist das Beste, was mir je passiert ist.«
Die Ärztin kam zurück. Ich wollte sie anfahren, dass sie sich zum Teufel rausscheren sollte. Aber Mae trat einen Schritt von mir weg, und ich legte ihr stattdessen den Arm um die Schultern. »Wenn Sie fertig sind, können Sie gehen, Mrs Nash«, murmelte die Ärztin. »Es ist alles in Ordnung.«
Ich fand es verdammt toll zu hören, wie Mae mit meinem Nachnamen angesprochen wurde. Es war zwar noch nicht offiziell, aber ich hoffte, dass es das bald sein würde. Mae nickte, und ich geleitete sie hinaus. Den weiten Bogen, den alle um uns machten, registrierte ich kaum. Der einzige Grund, wieso es mir überhaupt auffiel, war Maes leises Lachen an meiner Brust.
Ich seufzte. Auf eine bessere Frau als sie an meiner Seite hätte ich nie zu hoffen gewagt.
Auf dem Weg zurück zum Club drehte ich die Musik laut. Ein wenig Black Metal, um uns nach Hause zu bringen. Mae starrte dabei die ganze Zeit auf das Foto, mit einem überglücklichen Lächeln im Gesicht und vor Freudentränen schimmernden Augen. Ein Traum.
Ein Mädchen. Ich wollte, dass wir ein Mädchen bekamen.
Eine Stunde später erreichten wir das Quartier. Smiler winkte uns vom neuen Wachturm aus durch. Seit dem letzten Angriff der Sektenspinner hatten wir das Quartier zu einer verdammten Festung ausgebaut.
Wir stiegen aus dem Truck und gingen hinein. Kaum kamen wir ins Clubhaus, hörte ich ein lautes Kreischen, und Beauty kam auf Mae zugestürmt. Sie rannte buchstäblich alle um, die ihr im Weg standen. »Hast du es? Lass mich mal sehen! War alles in Ordnung?«
Mae lachte und ließ meine Hand los, während Beauty ihr das Foto abnahm und schon wieder loskreischte. Wenn sie so weitermachte, bekam ich noch Migräne. »Mae!«, flüstere Beauty. »So was von perfekt, Süße.«
Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und sah Viking, der uns vom Billardtisch aus beobachtete, während AK neben ihm seinen Stoß machte. »Und?«, übertönte er sogar Beautys schrille Stimme und lenkte damit alle Aufmerksamkeit auf sich. »Hast du mit einem Schuss zwei Treffer gelandet oder ist es nur der alltägliche Einzeltreffer geworden?«
Der rothaarige Bruder wackelte mit den Augenbrauen, und ich zeigte ihm den Mittelfinger.
Er schüttelte den Kopf. »Also bloß eins.« Er zuckte mit den Schultern. »Kann ja nicht jeder so Superschwimmer haben wie ich.«
»Woher zum Teufel willst du das denn wissen? Hast du irgendwelche Kinder, von denen du uns nichts gesagt hast?«, fragte AK und lehnte sich auf seinen Queue.
»Nicht dass ich wüsste.« Er griff sich an den Schwanz. »Aber ich weiß, dass hier drin große Macht steckt. Ich werde mal drei gleichzeitig rausschießen. Ich werde einen richtigen Harem brauchen, um alle zufriedenzustellen.«
»Oh Mann, genau das, was die Welt braucht. Noch mehr Vikings«, meinte Cowboy von der Bar. Hush, sein Mit-Cajun und verdammter Schatten, grinste.
Ich schaute nach rechts und sah, dass Maddie von Flames Schoß glitt. Wie immer saßen sie allein für sich irgendwo hinten. Ich wusste nach wie vor nicht, wie sie es hinbekamen, als Paar zu funktionieren, und fragte mich, wie ihr Leben in seiner Hütte aussah, aber Maes Schwester hatte verhindert, dass er total ausflippte, also war es mir auch wieder egal. Sein narbenbedeckter Arm lag wie ein Schraubstock um ihre Taille, aber er ließ sie widerstrebend gehen und klopfte dann mit dem Finger in Elfertakten auf den Stuhl, kaum dass sie weg war. Er sah ihr nach, als sie zu Mae ging und sie umarmte.
Total. Irre.
Eine Hand schlug mir auf die Schulter. Ich drehte mich um und sah, dass die Hand Ky gehörte. Ich hob die Hände und signalisierte: »Habe mich schon gefragt, wo du steckst. Du warst schon die ganze Woche ein Phantom.«
»War unterwegs«, antwortete er ausweichend und schaute auf das Foto, das Mae in der Hand hielt.
Lilah kam und nahm Mae das Foto aus der Hand. Sofort traten ihr Tränen in die Augen. »Mae«, sagte sie leise und lehnte den Kopf an die Schulter meiner Frau. Mae drückte ihr einen Kuss auf das kurze blonde Haar.
Ky starrte seine Frau an und hatte dabei einen total niedergeschlagenen Ausdruck im Gesicht. Ich runzelte die Stirn. Ky hatte wohl gemerkt, dass ich ihn beobachtete, denn er drehte sich um und zwang sich zu einem Lächeln.
Ich fragte ihn wortlos mit einer Kopfbewegung, was los war. Er trat kopfschüttelnd einen Schritt zurück und versteckte sich hinter einem bescheuerten Grinsen. Das Grinsen war künstlich. Ich kannte ihn so gut, wie ich mich selbst kannte. Irgendwas war nicht in Ordnung.
»Fangen wir jetzt mit der Kirche an, oder was? Ein paar von uns müssen noch wohin!«, rief Ky den Männern zu.
Die Brüder marschierten im Gänsemarsch zur Kirche und warfen ihrem VP dabei merkwürdige Blicke zu. Ky ignorierte sie alle. Stattdessen schaute er zurück zu seiner Frau, die Maes Bericht von der Ultraschalluntersuchung zuhörte. Etwas bedrückte ihn, das konnte ich in seinen Augen lesen. Aber ich hatte keine verdammte Ahnung, wieso.
Ich nahm meinen Platz am Kopfende des Tisches ein, entschlossen, nach der Kirche herauszufinden, was zur Hölle da los war. Vike rief nach Lil’ Ash, der augenblicklich in der Tür erschien. Lil’ Ash, Flames jüngerer Bruder und unser neuester Anwärter, sechzehn Jahre alt. Der Junge sah jetzt schon aus wie ein Flame im Miniformat, und seitdem er auch ein paar Tattoos hatte – einen Schädel am Hals, erste Tattoos an den Armen und eins auf der Brust –, ein Piercing in der Unterlippe und schwarze Gauge-Ohrringe, sah er ihm noch ähnlicher.
»Wir brauchen Alk«, meinte Viking, und Lil’ Ash nickte. Während der Junge ging, um das Zeug zu holen, warf Flame Vike einen finsteren Blick zu. »Was zum Teufel schaust du so?«, fragte Vike.
Flame fuhr mit den Lippen langsam über seine Zähne. »Du kommandierst ihn nicht herum. Dann will ich dir immer ein Scheißmesser in den Schädel rammen. Er ist kein Sklave.«
»Er ist ein Prospect. Muss sich seinen Patched-in verdienen, Bruder. Und wenn du mich umbringen willst, ist das nichts anderes als an jedem anderen verdammten Tag«, antwortete Vike und lehnte sich zurück, als würde Flame ihn nicht mit seinen irren Augen so ansehen, als plane er seinen Tod.
»Nun haltet mal alle die Klappe!«, fauchte Ky. Alle Brüder wandten sich ihm zu, als uns klar wurde, dass er es ernst meinte. Er schaute mich an. »Können wir jetzt anfangen, oder was?«
Ich nickte langsam. Lil’ Ash kam mit drei Flaschen Whiskey und einem Tablett voller Gläser zurück und verteilte alles an die Brüder. Flame sah Viking die ganze Zeit über finster an. Und Vike zeigte ausnahmsweise mal ein bisschen Verstand und hielt die Klappe. Ich schlug den Richterhammer auf den Tisch und signalisierte: »Irgendwelche Punkte, bevor ich die Fahrten verteile?«, übersetzte Ky, wie er es immer tat. Seine Stimme klang ausdruckslos und angespannt.
Tanner beugte sich vor. »Ich bin nicht sicher, ob das was ist, aber der Klan hat kürzlich eine riesige Lieferung Waffen bekommen.«
»Verdächtig?«, fragte Bull.
Tanner zuckte mit den Schultern. »Manchmal bekamen wir mehr, wenn wir mit neuen Verträgen rechneten.«
»Oder?«, fragte Hush und fuhr sich über den rasierten Kopf.
»Wenn wir uns für einen Krieg rüsteten«, antwortete Tanner. »Es gibt aber keine Anzeichen, dass es etwas mit uns zu tun hat. Ich wollte nur, dass ihr Bescheid wisst.«
»Frag weiter herum, da wo du deine Infos herbekommst. Falls da noch mehr Mist auf uns zukommt, wollen wir es rechtzeitig wissen, um uns vorzubereiten«, signalisierte ich, und Ky übersetzte.
Tanner nickte.
»Sonst noch was?«, fragte Ky und nahm mir damit die Worte aus dem Mund. Die Brüder schüttelten die Köpfe. Ky holte ein zerknittertes Blatt Papier aus seiner Kutte und knallte es auf den Tisch. »Hier sind die Fahrten und Übergaben für diese Woche. Gute Reise, Leute.«
Ky stand auf und schnappte sich eine Whiskeyflasche aus Vikings Händen.
»He, was soll das?«, rief Viking, aber Ky war schon weg. Ich war sauer, weil mein bester Freund einfach abhaute, bevor ich mit dem Hammer die Sitzung beendet hatte, doch ich unterdrückte meinen Ärger. Der Bruder litt offensichtlich. Ich schlug den Hammer auf den Tisch, stand auf und machte mich auf die Suche nach meinem VP.
Ich sah Lilah durch die Hintertür wieder ins Clubhaus kommen. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen gerötet. Als sie mich kommen sah, seufzte sie. »Er ist draußen.«
Sie ging wieder zu Mae und den anderen Frauen, die auf den Sofas herumsaßen und das Ultraschallbild anschmachteten. Sie nickte lächelnd, aber ihre Miene war ausdruckslos, und ihre Augen waren genauso leblos, wie die von Ky gewesen waren.
Ich ging hinten raus und sah Ky auf der Bank ganz hinten sitzen. Der Bruder hatte die Flasche schon zu einem Viertel leer. Vor ein paar Minuten war sie noch fast voll gewesen.
Ich setzte mich hin und sah, wie Ky sich versteifte. Wäre ich jemand anders, würde er mir jetzt sagen, dass ich mich verpissen soll, das wusste ich. Aber nicht bei mir. Ich würde nirgendwo hingehen, und er konnte nichts dagegen tun.
»S-Sagst du mir, w-was zum T-Teufel hier l-los ist?«, fragte ich, fröhlich vor mich hin stotternd. Doch das war eigentlich egal. Hier ging es um Ky. Das Stottern machte ihm nichts aus.
Ky gab keine Antwort und trank nur weiter. Dann starrte er hinaus in den Wald um uns herum, ohne ein Wort zu sagen. Ky Willis war nicht der stille Typ. Dass der mal seine Klugscheißerklappe hielt, war schlicht unmöglich.
»Sieht so aus, als würdest du ein echt niedliches Kind kriegen, Präs«, sagte er, und seine Stimme wurde dabei immer rauer und tiefer. Ein paar Sekunden lang rührte er sich nicht, doch dann drehte er den Kopf zu mir und sagte: »Freue mich echt für dich, Styx. Wirklich. Du und deine Braut, ihr beide verdient das.«
Ich runzelte die Stirn, als ich sah, dass seine Augen rot wurden. Ky wandte den Blick ab. »S-Sag mir, was z-zur Hölle hier l-los ist.«
Ky legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Er holte einige Male ganz tief Luft und ließ dann den Kopf wieder hängen. »Li war schwanger.«
Ich machte große Augen und freute mich für den Bruder … aber dann wurde mir klar, dass er gesagt hatte: war. Mir gefror das Blut in den Adern, und mir rutschte das Herz in die Hose.
»Ky.« Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte.
Er nahm einen Schluck aus der Flasche und sank dann total fertig auf der Bank in sich zusammen. »Wir wussten nicht mal, dass sie schwanger war. Bin letzte Woche aufgewacht, und sie blutete und hatte irre Schmerzen.«
»W-w-w …« Mir blieben die Worte im Hals stecken, also nahm ich die Hände. »Was?«
Ky nickte langsam. »Ich habe sie in der Nacht ins Krankenhaus gebracht. Ich habe niemandem was davon erzählt; Li wollte es nicht. Sie hatte einen Verdacht, was es war, deshalb wollte sie nicht, dass Mae oder Maddie davon erfahren. Sie hatte sich schon ein paar Tage lang schlecht gefühlt, aber da dachte sie, es wäre bloß eine Erkältung. Tja, wie sich rausstellte, haben wir das Baby verloren, von dem wir gar nicht wussten, dass es unterwegs war.«
Ich schloss die Augen und dachte daran, wie wir ins Clubhaus gekommen waren, Mae ganz stolz mit dem Ultraschallbild in der Hand. Strahlend übers ganze Gesicht. Wenn sie das von Lilah wüsste, wäre sie am Boden zerstört. Und ich wusste, dass sie keine Ahnung hatte, denn Mae erzählte mir alles.
Ich fand keine Worte, also legte ich dem Bruder den Arm um die Schulter und drückte ihn. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und hörte ihn tief aufseufzen. Als er den Kopf hob, sah ich die Tränen in seinen Augen. »Vor ein paar Tagen waren wir im Krankenhaus, um Tests machen zu lassen. Die Ärzte denken, sie wird keine Kinder mehr bekommen können. Zu viel Trauma von …« Er sprach nicht zu Ende.
»Der Sekte«, beendete ich den Satz, ausnahmsweise mal ohne Stottern.
Ky kippte noch fünf Schluck Whiskey hinunter und nickte. »Ja. Diese Dreckskerle haben mein Mädchen vergewaltigt, und jetzt sind sie der Grund, wieso ich so bald nicht Vater werde. Noch schlimmer: Li wird nie Mutter werden.« Er lachte freudlos. »Sie wäre eine verdammt gute Mutter geworden, Styx. So lieb und rein, du weißt schon.« Die Trauer in seiner Stimme gab mir einen Stich ins Herz. Ky beugte sich vor und schob die Hand in sein langes blondes Haar. »Sie hat zu viel Narbengewebe im Körper, und dazu noch jede Menge anderer Dinge. Wenn sie irgendeine Chance haben will, irgendwann mal Kinder zu haben, muss sie operiert werden. Und selbst dann kommt es vielleicht nie dazu. Im besten Fall hat sie eine ganz geringe Chance. Sie geht nächste Woche hin, denn sie klammert sich immer noch an diese Hoffnung, weißt du? Sie will nach wie vor, dass wir eine Chance haben, Eltern zu werden, auch wenn das wahrscheinlich nie passieren wird.« Er gab einen erstickten Laut von sich. »Sie sagt mir, dass sie das nach wie vor für mich tun will. Damit ich ein Vater sein kann, wie ich es verdiene. Um einen Sohn zu haben, der meinen Namen weiterführt … Herrgott …«
Noch ein Schluck, und dann schüttelte Ky den Kopf. »Diese Ärzte und Schwestern haben mich in meiner Kutte angeschaut, als wäre ich der Grund für ihre Schäden. Ich schwöre dir, Mann, viel hätte nicht mehr gefehlt und ich hätte denen allen die Kehle aufgeschlitzt. Lilah hat mir praktisch die Hand gebrochen, damit ich ruhig bleibe.«
Ich klopfte ihm auf die Schulter, und er gab wieder ein Lachen von sich. Ein verdammt brüchiges und gequältes Lachen. »Kaum denke ich mal, wir sehen diese Sektenwichser endlich von hinten, passiert irgendwas, und die sind wieder da. Die Typen sind wie Herpes – unmöglich, sie für immer loszuwerden.«
»Es tut mir leid«, signalisierte ich. »Du hättest es mir sagen sollen.«
»Du bist glücklich, Styx. Kein Grund, dich runterzuziehen. Ist einfach so beschissen, wie es ist. Sie ist meine Frau, und es ist mein Schmerz, mit dem ich klarkommen muss.«
Ich nahm Ky die Whiskeyflasche aus der Hand und trank einen kräftigen Schluck. Ky seufzte, aber ich hörte den Zorn in ihm brodeln und sah die Wut in seinem Gesicht. »Ich schwöre dir, Bruder«, sagte er heiser und kalt, »wenn ich in diese Scheißgemeinde einmarschieren könnte, würde ich es tun. Und ich würde jedes einzelne von diesen Pädophilenschweinen umbringen. Ich würde Rider die Haut abziehen und seine Leiche ins Feuer werfen, weil er einfach nur dagestanden und zugelassen hat, was die ihr alles angetan haben. Aber Judah, diesen Psychozwilling, der den ganzen Mist befohlen hat – mit dem Scheißkerl hätte ich so richtig Spaß.« Kys Stimme brach, und mir brach es das Herz. »Ich habe gesündigt. Gott weiß, das habe ich. Ich habe Strafe verdient. Aber Li? Sie ist so ein liebes Mädchen, und dann passiert ihr so was? Nicht nur, dass sie immer wieder von diesen kranken Scheißkerlen vergewaltigt und dann noch ausgepeitscht und auf den Scheiterhaufen gebunden wurde. Sie hat sich ihr wunderschönes Gesicht aufgeschlitzt, weil sie sich für ein Geschöpf des Teufels hält … und jetzt kann sie vielleicht nie Kinder bekommen? Wie zum Henker soll daran irgendwas fair sein?«
Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich wollte etwas sagen, doch da kam jemand an mir vorbei.
Lilah.
»Ky, Baby«, weinte sie leise. Ky hob den Kopf und wandte das Gesicht von seiner Frau ab, aber sie zwang ihn, sie anzusehen. Sie bückte sich, legte die Arme um Kys Kopf, und der Bruder brach in ihren Armen zusammen.
»Sch«, tröstete sie ihn. Ich stand auf und wollte gehen, doch Lilah griff nach meinem Arm. »Ich werde es Mae und Maddie sagen, versprochen. So etwas könnte ich ihnen nie lange verheimlichen.« Sie zögerte kurz und fuhr dann fort: »Aber lass Mae die Freude am heutigen Tag. Sie verdient es, glücklich zu sein, ohne sich um mich Sorgen machen zu müssen. Denn das wird sie tun, das tut sie immer … es wird ihr das Herz brechen.«
Ich nickte und formte lautlos: »Tut mir leid.« Lilah lächelte und wandte sich dann wieder ihrem Ehemann zu, meinem besten Freund und gerade ein Häufchen Elend in den Armen seiner Frau. Langsam ging ich zurück zum Clubhaus, und mit jedem Schritt kochte der Zorn in mir hoch. Ky hatte recht. Diese Sektenwichser hatten nicht für das bezahlt, was sie seiner Frau angetan hatten. Nicht annähernd genug. Sie hatten nicht für das bezahlt, was sie Mae angetan hatten – und verdammt, auch nicht für die kleine Maddie.
Ich hörte Gelächter, als ich reinkam. Ich ging direkt zu Mae, denn ich musste sie jetzt einfach umarmen. Ich zog sie vom Stuhl hoch, setzte mich darauf und platzierte sie auf meinem Schoß. Dann legte ich die Arme um sie, während sie sich mit Beauty unterhielt. Meine Hände fanden den Weg an ihren Bauch. Mae gab mir das Ultraschallbild, und ich starrte auf das kleine grobkörnige Foto. Und die ganze Zeit, während ich darauf starrte, war mir beschissen zumute, weil dort draußen mein Bruder und seine Frau saßen und total am Ende waren.
Je länger ich auf das Bild starrte, umso größer wurde mein Hass. Auf die Bastarde, die unsere Frauen gequält hatten. Bastarde, die ich langsam und schmerzvoll kaltmachen würde, sollte ich sie je wieder zu Gesicht bekommen. Ich würde ihnen geben, was sie verdienten. Ich würde sie in den Hades schicken, und zwar ohne Münzen auf den Augen.
Damit sie in der Hölle schmorten – da, wo sie hingehörten.