Ich konnte dem Scheißkerl einfach nicht glauben. Tauchte hier vor dem Quartier auf, als wäre nie etwas gewesen. Weiß angezogen und gab sich den Anschein, als hätte er nicht einen verdammten Fehler gemacht.
Mit Maes Schwester … ihrer verdammten Doppelgängerin, ihrer angeblich toten Schwester, die Rider – Maes größter Scheißfan – offenbar vögelte.
Scheiß. Die. Wand. An.
Die Brüder marschierten rasend vor Wut hinter Ky her, als der Prophet Flachwichser über den Hof und durchs Unterholz zum Schuppen schleifte. Ein perfekter Ort, um den Mistkerl festzuhalten. Außer Reichweite vom Clubhaus und ganz weit weg von den Hütten.
Ich ließ Ky nicht aus den Augen, als er Rider zu dem kleinen Holzschuppen zerrte. Dann schaute ich Rider an und verzog angewidert den Mund. Ich hasste den Kerl. Meine Muskeln pochten praktisch vor Erregung bei dem Gedanken, was er heute Nacht in unseren Händen durchmachen würde.
Heute Nacht würden meine Brüder jedes bisschen Rache, das sie wollten, an seinem Körper üben – langsam, qualvoll, und seinen Tod so lange wie menschenmöglich hinauszögern.
Tank und Bull kamen zu mir. Tank schüttelte den Kopf. »Maes Schwester, Präs? Sollte die nicht tot sein?«
Ich nickte und signalisierte: »Und zwar mausetot. Deshalb ist Mae ja überhaupt vor den Pädowichsern geflohen.«
»Wie zur Hölle hat Rider sie dann gefunden? Von allen Tussen in dieser Gemeinde, die feucht für ihn wären, fährt er ausgerechnet auf die eine ab, die ganz genau wie Mae aussieht – das verstehe, wer will.«
Ich zog frustriert die Zähne über die Oberlippe. Seine Besessenheit von meinem Mädchen war viel zu weit gegangen. Und eins war mal verdammt sicher: Er würde nicht wieder in ihre oder Bellas Nähe kommen. Ich hatte Mae noch nie so reagieren sehen wie jetzt, als sie ihre tote Schwester wie einen verdammten Geist vor den Toren auftauchen sah. Ich wusste, sie waren sich nahegestanden, aber fuck! Sie konnte ja kaum aufrecht stehen.
Schätze, ich hatte nie begriffen, wie nahe sie sich tatsächlich gestanden hatten.
»Er stirbt heute«, gestikulierte ich. »Das Regiment dieses Irren wird heute Nacht enden. Ich habe die Schnauze voll davon, dass es ihn gibt. Aber so was von.«
Ky öffnete die Tür zum Schuppen und rammte Rider die dicke Sohle seines schweren Stiefels in den Rücken, woraufhin der auf den blutbefleckten Boden prallte.
Kys Gesichtsausdruck nach zu urteilen war ich mir nicht sicher, ob noch wer anders bei der Ratte zum Zug kommen würde. Lilah hatte ihre OP gehabt, und seitdem war mein VP mit jedem Tag tiefer in die Scheißfinsternis gestürzt. Seine Frau so verletzt zu sehen, schon wieder in einem verdammten Krankenhaus, hatte aus dem gelassenen Bruder einen regelrechten Dämon gemacht. Einen verdammten Dämon, der nichts anderes mehr wollte als Rache.
Kyler Willis schleppte genug Schmerz mit sich herum, um Riders Tod in die verdammten Geschichtsbücher eingehen zu lassen. Mit versteinerter Miene hielt uns Vike die Tür auf. Eins stellte ich in diesem Club verdammt sicher: Sobald es etwas zu tun gab, hatten sämtliche Klugscheißereien und blöden Sprüche ein Ende.
Deshalb waren wir so gnadenlos.
Wenn es darauf ankam, würden wir jeden Scheißkerl kaltmachen … und dann später darüber lachen … über den verstümmelten Leichen.
Viking machte die Tür zu und sperrte ab. AK machte die nackte Glühbirne an, die mitten vom Holzdachboden hing. Ich drängte mich zwischen Smiler, Hush und Cowboy durch und ging um Flame herum, der seine Messer schon bereithielt und unruhig hin und her tigerte. In seinen Augen war zu sehen, dass er darauf aus war, Blut fließen zu lassen.
Ky fesselte Rider an die langen Ketten, die am Boden des Schuppens befestigt waren. Und mein bester Freund ging nicht zimperlich mit dem Verräter um. So oft er wollte, verpasste er ihm mal eben einen Schlag und drehte Riders Arme nach hinten, während er die Fesseln um die Handgelenke festmachte. Ich sah den Schmerz in Riders Gesicht, aber der Dreckskerl zuckte nicht mal mit der Wimper. Sein Blick war auf den Boden fixiert, er starrte ins Nichts.
Dann trat Ky zurück, keuchend vom Adrenalin in seinen Adern. »Was ist los, Ratte? Will dir jemand dein neues Baby wegnehmen? Willst du rumheulen, weil deine Neue herausgefunden hat, dass du ein Vergewaltiger bist?«
Rider hob den Blick. In einem giftigen Tonfall, den ich dem Sektenspinner nie zugetraut hätte, zischte er: »Rede nie wieder so von ihr. Sonst reiße ich dir die Zunge aus dem Maul.« Seine Stimme klang tief und heiser. Offenbar hatte der Verräter doch noch Geschlechtsteile unter seiner Weichei-Tunika.
Ky erstarrte, und dann breitete sich ein höhnisches Grinsen in seinem wunderschönen Gesicht aus. Der VP ging in die Hocke, ganz dicht vor Riders Gesicht. »Och, was ist denn los, oh Heiliger? Magst es nicht so gern, wenn wir uns über jemanden auslassen, den du magst? Wenn wir über ihre süße, feuchte Möse reden?« Seine Miene wurde ernst, und er beugte sich so weit vor, dass seine Nase die von Rider fast berührte. »Daran hättest du mal denken sollen, bevor du und dein Pädozwilling es zu eurer Lebensaufgabe gemacht habt, uns zu nehmen, was uns gehört … immer und immer wieder, verdammt.«
Riders Wangen waren flammend rot. Und dann, als ich schon dachte, Ky würde zurückweichen, knallte er seine Stirn gegen die von Rider, sodass der dumpfe Knall von den nackten Holzwänden hallte. Riders Kopf flog nach hinten von der Gewalt des Schlags. Aber er fasste sich schnell wieder und zwang sich wieder hoch in eine sitzende Haltung.
»Sieht so aus, als hätten wir hier einen Kämpfer, Jungs!«, rief Viking und ließ die Finger knacken. Ich spürte die Anspannung im Schuppen durch die Decke gehen.
Ky ragte über Riders sitzender Gestalt auf. Flame stand etwas abseits und verlor mit jeder Sekunde mehr den Verstand. Ich wusste, wenn ich nichts unternahm, und das ganz schnell, dann würde der Wichser kein Wort mehr darüber verlieren, wieso zur Hölle er hier war. Die tollwütigen Pitbulls hier würden ihm keine Chance dazu lassen – nicht dass der Scheißkerl eine verdiente. Aber ich wollte eine Erklärung für die Sache mit Bella.
Also würde ich mir eine holen.
Dass er nur hier war, um Bella herzubringen, kaufte ich ihm keinen Moment lang ab. Der Kerl hatte immer irgendein eigenes Ziel. Es gab immer einen Haken. Einen verdammten Deal zu machen.
Ich drängte mich vor, schubste die Brüder aus dem Weg und blieb dann vor Rider stehen. Man musste ihm zugutehalten, dass er aufsah und meinem Blick nicht für einen kurzen Augenblick auswich. Der Bastard sah nicht einmal so aus, als hätte er Angst. Vielleicht musste ich das schleunigst ändern. Ich schüttelte die Hände, um sie zu lockern, und bedeutete Ky mit einer Kopfbewegung, zur Seite zu gehen. Ky sah mich finster an. Er wollte den Kerl Stück für Stück auseinandernehmen.
Das würde nicht passieren. Noch nicht.
Als Ky sah, dass ich nicht nachgab, zeigte er mir aufgebracht den Mittelfinger und stellte sich neben Hush. Der presste seinen Arm an Kys Schulter und hielt ihn zurück. Kys Blick blieb auf Rider gerichtet. Mir war klar: Ein falsches Wort aus seinem Mund, und mein VP flippte aus.
Rider war ganz auf mich fixiert. Ich rollte den Kopf von einer Seite zur anderen und signalisierte dann: »Du fängst besser mal zu reden an. Und das am besten ganz schnell. Du hast schließlich einiges zu erklären … bevor es zu spät ist und ich einfach entscheide, dir die Scheißkehle aufzuschlitzen.«
Riders Nasenflügel weiteten sich bei meinen Worten. Aber er machte den Mund auf. Mir fielen Spuren verblasster Blutergüsse überall in seinem Gesicht auf. Das weckte meine Aufmerksamkeit. Irgendwer hatte ihn zuerst erwischt.
Glückspilz.
»Er plant einen Angriff auf euch«, platzte Rider heraus, und jeder einzelne Bruder erstarrte.
»Was? Wer will uns angreifen?«, fragte Tank und stellte sich neben mich. Ky übersetzte nichts, was ich sagte, dafür war er zu sauer auf mich, also sprang Tank ein. Ich war froh. Unter Druck war der Ex-Nazi total cool. Ky dagegen war kurz vor dem Zusammenbruch.
»Mein Bruder.« Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Riders durchgeknallter Pädozwilling. Der Kerl war sogar noch schlimmer als sein Scheißbruder, falls das überhaupt ging.
»Und wieso kommt der jetzt und will uns angreifen?«, signalisierte ich. Tank übersetzte meine Frage laut.
Rider wurde kreideweiß im Gesicht. Sein Blick glitt über jeden einzelnen der Brüder. Dann sah er mich wieder an und sagte: »Als er die Frauen entführte – eure Frauen –, geschah das nicht auf meinen Befehl. Er hat es getan, weil er glaubt, er müsse die Prophezeiung erfüllen, dass der Prophet eine Verfluchte heiratet, um unser Volk zu retten.« Rider schüttelte den Kopf. »Was, wie ich jetzt weiß, falsch ist.«
Rider ließ den Kopf hängen. »Als ich eure Frauen in der Fabrik gehen ließ, hat das nicht nur Judah aufgebracht, sondern auch die anderen Ältesten.« Sein finsterer Blick fixierte sich auf mich, und er fuhr fort: »Und dann habe ich noch mehr Mist gebaut, als ich gebeten wurde, an einer Göttlichen Teilhabe teilzunehmen. Ich hatte noch nie eine gesehen oder daran teilgenommen …«
Ein wildes Brüllen unterbrach ihn. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass Flame schäumte. Er strahlte reine, rasende Wut aus. Die Adern an seinem Hals traten hervor, und die Messer in seiner Hand zitterten unter seinem Zorn.
AK suchte meinen Blick. Ich nickte und sagte dem Ex-Scharfschützen damit, dass er seinen Freund schleunigst beruhigen solle. AK stellte sich vor Flame und redete beruhigend auf ihn ein. Flame schloss die Augen und knurrte: »Das ist mit Maddie passiert. Genau das ist mit meiner Maddie passiert. Die haben ihr immer wehgetan bei den Scheißdingern. Sie haben ihr wehgetan.«
Seine Worte brachten mein Blut in Wallung, denn in mir rührte sich genau dieselbe Wut über dieses verdammte Vergewaltigungsritual. Jedes Mal, wenn ich die narbenbedeckten Innenseiten von Maes Oberschenkeln sah, packte mich eine Mordswut. Und als ich einen Blick zu Ky warf, der die Augen zu hatte, um sich zu beruhigen, wusste ich, dass mein VP auch kurz davor war, auf Rider loszugehen.
»Ich habe sie aufgehalten!«, spuckte Rider aus, als würde er merken, dass ich kurz davor war, ihn zu skalpieren. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. »Bis zu dem Tag hatte ich nicht geglaubt, dass so etwas tatsächlich stattfindet.«
»Mae hat es dir erzählt, Dreckskerl. Sie hat mir gesagt, dass sie es dir erzählt hat«, signalisierte ich.
Riders Miene wurde traurig, und er wandte den Kopf ab. »Ich habe ihr nicht geglaubt. Ich dachte, sie lügt bloß, um von uns wegzukommen … aber jetzt weiß ich, dass es wahr ist. Ich habe den Mist mit eigenen Augen gesehen.« Er holte Luft und presste die Augen zu. »Ich sah, wie die Männer sich kleinen Kindern aufzwangen … also habe ich es beendet … ich habe dabei einen Mann zu Tode geprügelt. Es war so krank … ich habe nie … ich hätte nie glauben können, dass so etwas über mein Volk wahr ist.«
Viking tauchte neben mir auf. Er ging in die Hocke, auf Augenhöhe zu Rider, und spielte mit dem Messer in seiner Hand.
Rider schloss kurz die Augen. »Ich habe nichts davon getan. Das ist die Wahrheit. Ich habe den Mist nicht mitgemacht. Ich blieb in Abgeschiedenheit und habe jeden Tag als Anführer versagt … ich wusste nicht …«
»Mmm … du solltest mich besser nicht anlügen, Pfeife. Denn wenn es eins gibt, was von uns Hangmen keiner duldet, dann sind das Kinderficker.« Er legte die Messerspitze an Riders Stirn und drückte zu, bis ein Tropfen Blut aus der Haut quoll. »Also, falls wir herausfinden sollten, dass du gelogen hast – falls ich herausfinde sollte, dass du lügst –, dann lasse ich mir was ganz Besonderes für deinen Schwanz und mein Messer hier einfallen.« Er grinste. »Mein Mitpsycho Flame hat mir da ein paar echt interessante Tipps gegeben. Und Scheiße, Mann, der hasst Pädos sogar noch mehr als ich.«
»Sie kamen zu mir«, erzählte Rider drängend. »Nachdem ich den Saal verwüstet hatte, in dem sie die Göttliche Teilhabe abhielten, habe ich die Praktik verboten, aus unseren Lehren verbannt … also kamen sie, um mich zu holen. Mein eigener Zwilling hat sich gegen mich gewandt und meinen Platz als Prophet eingenommen. Er und seine Wärter haben mich in eine Zelle gesperrt, isoliert von jedem, der helfen konnte. Und in den letzten Wochen haben sie mich jeden Tag verprügelt und mich zahlen lassen dafür, dass ich diese verdorbene Praktik verboten habe. Mein eigener Zwilling hat sich gegen mich gewandt, weil er lieber Kinder vögelt.«
Alle starrten ihn an. Und ich hatte keine verdammte Ahnung, ob er log oder nicht. Denn das war es, was Rider tat. Lügen erzählen. Die ganze verdammte Zeit.
»Ich habe den Mist mein Leben lang geglaubt – ich wurde dazu erzogen. Aber vor Kurzem habe ich herausgefunden, wie und warum die Gemeinde gegründet wurde … und dabei ging es in keiner Weise um Religion. Also könnt ihr mich jetzt wohl auch einen Sünder nennen.«
Ich wartete mit finsterem Blick darauf, dass er gefälligst weitererzählte.
»Judah leitet seitdem die Gemeinde und gibt sich dabei als ich aus. Die Leute haben es nicht bemerkt. Und nun rüstet er sich zum Krieg. Er hat die Leute aufgehetzt, indem er ihnen erzählt, dass das Ende der Welt nahe und Gott offenbart hätte, das Jüngste Gericht würde kommen.« Er holte Luft. »Sie kommen hierher. Judah plant einen Angriff auf die Hangmen, auf das Quartier, und zwar bald. Und sie haben nur ein Ziel: töten. Alle … auch alle Frauen.«
Ich biss so fest die Zähne zusammen, dass mir der Kiefer wehtat. Tank fragte Rider: »Dein Bruder, benutzt der immer noch den Klan, um an Waffen zu kommen?«
Rider runzelte die Stirn über die Wendung in seiner Befragung, aber dann nickte er. Tank wandte sich an Tanner. »Die Waffenlieferung. Diese verdammte Waffenlieferung.«
Tanner fuhr sich mit der Hand über den Kopf. »Shit! Ich wusste, dass da was dran war. Ich hatte so ein Gefühl.«
»Hast du noch Kontakt zu irgendwem, der dir hilft, an Insiderinfos zu kommen?«, fragte Ky Tanner. Endlich schob er seinen Zorn beiseite und konzentrierte sich aufs Wesentliche.
Tanner zögerte und meinte dann: »Ja, ich denke schon. Es wird schwieriger, Hilfe zu kriegen, aber – ja.«
»Kannst du deinen Kontakt dazu bringen, zu prüfen, ob der Mist stimmt? Oder ob unser falscher Prophet hier bloß Blödsinn erzählt?«
Tanner nickte und drehte sich um, um den Schuppen zu verlassen. Da sagte Rider: »Der Klan hat jemanden in der Gemeinde, im inneren Kreis. Der behält meinen Zwilling im Auge, um sicherzugehen, dass er den Waffendeal nicht versaut und … andere Geschäfte.« Ich zog die Augenbrauen hoch. Keine Ahnung, welche Geschäfte der Klan sonst noch so abwickelte, aber wenn das alles stimmte, würden wir es herausfinden.
Tanner wirbelte herum und sah Rider finster an: »Wer? Wie heißt er?«
Rider zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, dass er überall Tattoos hat wie deine, Hakenkreuze und so Zeug, und eine Glatze. Außerdem lässt er sich von jedem in der Gemeinde Meister nennen.«
Ich runzelte die Stirn: total wertlose Information. Aber als ich Tanner anschaute, war der totenbleich geworden. »Oh Gott«, keuchte er und sah mir in die Augen. »Das ist nicht gut, Präs. Das ist gar nicht gut. Meister ist ein Eins-a-Scheißkerl. Und er ist total krank im Kopf. Krank im Sinne von ›Der wird nie wieder normal‹.«
»Wenn der die Sektenspinner mit Waffen versorgt hat, dann zweifellos mit automatischen und halbautomatischen Waffen, Maschinenpistolen und lauter spaßigem Zeug«, sagte Tank zu Tanner, der nickte.
Langsam schnürte sich mir die Kehle zu. Das klang alles total echt. Der Klan, Riders Zwilling … das verdammte Ende aller Tage.
Genau das irre Zeug, mit dem wir für gewöhnlich zu tun hatten.
»Bist du diesem Typen mal begegnet?«, fragte Viking Rider, während Tanner aus dem Schuppen lief, um nachzuprüfen, ob der Mistkerl die Wahrheit sagte.
»Nein.« Rider wandte den Blick von Viking zu Ky. »Phebe hat mir von ihm erzählt.«
Ky runzelte die Stirn, als er den Namen hörte, und wollte etwas sagen, aber AK war schneller. Er trat vor und fragte: »Lilahs Schwester?«
»Ja«, antwortete Rider. »Sie hat mir bei der Flucht geholfen und uns Informationen aus Judahs engerem Kreis besorgt. Sie geht unter in dieser Gemeinde. Und Judah hat sie als Gefährtin abgelegt und diesem Meister zum Geschenk gemacht … und der Bastard bringt sie mit jedem Tag ein wenig mehr um, das konnte ich sehen. Er schlägt sie, vergewaltigt sie und Gott weiß, was noch. Sie ist nicht mehr der Mensch, der sie mal war. Sie schwindet dahin.«
AKs Miene wurde eiskalt, und er verschränkte die Arme.
»Und Bella?«, signalisierte ich. »Wie zum Henker ist sie dir in die Hände gefallen, wenn du weggesperrt warst und nie jemanden zu Gesicht bekommen hast? Wie bist du so ganz zufällig auf die tote Schwester von meinem Mädchen gestoßen?«
Als ich Bella erwähnte, sank Rider in sich zusammen. Sein neu gefundenes Rückgrat war verschwunden. »Sie wurde in die Zelle neben mir gesperrt. Ihre Gemeinde war die letzte, die nach Neu Zion kam. Judah hatte keine Ahnung, dass unter uns noch eine Verfluchte lebt. Und ich auch nicht. Als ich durch die Wand zwischen unseren Zellen mit ihr sprach, sagte sie mir, ihr Name sei Harmony. Die Leute, die sich um sie kümmerten, hatten ihre Erscheinung verändert – das Haar blond gefärbt, ihr braune Kontaktlinsen und einen neuen Namen verpasst.«
Rider fuhr sich übers Gesicht. »Es gibt eine Gruppe von Leuten in Neu Zion, die die Gemeinde zu Fall bringen und das Ganze ein für alle Mal beenden wollen. Mein Onkel hat ihr Leben und das Leben zu vieler anderer zerstört. Sie waren diejenigen, die sich um Harm– Bella gekümmert haben.« Der Mistkerl blickte mir direkt in die Augen. »Ich habe mich schon in sie verliebt, als sie vollkommen anders aussah als jetzt. Ich hatte keine Ahnung, dass sie Maes Schwester ist. Für mich war sie – ist sie immer noch – Harmony. Ich wollte sie nicht, weil sie Maes Schwester ist. Sondern weil ich mich wirklich in sie verliebt habe. Das hat absolut nichts mit Mae zu tun. An Mae denke ich gar nicht mehr. Und das ist die verdammte Wahrheit.«
Ich verdrehte die Augen. Ich glaubte ihm kein Wort.
»Es waren Harmonys Leute, die mir halfen, wegzukommen. Kurz gesagt ein Mann, der sich Bruder Stephen nannte.« Rider zögerte. Dann seufzte er resigniert und sagte: »Harmony weiß es nicht, und ich habe es ihr nicht gesagt, weil er es nicht wollte, aber …« Er verstummte.
»Aber was?«, fragte Ky mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Geduld mit dem kleinen Singvogel hatte langsam ein Ende.
Rider sah erst mich und dann Flame an. »Er ist ihr Vater.« Und von jetzt auf gleich schien es im Schuppen um dreißig Grad kälter zu werden. »Mae, Bella und Maddie … Bruder Stephen ist ihr leiblicher Vater.«
Ich merkte, dass ich die Augen aufriss.
»Sie kennen ihre Eltern nicht«, signalisierte ich, und mein Herzschlag donnerte los wie eine verdammte Kanone.
»Stimmt, bei uns ist es nicht üblich, seine Kinder zu kennen«, sagte Rider. »Aber Bruder Stephen wollte seine Mädchen selbst großziehen, vom Augenblick ihrer Geburt an. Er hat um sie gekämpft, darum, sie zu sehen, aber er musste sich damit zufriedengeben, sie aus der Ferne im Auge zu behalten. Aber als mein Onkel sie als Verfluchte brandmarkte, versuchte er sie aus der Gemeinde wegzubringen. Er wusste, was mit Verfluchten passierte, und er konnte nicht ertragen, dass das mit seinen Kindern geschehen würde. Also wollte er sie wegbringen. Er hätte es fast geschafft, doch die Wächterjünger hielten ihn auf. Mit der Bestrafung, die sie ihn erleiden ließen, haben sie ihn fast umgebracht, und dann, als er nicht bereuen wollte, haben sie ihn in die Gemeinde der Abtrünnigen verbannt.«
»Gemeinde der Abtrünnigen?« Ky kam zurück an meine Seite. Dahin wo er verdammt noch mal gehörte. »Was zur Hölle ist die Gemeinde der Abtrünnigen?«
»Dorthin haben sie alle geschickt, die sich nicht an die Regeln der Gemeinde hielten. Die, die ihre Familien wegbringen wollten. Die, die versuchten, den Göttlichen Teilhaben und Himmlischen Andachten ein Ende zu machen. Ich wusste nicht einmal, dass diese Gemeinde existiert, bis Harmony und ihre Hüter in die Zellen gebracht wurden. Sie fanden heraus, wer ich bin, und haben mir alles erzählt. Einschließlich der Tatsache, dass mein Onkel ein verurteilter Kinderschänder war, bevor er die Sekte gründete und zusammen mit seinen genauso kranken Kumpanen einen Sexring aufgebaut hat. Die Religion war ihre Fassade.«
»Also«, meinte Ky und lachte, »dein ganzes verdammtes Leben und alles, was du getan hast – dass du uns verraten hast, die Mädchen entführt hast und am Ende in einer Zelle gelandet bist –, war alles nur für einen Haufen Mist? Alles nur für Onkel David, den Kinderschänder?« Ky lachte lauter, Rider ins Gesicht, und die Brüder lachten mit. Aber ich nicht. Ich musterte Rider. Ich wollte sehen, wie er reagierte. Ich war immer gut darin gewesen, Täuschung zu erkennen. Und was ich sah, schockte mich total: der falsche Prophet, der weiter in sich zusammensank und jedes Lachen wie einen Schlag spürte. Der sich schämte, dass seine ganze verdammte Existenz dem Zweck diente, dass sein Onkel Kinder vergewaltigen konnte.
Riders Kopf sank nach vorn, und er sah am Boden zerstört aus. Wäre ich ein besserer Mensch gewesen, hätte mir der erbärmliche Loser leidgetan. Doch ich war auch ein Mistkerl, daher hatte ich kein bisschen Mitleid.
»Ja«, krächzte Rider. »Es war alles für nichts. Mein ganzes Leben, alles, was ich verbrochen habe … für nichts und wieder nichts.«
Als das Gelächter nach seinem Geständnis nicht aufhörte, gab ich einen ohrenbetäubenden Pfiff von mir, um für Ruhe zu sorgen. Ich hob den Kopf, sah jeden Einzelnen meiner Brüder an, und mein kalter Blick sagte allen, dass sie verdammt noch mal ihr blödes Maul halten sollten.
Und alle gehorchten.
»Bella war in der Gemeinde der Abtrünnigen?«, fragte ich und lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf das Chaos, das uns offensichtlich bevorstand.
»Ja. Sie war in Puerto Rico«, antwortete Rider und hob den Kopf. »Der Älteste, der sie ihr Leben lang unterwiesen hat, hat sie fast umgebracht. Bruder Gabriel.«
Rider verstummte, und es war eindeutig – der Kerl log nicht, was seine Gefühle für Bella anging. Er schien wahnsinnig wütend auf den Pädo zu sein, von dem wir alle dachten, dass er sie getötet hatte. Ungefähr so wütend wie wir alle waren, als wir ihnen Kugeln und Messer in den Leib jagten.
»Ein Wärter aus der Gemeinde der Abtrünnigen hat die alte Gemeinde besucht und sich mit den Ältesten getroffen – es war eine Fassade, die sie aufrechterhalten, eine Rolle, die sie spielen mussten, damit niemand daraufkam, dass sie bloß darauf warteten, sie zu Fall zu bringen. Es war der Tag, an dem Mae Prophet David heiraten sollte. Die anderen Wärter waren beschäftigt, also befahl man ihm, Bellas Leiche zu entsorgen und sie wie eine Verfluchte zu verscharren – in einem ungekennzeichneten Grab. Doch als er in die Zelle kam und sie dort sah, war alles anders. Erst dachte er, sie sei tot, aber als er dann entdeckte, dass sie noch lebte, hat er es geschafft, sich das Durcheinander wegen Maes Flucht zunutze zu machen und sie nach draußen zu schmuggeln. Als sie nach Puerto Rico kam, wusste Bruder Stephen sofort, wer sie war – die Farbe, das Tattoo einer Verfluchten aus der Offenbarung auf dem Handgelenk. Also hat er sich um sie gekümmert und sie von dem Tag an in der Gemeinde versteckt. Manche in der Gemeinde wussten nicht einmal, dass sie existierte … bis die Männer meines Zwillingsbruders kamen, um das Lager aufzulösen. Sie hätte versuchen können zu fliehen, aber sie war einverstanden, zurückzukommen und dabei zu helfen, die Gemeinde zu Fall zu bringen. Man hatte ihr erzählt, dass alle ihre Schwestern bei eurem letzten Angriff umgekommen seien, daher wollte sie die Gemeinde brennen und die Unschuldigen befreit sehen … an dem Tag fing ihr Albtraum von vorn an.«
»Bis heute«, sagte Smiler und verpasste mir damit, dass er etwas gesagt hatte, den Schock meines Lebens. Rider starrte seinen ehemaligen Bikerbruder an. Und genau wie zuvor sah ich reinen Schmerz in seinen Augen. Er hatte seinen besten Freund umsonst verarscht. Smiler war nicht mehr derselbe gewesen, seit Rider uns verraten hatte. Er hatte vor Jahren für ihn gebürgt, ihn in den Club gebracht. Inzwischen redete er kaum mehr mit irgendwem.
Und das war alles Riders Schuld.
Rider fuhr sich frustriert durchs Haar, und die Ketten zerrten an seinen Handgelenken. »Am Tag der Hochzeit mit Harmony – heute – haben wir Judah mit einem Trick dazu gebracht, in meine Zelle zu kommen. Die abtrünnigen Wärter hatten Judahs engeren Kreis infiltriert – sie sind hart und stark, und sie haben ihre Rolle perfekt gespielt. Sie haben ihn überwältigt, und ich habe seinen Platz eingenommen. Wir hatten nur wenige Minuten dafür. Aber es hat geklappt. Nach der Hochzeit habe ich Harmony von dort weggebracht.« Er blickte zu mir auf. »Als ich herausfand, dass Harmony ihre Schwester ist, wusste ich, dass ich sie hierherbringen … und euch von dem Angriff erzählen muss.« Rider setzte sich aufrechter. »Denn, seid euch darüber im Klaren: Wenn er nicht aufgehalten wird, dann wird er kommen, sie alle. Und sie kommen zu Hunderten. Der Klan wird sie unbemerkt hierherbringen, und sie alle – Frauen und Kinder eingeschlossen – werden die Hölle vor eure Tore tragen.«
»Und wieso zum Teufel sollten wir dir glauben?«, fragte AK angespannt. »Immerhin ist das dein Zwilling, den du da ans Messer lieferst. Nach allem Mist, den ihr zwei in letzter Zeit über uns gebracht habt, erwartest du, dass wir glauben, du hättest ihn uns einfach so ausgeliefert, ohne Fragen zu stellen. Das glaube ich nicht.«
Riders Miene verfinsterte sich. »Diesmal ist er einfach zu weit gegangen. Er schadet allen. Er hat Harmony wehgetan. Er lässt zu, dass Phebe fast zu Tode geprügelt wird, ohne dass es ihn kümmert. Aber noch schlimmer: Er lässt zu, dass Kindern Gewalt angetan wird. Genau gesagt, fördert er es sogar. Er hält diejenigen, die wegwollen, gegen ihren Willen hinter Zäunen gefangen. Und wer zu entkommen versucht, wird umgebracht.« Rider erstarrte am ganzen Körper. »Er mag ja mein Bruder sein, aber er muss aufgehalten werden.« Rider verstummte und schloss die Augen, als hätte man ihm gerade einen Dolch ins Herz gerammt. »Er muss … getötet werden. Das ist der einzige Weg, um ihn aufzuhalten. Es ist der einzige Weg, um zu beenden, dass er anderen Leid zufügt … und ich habe ihn für euch am Leben gelassen. Er wird da sein, damit ihr ihn töten könnt.«
Keiner sagte etwas nach seinem Bekenntnis, doch wir alle blickten einander in die Augen. Wir konnten nicht zulassen, dass diese Scheißkerle vor unserer Türschwelle auftauchten. Die Zeit reichte nicht, um die Hangmen aus den anderen Bundesstaaten zu holen. Mit dem Mist mussten wir allein fertigwerden. Die Zeit lief uns davon. Und das so was von.
»Du bist dran«, meinte Ky zu mir und las dabei wie immer meine Gedanken.
»Bruder Stephen und die anderen Abtrünnigen sind immer noch dort, Phebe auch. Ich muss sie da rausholen. Wir haben mich mit Judah vertauscht. Er wird in den Zellen festgehalten. Wenn alles nach Plan gelaufen ist, wird er immer noch dort sein. Ich – als der Prophet – soll vier Tage in Himmlischer Andacht mit Harmony verbringen. Vier Tage in ungestörter Isolation – niemand würde es wagen, den Propheten bei der Reinigung einer Verfluchten zu stören. Die Wärter werden glauben, dass Judah ich ist. Er trägt die gleichen Sachen, die ich trug. Aber während der Hochzeitsfeierlichkeiten werden die täglichen Prügelstrafen ausgesetzt, also sollte niemand Verdacht schöpfen. Das hat uns Zeit verschafft.«
Mir schwirrte der Kopf, während ich darüber nachdenken musste, was in aller Welt ich tun sollte. »Styx«, sprach mich Rider an, und ich sah ihn an. »Geht da rein, bevor er den Kampf zu euch tragen kann. Ihr seid in der Unterzahl. Ihr seid Judahs Ziel, aber noch schlimmer, eure Frauen auch … und meine Frau. Er will, dass sie für alles bezahlen. Er hält sie wirklich für Diener des Teufels. Wenn wir nicht reingehen, wird herauskommen, was wir getan haben. Meine Freunde werden sterben und Judah wird euch angreifen.«
Ich machte zwei Schritte vorwärts und schaute auf den Mistkerl hinab, der über meinen Club so viel Unheil gebracht hatte. Ich musste meine Hand mit aller Gewalt daran hindern, sich zur Faust zu ballen. Und ich musste dem Drang widerstehen, ihm die Faust direkt ins Gesicht zu rammen.
»Macht das. Und lasst mich dabei helfen … und danach … danach macht einfach mit mir, was ihr wollt. Ich werde mich nicht wehren. Ich … ich weiß, dass ich es verdient habe.« Er schluckte und brachte seine Züge dann unter Kontrolle. »In der Gemeinde gibt es unschuldige Frauen und Kinder, und auch ein paar unschuldige Männer. Sie brauchen Hilfe. Sie wollen nicht kämpfen. Sie haben Todesangst, wissen jedoch nicht, was sie tun sollen.« Sein Blick wurde eindringlicher, als er jeden einzelnen Bruder im Schuppen ansah. »Ich weiß, dass ich euch alle getäuscht habe.« Er richtete den Blick auf Ky. »Ich weiß, ich habe zugelassen, dass den Frauen Dinge passiert sind, die ich hätte verhindern sollen. Aber der einzige Weg, um Judah aufzuhalten, ist der, ihn zuerst zu kriegen … und dafür werdet ihr mich brauchen.«
»Wieso, wenn wir einfach reingehen und jeden hochjagen können?«, fragte AK mit zusammengekniffenen Augen.
»Ich habe Leute da drin, die Judah für euch festhalten. Dann kann ich – als Prophet Cain – die Unschuldigen sicher wegbringen. Und ich kann die Wärter und Ältesten für euch versammeln, damit ihr sie ausschalten könnt. Dann ist niemand mehr da, um die Sekte weiterzuführen.«
»Dein Bruder gehört mir«, knurrte Ky, ohne den Blick von Rider abzuwenden. Ich las den Schmerz in Riders Gesicht, als er das Todesurteil seines Bruders besiegelte, doch er würde zustimmen.
Uns allen war klar, dass der Kerl aufgehalten werden musste.
Rider nickte einmal. Er konnte die Worte nicht laut aussprechen.
Tanner stürmte wieder herein. Er nickte mir einmal kurz bestätigend zu. Rider sank wieder auf den Boden.
Ich wandte mich an meine Männer und gab das Signal: »Kirche. Jetzt.«
»Was machen wir mit dem Proph?«, fragte Viking und zeigte auf Rider.
Ich schaute auf ihn hinab, auf dem Boden sitzend, gebrochen und in schweren Ketten. »Lass den Mistkerl hier. Der geht nirgendwohin … nicht bis wir entscheiden, ob er uns helfen kann, diesen Sektenmist ein für alle Mal zu beenden. Oder falls wir entscheiden, ihm eine Machete ins Herz zu rammen. Was auch immer zuerst kommt.«
Ich ging als Erster aus dem Schuppen und über den Hof zum Clubhaus. Die Brüder kamen hinter mir, und wir nahmen unsere üblichen Plätze in der Kirche ein.
Ky beugte sich vor und vergrub den Kopf in den Händen. »Kannst du den verdammten Scheiß glauben?«
Ich schlug den Richterhammer auf den Tisch, und alle Brüder sahen mich an. »Also«, signalisierte ich, »wie zum Teufel regeln wir das?«
Ky übersetzte, und dann herrschte Schweigen. AK antwortete als Erster. Bei solchen Dingen übernahm der Bruder immer die Führung. »Wir gehen rein. Ausnahmsweise mal – und ich kann echt nicht glauben, das jetzt zu sagen – denke ich, dass Rider die Wahrheit sagt. Ich sage, wir gehen nach dem, was er erzählt hat. Da drin gibt es Leute, die ich nicht töten will – Kinder, Frauen …« Er räusperte sich. »Die Leute, die Bella zurückgebracht haben, müssen unbedingt da raus – vor allem der Vater. Danach schalten wir die übrigen Wichser aus. Jeder, der sich uns in den Weg stellt, stirbt, egal ob Mann, Frau oder Kind. Wir gehen mit dem Gedanken rein, dass jeder, den Rider nicht rausgeholt hat, ein Feind ist, und dabei bleiben wir.«
»Die Bewaffnung, über die sie verfügen, ist wirklich schwer. Wenn die sich für einen Angriff eingedeckt haben, wie der Kerl gesagt hat, dann müssen wir reingehen, wenn sie nicht mit uns rechnen«, sagte Tanner.
»Angriff ist die beste Verteidigung«, zitierte Cowboy mit seinem schweren Cajun-Akzent und lehnte sich zurück, als hätte er keine verdammte Sorge im Leben.
Ich ließ den Blick über den Tisch schweifen. Alle Brüder nickten zustimmend.
»Und danach?«, fragte Ky. Ich wusste, was er meinte. Also antwortete ich mit meinem eigenen verdammten Plan für die Zeit nach unserer Rückkehr ins Quartier. Und auch damit waren alle Brüder einverstanden.
»Shit«, meinte Bull und goss sich einen Schuss Tequila ein. »Ich kann nicht glauben, dass wir noch mal in diese Hölle gehen.« Er kippte den Schnaps hinunter und knallte das Glas auf den Tisch.
Viking schnappte sich den Tequila und genehmigte sich einen Shot direkt aus der Flasche. »Tja, ich für meinen Teil habe jetzt gerade einen Riesenständer. In letzter Zeit war es hier viel zu ruhig. Ist nicht dasselbe, wenn man nicht ein paar durchgeknallte Wichser um die Ecke bringen kann. Dass es diese Sektenidioten sind, ist nur die Scheißkirsche auf dem Sahnehäubchen. Ich liebe es, wenn ich diese Typen in ihren langen weißen Kleidern vor uns wegrennen sehe. Die meisten von denen sterben, weil sie unter dem langen Stoffzeug die Beine nicht schnell genug hochkriegen. Verdammt. Entzückend.«
»Das heißt Tunika, nicht Kleid«, erklärte Hush Viking trocken.
»Ah ja?« Viking drehte sich zu Hush um. »Tunika, eh? Tja, deinen hübschen Knackarsch sehen wir gar nicht in einem Kleid hier rumwackeln, oder, Blauäuglein?« Viking grinste und zwinkerte anzüglich. »Andererseits, du und Cowboy, ihr beiden treibt es doch miteinander, oder? Männerfreundschaft, und der ganze Mist? Falls du der designierte Samenempfänger von euch beiden bist, wäre es mit der Tunika doch einfacher.«
»Du meine Güte, wir treiben es doch nicht miteinander! Ich hab langsam die Schnauze voll von deiner lauten Klappe!«, brüllte Hush zurück.
»Ich will sie töten«, knurrte Flame, und sein Gefühlsausbruch hielt Hush gerade noch davon ab, sich aus dem Stuhl heraus auf Viking zu stürzen, um ihn in den dämlichen blassen Arsch zu treten. Flame zog sich sein Messer über die Arme. Doch er vergoss kein Blut dabei. Er machte nur die Geste, immer elf Mal. Er sah zu mir auf, und seine Augen wirkten noch dunkler als sonst. »Ich will sie töten, Präs, für das, was sie mit meiner Maddie gemacht haben. Ich will in meinen Händen spüren, wie ihre Herzen zu schlagen aufhören.«
»Wirst du«, signalisierte ich. »Werden wir alle.« Flame lächelte. Ein verdammtes psychopathisches Lächeln.
»Dann fahren wir?«, fragte Ky.
»Aye«, antwortete jeder Bruder.
»Dann lasst uns verdammt noch mal fahren.«
»Morgen«, verkündete AK. »Ich arbeite heute Nacht einen besseren Plan aus. Aber morgen fahren wir. Ich will kein Risiko eingehen. Wenn wir den Kampf zur Sekte tragen wollen, dann müssen wir morgen los, bevor jemand seinen Bruder in der Zelle entdeckt und das ganze verdammte Spiel ändert.«
»Dann gehen wir morgen rein«, signalisierte ich. »AK, sag den Brüdern, was wir aus der Waffenkammer brauchen. Knarren und das ganze Zeug. Wenn nötig bereiten wir uns die ganze Nacht lang vor.«
»Und Rider?« Ich folgte dem Klang der Stimme. Smiler schaute mich an. Der Bruder hatte doch tatsächlich schon wieder was gesagt. Zweimal an einem Abend. Neuer Rekord.
»Was ist mit ihm?«, fragte Ky.
»Geht er zuerst rein?«
Ich sah AK an, damit er antwortete. »Ich gehe noch mal die Pläne von der Gemeinde durch. Die sind immer noch in meinem Zimmer. Ich schaue sie mir an. Aber ich sage, wir geben ihm drei oder vier Stunden, um dorthin zu kommen, sein Prophetending abzuziehen und die Unschuldigen rauszuholen.«
»Und dann was?«, fragte Smiler.
Ky grinste. »Dann bringen wir die Hunde des Hades vor ihre Tür.« Die Brüder schnaubten in einer Mischung aus Aufregung und Blutdurst. Ich schlug den Richterhammer auf den Tisch zum Zeichen, dass die Kirche zu Ende war. AK geleitete die Brüder hinaus, um Aufgaben zu verteilen.
Ky rührte sich nicht. Ich mich auch nicht.
Als die Tür zu war, fragte er: »Glaubst du den Mist, Mann? Mit Rider und Bella … und ihrem Vater?«
Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir übers Gesicht.
»Willst du es ihnen sagen?«, fragte er.
»N-Noch n-n-nicht«, stotterte ich. »K-K-Kein G-Grund, es ihnen zu s-s-sagen, f-falls er nicht l-lebend r-r-rauskommt.«
»Ja«, stimmte Ky mir zu. Er lehnte sich seufzend zurück und sagte: »Ich kann nicht glauben, dass der ganze Mist mit der Sekte nach morgen vorbei sein könnte. Die werden endlich alle tot sein. Bis heute Abend war mir nie klar, wie sehr es mir an die Nieren ging, dass die Scheißkerle immer noch am Leben sind. Ich brauche wieder Luft, Styx. Aber das passiert nur, wenn wir das Ding bis auf die Grundmauern abfackeln.«
»J-Ja«, pflichtete ich ihm bei.
Ky stand auf und legte mir die Hand auf den Arm. »Ich werde mithelfen. Heute Nacht werde ich kein Auge zutun, und Li wird zweifellos mit Bella zusammen sein wollen. Ich muss mich mit irgendwas davon abzuhalten, wieder in den Schuppen zu gehen und Rider eine Axt in den Schädel zu donnern.«
Mein VP ging, aber ich blieb noch wer weiß wie lange in der Kirche und ging in Gedanken noch einmal alles durch, was Rider gesagt hatte. Hunderte und Aberhunderte Wichser, die auszuschalten waren, wenn es hart auf hart kam.
Eins wusste ich genau: Nicht alle von uns würden lebend zurückkommen. Ich hatte kein Wort dazu gesagt, als Rider geredet hatte. Ich hatte auch kein Wort gesagt, als wir alle einig waren, an diesen verdammten Ort zurückzukehren. Doch es war die Wahrheit. Elf von uns gegen möglicherweise Hunderte schwer bewaffnete, gehirngewaschene Wichser? Da standen die Chancen nicht gut, nicht mal für uns.
Ich wusste, meine Stärke als Präs würde mehr als je zuvor auf die Probe gestellt werden. Und egal, was ich tat, ich konnte nicht zulassen, dass wir fielen.
Ich hatte ein Mädchen, das ich mehr liebte als das Leben, und wir erwarteten ein Kind.
Alles, was ich tun musste, war, am Leben zu bleiben …
… einfach mit allen Mitteln am Leben bleiben.