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Thomas trat am Montag äußerst schlecht gelaunt seinen Dienst an.
Normalerweise ging er gerne zur Arbeit, aber schon jetzt zählte er die Stunden bis zum Feierabend.
»Wie war das mit den Halbstarken?«, wurde er von Schäfer begrüßt.
»Es waren keine Halbstarken. Es waren junge Leute, die Musik hören wollten!«, stellte Thomas klar.
Daraufhin hielt ihm Schäfer die Zeitung unter die Nase.
»Kannst du lesen?«, stichelte er weiter.
Thomas’ Blick fiel auf den Artikel:
Die hässlichste Beatgruppe Englands sorgte wieder mal für Chaos! Das Konzert dieser langhaarigen Höhlenmenschen war eine Ansammlung von Geräuschen aus dem Neandertal. Die Grugahalle wurde von den minderjährigen Opfern dieser Musik auf den Kopf gestellt. Die aufgepeitschten Fans griffen grundlos die Ordnungskräfte an, die für Ruhe und Ordnung sorgen sollten. Ihre hemmungslose Zerstörungswut feierte wahre Triumphe !
»Die Einzigen, die geprügelt haben, waren die Kollegen von der Bereitschaft. Keine Ahnung, welcher Idiot die kommandiert hat«, kommentierte Thomas, während er die Zeitung zusammenrollte und in den Abfalleimer beförderte. Gerade wollte Schäfer zu einer Replik ansetzen, als er Strobel sah, der vor seinem Büro stand. Er hatte den Wortwechsel von der Tür aus verfolgt und rief Thomas in sein Büro.
»Komm mal bitte rein! Wir müssen uns dringend unterhalten.«
Thomas eilte an den grinsenden Gesichtern der Kollegen vorbei in Strobels Büro. Der kam sofort zur Sache, kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
»Warum kritisierst du den Polizeieinsatz?«
»Du hättest das sehen sollen. Die haben grundlos junge Frauen verprügelt.«
Strobel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Da spricht der Experte in Sachen Polizeitaktik. Das sollte mal Hofbauer hören, der seit dreißig Jahren im Dienst ist.«
»Ich bin nicht bei der Bereitschaftspolizei, aber dieser Einsatz war …«
»Ist gut jetzt!«, unterbrach Strobel ihn ungewohnt ernst, »Schuster bleib bei deinem Leisten. Du bist bei der Kripo.«
Thomas wollte zwar etwas erwidern, aber er ließ es sein. Dazu hatte er zu viel Respekt vor Strobel, der ihm jetzt eine Standpauke verpasste.
»Auch wenn die Kollegen vor Ort nicht alles richtig gemacht haben, die würden immer den Kopf für dich hinhalten. Außerdem, was sollen deine älteren Kollegen hier von dir denken? Dass du Grünschnabel alles besser weißt?«
Thomas schwieg, obwohl er sich keiner Schuld bewusst war. Kritik hing seiner Ansicht nach nicht von den Dienstjahren ab. Strobel nahm seufzend an seinem Schreibtisch Platz und begann in einer Akte zu blättern. Erleichtert über das offensichtliche Ende des Gesprächs wollte Thomas das Büro verlassen, als Strobel ihn noch einmal ansprach.
»Was hast du eigentlich das Wochenende gemacht?«, fragte er, ohne aufzublicken.
»Nichts, warum?«
»Du bist so aufgekratzt. Steckt da ein Mädchen dahinter?«
Volltreffer. Thomas wurde rot und Strobels Ton versöhnlicher.
»Jetzt mal unter uns, willst du das deinem Onkel nicht sagen? Vielleicht hat er einen Tipp?« Schmunzelnd legte er die Akte beiseite und lächelte Thomas verschwörerisch zu.
»Dein Vater erfährt nichts, Ehrenwort!« Strobel ging auf ihn zu und legte kumpelhaft den Arm um ihn.
»Na ja, ich habe ein Mädel kennengelernt«, gab Thomas zu. Die Umstände des Kennenlernens, das Drumherum beim Konzert, verschwieg er allerdings.
»Na, das ist doch mal eine gute Nachricht«, lachte Strobel erfreut und bot ihm eine Zigarette an.
Thomas steckte sich die Kippe an, versuchte, nicht zu husten. Dann saßen beide eine Weile wie alte Freunde nebeneinander und genossen mehr oder weniger ihre Zigaretten.
»So, jetzt aber an die Arbeit.«, unterbrach Strobel die traute Zweisamkeit und drückte seine Zigarette aus.
An diesem Tag machte er überpünktlich Feierabend, weil er Peggy wiedersehen wollte. Er traf sie bei Alexis, wo sie hinter der Theke arbeitete.
»Jetzt machst du Schluss und kümmerst dich mal um deinen Freund«, befahl Alexis augenzwinkernd und zog ihr sogleich die Schürze aus.
Thomas freute sich, als er das hörte, und nahm sie mit einem Kuss in Empfang. Er wollte sich mit ihr in einer stillen Ecke verkrümeln, aber Alexis machte ihm einen Strich durch die Rechnung. »Peggy, willst du nicht mit ihm in die Stadt, um ihn neu einzukleiden?«
Thomas verstand nicht, worauf Alexis hinauswollte. »Wie bitte?«
»Du bist doch so ein schöner Junge, du musst doch nicht immer wie Mamas Liebling rumlaufen«, ermahnte Alexis ihn.
»Mamas Liebling? Sehe ich so aus?«, fragte Thomas Peggy mit entgeistertem Gesicht.
»Also, wenn du mich so fragst …«
»Aber was soll ich denn anziehen?«
Peggy antwortete nicht. Sie nahm ihn einfach an die Hand und ging mit ihm in den Kaufhof. Dort wurde kräftig geshoppt. Unter Peggys Anleitung verwandelte sich der Junge vom Land, der immer in den Anzügen seines Vaters herumlief, in einen forschen, coolen Typen. Er trug jetzt eine Nietenhose, ein modisches Hemd und eine schwarze Bikerjacke. Vollbepackt mit Einkaufstüten kehrten sie zu Alexis zurück, um eine kleine Modenschau abzuhalten.
Natürlich fiel seinen Kollegen am nächsten Morgen auf, dass er seinen Anzug gegen Nietenhose, Hemd und Jackett getauscht hatte.
»Sind das deine Klamotten beim Konzert gewesen? Damit du unter den Halbstarken und Rockern nicht auffällst?«, wieherte Schäfer provozierend in die Runde.
Strobel seinerseits hielt nicht viel von Thomas’ Garderobe. »Morgen kannst du wieder normale Klamotten tragen.«
»Wieso? Ich kann doch nicht immer mit dem Anzug meines Vaters rumlaufen.«
»Aber mit Nietenhose im Dienst, das geht nicht!«, wandte Strobel ein, der Widerworte vor den Kollegen nicht duldete.
»’tschuldigung, aber ich muss diese Dienstvorschrift überlesen haben«, erwiderte Thomas leicht ironisch .
»Die gibt es tatsächlich. Ein Kriminalbeamter sollte sich ordnungsgemäß anziehen«, klärte ihn Strobel auf.
»Und wer bestimmt, was ordnungsgemäß ist?«
»Dein Vorgesetzter, also ich!«, betonte Strobel ernst, doch dann hellte seine Miene auf. »Aber ich will mal nicht so sein, bist ja jung, da trägt man Nietenhosen. Nur die Beatlesfrisur geht nicht!«
Thomas nickte zwar, aber er dachte nicht daran, den Scheitel wieder aus der Versenkung zu holen. Diesem Streit mit dem Onkel sah er gelassen entgegen.