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Nervös fuhr er durch die Innenstadt. In seinem Körper brannte es lichterloh. Vergebens hatte er vormittags im Puff das Feuer löschen wollen, die Nutte hatte es einfach nicht drauf. Schlechte Schauspielerin. Unfähig, ein kleines Mädchen zu spielen. Immerzu kicherte sie albern. Sie musste auch mühsam überredet werden, ein Handtuch über das Gesicht zu legen, während er sich selbst befriedigte. Mist. Warum hatte er sie nur bezahlt? Sie war nichts anderes als eine schlechte Kopie gewesen. Kein Vergleich mit dem Original. Er bremste scharf. Er konnte sich nicht mehr auf das Fahren konzentrieren. Er verbrannte innerlich. Er musste das Feuer löschen. Aber in der Stadt war es gefährlich geworden. Er war gewarnt worden. Fieberhaft überlegte er, was er nun machen sollte. Natürlich! Köln … Essen … In eine andere Stadt fahren und dort etwas Junges sichern! Schon ging es ihm besser. Er startete wieder seinen Wagen und wollte auf die Autobahn. Doch gerade als er die Rheinstraße passieren wollte, sah er einige Kinder, die vor dem Rheinturm Rad schlugen. Jungen und Mädchen.
Eins davon hieß Esperanza Vargas. Esperanza, das war spanisch und hieß Hoffnung. Auf ein besseres Leben hofften auch ihre Eltern, die den Versprechungen des deutschen Arbeitsvermittlers
in Madrid geglaubt hatten. Der hatte für deutsche Unternehmen Arbeiter gesucht und die kleine Familie angeworben. In Deutschland herrschte nämlich Arbeitskräftemangel, und die boomende Wirtschaft brauchte dringend fleißige Männer und Frauen, die zupacken konnten. Und so hatten vor zwei Jahren die kleine Esperanza und ihre Eltern das Dorf in Andalusien verlassen, um nach einer zweitätigen Zugfahrt in der Landeshauptstadt ein neues, besseres Leben zu beginnen. Die kleine Familie fand sich schnell in der neuen Heimat zurecht. Die Mutter arbeitete in einer Schraubenfabrik, der Vater schuftete im Akkord bei Mannesmann. Und die kleine Esperanza, ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren und großen braunen Augen, besuchte die deutsche Volksschule. Esperanza war das einzige Ausländerkind in der Klasse. Sie lernte sehr schnell die deutsche Sprache und hatte rasch viele Freunde gefunden. Da ihre Eltern viel arbeiteten, war sie oft allein, ein sogenanntes Schlüsselkind, wie die meisten ihrer Freundinnen. Nach der Schule traf sie sich mit den anderen Kindern auf der Straße, um zu spielen. Und manchmal gingen sie in die Stadt, um Räder zu schlagen.
Heute war wieder so ein Tag. Esperanza hatte früher Schule ausgehabt und anstatt nach Hause war sie in die Altstadt gegangen, um als Radschläger ein paar Groschen zu verdienen.
Doch an diesen Tag schlug sie vergeblich ihre Räder. Die Passanten huschten eilig an ihr vorbei. Nur ein Mann zeigte Interesse, allerdings weniger an ihren turnerischen Fähigkeiten als an der Tatsache, dass ihr Rock für den Bruchteil einer Sekunde hochrutschte.
»Hier hast du eine Mark!«
»Danke!«, rief sie tief beeindruckt. Eine Mark hatte sie noch nie erhalten, immer nur Groschen und selten, ganz selten eine Fünfzigpfennigmünze
.
»Willst du denn auch fünf Mark verdienen?«, fragte der nette Herr und strich ihr über den Kopf.
»Fünf Mark?«, wiederholte Esperanza, und ihre Augen wurden ganz groß.
»Ja, du musst nur ein paarmal Rad schlagen«, sagte er mit sanfter Stimme.
»Mache ich!«, rief sie aufgeregt und wollte Anlauf nehmen, aber der Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht hier!«
»Wo denn?«
»Vor meiner Mama! Die würde so gerne ein schönes Radschlägermädchen sehen.«
»Wo ist deine Mama?«
»Zu Hause! Da müssen wir mit dem Auto hinfahren.«
»Aber ich muss auch nach Hause.«
»Pass auf, kleine Dame.« Der freundliche Herr bückte sich zu Esperanza und lächelte sie freundlich an. »Wir fahren zu meiner Mama, und dann fahre ich dich nach Hause.«
Esperanza schüttelte den Kopf. Der Herr war zwar sehr nett, aber sie wollte heim. Ihre Eltern hatten ausnahmsweise heute die gleiche Schicht und waren am Nachmittag zu Hause.
»Fünf Mark! Die gehören dir!« Der Mann holte ein Fünfmarkstück aus der Börse und hielt es zwischen den Fingern. Esperanza war nun überredet. Der Mann lächelte befriedigt, dann gab er ihr die Hand. Gemeinsam gingen sie zum Parkplatz. Er zeigte auf sein Auto, und Esperanza war sehr beeindruckt. So einen Wagen hatte sie noch nie gesehen.
Später saß sie neben ihm, während er den Zweisitzer lenkte.
»Wie heißt du denn, Kleines?«
»Esperanza!«
»Was ist denn das für ein Name?«, wunderte er sich
.
»Der kommt aus Spanien.«
»Ach, sieh mal an, du kommst gar nicht von hier.« Er war für einen Moment verblüfft, dass er sie für ein deutsches Mädchen gehalten hatte, aber das störte ihn nicht, im Gegenteil. Gierig starrte er auf ihre Knie.
Esperanza ahnte nichts von seiner gefährlichen Wollust. Sie genoss den Fahrtwind und die schnell vorüberziehenden Bäume der Allee. Sie fuhren am Rhein entlang.
»Wann sind wir denn da?«
»Noch ein bisschen Geduld, noch ein bisschen Geduld«, antwortete er und meinte in erster Linie sich, denn mittlerweile loderte die Lust in ihm. Es war kaum auszuhalten.
»Ein schönes Auto hast du.«
»Ja, so was kennst du gar nicht, nicht wahr?«, schnaufte er und ließ den Motor aufheulen.
Aber Esperanza war kein Junge, den man mit lautem Motorengeräusch beeindrucken konnte. Stattdessen hielt sie sich die Ohren zu.
Wie vor sechsundzwanzig Jahren endete die Fahrt des Mannes auf dem unbefestigten Feldweg, der zur Kaiserpfalz führte. Die alte Kastanie hatte die Jahrzehnte überlebt und musste, ob sie wollte oder nicht, stummer Zeuge eines ähnlichen Verbrechens werden.
Der Mann führte die kleine Esperanza zu den Ruinen. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Anlage verlassen war, wollte er mit dem kleinen Mädchen zum Turm.
Aber dann zögerte er. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er das Mädchen nicht gehen lassen sollte. Er hatte keine moralischen Skrupel, aber er hatte Angst, dass er sich sehr viel Ärger einhandeln würde. Die Warnungen vor wenigen Tagen klangen noch in seinen Ohren. Esperanzas Stimme unterbrach seine Gedanken
.
»Wo ist deine Mama?«
Er blickte zu ihr, und sofort breitete sich wieder das Feuer in seinem Körper aus. Der Trieb schob seine Bedenken beiseite. Dann zog er sie in Richtung der Ruine.