DREI
GENOSSE DIEKMANN
Wie ich lernte, die taz zu lieben (und die taz mich)
© Kai Diekmann/Privatarchiv
Die taz stellt mich als »Kotzbrocken« in eine Reihe mit Adolf Hitler.
Lassen Sie uns über meinen Alabaster-Körper sprechen!
Als BILD-Chef bin ich es gewohnt, dass an mir Maß genommen wird. Es gehört leider auch zum Umgang in der Politik, dass man dem anderen gerne mal die Beinkleider runterzieht und ihn nackt dastehen lässt. Ich nehme das mit Humor. Was aber, wenn aus den metaphorischen Worten Wirklichkeit wird? Und sich plötzlich ganz real Leute für dein bestes Stück interessieren?
Davon erzählt diese Geschichte.
Es ist der 8. Mai 2002, der Himmel über Hamburg ist bewölkt und vergießt hin und wieder einzelne Tränen. Als ich mit Verve die Tür zu meinem Büro im zehnten Stock des BILD-Headquarters in der Caffamacherreihe öffne, wartet auf meinem Schreibtisch schon die von meiner Assistentin Katharina Großheim allmorgendlich sorgfältig aufgetürmte Pflichtlektüre: Zeitungen, Zeitschriften, Agenturmeldungen. Heute hat es die kleine Zeitung taz ganz oben auf den Stapel geschafft. Die Schlagzeile springt mir sofort ins Auge:
Sex-Schock! Penis kaputt?
Neue Sorgen um den BILD-Chef Kai Diekmann:
Untenrum-Operation misslungen 1
Perplex beginne ich noch im Stehen zu lesen.
In mitfühlendem Ton heißt es da auf der letzten Seite, schon länger würde gemunkelt, dass ich mich in Miami einer missglückten Penisverlängerung unterzogen hätte. Dabei hätten mir Adern, Schwellkörper und Fleischteile aus den Genitalien einer männlichen Leiche eingesetzt werden sollen, aber die Operation sei unglücklich verlaufen, was der Kastration des Patienten, also mir, gleichkäme. Der behandelnde Arzt sei von mir auf 200 Dollar Schadensersatz verklagt worden. Ein Psycho-Experte kommt zu Wort:
Wenn die Geschichte stimmt, steht Herr Diekmann jetzt unter Sex-Schock. So bezeichnen jedenfalls wir Wissenschaftler dieses Phänomen.
Besorgt fragt der taz-Autor:
Hat Kai Diekmann, der sich nach außen so viril und jovial wie immer gibt, das verdient? Weint er um seinen verlorenen Penis? Wird er nie wieder glücklich? Die Öffentlichkeit fordert Rechenschaft …
Sprachlos lasse ich die taz sinken. Mein Blutdruck steigt.
Haben die sie noch alle?
Nun sind die taz und deren Chefredakteurin Bascha Mika nie sonderlich zimperlich mit mir umgegangen. Kürzlich erst haben sie mich neben Adolf Hitler zu einem der fünf größten »Kotzbrocken, Unsympathen und Ekelpakete Deutschlands« gekürt. Den taz-Lesern wurde anhand einer Fotoanalyse detailliert erklärt, warum der BILD-Chef doch Nazi ist, und eine Reihe von Punkten herausgearbeitet:
Totales Vakuum im Hirn – supertypisch für Nazis
Hitler-Bart zur Tarnung abrasiert
Perücke – in Wahrheit ist Diekmann Skinhead. 2
Ich sage immer, wer als BILD-Chef austeilt, muss auch einstecken können, aber in diesem Moment habe ich die Nase einfach voll.
Die wollen Keile?
Dann kriegen sie Keile.
»Muss ich mir das gefallen lassen?«, will ich gekränkt von Karina Hesse wissen. Sie ist meine Lieblingsanwältin in der Springer-Rechtsabteilung, denn sie quält einen nicht mit unverständlichem Juristen-Chinesisch, sondern gibt ziemlich hamburgisch »Butter bei die Fische«.
»Das ist keine Frage des ›ob‹, sondern nur eine Frage des ›wie viel‹ – und zwar, wie viel Schmerzensgeld du bekommst, Kai. Satire muss für den anständigen deutschen Leser erkennbar sein. Wird der taz natürlich nicht schmecken. Aber wirst sehen, Bascha Mika wird versuchen, sich mit uns in irgendeiner Form zu einigen.«
Klingt doch vielversprechend. Jetzt ist Schluss mit lustig.
Die taz und ich – das ist die Geschichte einer Hassliebe. Wir sind Intimfeinde. Die taz ist das Kampforgan aller Linken. Zum soliden Linkssein gehört, BILD und Diekmann zu verachten. Ich bin das rote Tuch und gleichzeitig ein wunderbarer Klebstoff, denn nichts verbindet mehr, als einen gemeinsamen Feind zu haben. Und so beschäftigt sich die taz vom ersten Tag an, als ich Chefredakteur geworden bin, hingebungsvoll mit mir. Nun bekommt die taz noch am gleichen Tag juristisch Bescheid gestoßen:
Sehr geehrte Frau Mika, sehr geehrte Damen und Herren,
wie Sie sich unschwer denken können, ist Herr Diekmann nicht bereit, diese seine Persönlichkeitsrechte in unverträglicher Weise verletzende Berichterstattung hinzunehmen. Der Artikel, der sich in obszöner Weise mit der Intimsphäre von Kai Diekmann befasst, hat längst den Rahmen des presserechtlich Zulässigen verlassen . In Anbetracht der zitierten Rechtsprechung hat Herr Diekmann einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, welches Herr Diekmann selbstverständlich einer gemeinnützigen Organisation zur Verfügung stellen wird.
Bämm!
Karina und ich haben zuvor die Höhe des Schmerzensgelds diskutiert. Sie hat für stramme 50000 Euro plädiert und sich erst mal durchgesetzt. Aber ich habe Mitleid: Die taz schrammelt chronisch an der Pleite vorbei – wäre doch nicht schön, die ganze Redaktion führe wegen meines Penis vor die Wand. Also belassen wir es bei 30000.
Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass Herrn Diekmann nicht daran gelegen ist, das Tischtuch zwischen den Redaktionen der BILD-Zeitung und der taz zu zerschneiden , lässt Karina die Kollegen noch wissen.
Gespannt warte ich auf die Reaktion der taz.
Es passiert genau gar nichts.
Irgendwann meldet sich dann doch Chefredakteurin Bascha Mika öffentlich zu Wort und ätzt: »Diekmann wird es sicher nicht schaffen, die taz zu ruinieren. Er will der respektable mächtige Chefredakteur sein? Als Kollegin hätte ich ihm geraten, die Finger von dem Prozess zu lassen.«
Nun habe ich endgültig die Nase voll. Hier muss jetzt mal schweres Geschütz ran. Das finden wir in Peter Raue, Professor der Rechtswissenschaften. Der passionierte Fliegenträger ist DER Berliner Topanwalt in Medienfragen und erhält von uns den Auftrag, die taz nach Strich und Faden zu verklagen.
»Bascha Mika wird sich umgucken«, freue ich mich laut.
»Wer nicht hören will, muss fühlen«, bekundet auch Karina ihr Mitleid.
Tatsächlich beschließt das Landgericht Berlin, den Streit um meinen Penis in einer öffentlichen Hauptverhandlung klären zu lassen. Panem et circenses . Nur, dass wir nicht im antiken Rom sind. Die taz und ich werden für den 19. November vor die Zivilkammer 27 geladen.
Offizielle Ladung des Gerichts zum Penis-Streit
Sieben Tage vorher rufen Bascha Mika und ihr Team süffisant die »Woche der Verlängerung« aus. Voller Vorfreude zählt die taz die Tage bis zur Gerichtsverhandlung runter:
Stundenlang die Nudel dehnen – das Internet verspricht sagenhaftes Peniswachstum.
So werden die Leser täglich auf das kommende Spektakel eingestimmt. Zudem druckt die taz ein »Penisometer«, einen nicht sehr ansehnlichen Phallus, der jeden Tag etwas kürzer wird und in sich zusammenschrumpft.
Ich ärgere mich still in mich hinein – und zähle meinerseits die Tage runter, bis es für Bascha Mika und Genossen vor Gericht endlich eins zwischen die Hörner gibt.
Lieber Kai! Am 19.11. geht es nicht um die Wurst, sondern um den Schwanz. Das Beweismittel musst Du noch nicht vorlegen … , schreibt mir Karina unmittelbar vor dem Gerichtstermin.
An besagtem Tag, einem Dienstag, zeigt sich der Himmel leicht bewölkt. Im dicht gedrängten Gerichtssaal herrscht eine Stimmung wie auf einer Klassenfahrt. Vermutlich gibt es keinen deutschen Medienjournalisten, der nicht anwesend ist. Damit auch wirklich alle Platz finden, tragen die Gerichtsdiener extra Bänke in den Saal.
Als der Richter aus der Klage zitiert, muss selbst er immer wieder grinsen. Peter Raue, mein Anwalt, läuft zu Hochform auf: »Auch wenn Sie es lustig finden – Herr Diekmann ist tief getroffen und verletzt!«, ruft er in den Gerichtssaal. »Lasst den Mann mit seinem Geschlechtsleben in Ruhe!« Wie ein biblischer Prophet, das gewellte schlohweiße Haar sorgfältig vom linken Ohr zum rechten gekämmt, hält er den Penis-Artikel hoch und fragt mit dramatischer Stimme: »Was hat die arme Mutter von Kai Diekmann gedacht, als sie diesen Text gelesen hat: Kind, was machst du denn?«
Ja, was meine Mutter gedacht hat, wüsste ich auch gern. Aber mit Sicherheit kann ich sagen: Wäre ich in diesem Moment persönlich im Gericht anwesend, würde ich unter meinen Stuhl krabbeln, so peinlich ist das Ganze. Natürlich brechen alle Zuschauer im Saal in schallendes Gelächter aus. Würde mir nicht anders gehen, wenn ich da als Zuschauer säße und meinem Anwalt zuhören müsste, der mit seinen Ausführungen über mein bestes Stück zwangsläufig – wenn auch unfreiwillig – lustiger ist als jeder taz-Artikel.
Ich bin zu diesem Zeitpunkt mit meiner Frau Katja auf dem Weg nach München zum Abendessen mit Edmund Stoiber und dessen Frau Karin und lasse mir per Handy die aktuellen Wasserstandsmeldungen aus dem Gerichtssaal durchgeben. Dass ich darauf verzichtet habe, persönlich zu erscheinen, ist, so wird mir in dem Moment klar, die wahrscheinlich einzig kluge Entscheidung in diesem ganzen bescheuerten Prozess.
Bin ich sauer auf meinen Anwalt? Nein, er tut mir leid, wie er da für mich in der Höhle der linken Löwen steht. Normalerweise ist er auf dem Parkett der schönen Künste unterwegs, Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, und hier muss er jetzt fünfmal hintereinander das Wort »Penis« in den Mund nehmen. Der gute Mann braucht mit Sicherheit heute Abend therapeutische Betreuung.
Am Ende wird der taz bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250000 Euro verboten, den Artikel weiter zu verbreiten. Geschenkt. Der Artikel ist sechs Monate alt, mit dem Papier, auf das er gedruckt ist, kannst du nicht mal mehr Fisch einwickeln. So alt ist es. Und was das angeblich so sichere Schmerzensgeld angeht? Auch Pustekuchen. Das Gericht ist der Meinung, dass ein BILD-Chefredakteur mehr aushalten müsse als andere:
Wer sich bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung anderer sucht, wird weniger schwer durch die Verletzung seines eigenen Persönlichkeitsrechtes belastet. Denn er hat sich mit Wissen und Wollen in das Geschäft der Persönlichkeitsrechtsverletzungen begeben und wird daher – nach allgemeinen Regeln menschlichen Zusammenlebens – davon ausgehen, dass diejenigen Maßstäbe, die er anderen gegenüber anlegt, auch für ihn selbst von Belang sind.
Sieg für die taz.
Diekmann k.o.
Ich bin ein solcher Idiot!
Wie heißt es so schön? Jeder blamiert sich, so gut er kann.
Es gibt einfach Prozesse, auf die man sich nicht einlassen sollte. Selbst wenn du gewinnst, verlierst du sie. Wie Gerhard Schröder seinen Haarfärbe-Prozess sechs Monate zuvor. Der hatte gegen die Nachrichtenagentur ddp eine Unterlassungserklärung erwirkt, mit dem Ergebnis, dass danach erst recht alle über seine Haarfarbe sprachen. Mein juristischer Sieg ist auch deswegen für den Allerwertesten, weil es dem Gericht in der Urteilsbegründung ganz offensichtlich darum ging, BILD zu zeigen, wer den Längeren hat. Womit wir indirekt wieder beim Thema Penis wären.
Acht Monate später bekomme ich unerwartet Post von Bascha Mika:
Lieber Herr Diekmann,
in den vergangenen 25 Jahren hat sich die taz immer wieder Lieblingsfeinde auserkoren, mit denen sie sich intensiv auseinandersetzte. Sie sind einer dieser Lieblingsfeinde. Und Sie können sich jetzt revanchieren. Übernehmen Sie die taz!
Ich muss zweimal lesen. ICH soll die taz übernehmen? Ist das wieder einer von Mikas Witzen? Eine weitere Falle, in die ich tappen soll?
Am 26. September 2003 wird die feindliche Übernahme der taz vollzogen , so die Chefredakteurin weiter. Die Redaktion überlässt ihren Lieblingsfeinden für einen Tag die taz. Gemeinsam mit weiteren Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur können Sie die Jubiläumsnummer nach Ihren Vorstellungen gestalten. Bilden Sie zusammen mit den anderen Lieblingsfeinden eine Redaktion und wählen Sie eine neue Chefredaktion. Zeigen Sie den taz-Redakteuren, wie eine Zeitung Ihrer Meinung nach aussehen sollte. 3
Nun könnte man denken, dass Bascha Mika nicht ganz bei Sinnen ist. Aber diese Frau weiß genau, was sie will. Nicht nur ist sie bis dato die einzige Frau an der Spitze einer überregionalen Tageszeitung, sie hat es auch geschafft, die taz mit Mut, Grips und Pfiff aus der Kreuzberger Hausbesetzer-Nische herauszuheben und zu überregionaler Bedeutung zu führen. Ich bin elektrisiert. Die meint das wirklich ernst.
»Freue mich! Bin natürlich dabei!«, kritzele ich begeistert auf den Briefrand.
Bascha Mika ahnt nicht, was sie sich da eingehandelt hat.
Blitzschnell habe ich meine Schäfchen um mich versammelt: TV-Pfarrer Jürgen Fliege, den eitlen Hans-Olaf Henkel, der in seinem späteren Leben schon alles war und sein wird, von BDI bis AfD, aber bei nichts dauerhaft erfolgreich, RTL-Mann Hans Mahr, Berlins Ex-Bürgermeister Eberhard Diepgen, Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping, FDP-Chef Guido Westerwelle und BILD-Legende Pepe Boenisch – allesamt taz-Lieblingsfeinde, die am 26. September die Redaktionsräume in der Kochstraße aufmischen werden. Für die taz-Jungs und -Mädchen wird es sich anfühlen, als ob die Besetzung ihres ganz persönlichen Gruselfilms zu Besuch gekommen ist.
Ich rufe Helmut Kohl an. Er hat der taz noch nie ein Interview gegeben, aus gutem Grund. Für die ist er nur die »Birne«. Wahlweise auch die »Pfälzer Kartoffel«. Ich erzähle von meinem Projekt.
»Herr Bundeskanzler, können Sie sich vorstellen, mit Ihrem Vorsatz zu brechen und der taz das erste Kohl-Interview in deren Geschichte zu geben?«, frage ich förmlich. »Wir werden in dem Gespräch die Linken mal so richtig rundmachen. Linke Idioten! Linke Irrtümer! Linke Verräter! Linke Fehler! Linkes Versagen! Linkes-und-so-weiter …!« Ich rede mich richtig in Fahrt.
Kohl lacht: »Ja, dann machen wir das mal.«
Für die Jubiläumsausgabe stecke ich mir ein ganz schlichtes Ziel: Das soll die beste taz aller Zeiten werden. Nichts überlasse ich dem Zufall.
Joachim Fest, Hitler-Biograf und ehemaliger FAZ-Herausgeber, macht sich auf meine Bitte hin Gedanken über: »Was ist rinks und was ist lechts? War Adolf Hitler ein Linker?«
Dazu lasse ich seinen Nachfolger, den amtierenden FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, über die Frage philosophieren: »Hinter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung steckt immer ein kluger Kopf. Aber wer liest eigentlich die tageszeitung?« Das Foto neben dem Artikel, inszeniert von meinem Leib- und Magen-Fotograf Daniel Biskup, zeigt einen Mann auf einer Bank, der FAZ liest, links und rechts neben ihm zwei nackte taz-Leserinnen.
Guido Westerwelle, FDP-Bundesvorsitzender und zu diesem Zeitpunkt noch nicht geoutet, fragt unter der Überschrift »Verliebte Jungs«, welche Probleme Rot und Grün mit avantgardistischer Ästhetik haben. RTL-Chef Mahr interviewt Umweltminister Jürgen Trittin zur Formel 1, Oskar Lafontaine räsoniert, was an der Politik Gerhard Schröders noch sozialdemokratisch ist. Schlagerkomponist Ralph Siegel fordert eine Quotenregelung für deutsches Liedgut. Und der ehemalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping macht sich Gedanken über die Wesensverwandtschaft von Radfahrern und Politikern: »Nach oben buckeln, nach unten treten«.
© Daniel Biskup
Feindliche Übernahme: Redaktionskonferenz in der taz, u.a. mit Peter Boenisch, Eberhard Diepgen, Jörg Schönbohm, Peter Strieder, Kai Diekmann, Hans Mahr, Rudolf Scharping (v.l.n.r.)
Nicht jeder mag mit mir lustig sein: Ex-BILD-am-SONNTAG-Chef und Kanzlerkandidatenberater Michael Spreng, den ich zum Thema »Warum Linke Stoiber wählen sollten« angefragt habe, will sich nicht äußern. Auch Ex-taz-Frau Georgia Tornow, die über Kollegin Bascha Mika schreiben soll, gibt mir einen Korb.
Werde ich von anderen Medien zur anstehenden Machtübernahme bei der taz gefragt, erkläre ich unschuldig:
»BILD ist nahe an den Menschen. Davon kann die taz nur lernen. Auch die taz sollte erkennen: Man muss vor den einfachen Leuten keine Angst haben!«
Für den Tag der feindlichen Übernahme ist uns von der taz ein strenger Stundenplan vorgegeben worden:
9 Uhr: |
Eintreffen der Gäste |
9.15 Uhr: |
Frühkonferenz Chef vom Dienst |
10 Uhr: |
Gesamtkonferenz / Neue Chefredaktion / Themenbesprechung |
11 Uhr: |
Gäste in den Ressorts / Seitengestaltung |
13 Uhr: |
Mittagessen (Sale e Tabacchi) |
14 Uhr: |
Titelkonferenz |
17 Uhr: |
Redaktionsschluss |
18 Uhr: |
Umtrunk |
Punkt 9 Uhr entern wir die Redaktionsräume im Rudi-Dutschke-Haus, ein epochaler Altbau, der nur mit seinem modernen Anbau etwas Pech gehabt hat. Während die Sandsteinfassade des Altbaus von vier schmucken griechischen Säulenträgern und einer Art Riesen-Urnen verschönert wird, hat es beim Anbau nur für eine einmalig hässliche Betonstein wand gereicht, die zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Geschichte noch eine Rolle spielen wird.
Unterm Arm trage ich eine Kiste mit fertig produzierten Geschichten. Ich bin in meinem Element. Der Fisch im Wasser. Der Tag der Rache ist gekommen. Heute werde ich den Schnarchnasen hier zeigen, wo der Hammer hängt – der journalistische wohlgemerkt.
Natürlich wird das kein gemütlicher Spaziergang werden: Ich kenne das Haus nicht, überall wuseln Kollegen anderer Medien herum, die über die spektakuläre Übernahme der taz durch den Systemfeind BILD berichten wollen und gnadenlos jeden Patzer outen werden. Und bereits mittags müssen aus produktionstechnischen Gründen die ersten Seiten fertig sein.
Aber das ist es auch, wofür ich meinen Job liebe – für die Momente, in denen er etwas Jungfräuliches hat. Wenn es darum geht, Geschichten zu erzählen, zu berühren und zu bewegen.
Das ist nicht nur Handwerk, sondern Kunst.
Kurz nach 18 Uhr sitzen die tazler und wir, die Lieblingsfeinde, einträchtig und gut gelaunt auf der Dachterrasse bei einem Bier zusammen. »Normalerweise schauen wir da rüber und sagen, guck, da sitzt der Feind«, sinniert eine taz-Kollegin mit Blick auf das gegenüberliegende Springer-Hochhaus. »Und nun steht der Feind mitten unter uns und trinkt Bier.«
Ich halte den Andruck in Händen, auf Seite eins prangt die Schlagzeile, die mich mit großem Stolz erfüllt:
25 Jahre! Die taz feiert.
Heute gibt’s Kohl
© Kai Diekmann/Privatarchiv
Bestverkaufte taz-Ausgabe aller Zeiten: »Heute gibt‘s Kohl«
Die »Feindes-taz« ist ein Riesenerfolg: Schon am Mittag des nächsten Tages ist die komplette Auflage ausverkauft, wir müssen nachdrucken. Ich bin mir 1000 Prozent sicher, dass Bascha Mika spätestens jetzt in ihren Schreibtisch beißen wird. Kein schönes Gefühl, wenn dir der Feind zeigt, was kommerziell drin ist, wenn die taz von den richtigen Leuten gemacht und mit den richtigen Zutaten gewürzt wird. Ich glaube, für Mika war gesetzt, dass wir die Jubiläumsausgabe zu einer schlechten BILD machen – mit einer besseren taz hat sie sicher nicht gerechnet.
Aber ihr Leiden hat gerade erst begonnen.
Die Feindes-taz wird nicht nur mit dem European Newspaper Award ausgezeichnet werden, sondern die bestverkaufte Ausgabe aller Zeiten. Natürlich wissen wir das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Ich möchte Ihnen noch einmal ganz herzlich danken – für Ihre Begeisterung, mit der Sie die taz-Hausbesetzung vorangetrieben haben, für die Arbeit, die Sie sich machten und für die Bestimmtheit, mit der Sie als Chefredakteur im fremden Land das Heft in die Hand genommen haben , schreibt mir die taz-Chefin ein paar Tage später. Wie ich Ihnen bereits erzählte, waren die KollegInnen im Haus sehr angetan von der Zusammenarbeit und Spaß gemacht hat es ihnen auch.
Diesmal stimmt, was normalerweise eine Worthülse ist: Ohne Sie wäre diese Ausgabe so nie zustande gekommen.
Bascha Mika
»Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte«, gebe ich bescheiden zurück.
Ungewohntes Lob: Post von taz-Chefredakteurin Bascha Mika
Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten: Auch dem Altkanzler gefällt »Heute gibt’s Kohl« so gut, dass er das taz-Titelfoto zu seiner neuen Autogrammkarte macht.
Und damit Sie, liebe Bascha, mir das auch wirklich glauben , teile ich der taz-Chefin mit, habe ich Helmut bei meinem letzten Besuch gebeten, für Sie seine neue Autogrammkarte zu unterschreiben. Der taz-Chefin vom Altbundeskanzler persönlich gewidmet … Voila!
Und es ist dieser Moment, in dem ich in Gedanken an meine Penisschlappe erstmals nicht mehr ganz so, wie soll ich sagen, geladen bin.
Den Wunsch von Bascha Mika, Lieblingsfeind der taz zu bleiben, erfülle ich ihr gern.
Fünf Jahre später, 2008, zieht BILD von Hamburg nach Berlin, und zwar in das Springer-Verlagsgebäude vis-à -vis der taz. Die Bauarbeiten begannen 1959 neben der Ruine der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Jerusalemkirche, direkt an der Sektorengrenze zwischen West und Ost. Als das 78 Meter hohe Gebäude 1966 eingeweiht wurde, hatte sich zwischenzeitlich die Berliner Mauer, die 1961 gebaut wurde, direkt davorgeschoben und machte das golden schimmernde Hochhaus zum leuchtenden Mahnmal für Frieden und Freiheit und für den unerschütterlichen Glauben des Verlegers Axel Springer an die Wiedervereinigung: ein Lighthouse of Freedom – wie es Springer nannte.
Dieser Name war nicht nur Symbolik, er entsprach den Fakten. Denn kurz nach dem Mauerbau diente die Baustelle mit Wissen Springers als Ausgangspunkt eines Tunnels, durch den Helfer vielen Menschen die Flucht von Ost- nach Westberlin ermöglichten.
Vom 16. Stock des Verlags, in den wir einziehen, habe ich einen grandiosen Blick über die Hauptstadt; man sieht den Fernsehturm auf dem Alexanderplatz, den Reichstag, das Bundeskanzleramt – und natürlich auch das taz-Gebäude schräg gegenüber in der Kochstraße. Wir sind nur einen Steinwurf – in diesem Fall passt das Bild besonders gut – voneinander entfernt. Und nun, da wir uns jeden Tag im Blick haben, nimmt unsere Auseinandersetzung noch mal richtig an Fahrt auf.
Die lieben Kollegen von der anderen Straßenseite haben sich nämlich für uns etwas ganz Besonderes ausgedacht:
Willkommen in der Rudi-Dutschke-Straße! , erhalte ich einen Begrüßungsbrief. Sie haben eine neue Anschrift bekommen, ohne umgezogen zu sein. Wir schicken Ihnen deshalb einige Umzugskarten, mit denen Sie Freunden, Verwandten und Bekannten Ihre neue Postadresse mitteilen können. Wir hoffen sehr, dass Sie sich über die Karten freuen, so wie wir als Ihre Nachbarn uns über die Rudi-Dutschke-Straße freuen.
Endlich Genosse: Beitrittsbestätigung zur taz-Verlagsgenossenschaft
Ich kann es nicht fassen. Was für eine Chuzpe. Und gleichzeitig ziehe ich den Hut, den ich nicht habe. Gegen allen Widerstand ist es der taz gelungen, erfolgreich die Umbenennung der traditionsreichen Berliner Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu betreiben – zu Ehren des Enteignet-Springer-Aktivisten, der in der 68er-Studentenrevolte ganz vorn auf den Barrikaden gegen BILD stand. So frech und kreativ muss man erst einmal sein. Allerdings hat auch Springer nicht gepennt: Der alte Haupteingang in der Kochstraße war schon lange vor der Umbenennung in Rudi-Dutschke-Straße auf die andere Gebäudeseite verlegt worden – und zwar passenderweise in die Axel-Springer-Straße.
Ich denke, an dieser Stelle ist es Zeit für ein Bekenntnis: Tief in meinem Herzen bin ich Fan der taz, egal, wie blöd die immer zu mir sind. Ich sage immer, in Deutschland gibt es nur zwei echte Boulevardzeitungen – eine ganz große und ziemlich erfolgreiche, die BILD, und eine ganz kleine, die chronisch vor der Pleite steht, die taz. Was die Schlagzeilen angeht, stehen uns die lieben Kollegen in nichts nach. Als der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger ins höchste Kirchenamt gewählt wird, titelt BILD: »Wir sind Papst!« Und die taz: »Oh, mein Gott!« Zur Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin jubelt BILD: »Miss Germany!« Bei der taz heißt es: »Es ist ein Mädchen!« Manchmal sind die Genossen von gegenüber sogar besser als wir in ihren Schlagzeilen. Auf »Berlin kriegt keinen hoch«, als die Eröffnung des BER-Flughafens wieder einmal verschoben werden muss, bin ich bis heute neidisch.
Es ist das Herz des taz-Fans, das hüpft, als wenige Monate später ein Formular auf meinem Schreibtisch landet. Zufall? Absicht? Ich weiß es bis heute nicht. Die taz wirbt um Mitglieder. Für 500 Euro, gern auch zahlbar in Raten à 25 Euro, kann ich Miteigentümer der taz-Verlagsgenossenschaft werden. Als weiterer betriebswirtschaftlicher Anreiz winken tolle Prämien: ein taz-Badetuch, ein taz-Weinpaket, ein taz-Rucksack oder ein tazPresso-Set.
Na, da lasse ich mich doch nicht zweimal bitten.
Mein neues Leben als taz-Genosse mit der Mitgliedsnummer 209738 macht mich stolz. Leidenschaftlich und vor allem ungefragt beteilige ich mich an jeder Debatte der Mitgliedergenossenschaft. Eine taz-Veranstaltung zu deutsch-deutschen Begegnungen im sandinistischen Nicaragua? Wie bitte?
Die Unterstützung der verrückten Sandinistas durch nicht minder verrückte Ost- und West-Deutsche hat mich schon damals maßlos geärgert , schreibe ich empört. Gerade weil diese Unterstützung Staatsdoktrin der DDR war. Ich bin auf mein Einreiseverbot in die DDR nach wie vor stolz!
Mit genossenschaftlichen Grüßen (oder sagt man »Glück auf«?)
Kai Diekmann
Selbst in Anzeigenkampagnen reite ich den Stiefel, jetzt stolzes taz-Mitglied zu sein – natürlich in ganzseitigen Anzeigen für die und in der taz:
»BILD ist wirklich offen. Selbst ein Genosse kann hier Chefredakteur sein!«, lautet der Slogan. Darunter ein Foto von mir im Streberanzug mit Gel-Frisur, die Faust zum revolutionären Gruß gereckt.
Ich fürchte, spätestens jetzt erschießen die sich bei der taz.
Und dann ist der Tag gekommen: meine allererste Genossenschaftsversammlung live und in Farbe. Schon am Morgen fühle ich mich wie das Kind unterm Weihnachtsbaum. Zur Feier des Tages habe ich mich in einen knallroten Hoodie gezwängt, auf der Brust mein eigenes Konterfei im Che-Guevara-Style.
© Rainer Henkel
Genosse Diekmann im Che-Guevara-Kai-Hoody: bei meiner ersten taz-Genossenschaftsversammlung
Im Saal: an die 200 taz-Genossen, viele Studienräte und Berliner Taxifahrer mit Uni-Abschluss in Soziologie.
Thema für die Versammlung ist auch der Führungswechsel bei der taz: Für Bascha Mika kommt Ines Pohl. Kaum bietet sich die Gelegenheit zum Mitreden, stehe ich auf und trete ans Mikro: »Guten Tag, mein Name ist Kai Diekmann«, gebe ich mich leutselig. »Jetzt wurde hier die ganze Zeit die Ära von Bascha Mika gelobt, da hätte es mich gefreut, wenn in dem Zusammenhang auch die Feindes-taz unter meiner Führung Erwähnung gefunden hätte; als bis dato erfolgreichste taz aller Zeiten.«
»Buh!«, ruft es aus der Reihe hinter mir.
Ich fahre voller Enthusiasmus fort: »Deswegen möchte ich das an dieser Stelle nachholen und mich selber ausdrücklich loben für meine großartige Arbeit.«
»Aufhören!«, fordert ein anderer.
Es lässt sich nicht leugnen: Am allermeisten Freude an meiner taz-Genossenschaft habe ich selbst. Die tazler selbst tun sich mit mir als ihrem neuen Genossen da deutlich schwerer.
Natürlich bekomme ich nach der Genossenschaftsversammlung die ganze Packung: Wie wenig er von mir hält, lässt mich Johannes »Jony« Eisenberg, der verbissene und spaßbefreite Anwalt der taz, mit dem ich es auch schon im Penis-Prozess zu tun hatte, wissen. Ich bekomme einen ziemlich heftigen Brief von ihm, aus dem ich an dieser Stelle aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht zitieren kann. Lassen Sie mich so viel sagen, ich bin definitiv nicht sein Typ.
Dabei hatte ich doch extra einen Button an meiner Brust getragen mit seinem Foto und dem sachdienlichen Hinweis: »I am not an Alien.«
Nun sind seit dem Penis-Prozess ein paar Jahre vergangenen, ich habe meine Lektion gelernt und explodiere nicht gleich bei jeder Provokation.
Und wenn man’s genau nimmt, ist Eisenberg, jetzt wo ich taz-Genosse bin, auch mein Anwalt. Ich antworte ihm:
Lieber Jony,
als taz-Mitgenosse, gleichsam Hand in Hand für Zeitung und Zukunft marschierend, sollten wir zum genossenschaftlichen Du übergehen . Das macht den Umgang so viel unverkrampfter und ehrlicher, wie es bei den Linken eben so üblich ist!
Mit Gruß von Genosse zu Genosse!
Dein Kai
Und damit kommen wir wieder zu der grauen unansehnlichen Mauer am taz-Gebäude, von der ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, schon erzählt habe.
An einem ungemütlichen Sonntagmorgen im November 2009 bekomme ich zu Hause am Küchentisch in Potsdam einen Anruf von Tobias Fröhlich, BILD-Pressesprecher meines Vertrauens: In der Nacht sei an die Ostfassade des taz-Gebäudes, die man vom Springer-Verlag aus gut sehen kann, eine riesige Skulptur genagelt worden. Sie zeigt einen splitternackten, nur mit weißen Socken und braunen Slippern bekleideten Mann, dessen XXL-Penis – erste Schätzungen gehen von 16 Metern aus – sich kobraartig fünf Stockwerke hochschlängelt.
»Du musst tapfer sein, Kai«, informiert mich Tobias, sein fröhliches Glucksen kann er kaum unterdrücken, »dieser Kerl an der Wand sieht dir sehr, sehr ähnlich.«
Das exquisite Kunstwerk trägt, wie sich herausstellt, den beziehungsreichen Namen »Friede sei mit Dir« und stammt von Peter Lenk, einem Bildhauer vom Bodensee, der mit seinen Nacktskulpturen auch schon Angela Merkel, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber verewigt hat.
Wie gesagt: Nach dem Penis-Prozess bin ich inzwischen nicht mehr so doof, der taz auf den Leim zu gehen, vor Wut zu platzen und gegen das Penis-Denkmal zu klagen. Ich denke gar nicht daran. Im Gegenteil: Offenbar scheint der Penis-Streit von 2002 für die taz allmählich zum Gründungsmythos zu werden. Ich kann mein Glück kaum fassen.
Ich mache lustige Selfies mit meinem Denkmal und poste diese fortan im Netz. Mal schreibe ich stolz drunter: »Gelungen, oder? Sieht mir doch ähnlich!« Ein anderes Mal ganz traurig: »Abschied von mir selbst.« Denn ich werde ja im Juli 2012 für ein Jahr ins Silicon Valley gehen.
Mit ihrem Werk hat die taz bewiesen, dass auch meine Lieblings-Linken zum Lachen nicht ausschließlich in den Keller gehen , verkünde ich: Das ist der Höhepunkt einer ganz neuen Sinnlichkeit und Fleischeslust, die ich so bei der taz nicht vermutet hätte.
Bei den taz-Lesern kommt der Riesenschniepel an ihrer Vereinswand allerdings nicht ganz so gut an. Ich weiß das, weil ich natürlich fleißig alle Leserbriefe in der taz studiere:
»Unmöglich, pervers, primitiv«, wird hier geschimpft.
Einer anderer erklärt empört: »Ich wollte eigentlich noch taz-Anteile nachkaufen, aber an so einem pubertären Kasperletheater mag ich mich nicht beteiligen.«
Mir hingegen wird dieser Tage sehr viel Liebe und Anerkennung zuteil: »Glücklicher Kai! Die taz ist endgültig und absolut Deine taz«, lobt ein Leser. »Kai ist unser Kai, dessen über uns allen thronenden Penis wir nun göttergleich anbeten.«
So oder so, es hagelt Abo-Kündigungen. Bei der taz.
Die taz hat die Rechnung zudem ohne die Wirtin gemacht. Ines Pohl, frischgebackene Chefredakteurin, ist ins Penis-Projekt nicht eingeweiht gewesen und wird nun, erst kurze Zeit im neuen Amt, vor harte Fakten gestellt. Sie tut mir fast leid: Deutschland hat eine neue Regierung, es wird über Klimagipfel und Betreuungsgeld gestritten – und die Chefredakteurin, eine engagierte Feministin, muss ihren Leitartikel ausgerechnet meinem besten Stück widmen.
Wie viel Schwanz muss sein? , fragt sie empört. Geht es nach dem Künstler Peter Lenk, dann soll ich mein Fahrrad jetzt für zwei Jahre jeden Morgen unter einem sechs Meter langen Pimmel abschließen, unter zwei recht prallen Hodensäcken also mein Tagwerk beginnen. Was für eine klägliche Provokation. Wie öde. Ich habe schlicht keine Lust auf diese aufgeblasene Spießigkeit, die sich um den ewig traurigen Männermachtkampf dreht: Wer hat den Längeren? Und bitte: Kai Diekmanns Erektionsprobleme sind publizistisch von sehr nachgeordneter Relevanz. 4
Für mich ist die ganze Geschichte wie ein Elfmeterschießen, bei dem jemand das Tor fünf Meter breiter gemacht und den Torwart weggeschickt hat. So schreibe ich sogleich an die taz:
Liebe Genossen,
ich muss mich heute in einer Angelegenheit an Sie wenden, die das Wohl der Genossenschaft auf das Höchste gefährdet und deshalb keinen Aufschub duldet : Ich bin in großer Sorge. Ganz offensichtlich sind sehr viele Leser und teilweise auch erklärte taz-Genossen mit unserem Kurs unzufrieden und glauben, dass wir mit dem Anbringen des Kunstwerks von Peter Lenk am Berliner Verlagshaus einen großen Fehler begangen haben. Von Abo-Kündigungen und sogar Genossenschafts-Austritten ist die Rede. Wenn auch nur einem Teil dieser Worte Taten folgen, dann rückt unser Ziel der Gewinnung des 9.000. Genossen bis zum Jahresende in weite Ferne. Da die Redaktion selbst in dieser Frage ebenfalls offensichtlich gespalten ist, halte ich es für unabdingbar, dass die Umstände, Kosten, Folgen und die Zukunft des Kunstwerks im Rahmen der Genossenschaft diskutiert werden .
Ich vergieße jede Menge Krokodilstränen und stelle den Antrag auf eine außerordentliche Sitzung, »um weiteren Schaden von der taz abzuwenden«.
Als gewissenhafter Genosse frage ich mich nämlich, ob für die Skulptur etwa Genossenschaftsgelder verschleudert wurden. taz-Geschäftsführer Karl-Heinz »Kalle« Ruch belehrt mich umgehend:
Sehr geehrter Genosse Diekmann,
der Vorstand kann Ihrem Antrag auf Einberufung einer Generalversammlung nicht entsprechen. Dafür sind zehn Prozent der Genossen notwendig, die Ihren Antrag unterstützen .
Ich müsste also noch 892 Mitstreiter einsammeln. Wird eng.
© Kai Diekmann/Privatarchiv
Zu Besuch bei meiner Penis-Skulptur: Wer hat das schon, ein Denkmal zu Lebzeiten, mitten im Herzen von Berlin?
Keine 24 Stunden später bringt der taz-Vorstand mit einem Blitzvotum den »Phall zu Fall« 5 und beschließt mit drei zu zwei Stimmen, den taz-Ständer an der Genossenfassade abbauen zu lassen:
Wir wissen es zu schätzen, dass der taz eine Fassadengestaltung geschenkt wurde. Allerdings sehen wir ein Problem: Es scheint uns nicht die primäre Aufgabe der taz zu sein, sich mit der Person Kai Diekmann auseinanderzusetzen.
Inmitten des ganzen Getöses wird vor dem Rudi-Dutschke-Haus dann auch noch eine kostenlose taz-Sonderausgabe verteilt. Sie trägt den Titel:
Wir sind Schwanz! Die Redaktion verlangt: Der Pimmel über Berlin muss bleiben! Keine Kastration des öffentlichen Raumes! Keine Amputation der Kunst!
Zwei Tage später statte ich taz-Chefin Ines Pohl einen Besuch ab. »Du musst die Hände über den Kopf nehmen und ein weißes Tuch schwenken, Kai!«, hat mir mein Büroleiter beim Verlassen unseres Verlagshauses empfohlen. Noch immer wird drüben gerätselt, ob und welche subversiven taz-Redakteure für die taz-Sonderausgabe verantwortlich sind. Als Geschenk überreiche ich der lieben Frau Pohl einen hübschen Bilderrahmen. Darin nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ein großes Foto vom kleinen Kai – sondern die Druckplatte der taz-Sonderausgabe »Wir sind Schwanz«. Die ist natürlich Fake, stammt mitnichten aus der Redaktion der taz, sondern aus der BILD-Giftküche.
Pohl macht ein etwas komisches Gesicht. Ich würde sagen, freudige Überraschung sieht anders aus. Eher wirkt es so, als hätte sie mit Essig gegurgelt.
Und dann meldet sich mitten in die Gemengelage hinein auch noch der Schöpfer des Schwanzes höchstselbst zu Wort, um mal eben klarzumachen , wer Hand an sein Ding lege, den komme das teuer zu stehen:
Sollte das Zentralkomitee der taz die Genehmigung im Nachhinein für ungültig erklären, werde ich um Pimmelswillen das Relief überhaupt nicht mehr abbauen 6 , schnaubt Peter Lenk vom Bodensee nach Berlin.
Und ergänzt, dass er die Diekmann'sche Pseudo-taz eigentlich ganz lustig findet.
Nun gibt es auf den Medienseiten der Republik kein Halten mehr: Einschaltquoten, Intendantenwechsel, BILD-Schelte – egal. Alle beackern nur noch ein Thema: den Pimmel über Berlin. Die lieben taz-Genossen kommen dabei leider nicht gut weg. Mit gutem Grund, muss man sagen. Denn wo es jetzt um sie selbst geht, reagieren sie so empfindsam und humorlos, als seien sie soeben einem Pensionat für höhere Töchter entsprungen. Tief in vielen tazlern steckt eben doch ein Spießer. Ich bin – ich gebe es zu – an dieser Stelle nur noch brutalstmöglicher Voyeur: Ich kann einfach nicht wegschauen, wie sich die Redaktion rund um Ines Pohl vor meinen Augen selbst zerfleischt. Herrlich.
Weil etliche Genossen den Befehl von oben autoritär, gar nicht basisdemokratisch und auch sonst doof finden, kommt es zur außerordentlichen Betriebsversammlung. Und ich denke: Schluss mit den Nickeligkeiten. Meine Lieblingsfeinde von der taz brauchen mich jetzt!
»Wenn es zu einer Gewaltorgie kommt und Ines Pohl dies als Chefredakteurin nicht überleben sollte, stehe ich selbstverständlich als Interimslösung jederzeit zur Verfügung«, biete ich in einem Interview meine Hilfe an.
Man darf sich Kai Diekmann dieser Tage als glücklichen Menschen vorstellen , schreibt Michael Hanfeld in der FAZ: Er treibt sein Lieblingshassmedium vor sich her, das ihn seit Jahren als Lieblingshassfigur verfolgt. Er karikiert sie bis zur Kenntlichkeit und setzt auf eine Satire, die vom Boulevard nicht mehr zu unterscheiden ist. Und den intelligenten, ironisch gebrochenen Boulevardjournalismus macht ihm keiner nach. So hart und unerbittlich BILD sein kann, so spielerisch leicht nimmt Diekmann seine Gegner auseinander, indem er sie an den journalistischen Maßstäben misst, die taz und andere für sich in Anspruch nehmen, gleich, was sie tun. Ihr alle seid BILD, zeigt er ihnen, zuletzt mit einer nachgemachten Satire-taz, die den unterleibsgrotesken Titel trägt »Wir sind Schwanz!« 7
Der SPIEGEL, mir sonst in herzlicher Abneigung zugetan, kommentiert:
Verkehrte Welt in der Rudi-Dutschke-Straße. Die Mannschaft, die gern von sich behauptet, dass es ihre Aufgabe sei, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, steht mit dem Rücken zu einer Wand, die sie selbst hat dekorieren lassen. Während sie von den vermeintlichen Betonköpfen des Großkonzerns mit den Mitteln moderner Spaß-Guerilla aufgerieben wird. Wer in diesen Tagen auf das seltsame Treiben in Berlins bekanntester Zeitungsstraße blickt, muss aufpassen, nicht völlig die Orientierung zu verlieren: Wer sind hier eigentlich die Spontis? Und wer die Spießer? 8
Kann man nach so einer Geschichte irgendwann wieder nett miteinander sein? Sich grüßen, wenn man sich auf der Rudi-Dutschke-Straße zufällig trifft?
Man kann.
Zum Weltfrauentag ein paar Jahre später taucht Ines Pohl mit taz-Kolleginnen in der BILD-Redaktion auf und serviert den männlichen Kollegen Kaffee.
P.S.:
Eigentlich sollte der Penis die taz-Fassade nur zwei Jahre schmücken. Daraus sind bis zum heutigen Datum 13 Jahre geworden. Lenks Kunstwerk gehört zu den Sightseeing-Touren in Berlin, japanische Touristen und Schulkinder stehen kichernd davor. Es wird in Stadtführern beschrieben, ist ein beliebtes Insta-Motiv. Und auch ich besuche mich regelmäßig und schaue, wie es mir geht. Wer hat das schon, ein Denkmal zu Lebzeiten, mitten im Herzen von Berlin? Leider kann die taz-Redaktion den späten Erfolg ihres eigenwilligen Kunst-Invests nicht mehr genießen, die ist längst weggezogen.
P.P.S.:
»Bitte nicht! Nobelpreis für Helmut Kohl«, lautet eine taz-Schlagzeile Jahre später.
Wenn der Altkanzler tatsächlich den Friedensnobelpreis bekommt, wird seinem Busenfreund und BILD-Chefredakteur Kai Diekmann dermaßen einer abgehen, dass die gesamte Berliner Rudi-Dutschke-Straße von einem milchigen Schleim überflutet würde. Und wer macht die Sauerei dann weg? Das Nobelpreiskomitee? Helmut Kohl? Kai Diekmann ganz sicher nicht.
So richtig raus aus ihrer Eis-am-Stil-Phase scheinen mir die lieben Kollegen damals immer noch nicht gekommen zu sein.
© BILD-Zeitung
Weltfrauentag 2012: taz-Chefin Ines Pohl serviert den BILD-Kollegen Kaffee, ich revanchiere mich mit einem Foto des allerletzten Seite-eins-Girls.