SECHS: »WIR HABEN DEN MERCEDES VON KAI DIEKMANN ANGEZÜNDET« – Im Visier der Extremisten

SECHS

»WIR HABEN DEN MERCEDES VON KAI DIEKMANN ANGEZÜNDET«

Im Visier der Extremisten

© Kai Diekmann/Privatarchiv

Tagelang ausgespäht, dann mitten in der Nacht in Brand gesetzt: Im Mai 2007 fällt unser Familienkombi einem gezielten Brandanschlag zum Opfer.

DER ANSCHLAG

»Pfui Deibel, Deutschland. Feige Bestien haben das Auto von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann angezündet«, ätzt Harald Schmidt an einem Maiabend im Jahr 2007 in seiner Late-Night-Show: »Eine Gräueltat, die nicht nur zynisch ist und menschenverachtend, sondern vor allem zutiefst sinnlos: Kai Diekmann saß nicht im Wagen.«

Keine 24 Stunden vorher haben militante G8-Gegner vor unserem Haus in Hamburg unser Familienauto mit einem gezielten Brandanschlag abgefackelt. Den Flammen fiel nicht nur der Wagen zum Opfer, sondern auch Kindersitze, ein Kinderwagen – und die heiß geliebte CD Dumbo der Elefant.

Ich sitze auf der Wohnzimmercouch, vor mir auf dem Tisch schon die zweite Flasche Rotwein, und es fühlt sich wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht an, als jetzt im TV Schmidts Zuschauer johlen, lachen, pfeifen und klatschen. Am Ende der Sendung schwenkt die Kamera, zeigt das bombig gelaunte Publikum.

Ich weiß, Satire darf alles. Und richtig ist auch: Der BILD-Chefredakteur muss mehr aushalten als andere.

Aber: So zur Zielscheibe zu werden und dann auch noch unter Beifall der Umstehenden, ist ein Schock. Es ist ein Riesenunterschied, ob du mit Worten angegriffen wirst – oder dein Auto lichterloh brennt, wenige Meter vor dem Haus, in dem deine drei kleinen Kinder schlafen.

Bislang habe ich mich darauf verlassen, dass es einen Konsens gibt: Gewalt ist ein Tabu. Bislang war es auch immer so, dass es am Ende glimpflich ausgegangen ist, wenn ich ins Visier geraten bin: Militante BILD-Hasser, Islamisten, Rechtsradikale, linke Chaoten, Israel-Feinde, Verrückte – sie alle haben mir in der Vergangenheit schon gedroht, im Internet meine Hinrichtung angekündigt. An manchen Tagen trudeln im Springer-Verlag mehr Hassbriefe ein als Rechnungen. Ein Großteil dieser Fanpost ist kruder Schleim: Genauso unsortiert, wie es im Hirn der Verfasser zugeht, genauso kraus landen die Gedanken auf dem Papier. Ich habe schon lange aufgegeben, in den ganzen sinnlosen Ergüssen nach Sinn zu suchen.

Man sollte Ihren Penis abhacken und Ihre Finger vereisen damit Sie nicht weiter Rotz u. Hetze in Deutschland verbreiten. Pfui Teufel Diekmann.

Kai Diekmann, du fahren bald mit Bombe in deine Auto zu Allah! Wir dir kriegen.

Diekmann, hiermit gebe ich bekannt, dass Deine unmittelbare Ermordung bevorsteht. Ich werde Dich öffentlich nachdem ich Dir dreimal in den Kopf geschossen habe verbrennen. Das Video Deiner Ermordung wird im Netz von mir verbreitet werden. Dieses Video ist der Anfang vom Ende der Pressefreiheit!

Diekmann, du großer judenversteher

wir werden deine kinder und deine frau mal so richtig mit dem baseballschläger bearbeiten.

wetten, dass du große schwierigkeiten bekommst sie wiederzuerkennen

»Du verdammter Faschist.« Einer von vielen Hassbriefen, wie ich sie fast täglich bekommen habe.

Aber es sind nicht nur die Idioten, es sind auch die vermeintlich Intellektuellen, die jedes Maß verlieren und eine gefährliche Stimmung schüren – wie zum Beispiel der Schriftsteller Gerhard Henschel, der in seinem Buch Gossenreport auf 191 Seiten ätzt:

Kai Diekmann, die Kreatur.

Kai Diekmann, das Genie der Niedertracht und Gewissenlosigkeit.

Kai Diekmann, der Sittenverderber, der geächtet gehört.

Kai Diekmann, der Anzeigenzuhälter und Puffjournalist.

Kai Diekmann, ein publizistischer Leichenschänder. 1

»Der Chefredakteur von BILD ist wahrscheinlich der unbeliebteste und meistgehasste Journalist des Landes«, pflegt Mathias Döpfner lakonisch zu kommentieren.

Zwischenzeitlich werden die Drohungen so massiv, dass der Verlag Röntgengeräte bestellt, um die Post zu durchleuchten.

Es gibt Steinwürfe auf unser Privathaus, ein anderes Mal einen Farbanschlag. Einmal stehe ich mit meinem Baby auf dem Arm auf der Straße, als mich ein junger Typ auf dem Fahrrad abfängt:

»Sind Sie Herr Diekmann?«

Bevor ich antworten kann, drückt er mir eine Postkarte in die Hand und fährt weiter. Die Postkarte zeigt eine Pistole, dazu der Slogan des linken Aktionskünstlers Klaus Staeck: »Der Himmel gehört allen – die Erde wenigen.«

So weit, so schlecht. In der vergangenen Nacht aber ist eine Grenze überschritten worden. Aus bloßen Drohungen ist lebensgefährliche Gewalt geworden. Erschütternd genug – aber bleibt es bei dieser Einzeltat? Oder ist das nur ein Auftakt, ist der Geist aus der Flasche? Geht das jetzt weiter? Fühlen sich andere motiviert, es dem BILD-Chef ebenfalls mal zu zeigen? Nach dem Motto: Gewalt ist tabu, aber der BILD-Chefredakteur hat’s irgendwie verdient? Und was weiß ich, wann aus einem durchschnittlich Verrückten ein zu allem Entschlossener wird?

RÜCKBLENDE

Es ist gegen drei Uhr in der Nacht zuvor. Stürmisches Klingeln an der Haustür reißt Katja und mich aus dem Schlaf.

Ich bin sofort hellwach, der beißende Geruch von verbranntem Gummi steigt mir in die Nase. »Das Auto!«, sage ich laut und habe eine Ahnung, was passiert ist.

Katja bleibt stumm. Wie das ihre Art ist, wenn es im wahrsten Sinne des Wortes brenzlig wird. Blaulicht zuckt durch die Fenster, taucht Wände und Möbel in gespenstisches Licht.

Ich springe in meine Jeans, Katja direkt aus dem Bett die Treppe hinunter zur Haustür.

Drei Polizeibeamte stehen auf dem Treppenabsatz. Hinter ihnen ein surreales Bild: Eine lodernde, qualmende Feuersäule, Dutzende Polizeiwagen, die die Straße verstopfen, ein großer Feuerwehrlöschzug, weißer Schaum, der auf unseren Familien-Kombi prasselt, der nur noch ein verschmurgelter glühender Klumpen ist.

Ich schiebe mich an Katja vorbei. »Was ist passiert?«, frage ich die Beamten bestürzt, obwohl mir die Antwort längst klar ist. In der Sekunde sehe ich, wie Polizisten die gegenüberliegende Straßenseite mit rot-weißem Flatterband absperren, dahinter haben bereits Kamerateams und Fotografen Aufstellung genommen. Katja legt den Rückwärtsgang ein. Kann ich verstehen, dass sie sich morgen nicht im Schlafshirt neben ihrem brennenden Auto auf der ersten Seite der Hamburger Morgenpost sehen möchte.

»Herr Diekmann?«, fragt der Beamte. Ich nicke.

Er fährt fort: »Es hat einen Brandanschlag auf Ihren Wagen gegeben. Wir gehen von einem politischen Hintergrund aus. Ein Autofahrer hat um 2.43 Uhr das Feuer bemerkt und sofort Polizei und Feuerwehr informiert.«

»Jetzt ist es also doch passiert«, sage ich und fühle mich leer, ratlos, spüre so etwas wie Resignation: »Sie haben es geschafft …«

In zwei Wochen soll in Heiligendamm an der Ostsee der G8-Gipfel der führenden Industrienationen der Welt stattfinden – die militante Szene macht seit Monaten schon mobil. Bereits im Vorfeld habe ich eine Warnung des Landesamts für Verfassungsschutz erhalten:

Wir haben Ihren Namen auf einer möglichen Anschlagsliste von Linksextremisten gefunden. Um einen Brandanschlag zu vermeiden, sollten Sie folgende Sicherheitshinweise unbedingt beachten:

Wagen verdeckt in verschlossener Garage oder nicht unmittelbar vor dem eigenen Wohnhaus parken.

Im Wohnhaus auf Sichtschutz achten.

Keine Namensschilder an Haustür beziehungsweise Grundstückseingängen

Keine Information an Dritte über Reisevorhaben

Nachbarn bitten, auf ungewöhnliche Geräusche/fremde Personen zu achten.

Auf Anordnung des LKA sind die Kontrollfahrten der Polizei vor unserem Haus drastisch erhöht worden.

»Wir würden gern das Videomaterial Ihrer Überwachungskameras auswerten«, bittet jetzt einer der Beamten.

»Da wird nicht viel drauf sein«, entgegne ich trocken und merke, wie Bitterkeit in mir aufsteigt: »Die Kameras durften ja ausdrücklich nicht den öffentlichen Gehweg vor unserem Haus filmen. Aber genau dort sollten wir unser Auto parken auf Empfehlung des Verfassungsschutzes – damit die Flammen nicht aufs Haus überspringen, wenn jemand das Auto in Brand setzt. Schon absurd, oder?«

»Tja«, sagt der Beamte ebenso trocken, »wo nichts ist, können wir uns nichts angucken.«

Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf: Da war doch vor ein paar Tagen ein fingergroßes Loch im Dach meines Autos, also der Axel-Springer-Dienstlimousine.

»Gucken Sie mal, Herr Diekmann«, machte mich Herr Terne, mein Fahrer, an jenem Morgen mit besorgtem Blick auf den Schaden aufmerksam.

»Was soll das denn?«, fragte ich perplex zurück.

Normalerweise steht der Wagen nachts immer bei meinem Fahrer in der sicheren Garage und nicht bei mir vor der Tür. Das war in dieser Nacht ausnahmsweise anders. Das Auto war unbewacht. Auf einmal habe ich eine Vermutung, was das mit dem Loch war. Das haben im Zweifelsfall dieselben Täter in das Dach gebohrt, die jetzt auch das Auto meiner Frau in Brand gesteckt haben. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, was sich ein paar Tage später bestätigen soll: Linksradikale haben versucht, Brandbeschleuniger ins Fahrzeug zu leiten und wurden dabei offenbar gestört. Das Ganze ist keine spontane Aktion, sondern offenbar von langer Hand vorbereitet. Die Vorstellung, dass wir – meine Frau, ich, die Kinder auf dem Weg zur Kita – im Vorfeld ausgespäht worden sind, macht mir Gänsehaut. In dieser Nacht haben sie ihr präzise geplantes Vorhaben vollendet. In Flammen steht allerdings nicht meine Dienstlimousine, sondern unser Familienauto.

Die Flammen zeigen sich erstaunlich unbeeindruckt vom Löschschaum. Erst nach einer Stunde hat die Feuerwehr die Flammen erstickt. Vom Wagen ist nicht viel übrig. Aus den verkohlten Überresten ragen drei Kindersitze, im Kofferraum ist das verrußte Skelett unseres Kinderwagens zu erkennen.

Zum Glück bekommen unsere Kinder – fünf, drei und zwei Jahre alt – davon nichts mit. Sie liegen in ihren Betten und schlafen.

In den Morgenstunden rückt ein Kranwagen an. Wie bei einem falsch geparkten Fahrzeug wird der verbrannte Kombi an vier Stahlseilen aufgehängt, um ihn auf die Ladefläche des Kranwagens zu hieven. Die Winde surrt, die Seile spannen sich – in der Sekunde gibt die Karosserie des verkohlten Wagens nach. Er ist vom Feuer so stark beschädigt, dass das Wrack auseinanderzubrechen droht. Mit viel Mühe gelingt es schließlich, das Auto auf die Ladefläche zu schleifen.

Zurück bleibt ein riesiger Fleck aus Öl, Lack, Benzin und Metall, der sich in die Gehwegplatten eingebrannt hat.

Beamte der Polizei stemmen die schweren Platten hoch, drehen die Unterseite nach oben. Offensichtlich schaue ich überrascht.

»Wir wollen keine Katastrophentouristen oder Gaffer anlocken«, klärt mich einer der Polizisten auf: »Wir wollen ja nicht, dass zu erkennen ist, wo es gebrannt hat, und damit Ihr Wohnort identifizierbar wird.«

»Ja, klar, das macht Sinn«, pflichte ich ihm bei und merke, dass ich etwas lahm klinge.

Keine zwei Stunden nach diesem Gespräch klingelt mein Handy: »Ich wollte dir nur sagen, dass hier gerade jede Menge Bilder vom Brandanschlag bei euch einlaufen«, informiert mich der Frühredakteur aus der Fotoredaktion von BILD. Die Presseagenturen verbreiten fleißig Aufnahmen des ausgebrannten Wagens, unseres Hauses, der Nachbarhäuser. Der Stadtteil Harvestehude wird genannt. Auch der Brandfleck – oder das, was nach der Reinigungsaktion der Polizei noch übrig ist – wird ausgiebig dokumentiert.

Brandanschlag auf das Auto von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann – Ein Brandfleck auf dem Bürgersteig vor seinem Stadthaus in Hamburg , klären die Bildunterschriften auf.

Im Prinzip hätte man gleich einen Stadtplan mit meiner rot eingekreisten Adresse verteilen können. Vermutlich weiß jetzt auch der letzte Chaot in der militanten Hamburger Szene, wo sich unser Haus befindet. Und wer es dann immer noch nicht mitbekommen hat, dem hilft der NDR auf die Sprünge: In den TV-Nachrichten wird das Haus samt Hausnummer gezeigt.

Hätte ich dem Polizeibeamten auch gleich sagen können, dass es eine Illusion ist zu glauben, man könne die Geschichte kleinhalten. Umgedrehte Gehwegplatten hin oder her.

»Anschlag auf Auto des »BILD«-Chefs – Privatwagen mit Kindersitzen in Brand gesetzt«, macht das Hamburger Abendblatt am nächsten Morgen auf. Selbst die britische The Times schlagzeilt: »Militants target editor in G8 rehearsal.«

Und ja: Auch BILD Hamburg berichtet mindestens so ausführlich wie die Kollegen. Das ist leider selbstverständlich, auch wenn es meiner Familie und mir in dem Moment natürlich nicht gefällt. Ein solcher Anschlag ist eine große Nachricht – selbst wenn der eigene Chef das Opfer ist.

Bei der Nachrichtenagentur dpa geht noch am selben Tag ein Bekennerschreiben ein:

Als Antwort auf die G8–Razzia der Bundesanwaltschaft am 9.5.07 haben wir heute den Mercedes von Bild-Chefredakteur und Herausgeber Diekmann, HH-XY 1191, vor seinem Haus in der Hamburger Brahmsallee 89 angezündet.

Mit ihrer gigantischen Meinungsmacht, die bis zu 12 Millionen Leserinnen erreicht, stellt die BILD-Zeitung eine bedeutende Säule für den Erhalt des kapitalistischen Systems in der BRD dar. Das Bitterste daran ist, dass nach vier Jahrzehnten Aufklärung und Kampagnen gegen dieses Gehirnwäschemedium davon auszugehen ist, dass die LeserInnen diesen Dreck für die Bestätigung ihrer Ressentiments auch bekommen wollen.

Sollte ich die leise Hoffnung gehabt haben, möglicherweise nur zufällig Ziel des Brandanschlags geworden zu sein, so zerschlägt sie sich an dieser Stelle endgültig. Die Attentäter sind inhaltlich völlig klar, auch wenn es im Verlauf des Schreibens an Grammatik und Rechtschreibung mitunter hapert.

Diekmann ist seit 2001 Chefredakteur der Bild-Zeitung. Er fungiert als Herausgeber von Bild und Bild am Sonntag. Er verfügt über glänzende Kontakte in die Politik, bei der auch mal ein Exklusiv-Interview mit Staatsterrorist G.W. Bush herausspringt. Für das politische Establishment der BRD führt kein Weg an Bild und BamS vorbei. Egal ob Lafontaine, Roth, Müntefering, Merkel oder Stoiber dieses Land regieren will, kann das nicht gegen die publizistische mächtige Bild Gruppe. In diesem Haus gilt Diekmann als zweiter mächtiger Mann neben Vorstandschef Döpfner.

Das Bekennerschreiben zum Brandanschlag auf unser Auto im Mai 2007

Auf insgesamt eineinhalb eng bedruckten Computer-Seiten in seltsamer Schreibschrift-Typo mäandert das Bekennerschreiben durch einen Themenbrei aus BILD-Hass, der üblichen Antikapitalismus-Hetze und Rudi-Dutschke-Nostalgie.

Wir grüßen alle, die viel Kraft und Fantasie in den Widerstand, gegen das Weltwirtschaftstreffen gesteckt haben und ihren Beitrag dafür leisten, dass die Wahrheit von der Notwendigkeit einer Revolution hier und jetzt laut und unüberhörbar formuliert wird.

Es ist die schrecklich gedrechselte, verschwurbelte Sprache von Extremisten, die keinen Sinn für Diskurs haben und ihn auch gar nicht wollen.

Herrn Diekmann selbst schicken wir keine Grüße, sondern genau die Schlagzeile, mit der seine Zeitung die Gerichtsentscheidung für die Hafterleichterung für Christan Klar kommentierte: »Warum darf so einer frei rumspazieren?«

Unterschrift: Militante Kampagne kämpft für Sie!

Das Schreiben wird von den Kollegen der dpa sofort ans LKA weitergeleitet.

Nicht nur Harald Schmidt, auch bei der taz und in den sozialen Netzwerken tut man sich schwer, das Attentat als das einzuordnen, was es ist: ein feiger Anschlag.

Soweit ich weiß, gibt es doch bislang keinerlei Hinweise auf die Täterschaft. Könnte also genauso gut ein Ästhet sein, der aus gut verständlichen geschmacklichen Gründen die ungestörte Existenz von Herrn Diekmann nicht tolerieren möchte, heißt es in Internet-Blogs.

Der Versuchung, jemandem ein paar reale Brandsätze hinterher zu schmeißen, der jeden Tag in Millionenauflage geistige Brandsätze durch die Gegend wirft, kann man schon mal erliegen.

Und ein taz-Kolumnist schreibt:

Ja, ich habe auch gelacht bei der Vorstellung, dass dieser ölige Stenz sich mit seinem Katja-Miezi angesichts des bisschen Blechschadens fragte, womit er sich das nun wieder verdient hätte.

Wer austeilt, muss auch einstecken können, sage ich gerne. Das gilt besonders für den Chefredakteur von BILD, der in seinen Schlagzeilen nicht gerade zimperlich mit anderen umgeht. Aber wahr ist, dass immer wieder versucht wird, Extremismus und Gewalt von links zu legitimieren. Denn wenn es um die angeblich gute und gerechte Sache geht, heißt es schnell: Der Zweck heiligt die Mittel. Das galt schon in den 1960er Jahren bei Steinwürfen gegen LKWs, die BILD auslieferten. Das gilt beim Brandanschlag auf unser Familienauto. Und bei den Klimaklebern in den Innenstädten und auf den Autobahnen heißt es ja heute auch wieder beschönigend: »Na, sie haben ja ein ernstes und wichtiges Anliegen.«

»Ich habe mit großem Bedauern von dem sinnlosen Anschlag auf Ihr Auto erfahren«: Brief von Ex-US-Präsident Bill Clinton

Als ich am Abend nach dem Brandanschlag aus der Redaktion nach Hause komme, ist meine Frau in Tränen aufgelöst. Das erste Mal überhaupt, nachdem uns die Polizei aus dem Schlaf geklingelt hat. Yella, die Fünfjährige, hat im Kindergarten aus Klopapierrollen ein neues Auto gebastelt: »Für dich, Mama, damit du nicht mehr traurig bist.« Das ist der Moment, als bei Katja die Dämme brechen.

Sehr geehrter Herr Diekmann,

die Nachricht von dem fiesen und brutalen Brandanschlag auf Ihren Wagen beschäftigt mich sehr. Ich habe ja, wie Sie wissen, meine Probleme mit der Bild, aber so eine Heimsuchung der privaten Verhältnisse und ein Angriff auf ein Auto mit Kindersitzen hat einen gruseligen Anschein von Weimar. Ich hoffe, dass die Täter schnell gefasst werden. In Deutschland darf man seine Meinung ohne Furcht verkünden, das wird so bleiben, daran werden solche Terroristen nichts ändern, schreibt mir Nils Minkmar von der FAZ.

Viel Schatten, noch mehr Licht. Es gibt eben nicht nur die Häme eines Harald Schmidt, sondern auch Solidarität und ehrlich gemeinte Anteilnahme. Dieser und viele andere Briefe tun gut.

Lieber Herr Diekmann,

Ich bin sehr erschrocken, als ich von dem Brandanschlag auf Ihr Auto erfahren habe. Der Angriff auf Sie ist Ausdruck einer klammheimlich akzeptierten Ohnmacht des Staates gegenüber der Gewalt. Brennende Autos gehören offenbar zur Folklore großer Städte, zu politischen Großveranstaltungen.

Wer Ihnen zusetzt, setzt uns allen zu, und ich weiß, dass nach einem derartigen Anschlag eine sicherlich ungern eingestandene Angst ständiger Begleiter Ihrer Familie ist.

Bleiben Sie der Diekmann, an dem wir uns alle so gerne reiben und den ich so sehr schätze. Wie viel Mut dazugehört, wissen wir seit gestern, schreibt ein ehemaliger SPD-Staatssekretär.

Lieber Herr Diekmann,

da ich selbst Vater zweier Töchter bin, kann ich nachempfinden, was dieser Anschlag für Sie und Ihre Familie bedeutet. Diese entsetzliche Gewalttat darf für die Täter nicht folgenfrei bleiben, kommt ein Brief aus dem Deutschen Bundestag.

Und auch aus New York erreicht mich ein Brief, auf Büttenpapier mit goldenem Wappenadler:

Dear Kai:

I was very sorry to learn of the senseless attack on your car, and I’m pleased and relieved to hear that you and your family are taking it in stride. I hope to see you before too long.

Sincerely,

Bill Clinton

Noch wochenlang hängen im Umkreis unseres Hauses Fahndungsplakate der Hamburger Polizei.

Die Täter werden nie gefasst.

UNTER POLIZEISCHUTZ

Dass Ideologen bei uns im Lande glauben, ihre politischen Visionen mit Gewalt durchsetzen zu müssen, ist das eine. Und dass ich als BILD-Chefredakteur und sichtbarer Vertreter des verhassten Systems dabei ins Visier der Extremisten gerate, ist fast zwangsläufig. Das ist zwar nicht schön, geht aber vielen anderen nicht anders: Politiker, Konzernchefs – sie alle kennen das.

Eine neue Erfahrung ist, dass Extremismus im Zeitalter von Globalisierung und Clash of Civilizations keine Grenzen mehr kennt: Westliche Medien als Zielscheibe islamistischen Hasses – davon bin auch ich betroffen. Nicht, weil ich als BILD-Chef rechts, links oder Mitte bin, sondern ein verhasstes Sprachrohr des Westens. Ein Feind, der mit seiner Zeitung angeblich Krieg gegen die islamische Welt führt.

»Es ist erlaubt, Kai Diekmann und Georg Gafron zu vernichten.

Es ist erlaubt … jedes Mittel einzusetzen, das ihrem schändlichen Treiben ein Ende bereitet …«

Die Frau, die in dieser regnerischen Aprilnacht im Jahr 2003 im neongrellen Amtszimmer des LKA Hamburg vor mir sitzt, macht eine kurze Pause, bevor sie weiter laut vorliest. Mit dem Finger fährt sie von links nach rechts über das Papier, studiert Zeile für Zeile des Schreibens:

»Dies ist keine Bestrafung Deutschlands«, fährt sie nach ein paar Sekunden fort. »Die Deutschen sind keine Feinde der Muslime. Dies ist eine exemplarische Bestrafung von ausgesuchten Handlangern des Satans, ohne Ansehen ihrer Nationalität.«

Auf dem Bürostuhl neben mir atmet meine Frau Katja hörbar aus.

»Am Tag der Abrechnung werden diese Narren ihrem sehr persönlichen Krieg begegnen. Sie werden nicht einmal Macht haben über ihren Darm und sich selbst beschmutzen, wenn sie die bittere Lehre empfangen, was das wirklich bedeutet: Krieg«, liest sie laut vor.

Ich hänge wie hypnotisiert an ihren Lippen. Mein Hals ist trocken. Die Frau ist Professorin für Islamwissenschaften, es ist kurz nach Mitternacht. Neben ihr sitzen zwei LKA-Beamte, vor ihr auf dem Tisch ein DIN-A4-Blatt, ich erkenne arabische Schriftzeichen, darunter einen auf Deutsch verfassten Text.

»Ist das etwa eine Fatwa?«, frage ich und merke, dass meine Stimme etwas unsicher klingt.

Vor einer halben Stunde saßen Katja und ich noch im Schmitz, einem gediegenen Restaurant in der Maria-Louisen-Straße. Das Schnitzel dort, so sagt man, ist das beste der Stadt. Auch ein Grund, warum es das Stammlokal von Hamburger Verlegerlegenden wie Rudolf Augstein und John Jahr ist. Katja hat mich vom Verlag abgeholt, es war eine lange, anstrengende Woche. Wir sind gerade mit dem Essen fertig, als mein Handy klingelt. Natürlich ist es nicht abgeschaltet, ein BILD-Chefredakteur muss rund um die Uhr erreichbar sein. Das Display zeigt eine unbekannte Nummer:

»Guten Abend, Herr Diekmann«, höre ich eine Männerstimme: »Ich bin vom LKA Hamburg.«

LKA? Ich bin alarmiert.

»Wir haben ein Problem«, erklärt der Mann ohne Umschweife. »Es existiert eine Drohung gegen Sie, die wir sehr ernst nehmen. Bitte geben Sie mir die Adresse Ihres aktuellen Aufenthaltsortes.«

Habe ich etwas verpasst? Was für eine Drohung von den vielen soll das sein, die so wichtig ist, dass mich das LKA um kurz vor Mitternacht persönlich alarmiert?

»Ich weiß nicht, meine Frau und ich sitzen hier in einem Restaurant …«, antworte ich etwas ratlos. In meinem Kopf wirbeln die Gedanken durcheinander.

»Bewegen Sie sich bitte nicht von der Stelle! Wir kommen jetzt zu Ihnen und holen Sie ab«, ordnet der Anrufer mit entschiedener Stimme an.

»Das halte ich für keine gute Idee …«, versuche ich, Zeit zu gewinnen. Irgendetwas in mir sträubt sich. Die Vorstellung, von Polizisten unter den Blicken der anderen Gäste aus dem Restaurant geholt zu werden, kommt mir unglaublich wichtigtuerisch vor. »Ich möchte das nicht so hoch hängen. Ich mag hier kein Aufsehen erregen.«

»Das verstehe ich«, sagt der Mann, »aber wir meinen es wirklich ernst: Es ist besser, Sie bleiben, wo Sie sind, bis meine Kollegen bei Ihnen eintreffen.«

»Auf keinen Fall«, sperre ich mich, »wir kommen zu Ihnen!«

Ich habe einen ganz bösen Film im Kopf: Vermummte bewaffnete SEK-Beamte betreten das Schmitz, nehmen Katja und mich in die Mitte, Walkie-Talkie-Gekrächze, zuckendes Blaulicht, Rückzug in Formation, draußen der wartende Panzerwagen. Cut.

»Es ist erlaubt, Kai Diekmann zu vernichten«. Ist der Drohbrief von April 2003 von Islamisten?

In der Rückschau bin ich der Patient, der nach dem Unfall den herbeigerufenen Krankenwagen mit Empörung zurückweist und höchstselbst mit gebrochenem Bein in die Notaufnahme humpelt, weil er den Beinbruch nicht wahrhaben will. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

»Kai Diekmann vernichten … jedes Mittel einsetzen … Tag der Abrechnung.« Im Amtszimmer des LKA beugt sich die Islam-Professorin erneut über das Blatt Papier. »Ist das eine Fatwa?«, wiederhole ich tonlos meine Frage. Katja wird später sagen, ich sei in diesem Moment leichenblass geworden.

Durch meinen Kopf schießen Bilder: Salman Rushdie, der Autor. Sein Buch Die Satanischen Verse . Der fanatische iranische Ajatollah Khomeini, der mit einer Fatwa zu Rushdies Ermordung aufgerufen hat. Das Ganze ist 14 Jahre her. Seither lebt Rushdie vogelfrei, untergetaucht, muss jeden Tag um sein Leben bangen.

Mir rutscht der Boden unter den Füßen weg. Das ist hier wie ein schlechter Krimi.

»Nein«, antwortet die Islamwissenschaftlerin mit Bedacht: »Es ist keine Fatwa, aber das Schreiben kommt einer Fatwa sehr nahe.«

Ich werfe einen Blick zu Katja, die stocksteif neben mir sitzt, greife ihre Hand. Ich mag mir nicht vorstellen, was in ihr vorgeht.

»Und was bedeutet das«, höre ich sie fragen, »wenn Sie sagen, das Schreiben kommt einer Fatwa sehr nahe?«

»Es fehlen einige wesentliche Kriterien für eine echte Fatwa«, erläutert uns die Islam-Wissenschaftlerin: »Bei echten Fatwas wird immer der Name des Verfassers und das Verfassungsdatum genannt, Punkt eins. Punkt zwei: Fatwas werden üblicherweise im Internet veröffentlicht – das ist hier nicht der Fall. Drittens: Soweit ich das hier auf die Schnelle beurteilen kann, gibt es einen Fehler im Koransuren-Zitat. Außerdem, viertens, beruft sich das Schreiben nicht auf die Religion, den Propheten oder eine andere wichtige islamische Instanz. Das ist bei einer echten Fatwa anders.«

»Aber was genau steht drin?« Ich weise angespannt auf das Blatt Papier.

Die Expertin guckt mich an. Ich kann keine Regung in ihrem Gesicht erkennen. Dafür leuchten im grellen Neonlicht des kargen Amtszimmers ihre rot geschminkten Lippen besonders intensiv.

»Die islamische Welt wird von einigen Journalisten, die eine leichtsinnige Politik betreiben, zu einem Feind der westlichen Kultur erklärt, den man ungestraft der Vernichtung preisgeben darf«, referiert sie nüchtern aus dem Schreiben. »Kai Diekmann, Chefredakteur der BILD in Hamburg, und Georg Gafron, Chefredakteur der B.Z. in Berlin, erweisen sich als treue Kreuzritter im Gefolge des amerikanischen Satans. Sie haben ihre rückwärtskriechenden, entmannten Redakteure beauftragt, den Islam als eine Bedrohung darzustellen. Damit haben sie sich jenen Vertretern amerikanischer und britischer Medien angeschlossen, die das Blei ihrer Druckplatten als todbringende Geschosse auf den Weg in die Welt der Muslime bringen.«

Für einen Augenblick herrscht Stille.

»Woher stammt das Schreiben?«, frage ich.

Einer der LKA-Beamten räuspert sich: »Es wurde an den Axel Springer Verlag in Berlin und an den Chefredakteur der B.Z., Herrn Gafron, persönlich adressiert. Hintergrund ist vermutlich, dass sowohl Ihre Zeitung BILD als auch die B.Z. eine deutlich proamerikanische und kriegsstützende Position im Irak-Krieg einnehmen.«

Dazu muss man wissen: Seit zwei Wochen bombardieren die USA Bagdad mit Marschflugkörpern, nachdem sie dem Irak wegen der angeblichen Produktion von Massenvernichtungswaffen den Krieg erklärt haben. Amerikanische und britische Truppen sind einmarschiert, es wird heftig gekämpft.

Und ja, es stimmt, was der LKA-Beamte so gestelzt formuliert hat: BILD hält diesen Krieg für richtig. Wir unterstützen den Feldzug des amerikanischen Präsidenten Georg W. Bush gegen den brutalen Diktator Saddam Hussein.

Auch die B.Z. positioniert sich mit ihren »Hurra USA!«-Schlagzeilen mehr als eindeutig. Chefredakteur Georg Gafron ist ein beeindruckender Hardliner, der Redakteure, die mit seinem politischen Kurs hadern, gern mal mit Mitgliedern von Saddams Baath-Partei vergleicht. Seine kompromisslose Haltung gegenüber jeder Form von Diktatur ist verständlich: Er ist einst im Kofferraum eines Trabbis aus der DDR in den Westen geflohen.

»Lassen Sie mich kurz zu Ende vorlesen«, holt mich die Islam-Wissenschaftlerin aus meinen Gedanken:

»Kai Diekmann und Georg Gafron glauben, sie seien mächtig genug, ungestraft Krieg auf den Weg in die Welt der Muslime bringen zu können. Sie glauben sich in sicherer Entfernung von der Gefahr. Sie werden in der Hölle brennen. Ihre Bestrafung wird eine Botschaft sein, die jeder versteht. Sie wird den Brandstiftern zeigen, dass die Feinde des Islam keine Zuflucht finden können; dass sie keine Polizei und kein Militär vor ihrer gerechten Strafe retten können, auch wenn sie sich mit einem Heer von Beschützern umgeben.«

Ende.

Frau Professor schiebt das Blatt zur Seite und schaut Katja und mich an. Im Raum ist es wieder einmal bedrückend still.

»Wir nehmen das Schreiben sehr ernst«, wiederholt der LKA-Beamte. »Der Drohbrief ist von einer bislang unbekannten Qualität. Der Verfasser hat entweder einen arabisch-muslimischen Hintergrund oder will den Eindruck erwecken, er habe einen. Er spricht perfekt Deutsch, hat zumindest Grundkenntnisse des Islam und des Koran. Aufgrund des Charakters des Drohschreibens ist nicht auszuschließen, dass der oder die Verfasser Sie nicht nur verunsichern wollen, sondern konkret Anschläge gegen Sie planen. Außerdem ist es ganz klar eine Legitimation und interne Aufforderung zur Begehung von Straftaten gegen Sie.«

Ich merke, wie mich alle im Raum erwartungsvoll anschauen, eine Reaktion erwarten. Ich sortiere meine Gedanken: »Die gute Nachricht ist also: Es ist keine Fatwa, immerhin … Aber weiß das auch jeder, der das liest?« Ich schaue fragend in die Runde. »Was, wenn sich irgendwelche Radikalen durch das Schreiben aufgefordert fühlen, die Drohungen in die Tat umzusetzen?«

»Deshalb ist es am allerwichtigsten, dass dieses Schreiben unter keinen Umständen öffentlich bekannt und damit zu einer Einladung wird«, betont der LKA-Beamte und wird auf einmal sehr förmlich. »Sie werden in die Gefährdungsstufe zwei eingestuft, Herr Diekmann. Das heißt, Sie sind gefährdet, ein Anschlag ist nicht auszuschließen.«

Ich nicke stumm und höre nur zu – mehr bleibt mir in diesem Moment nicht übrig.

»Bei den zu treffenden Schutzmaßnahmen, Herr Diekmann, orientieren wir uns allerdings an Gefährdungsstufe eins. Also: ständige Begleitung der gefährdeten Person. Und: ständiger Objektschutz vor Ihrem Privathaus durch Posten oder Streife.«

»Was ist mit meiner Familie, meiner Frau, unserer kleinen Tochter?«, frage ich mit Kloß im Hals.

»Eine Gefährdung Ihrer Ehefrau und Ihres Kindes ist im Prinzip auszuschließen. Aus den vorliegenden Erfahrungen ergeben sich – selbst bei der Bestätigung einer deutlichen Gefährdung für Sie, Herr Diekmann, keine Hinweise auf eine Gefährdung der Familienangehörigen.«

Soll ich das jetzt glauben?

»Was, wenn es jemand auf mich abgesehen hat, einen Anschlag verübt … und meine Frau steht mit unserem Kind auf dem Arm daneben?«, frage ich skeptisch. »Dann ist sie doch auch in Gefahr!« Irgendwie finde ich das alles gerade nicht überzeugend.

»Wir werden alles tun, damit das nicht passiert, Herr Diekmann«, versucht mich der LKA-Beamte zu beruhigen. »Ihr Haus wird von heute an rund um die Uhr bewacht, es wird niemand hineinkommen, den Sie nicht kennen. Sobald Sie aus dem Haus heraustreten, sind Personenschützer an Ihrer Seite. Eine Sache noch: Sie werden nicht mehr mit Ihrer Familie in einem Auto fahren.«

»Wie jetzt?«, entfährt es Katja.

»Das geht leider nicht anders, Frau Kessler. Ihr Mann wird ab sofort getrennt von der Familie in einem geschützten Fahrzeug mit Begleitfahrzeug unterwegs sein.«

»Aber wir dürfen noch gemeinsam nach Hause fahren?«, frage ich matt.

»Ja, aber ein Wagen von uns wird Sie begleiten.«

»Und wie lange wird das so gehen?«

»Das können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.«

Und dann stehen wir draußen in der kalten Aprilnacht. Es nieselt. Der riesige, sternförmige LKA-Bau leuchtet in der Dunkelheit und erinnert mich an eine Raumschiffbasis aus Kampfstern Galactica .

»Schön ist anders, oder?«, versuche ich einen Witz. Doch Katja ist nicht nach Lachen zumute.

© Daniel Biskup

»Der BILD-Chefredakteur ist wahrscheinlich der meistgehasste Journalist des Landes.« Polizeischutz ist immer wieder Alltag bei BILD.

Man weiß immer erst, was man hat, wenn man es nicht mehr hat. Ich kann keinen Schritt mehr alleine tun; mit einem Mal begreife ich, was Freiheit bedeutet. Unser Haus wird rund um die Uhr von Polizeibeamten bewacht. Kaum trete ich vor die Tür, warten dort bereits Personenschützer. Ob ins Büro oder zu einem Termin – immer bin ich in einer Panzerlimousine unterwegs. Wer sich das nicht vorstellen kann: Das ist Fahren wie in einem Aquarium mit dicken Scheiben. Kein Geräusch dringt nach innen, das Zuziehen der schweren Wagentür ist, als ob du einen Safe schließt.

Wenn ich mein Büro betrete, werden die Jalousien heruntergefahren: Es soll kein freies Schussfeld geben. Selbst in den Redaktionsräumen ist stets das LKA an meiner Seite.

Sie mögen mich für einen kalten Knochen halten, liebe Leserinnen und Leser, aber irgendwie schaffe ich es in diesen Tagen, das Ganze nicht an mein Inneres herankommen zu lassen. Nein, Angst um mich habe ich nicht. Und ja, ich sorge mich um meine Familie. Vor allem fühle ich mich gefangen, das Leben ist wie Hausarrest; selbst einen Spaziergang oder das samstägliche Einkaufen muss ich beim LKA anmelden.

»Es ist alles gut. Ihr müsst euch keine Sorgen machen, es gibt keinen Grund zur Aufregung«, erkläre ich den Nachbarn, meinen Mitarbeitern, den Freunden. Aber: Sie sehen ja auch die Streifenwagen vor der Tür, dass ich das Haus immer in Begleitung verlasse, die Personenschützer um mich herum. Da klingen meine Beteuerungen hohl und unglaubwürdig.

»Wie lang geht das denn hier noch?«, fragt ein Nachbar interessiert nach.

Nun wäre es naiv zu glauben, die schiere Anteilnahme oder gar Mitleid trieben ihn zu seiner Frage. Es ist viel schlichter: Seitdem in der Straße Tag und Nacht Polizei steht, ist der eine oder andere Anwohner zu seiner Überraschung ohne Putzfrau. Von denen trauen sich nämlich etliche nicht mehr an ihren Arbeitsplatz. Soll ja vorkommen, dass nicht jede ihre Tätigkeit auch vorbildlich angemeldet hat. Dass der Polizei vor unserer Haustür herzlich egal ist, wer in der Straße legal oder illegal putzt, können weder die Damen noch die Nachbarn wissen.

Und dann passiert, was nicht passieren darf.

Morddrohungen gegen BILD-Chef.

Irak-Berichterstattung brachte Islamisten auf.

Entgeistert lese ich die Schlagzeile der Hamburger Morgenpost. Die denkwürdige Nacht in der LKA-Zentrale ist gerade mal eine Woche her. Ohne Vorwarnung, ohne überhaupt mit mir zu sprechen, hat die Mopo-Chefredaktion entschieden, die Morddrohung gegen mich publik zu machen.

Die betont unauffälligen Herren mit den Ausbuchtungen unter ihren Sakkos folgen ihm überallhin, selbst in den großen Konferenzraum am Axel-Springer-Platz . Kai Diekmann, als Bild-Chefredakteur Deutschlands mächtigster Journalist, steht unter Polizeischutz. Nach einem Drohbrief von Islamisten fürchtet der Hamburger um sein Leben. Der Brief war bei der ebenfalls im Springer-Verlag erscheinenden B.Z. in Berlin eingegangen. Deren Chefredakteur Georg Gafron und Diekmann werden darin als »Satan des amerikanischen Imperialismus« bezeichnet, den man töten solle. Die Staatsschutzabteilungen der Polizei in Berlin und Hamburg nehmen die Drohung ernst. Bewaffnete Personenschützer der Kripo begleiten die beiden Chefredakteure auf Schritt und Tritt. 2

Wie hatten mich die Männer vom LKA noch gewarnt?

»Das Schlimmste wäre, das Drohschreiben würde öffentlich.« Zum ersten Mal habe ich Angst.

Bis eben noch war ich der Meinung, alles im Griff zu haben. Düstere Gedanken? Lasse ich sonst nicht an mich ran und lasse ich nicht zu. Doch jetzt ist plötzlich alles anders: Ich habe das Gefühl, in ein großes schwarzes Loch zu schauen, das mich zu verschlucken droht. Was mute ich bloß meiner Familie zu? In diesem Moment fühle ich mich hilflos, ausgeliefert, zornig.

Und dann?

Passiert genau gar nichts.

Keine besonderen Vorkommnisse. Kein Alarm. Niemand, der sich verdächtig macht. Dafür business as usual  – also wie vom LKA angeordnet: Personenschützer, Panzerlimousine, Polizei vor der Tür. Jeden Tag die gleiche Routine.

Bis zum 1. Mai.

Da verkünden die USA den Sieg über Saddam Hussein. In der Folge kommt das LKA zu der Einschätzung, dass die Morddrohungen keine ernsthafte Gefahr mehr darstellen. So werden die Sicherheitsmaßnahmen Stück für Stück heruntergefahren.

Und dann, eines Morgens, meine Familie und ich haben längst unsere Freiheit wieder, liegt auf meinem Schreibtisch im Büro ein großer Briefumschlag. Darin: ein Plastikröhrchen und ein Schreiben vom Leiter des Referats Sicherheit im Springer-Verlag.

Für den Kreis potenzieller Opfer von Entführungen der AS AG habe ich ein DNA-Probe-Röhrchen beigefügt. Laut Auskunft unserer Fachleute soll die Speichelprobe mittels des Wattestäbchens an den Innenseiten der Wangen entnommen werden. Die Probe ist sodann für 24 Stunden in der geöffneten Röhre zu verwahren und zu trocknen. Erst danach sollte das Röhrchen verschlossen werden. Die Haltbarkeit der Probe ist unbegrenzt.

Ich nehme das Stäbchen aus der Verpackung, streiche es wie beschrieben durch meinen Mund, stecke es zurück ins Röhrchen und wünsche mir, dass es nie Grund geben wird, meine DNA abgleichen zu müssen mit einem abgetrennten Finger oder dem, was von mir übrig ist und nur noch im Labor identifiziert werden kann.

Ich bin im Januar 2015 in meinem 15. Jahr als BILD-Chefredakteur, als mich meine Frau mitten in der Nacht mit einem Alarmanruf aus Deutschland weckt. Gerade bin ich in Las Vegas auf einer Digital-Messe. In Deutschland ist es 12 Uhr mittags. »Kai! Ich habe gerade eine Nachricht von der Sicherheit bei Springer erhalten. In Paris haben Attentäter eine Redaktion gestürmt. Es soll viele Tote geben.«

Vom schrecklichen Anschlag auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo, bei dem islamistische Terroristen elf Menschen erschießen, höre ich von ihr in dieser Sekunde das erste Mal.

Wie gelähmt sitze ich auf der Bettkante, draußen vor dem Fenster die funkelnden Lichter von Las Vegas, ich bin Tausende Kilometer weg und kann nichts tun.

»Ich habe gehört, dass bei BILD und B.Z. diskutiert wird, aus Solidarität mit den Opfern der Islamisten demonstrativ die Mohammed-Karikaturen nachzudrucken.«

Katjas Stimme kippt. In all den Jahren habe ich meine Frau immer kontrolliert und beherrscht erlebt. Jetzt ist sie dabei, die Fassung zu verlieren. Ich kann sie kaum beruhigen.

Noch am selben Tag ziehen vor unserem Haus in Potsdam Polizeifahrzeuge auf. Das soll für geraume Zeit so bleiben.

»Mama, müssen wir uns Sorgen machen?«, fragt Kolja. Er ist mittlerweile neun Jahre alt und kriegt natürlich viel mehr mit als seinerzeit beim Brandanschlag in Hamburg, als anschließend andere Eltern ihre Kinder aus Angst nicht mehr zum Spielen zu uns ließen.

Und Lilly, sechs Jahre alt. Schockiert? Traumatisiert?

Nicht wirklich.

Sie lässt sich interessiert den Mannschaftswagen der Polizei von innen zeigen und serviert in den kommenden Tagen den Beamten draußen in der Kälte Kekse.

Ende gut, alles gut?

»Drecksjude«. Strafbefehl wegen Beleidigung für einen der vielen Irren im Netz

HASS IM NETZ

Es mag Leser geben, die sich jetzt entspannt zurücklehnen, weil sie denken: Ich bin ja nicht Chefredakteur, deswegen betrifft mich das alles hier nicht.

Aber wir leben in einer Welt, wo jeder jeden Tag Opfer und Zielscheibe von Hetze werden kann, und zwar in den sozialen Netzwerken – der neuen Lebenswirklichkeit.

Was ist der Unterschied zwischen Diekmann und einem Eimer Scheisse?

Der Eimer.

Wissen Sie eigentlich, dass Menschen wie Sie in der Hölle landen? Ist das nicht eine wundervolle Gewissheit?

Ich bete, dass du und deine drecks Zeitung abfackelt.

Dieser Kai D. wird bluten …

Wer würde bei so einer Fresse nicht gerne ausholen?

Ich vergewaltige Kai Diekmanns Tochter die fiqqnutte

Ich sag es noch einmal, die Zeit wird kommen, an dem Sie zappelnd am Galgen hängen und das Volk klatscht.

Übrigens, liebe Hetzer-Bild … Ich habe die Privatadressen von Julian Reichelt, Kai Diekmann, Manfred Hart … und viele mehr … über 100 Gruppen und rechten Blogs geteilt … war ganz leicht, und gleich mal einen Aufruf gestartet, bei Euch zu klingeln, und Euch mal die Meinung zu geigen, mal sehen, wie es sich in Zukunft so schläft … und immer schön aufpassen, wer hinter Euch hergeht, sind nicht immer alle nett… haha

Kai fickdichmann

Wenn Sie wüssten, wie im Darknet über BILD und Diekmann »verhandelt« wird.

Wie kann man so ein dreckiger Hund wie Sie sein?

Einfach ekelhaft, was Bild und Diekmann hier treiben. Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.

Kai Diekmann renn um dein Leben!

Schon lange stellt sich die Frage – und nicht nur mir: Wie groß oder wie klein ist der Schritt vom großmäuligen Tweet in der virtuellen Welt zur brutalen Tat in der realen Welt?

Wie groß oder klein der Schritt von Gewalt in der Sprache zur Gewalt gegen Menschen? Was kann man tun, um diese Verrohung aufzuhalten, wenn Sprache keine Grenzen mehr kennt?

Ich kann Ihnen sagen, was ich tue:

Ich gehe dagegen vor, und zwar juristisch.

Und immer wieder bin ich überrascht, wie begrenzt manche Schmierfinken im Netz sind, wenn sie ihren Hass unter Klarnamen auskübeln. Dann denke ich: Danke schön – und reiche den Vorgang an meinen Anwalt weiter. Strafanzeige.

Natürlich, ich weiß, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber aus vielen Tropfen wird vielleicht irgendwann ein Fluss. Hass im Netz darf sich eine offene Gesellschaft nicht gefallen lassen – Intoleranz müssen wir bekämpfen, und zwar mit Intoleranz.

Ich kann nur jeden ermuntern: Trauen Sie sich! Wehren Sie sich! Sie werden eine erstaunliche Erfahrung machen: Die meisten dieser Social-Media-Schmierfinken kriegen ganz schnell die Flatter und werden winzig mit Hut, sobald sie aus der scheinbaren Anonymität des Netzes ins helle Licht der realen Welt gezogen werden, plötzlich ein Gesicht bekommen, einen Namen, eine Person aus Fleisch und Blut werden, die mit Nachbarn, Kollegen, Freunden lebt.

Regelmäßig erhalte ich dann seitenlange kleinlaute Entschuldigungsbriefe: Die Drohungen werden bedauert. Es wird Besserung gelobt, versichert, wie peinlich dem Absender das alles sei, um Verzeihung gebeten.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie wahrscheinlich der Schritt vom Tweet zur Tat wäre, habe ich auch schon persönlich an einer Hauptverhandlung teilgenommen, nachdem es wegen meiner Strafanzeige zum Prozess gekommen ist:

Im Gerichtssaal sitzt mir ein junger Mann als Angeklagter gegenüber, unauffällig, keinesfalls unsympathisch. Er weicht meinem Blick aus, sucht nach Worten. Als ihn der Richter nach seinen Motiven fragt: »Wie kommen Sie dazu, so was zu schreiben: ›Dafür sollte man Kai Diekmann hängen‹?«, wendet er sich überfordert und hilfesuchend an seinen Anwalt.

In diesem Moment habe ich ein beruhigendes Gefühl.

Wie groß der Schritt vom Tweet zur Tat ist?

In diesem Fall liegen Welten dazwischen.

Bis zum nächsten Mal …