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WAYLON

Die Glocke über der Tür zum Büro des Mayors bimmelte fröhlich, als sie am Montagmorgen aufgerissen wurde.

„Waylon Fletcher“, befahl die tiefe Stimme meines Cousins. „Beweg deinen Arsch hier raus.“

Hinten in meinem privaten Büro stöhnte ich leise, aber jämmerlich gegen die hölzerne Oberfläche meines Schreibtischs. „Kann nicht. Sorry. Heute geschlossen. Verschwinde.“

Ein langer, tiefer Pfiff bestätigte, dass Foster nicht auf mich gehört hatte. „Du siehst aus, als hätte man dich hart rangenommen, Mayor.“

Ich öffnete die Augen und beschwor den Willen herauf, den Mann wütend anzustarren, dessen hochgewachsene Gestalt lässig im Türrahmen lehnte, die Beine am Knöchel überkreuzt. „Vielen Dank, Sheriff. Was würden wir nur ohne deine beeindruckenden forensischen Fähigkeiten tun?“

Er hob eine Augenbraue und schob seinen Hut etwas nach hinten. „Wow. Schlecht gelaunt ist er auch noch. Ich vermute, der Scheiß in Vegas ist nicht ganz so gelaufen, wie du es geplant hast?“

Ich atmete tief aus. Aus irgendeinem Grund brachte der leise Hauch von Mitgefühl in seiner Stimme meinen Magen auf eine Art und Weise zum Beben, wie es nichts anderes in den letzten sechsunddreißig Stunden geschafft hatte – nicht die Unmengen an Alkohol am Samstagabend, nicht mein unruhiger Heimflug gestern Nachmittag, nicht einmal der Moment von absoluter, überwältigender Panik gestern Morgen, als ich im Bett eines Mannes aufgewacht war.

Und zwar nicht irgendeines Mannes … Silas.

Meinem Mann.

„Mir geht’s gut“, sagte ich zu Foster und ignorierte, dass mein Herz irgendwo in der Nähe meiner Kehle zu pochen begann, sobald ich mir Silas’ Gesicht vorstellte. „Nur ein bisschen verkatert, das ist alles. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.“

Fosters Gesichtsausdruck änderte sich nicht. „Hm-hmm. Und das ist der Grund, warum mich nicht weniger als fünf Einwohner von Majestic angerufen haben, um eine vermisste Person namens Waylon Heath Fletcher zu melden?“

Ich starrte ihn an. „Jemand hat mich als vermisst gemeldet?“

Er zählte die Namen mit seinen Fingern auf. „Mrs. McGillicuddy, weil du versprochen hast, ihr zu sagen, wie sie irgendeinen Zierbaum in ihrem Garten schneiden soll. Jackson Painter, weil er gestern mit dir gerechnet hat, um irgendwas aus seinem Laden abzuholen. Deine Schwester Sheridan, weil du anscheinend nach deiner Rückkehr mit ihr zum Mittagessen verabredet warst und sie unbedingt wissen will, wie es mit Eden gelaufen ist. Und meine eigene verdammte Mutter, die nichts dringender wissen muss, als warum du von jemandem aus ihrer Alumni-Facebook-Gruppe am Flughafen in Billings gesehen wurdest, als du in den Flieger nach Vegas gestiegen bist.“

Ich schloss die Augen und kämpfte gegen eine Welle der Übelkeit an.

„Ich bin der Mayor“, erinnerte ich ihn, stand auf und schob mich an ihm vorbei zum Hauptbüro. „Ich habe im Moment eine Menge zu tun, vor allem, weil ich Bernice den Tag freigegeben habe.“ Ich deutete mit dem Daumen auf den Schreibtisch meiner Verwaltungsassistentin, auf dem sich ein ordentlicher Stapel Akten mit der Aufschrift Waylon: Zu Erledigen befand. „Diese Woche stimmt die Stadt darüber ab, ob das Stoppschild an der Kreuzung Sunset und Timmerock durch eine Ampel ersetzt werden soll –“

„Sehr wichtig“, warf Foster ein.

„– und die Majestic Ladies’ Society plant ihr Benefizfest –“

Er nickte. „Lebensnotwendige Tätigkeit.“

„– und du weißt, dass das AdventureSmash-Rennen in weniger als zwei Monaten stattfindet und ich dafür ungefähr zehntausend Dinge zu erledigen habe. Das muss perfekt werden, Foster. Wenn das Rennen ein Erfolg wird, ernennen sie uns zur Gastgeberstadt für den GrandSmash im nächsten Jahr. Ich werde diesen Vertrag bekommen.“

„Ich weiß, dass du das tun wirst“, stimmte Foster zu. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Erzählst du mir jetzt, was in Vegas passiert ist?“

„Nichts ist passiert“, erwiderte ich mit hervorgeschobenem Kinn. „Ich bin gestern zurückgekommen und habe mich sofort wieder an die Arbeit gemacht. Auf der Ranch herrscht Chaos. In zwei Wochen müssen wir zweihundert Pferde auf den abgelegenen Weiden zusammentreiben und sie zu den Freizeitfarmen bringen –“

„Ich weiß, was ein Roundup ist, Way“, sagte Foster geduldig. „Ich lebe ja nur schon mein ganzes Leben in Majestic und habe dir schon eine Million Mal geholfen, die verdammten Pferde zusammenzutreiben.“

„Stimmt. Äh, ja.“ Ich sah mich um, denn ich hatte vollkommen vergessen, warum ich ins Hauptbüro gekommen war.

Foster legte den Kopf schief, und sein unerschütterlicher Blick ließ mich nicht vom Haken. „Eden hat Nein gesagt, oder?“

Ich öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Leckte mir über die Lippen. „Irgendwie.“

„Irgendwie? Wie kann man irgendwie verheiratet sein?“

Ich hatte keine Ahnung, aber irgendwie hatte ich das hingekriegt.

„Du bist ihr nach Vegas gefolgt, hast ihr deine lächerliche Idee erzählt und sie hat dich abblitzen lassen“, riet er.

„Es war keine lächerliche Idee“, verteidigte ich mich. „Sie war solide. Absolut solide. Eden und ich waren damals immer wieder mal zusammen, und wir blieben Freunde, auch nachdem sie die Stadt verlassen hatte. Was glaubst du, wer ihr erster Follower auf ihrem Rennsport-Instagram war? Was glaubst du, woher ich die Idee hatte, AdventureSmash in die Stadt zu holen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Also, ja, als sie sagte, dass sie einen One-Night-Stand hatte und schwanger wurde, kam mir das wie Schicksal vor. Sie sagte, sie wolle das Baby nicht allein großziehen, aber ich dachte, wenn wir heiraten, wäre sie nicht allein. Ich würde ihr mit dem Baby helfen, Foster, das weißt du. Ich habe ZuZu praktisch großgezogen, oder? Und dann könnte sich Eden auf ihre Rennsportsachen konzentrieren und –“

„Und in ihrer Freizeit könnte sie Mrs. Majestic werden, die First Lady der Stadt, die Vorsitzende der Klatschpresse und die Direktorin der Ladies’ Society.“ Er lachte leise. „Mir fällt kein Grund ein, warum sie Nein gesagt hat.“

Er musste es doch nicht so pathetisch klingen lassen. „Sie …“ Ich stockte, bevor ich mich in Bernice’ Schreibtischstuhl fallen ließ. „Sie hat ihre Periode bekommen. Aber sie sagte, das sei egal, weil sie mich sowieso nicht geheiratet hätte.“

„Ah, Scheiße.“ Foster verzog das Gesicht. „Kein Wunder, dass du nicht an dein Telefon gegangen bist. Es tut mir leid, Way. Ich hoffe, du hast dir wenigstens in einer Bar etwas gegönnt, während du in Vegas warst.“

Er musterte mich, bevor er sich ein kleines Grinsen erlaubte. „Wenn du doch nur der Typ wärst, der sich mal gehen lässt und ein bisschen Spaß hat. Dann hättest du vielleicht eine nette Nummer abschleppen können oder so.“

Ich hustete, aber es kam etwas erstickt rüber. „Oh. Ha! Wäre das nicht lustig gewesen? Ich und abschleppen? In Vegas? Ha!“

Foster beobachtete mich eine halbe Sekunde lang, und was auch immer er in meinem Gesicht las, ließ ihn scharf einatmen. „Heilige Scheiße. Heilige Scheiße, du hast das getan. Du hast jemanden abgeschleppt. Du hinterhältiger Mistkerl.“ Er trat mit einem gestiefelten Fuß leicht gegen mein jeansbedecktes Schienbein. „Waylon Fletcher auf der Pirsch in Vegas“, verkündete er viel zu laut. Ich drehte den Stuhl, um durch die gläserne Bürotür in das große, offene Foyer des historischen Rathauses zu blicken, das um diese Zeit glücklicherweise leer war … aber Gott wusste, dass in Majestic sogar die Wände Ohren hatten.

„Red leiser“, zischte ich und drehte mich um. „Du weißt, was passiert, wenn Mrs. Newcombe eine Störung in ihrem Klatschnetz bemerkt. Sie wird angreifen. Außerdem … habe ich niemanden abgeschleppt.“ Ich zögerte, aber dann zwang mich die Aufrichtigkeit hinzuzufügen: „Nicht wirklich. Zumindest … glaube ich das nicht.“

Fosters Augen wurden schmal. „Du glaubst es nicht?“

„Meine Erinnerungen sind ein bisschen verschwommen, nachdem ich die Bar verlassen habe“, gab ich zu. Obwohl die Erinnerungen an die Zeit vor dem Verlassen der Bar so klar waren, dass ich mich etwas atemlos fühlte.

Seine Überraschung war zu erwarten. „Du warst betrunken? Du?“

Schuldgefühle erfüllten mich. Mein Vater war ein Trinker gewesen, und Foster wusste, dass ich meine Familie niemals so im Stich lassen würde, wie er es getan hatte.

Und jetzt das. Ich hatte es trotzdem getan.

„Mach dir keine Sorgen. Die Erfahrung war gut genug, um mir klarzumachen, dass ich das nie wieder tun sollte.“

Untertreibung.

Foster strahlte Gesetzeshüter aus, ob er es wollte oder nicht. „Woran erinnerst du dich?“

Ich blickte auf den abgenutzten Industrieteppich und dachte nach.

Gestern Morgen, als ich in Silas’ Bett aufgewacht war, hatte ich mir geschworen, die ganze Angelegenheit für mich zu behalten. Niemand in Majestic brauchte von der betrunkenen Dummheit zu erfahren, die dazu geführt hatte, dass ich Samstagnacht einen völlig fremden Mann geheiratet hatte – einen gut aussehenden, witzigen, freundlichen, völlig fremden Mann.

Aber Foster war nicht nur irgendjemand. Er war mein bester Freund. Mein Cousin. Mein Ride or Die. Und ich musste es irgendjemandem erzählen, vor allem nach der ganzen Scheiße, die ich gestern Abend bei meiner ersten Recherche zum Thema Scheidung herausgefunden hatte. Also dachte ich stattdessen ernsthaft über die Frage nach. Woran erinnerte ich mich …?

An wirklich hübsche Augen mit Fältchen in den Augenwinkeln. Eine warme Stimme, die sagte: „Ich will.“ Das Gefühl eines glatten, goldenen Rings an meinem Finger und ein stoppeliger Kuss auf meinen Lippen …

Ich rieb mit dem Daumen über die Stelle an meiner Hand, wo der Ring gelegen hatte, den ich gestern auf dem Weg zum Flughafen abgestreift hatte, und atmete tief ein. „Ich, ähm … erinnere mich, dass er Silas hieß.“

Foster erstarrte. Sein Körper wirkte, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er noch atmete. „Silas? Du hattest vielleicht etwas mit einem Typen … oder auch nicht? Seit wann bist du …“

„Seit nie“, versicherte ich ihm, denn ich wusste, dass es seine Gefühle verletzen würde, wenn ich meinem schwulen besten Freund nie erzählt hätte, dass ich auf einen Mann stand. „Du weißt, dass ich es dir gesagt hätte. Aber ich bin nicht schwul.“ Ich rieb mir den Nacken. „Wahrscheinlich aber auch nicht ganz hetero, schätze ich. Es ist einfach … passiert.“

„Was ist einfach passiert? Du kannst es mir sagen, Waylon“, fügte er schnell hinzu. „Ich werde nicht urteilen und ich verspreche, dass ich nicht schockiert bin. Ich habe so ziemlich alles ausprobiert, was man ausprobieren kann, zumindest einmal.“

Ich schloss die Augen. „Das hast du nicht probiert“, murmelte ich, während mir Erinnerungsfetzen Teile des Eheversprechens lieferten.

„Ich wette, das habe ich. Reden wir von Küssen und Fummeln …?“

Ich schürzte die Lippen.

„… oder einem Handjob …?“

Ich rümpfte die Nase.

Seine Augen wurden größer. „… Blowjobs?“

Ich blinzelte. Seine Augenbrauen schnellten hoch und schoben seinen Hut nach hinten. „Nicht anal.“

Ich blickte zur Decke und schüttelte den Kopf.

Foster seufzte. „Okay, das reicht mit diesem Spiel. Was hast du getan, von dem du denkst, dass ich es nicht getan habe, Waylon?“

„Ich, äh … habe geheiratet?“, flüsterte ich.

„Du …“ Er schüttelte den Kopf und lachte. „Jesus, für eine Sekunde hörte es sich an, als hättest du gesagt …“

Ich sah ihm in die Augen. „Es war ein Unfall. Ich meine, das muss es gewesen sein. Ich weiß nur, dass ich gestern neben ihm aufgewacht bin, mit einem Ring am Finger und einer Kopie der Heiratsurkunde auf dem Nachttisch.“

Fosters Gesicht wurde dunkler. „Erzähl mir alles, was du über diesen Kerl weißt, und gib mir diese angebliche Heiratsurkunde.“

Ich schloss die Augen und stellte mir Silas’ Lächeln vor. Seinen neckenden, triumphierenden Gesichtsausdruck, als eine Frau ausnahmsweise ihm einen Drink spendieren wollte. Das Aufblitzen von Eifersucht und Besitzanspruch auf seinem Gesicht, als ein anderer Mann versuchte, mich auf der Tanzfläche aus seinen Armen zu ziehen. Wie sanft sein Gesicht geworden war, als ich ihm erzählte, wie ich Eden einen Antrag gemacht hatte.

Ich räusperte mich. „Ich habe die Urkunde nicht. Ich bin irgendwie … ausgeflippt und abgehauen. Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, habe ich ihn natürlich gegoogelt. Er ist ein Unternehmensberater. Er hat in Yale studiert, Herrgottnochmal. Seine Adresse ist in Delaware, aber er arbeitet hauptsächlich in Manhattan, laut den Unternehmen auf seinem LinkedIn. Und er hat erwähnt, dass er in ein Restaurant in SoHo geht. Das ist doch in New York, oder?“

Foster war komplett ernst. „Heilige Scheiße, Way.“ Er nahm seinen Hut ab und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Du musst das in Ordnung bringen. Was passiert, wenn die Leute in Majestic hören –“

„Ich weiß! Aber selbst wenn ich seine Telefonnummer hätte, kann ich nicht die Scheidung einreichen. Nicht jetzt. Nicht hier –

„Warum nicht?“

Weil Mrs. Newcombe die Sekretärin von Richter Whiteplume ist! Die ganze Stadt würde davon erfahren. Alle würden wissen wollen, was zur Hölle ich mir dabei gedacht habe. Und wenn sie dann erfahren würden, dass ich nicht nachgedacht habe, würden sie sich Sorgen machen. Einige dieser Leute unterstützen die AdventureSmash-Idee sowieso nicht wirklich. Sie denken, ich sei zu jung und hätte die Sache nicht richtig durchdacht. Ich kann ihnen ja wohl schlecht beweisen, dass sie recht hatten, indem ich zugebe, dass ich einen wildfremden Mann geheiratet habe. Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir müssen uns in Delaware scheiden lassen. Unauffällig.“

Foster nickte. „Okay. Gut. Gute Entscheidung. Also … warum bist du nicht auf dem Weg dorthin? Du weißt, dass ich eine Überprüfung des Kerls beauftragen kann. Bis du landest, habe ich seine ganzen Daten.“

„Weil ich mir erstens den Flug nicht leisten kann, geschweige denn einen Anwalt, wenn ich dort ankomme. Und zweitens bin ich mit all den Dingen, von denen ich dir gerade erzählt habe, ziemlich im Stress. Ich kann die Stadt erst nach dem Roundup und nach dem Besuch von AdventureSmash verlassen.“

Er wusste, dass ich recht hatte. Meine Schwestern schafften den Roundup nicht allein, und wir konnten es uns nicht leisten, jemanden einzustellen, der meinen Platz übernahm. Wir Fletchers waren, wie man so schön sagt, „reich an Land und arm an Geld“. Wir mochten eine Menge Weideland in Wyoming besitzen, umgeben von üppigen Wäldern und durchzogen vom Majestic River, aber es war schon so lange im Besitz unserer Familie, dass wir nicht einmal in Betracht ziehen konnten, etwas davon zu verkaufen.

Und als mein Dad vor acht Jahren starb, fand ich heraus, wie schlecht er gewirtschaftet hatte. Ich hatte mir den Arsch aufgerissen, um die Schulden, die er angehäuft hatte, zu begleichen und uns wieder in eine stabile Situation zu bringen, damit Sheridan sich darauf konzentrieren konnte, das Love Muffin mit ihrem Mann Bo zu führen, und ZuZu sich auf ihre Töpferei konzentrieren konnte.

Wir waren endlich auf dem richtigen Weg, als sich der ehemalige Mayor aus dem Staub machte, mitsamt dem größten Teil des Vermögens von Majestic.

Die Stadt hatte beschlossen, dass ich der Einzige war, der kompetent und vertrauenswürdig genug war, um das Amt zu übernehmen und uns dabei zu helfen, sich von den Verlusten zu erholen. Das bedeutete, dass ich nun meine Zeit zwischen der Verwaltung der Ranch meiner Familie und der Verwaltung der Stadt aufteilen musste – ein Spagat, der mich an meinen besten Tagen schon fast umbrachte.

Foster grummelte. „Das gefällt mir nicht, Way. Dieser Ehemann, den du dir da geangelt hast, könnte dir die halbe Ranch wegnehmen. Er könnte dir die Hälfte deines Trucks wegnehmen.“

Ich stieß ein Lachen aus. „Soll er doch den Truck haben. Jesus, ich hätte es fast nicht von Billings zurückgeschafft. Mit Helios wäre ich im Moment besser dran, wenn es in der Stadt einen Stall für ihn gäbe.“ Ich dachte an die Ranch. Das Vermächtnis meiner Familie und mein neu gebautes kleines Haus, versteckt auf einem Teil der Ranch. Dieses Haus hatte ich während der letzten acht Jahre selbst gebaut. Die Vorstellung, es wegen eines dummen Fehlers in Vegas verkaufen zu müssen, bereitete mir Übelkeit. „Die Ranch ist ein Treuhandfonds. Mir gehört nur ein Viertel davon. Er könnte uns höchstens ein Achtel des Wertes nach Abzug der Hypothek abnehmen.“

Nicht, dass ich es mir leisten könnte, ihm auch nur das auszubezahlen, aber ich wusste, dass meine Schwestern und mein Bruder bereit wären, eine zweite Hypothek aufzunehmen, falls es nötig wäre. Ich wollte sie nur nicht noch einmal in diese Situation bringen müssen.

„Du musst ihm zuerst die Scheidungsunterlagen zustellen“, sagte er mit einem entschlossenen Nicken. „Die Sache in die Hand nehmen.“

„Wahrscheinlich wird er mich sowieso ausfindig machen und den Stein ins Rollen bringen. Er wird das von seinem Anwalt erledigen lassen. Er scheint so ein Typ zu sein, der generell einen Anwalt und ein bisschen Geld hat“, gab ich zu. „Vielleicht erwartet er also gar nichts, oder vielleicht ist die Hälfte seines Vermögens dasselbe wie die Hälfte meines, und wir können das alles einfach ignorieren und die Papiere unterschreiben. Er war ein netter Kerl, Foster. Und, äh …“ Meine Gedanken begannen zu wandern, als ich an ihn dachte. Ich erinnerte mich an die Tattoos mit den chemischen Zeichen auf seinen Oberarmen und Schultern. Lange, durchtrainierte Beine, nackt unterhalb des Saumes seiner Boxershorts. Die Erinnerungen waren unzusammenhängend und verworren, aber meine Finger spürten die Erinnerungen an Berührungen. „Groß“, sagte ich und schluckte. „Verdammt groß. Größer als du.“

„Hmm.“ Foster runzelte die Stirn, als er sich rückwärts gegen einen Aktenschrank lehnte und seine Arme wieder verschränkte. Seine Augen flackerten über meine Schulter, als würde er nachdenken.

„Viele Lachfalten“, fuhr ich fort. „Aber er lächelte nicht übermäßig viel. Er war sehr intensiv. Daran erinnere ich mich auch.“

Foster richtete sich auf. „Kurze braune Haare?“

„Äh, ja? Ich meine, das haben viele Leute.“

Er hob die Augenbrauen. „Breite Schultern? Ein Arsch, der so fest ist, dass man Münzen daran abprallen lassen könnte?“

„Ich … das habe ich nicht gesagt.“ Meine Wangen wurden heiß.

„Möglicherweise in Besitz des Hutes, den dir dein Dad zum Schulabschluss geschenkt hat?“

Ich erinnerte mich an den Moment, als ich feststellte, dass ich meinen Hut im Hotelzimmer vergessen hatte. „Was? Woher weißt du das?“

Fosters Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. „Weil ich glaube, dass dich dein Ehemann gerade aufgespürt hat.“

Ich wirbelte herum und starrte in die kleine Lobby, die jetzt definitiv nicht mehr leer war. Und tatsächlich, eine sehr vertraute Silhouette schritt selbstbewusst durch die Glastüren, in der einen Hand meinen Stetson, in der anderen einen Stapel Papiere. Als er näher kam, bemerkte ich, dass seine Augen genauso intensiv waren wie in meiner Erinnerung, aber sein Gesichtsausdruck war ansonsten unheimlich leer.

Er trug eine verblichene Jeans und ein verwaschenes Flanellhemd, das verdächtig nach dem aussah, das ich vor ein paar Wochen in Bigford’s Thrift ‘N Save gespendet hatte.

Mein Herz begann zu klopfen und mein Kopf füllte sich mit Helium. Ich streckte die Hand aus und umklammerte Fosters Arm, um nicht vor Schock umzukippen.

„Oh Gott“, murmelte ich leise.

„Das ist er wirklich“, murmelte Foster zurück. „Mein heterosexueller bester Freund fährt nach Vegas und schleppt einen heißeren Mann ab, als ich es je könnte. Das ist nicht fair, wenn du die Wahrheit wissen willst.“

„Halt die Klappe“, zischte ich. „Hilf mir. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Foster musterte Silas abschätzend von oben bis unten, während Silas’ Blick auf meine Hand fiel, mit der ich Fosters Ärmel festhielt. Wenn es möglich war, wurde Silas’ Blick noch intensiver.

Foster schmunzelte. „Ich bin mir nicht so sicher, ob Reden das ist, was er im Sinn hat, Waylon. Ich bin dann mal weg. Ruf mich später an und sag mir, wie es gelaufen ist.“ Er klopfte mir auf die Schulter und hielt inne. Dann beugte er sich zu mir und drückte mir einen langen Kuss auf die Wange.

Mein Gesicht kochte vor Hitze. Was zum Teufel sollte das? Wir mochten Cousins und beste Freunde sein, aber Foster Blake hatte mir noch nie die Wange geküsst. Als er sich zurückzog, schenkte er mir ein wissendes Grinsen. „Schau nicht mich an, schau ihn an“, sagte er leise, bevor er seine Hutkrempe antippte und das Gebäude verließ.

Mein Blick fiel noch rechtzeitig auf Silas, um zu sehen, wie sich seine Nasenflügel aufblähten und er die Zähne zusammenbiss. Mir gefiel es gar nicht, mich wie ein Kauknochen zwischen zwei wilden Hunden zu fühlen, aber dieser besitzergreifende Blick in Silas’ Augen hatte etwas an sich, das einen Haken tief in mein Inneres schlug … und sich dort längerfristig verankerte.