Weil ich ihn verdammt noch mal liebe, okay?
Ways Worte hallten in meinem Kopf nach wie der gleichmäßige Schlag einer Basstrommel. Sobald mein Gehirn wieder eine Verbindung zu meinem Mund hatte, rief ich seinen Namen, aber er war schon um die Kurve gebogen und außer Sichtweite.
„Ich wusste es“, sagte Landry triumphierend.
„Fick dich!“ Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, aber stattdessen schubste ich ihn. „Was zum Teufel war das?“
Landry hob die Augenbrauen, als er sein Gleichgewicht behielt, indem er nach Devs ausgestreckter Hand griff. „Gern geschehen? Zumindest hat es mal jemand geschafft, einen von euch dazu zu bringen, die Wahrheit zu gestehen. Himmel! Wir waren noch nicht einmal in dieser Zeitzone und konnten schon die Spannung zwischen euch beiden spüren.“
Bash seufzte. „Du solltest ihm folgen. Ihm sagen, dass du ihn auch liebst.“
„Wer sagt, dass ich ihn liebe?“, schnappte ich. „Und wer hat einen von euch um eure Hilfe gebeten?“
Kenji schüttelte den Kopf, wusste aber, dass es besser war, nichts zu sagen. Landry wusste das nicht. „Du hast uns um Hilfe gebeten, wenn du dich erinnerst.“
„Bei der Veranstaltung“, knurrte ich. „Nicht bei meinem fucking Liebesleben.“
Zane grinste. „Bei dir ist es immer so offensichtlich, wann du angepisst bist, weil du mit dem F-Wort so um dich wirfst.“
Ich ignorierte ihn und fuhr fort: „Ihr seid alle ein Haufen Arschlöcher.“
Bash hatte den Anstand, betreten auszusehen. „Aber du liebst ihn doch tatsächlich.“
„Ich lasse mich in einer verdammten Woche von ihm scheiden“, erklärte ich entschlossen, während ich mir eine Hand auf die Brust drückte.
Kenji verzog das Gesicht. „Tust du das? Immerhin hast du die ganzen Unterlagen schon seit einer Weile.“
„Ich … Ich … Ich habe einfach nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden, ihn danach zu fragen. Es ihm zu sagen. Ihm davon zu erzählen.“
Bash runzelte die Stirn. „Es ist offensichtlich, dass du dich nicht von ihm scheiden lassen willst, Silas. Also finde eine Lösung. Ja, du lebst in New York, und er lebt in –“
„Am Arsch von Nirgendwo“, warf Landry ein.
Bash ignorierte ihn. „Aber das ist nicht unüberwindbar.“
„Nicht jetzt, wo du Satelliteninternet hast“, sagte Kenji.
Zane zog die Zehen seiner abgetragenen Wildledersneaker über den Schotter. „Hier ist genug Platz für eine private Landebahn.“
Dev hob die Augenbrauen. „Er hat recht.“
„Sei nicht albern“, sagte ich mit weniger Überzeugung, als ich beabsichtigt hatte.
Bash legte eine Hand auf meine Schulter. „Arbeitet die Details gemeinsam aus. Der wichtigste Teil ist die Kommunikation. Sprich mit dem armen Kerl. Sag ihm, dass er nicht der Einzige ist, der echte Gefühle hat.“
„Bei dir hört sich das so verdammt einfach an.“
Bash bekam diesen bescheuerten Gesichtsausdruck, den er immer bekam, wenn er an seinen Freund Rowe dachte. „Vielleicht ist es das. Vielleicht ist es die einfachste Sache der Welt, jemanden zu lieben, wenn man aufhört, dagegen anzukämpfen.“
Landry gab ein würgendes Geräusch von sich, während Kenji die Augen verdrehte. Ich versuchte, nicht wie ein Arschloch zu klingen. „Rowe ist nicht hetero. Rowe versucht nicht, eine ganze verdammte Stadt auf seinem Rücken zu tragen und gleichzeitig seinen eigenen finanziellen Kopf über Wasser zu halten. Ich kann jetzt nicht mit Way reden. Er steckt mitten in seinem großen Event. Darauf hat er monatelang hingearbeitet.“
Bash drückte freundschaftlich meine Schulter, bevor er sich zurückzog. „Okay. Dann warten wir. In der Zwischenzeit sorgen wir dafür, dass die Veranstaltung läuft und die Leute von AdventureSmash glauben, es gäbe keinen besseren Ort auf der Welt für ihre Rennen als Majestic, Wyoming.“
„Verdammt richtig“, murmelte Zane.
„Scheiße, yeah“, fügte Landry hinzu.
„Einverstanden“, sagte Dev.
Kenji tippte gerade etwas in sein Handy. Einen Moment später keuchte er auf und blickte mit großen Augen zu mir auf. Es war die Art von Blick, die mir den Magen umdrehen ließ. „Was?“
„Es ist … Moment …“
Ich ging zu ihm und blickte über seine Schulter, um mitzulesen.
Die Schlagzeile der Eilmeldung ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und den Atem in der Lunge stocken.
Bewaffnete Geiselnahme in einer belebten Notaufnahme in New York.
„Das kann nicht …“, begann ich, als ich mir in Erinnerung rief, dass es viele belebte Notaufnahmen in der Stadt gab. Doch bevor ich die Worte aussprechen konnte, erschien der Artikel und ich sah den Namen des Krankenhauses, in dem meine Schwester arbeitete.
Meine Brüder standen um mich herum und starrten alle geschockt auf das kleine Handy-Display.
Bash war der erste, der sprach. „Sie hat wahrscheinlich nicht mal Dienst.“
Landry nickte. „Du hast gesagt, dass sie in letzter Zeit viel nachts arbeitet. Vielleicht –“
„Um die Feiertage herum macht sie Sonderschichten“, sagte ich hölzern. „Zum Beispiel am vierten Juli.“
Devs sanfte Stimme war an Kenji gerichtet. „Was kannst du herausfinden?“
Kenji drängte sich an uns vorbei und begann zu tippen. Ich zog mein Handy heraus und versuchte mit zitternden Händen, Camilles Nummer zu wählen. Es ging direkt die Mailbox ran. Ich rief die Standort-App auf, um zu sehen, wo sie war. Wir benutzten sie eigentlich nur, um uns gegenseitig bei der Suche nach einem verlegten Handy zu helfen, aber ich hatte sie auch schon ein paar Mal verwendet, um mich zu vergewissern, dass sie nach einer Spätschicht sicher nach Hause gekommen war, wenn mich die Sorgen übermannt hatten.
Es zeigte sie in der Notaufnahme.
Meine Beine fühlten sich an, als würden sie gleich nachgeben. „Ich kann nicht … ich … wie finde ich heraus …“
Bash packte mich, schob mich auf die Kante der Veranda und drückte meinen Kopf zwischen meine Knie. „Gib Kenji eine Minute Zeit. Er wird rausfinden, was los ist. Du weißt, dass er alles rausfinden kann.“
Waylon. Ich brauche Way hier.
Aber er konnte nicht bei mir sein. Nicht jetzt. Er musste an die Stadt denken.
Ich hörte einen Nachrichtensprecher auf irgendeinem Handy, wie er mit angespannter Stimme sprach, immer wieder überlagert von den Geräuschen der Einsatzfahrzeuge. „… was wir bis jetzt wissen. Meldungen über einen maskierten Bewaffneten … Drogen und … das Personal ist verbarrikadiert …“
Kenjis Stimme war klar und deutlich, als er über den blechernen Ton des Telefons sprach. „Sie gehen davon aus, dass sie eine der Geiseln ist. Drei Ärzte, fünf Pflegekräfte und mehrere Patienten werden in einem abgesperrten Bereich der Notaufnahme festgehalten. Es wird von Schüssen berichtet, aber derzeit ist nicht klar, wie viele Menschen verletzt wurden.“
Ich sprang auf und ging in dem kleinen Bereich vor der Veranda auf und ab. Ich fühlte mich nutzlos und hasste es. „Ich … ich will dorthin. Sie mit meinen eigenen Augen sehen. Da sein, falls sie mich braucht –“
„Dann geh“, sagte Bash.
Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. „Aber das Rennen ist morgen. Way wird denken, ich hätte ihn im Stich gelassen –“
Landry schüttelte den Kopf. „Nein. Way wird es verstehen. Er liebt dich, erinnerst du dich?“
„Auf geht’s.“ Zane zog einen Schlüsselanhänger aus seiner Tasche. „Ich begleite dich.“
Kenji sah mir in die Augen. „Ich kümmere mich um die Piloten. Das Flugzeug ist noch von unserer Ankunft auf dem Flughafen und muss nur noch aufgetankt werden.“
Bash erkannte, dass ich mir nicht sicher war. „Geh. Wir bleiben hier und kümmern uns um Way und das Rennen. Was auch immer er braucht.“
Die anderen nickten und stimmten zu. Wie schon so oft kam die Bruderschaft zusammen, um für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen.
„Okay.“ Ich nickte Bash entschlossen zu. „Okay, ich werde gehen. Ich sollte Way anrufen –“ Ich zögerte und warf einen Blick in Richtung Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Treffen er heute Nachmittag hatte, wie viele Dinge er in letzter Minute erledigen musste, aber ich wusste, dass es eine Menge war. So sehr ich auch seine Stimme hören wollte, ich wollte ihn zu dieser kritischen Stunde nicht ablenken.
„Wir werden ihm Bescheid geben“, versprach Bash. „Sobald er von seinen Vorbereitungen für die Veranstaltung zurückkommt. Und wir werden ihm sagen, dass wir für die Dauer der Veranstaltung hier sind. Wir kümmern uns darum, Silas.“
Ich wusste, dass sie das tun würden, aber es fühlte sich trotzdem an, als würde mein Herz in zwei Teile zerrissen.
„Sagt Way, dass es mir leidtut. Erklärt ihm, wenn es nicht Camille wäre –“
Zane packte meinen Arm und zerrte mich zu seinem Mietwagen. „Er wird es verstehen. Los geht’s.“
Ich war schon über eine Stunde in der Luft, bis Kenji es schaffte, mir ein Update zu geben. Meine Schwester war angeschossen worden und wurde gerade operiert. Der Schütze war festgenommen worden, ein Wachmann hatte eine tödliche Verletzung erlitten und drei weitere Geiseln waren wie Camille schwer verwundet worden.
Als ich Stunden später im Krankenhaus ankam, war ich schwach und zittrig vor Angst. Camille war zwar aus dem OP raus, aber es war noch alles so abgeriegelt, dass es fast unmöglich war, in ihr Zimmer zu kommen. Zum Glück hatte Kenji es geschafft, den Stationsleiter zu erreichen, der mich an einem der Sicherheitsposten abholte und persönlich zu ihrem Zimmer begleitete.
„Sie ist noch sehr benommen von der Anästhesie und der zusätzlichen Sedierung. Sie wird die Nacht über etwas sediert bleiben, da ihr das hilft, sich auszuruhen und stillzuliegen. Das ist völlig normal. Sie hat die Operation gut überstanden. Sie wird Physiotherapie und natürlich auch Psychotherapie brauchen, aber ich verspreche Ihnen, dass das Krankenhaus dafür sorgen wird, dass jeder die bestmögliche Versorgung bekommt.“
Ich hörte ihm kaum zu, als er weiter versuchte, mich zu beruhigen. Meine Schwester sah so klein und blass im Krankenhausbett aus. Ich wusste, dass sie die Pfleger und Ärzte verrückt machen würde, sobald die Sedierung nachließ, also war es wahrscheinlich gut, dass sie sie erst einmal schlafen ließen. Das Schlimmste daran war, dass ich ihr nicht sagen konnte, dass ich da war, dass sie nicht allein war und dass ich sie liebte.
„Jedenfalls“, fuhr der Stationsleiter fort, „werden sie Sie heute Nacht nicht hierbleiben lassen. Wie Sie sich vorstellen können, sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch. Wenn Sie ihr eine Nachricht hinterlassen wollen, können Sie diesen Block benutzen und ich werde dem Pflegepersonal sagen, dass sie ihr die Nachricht geben sollen, sobald sie aufwacht. Morgen früh um acht können Sie wiederkommen, und ich kümmere mich darum, dass Sie wieder reingelassen werden.“
Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber der Pfleger, der gekommen war, um Camilles Tropf zu kontrollieren, musste meinen Gesichtsausdruck gesehen haben, denn er warf mir ein verständnisvolles Lächeln zu. „Sie wird sowieso die ganze Nacht schlafen, aber ich werde ihr sagen, dass Sie hier waren, sobald sie aufwacht, das verspreche ich.“
Als ich schließlich zuließ, dass sie mich aus dem Zimmer und von meiner Schwester wegführten, zog ich mein Handy heraus, um Way eine Nachricht zu schicken und mich bei der Bruderschaft zu erkundigen, ob alles für die Eröffnung des Rennens am nächsten Morgen bereit war. Leider war der Akku meines Handys leer, dank der ganzen panischen Anrufe, Nachrichten und dem Stalken von Schlagzeilen, das ich während des Flugs zur Ostküste gemacht hatte.
Ich schaffte es, ein Taxi anzuhalten und nach Hause zu fahren. Als es mich vor meiner Wohnung absetzte, machte ich einen Umweg über eine nahe gelegene Bodega, um mir etwas zu essen zu holen, bevor ich endlich mein Wohnhaus betrat und den Wachmann begrüßte.
Mein Herz war schwer und einsam, als ich mich auf den Weg in meine Wohnung machte. Ich vermisste Ways schönes Gesicht, sein ermutigendes Lächeln und seine starke Umarmung.
Als ich nach zwei Monaten Abwesenheit durch meine Wohnungstür trat, fragte ich mich, wie es möglich war, in die eigene Wohnung zurückzukehren, wenn es sich anfühlte, als wäre dein wahres Zuhause Hunderte von Kilometern entfernt, in einem kleinen Espenhain und eingebettet in eine Biegung des Majestic River.