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WAYLON

Nachdem ich meinem Mann aus Versehen vor einem Haufen Fremder gesagt hatte, dass ich ihn liebte, durchströmte mich ein glühendes Gefühl der Demütigung, als ich die Zufahrt in Richtung Highway entlangraste. Trotz meiner rasenden Gedanken, meines pochenden Herzens und meines aufgewühlten Magens bemerkte ich im Vorbeifahren Leute, die Möbel aus dem Haupthaus der Ranch trugen. Ich stieg hart auf die Bremse und fuhr rückwärts, bevor ich hinter dem Pick-up meines Schwagers zum Stehen kam.

„Was ist hier los?“, fragte ich, während Sheridan Bo und zwei andere Männer aus der Stadt dabei beaufsichtigte, wie sie die Schlafzimmerkommode meiner Schwester hinten in den Truck luden.

„Ähm … hey, Way.“ Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie von meinem Auftauchen nicht begeistert war. „Wir, ähm, ziehen aus.“ Sie biss sich auf die Lippe, eine untypisch nervöse Geste. „Ich weiß, dass es fürchterliches Timing ist, aber Vic und Casey können uns nur heute mit ihren Trucks helfen …“

„Ausziehen? Also … dauerhaft?“ Das ergab keinen Sinn. „Aber … warum?“

Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. „Way. Jetzt, wo du Silas hast, ist es logisch, dass ihr beide ins Farmhaus ziehen wollt. Ihr könnt nicht ewig in deinem kleinen Haus wohnen. Er hat nicht mal Platz, um seine Sachen unterzubringen. Also hat uns Tante Blake geholfen, etwas in der Stadt zu finden. Das Haus von den Dormings in der Primrose. Dadurch sind wir näher am Café und –“

Ich kannte das Haus, von dem sie sprach. Es war ein wunderschöner historischer Bungalow ein paar Blocks hinter dem Love Muffin. Sheridan hatte das Haus schon immer geliebt, weil es direkt an den Stadtpark grenzte und einen bunten Wildblumengarten besaß. Es war das perfekte Haus für sie. Aber …

„Warum hast du es mir nicht gesagt?“, wollte ich wissen. Ich rieb mir über die Brust, unsicher, ob der Schmerz von der Situation mit Silas kam oder dem Gefühl des Verlustes, das der Auszug meiner Schwester aus unserem Elternhaus auslöste.

„Ich wollte ja, aber … der Zeitpunkt war nie richtig. Der Kauf hing bis zur letzten Minute in der Schwebe, und ich wollte uns keine Hoffnungen machen, falls wir das Haus nicht bekommen würden. Und du warst so gestresst und beschäftigt mit den Vorbereitungen für AdventureSmash, dass ich nicht wollte, dass du das Gefühl hast, du müsstest deinen ganzen Zeitplan über den Haufen werfen, um uns beim Umzug zu helfen.“ Sie atmete tief aus. „Bitte sei nicht böse, Way. Ich dachte, du würdest dich vielleicht freuen, weil du und Silas endlich hier einziehen könnt und so viel Platz habt, wie ihr braucht. Wir haben die Wohnung über dem Stall hergerichtet, damit ZuZu dort einziehen kann –“

Die Informationen kamen entschieden zu schnell. „Ich dachte, ihr habt die Wohnung für Devon hergerichtet?“

Sie hatte den Anstand, verlegen auszusehen. Ich fragte mich, was mir meine Familie noch alles verheimlicht hatte. Die ganze Sache gab mir das Gefühl, den Bezug zur Wirklichkeit verloren zu haben, während mich die Sache mit Silas schon so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Ich war davon ausgegangen, dass seine Freunde freundlich und aufgeschlossen sein würden, aber Landry hatte sich benommen, als wäre ich eine Kakerlake unter seinem Schuh. Wenn sich Silas’ Freunde so verhielten, was sagte das dann über Silas’ Gefühle aus? Hatte ich mir nur etwas vorgemacht, als ich mir einbildete, wir könnten eine Zukunft haben?

Sheridan warf einen Blick auf die Jungs, als sie von der Ladefläche des Trucks sprangen. „Wir wollten dich überraschen.“

Ich stieß ein höhnisches, hartes Lachen aus. Plötzlich war jede höfliche Fassade, die ich bis jetzt aufrecht gehalten hatte, verschwunden. „Nun, sieh mich als überrascht an. Aber die Rechnung geht auf dich, Sheridan. Denn ich brauche dieses Haus nicht. Es gibt kein Silas und ich. Es gibt kein Zusammenleben. Es war ein Fehler. Es war nicht echt.“ Ich deutete mit der Hand in Richtung Ranchhaus und dann nach hinten zu meinem winzigen Häuschen in den Espen. „Er kehrt nächste Woche in die Stadt zurück und reicht die Scheidung ein. Also, siehst du? Das Ranchhaus wird leer stehen. Ich brauche es nicht. Ich kann in meinem Haus bleiben und … und …“

Emotionen schnürten mir die Kehle zu und drohten aus meinen verdammten Augen zu quellen.

„Nicht echt? Machst du Witze? Hör mir zu, Waylon.“ Sheridan packte mich und riss mich in eine Umarmung. „Vor zwei Monaten hätte ich dir vielleicht noch geglaubt. Aber jetzt habe ich euch beide zusammen gesehen. Ich habe gesehen, wie er dich ansieht. Dieser Mann vergöttert dich. Wen interessiert es, wie alles angefangen hat? Das zwischen euch ist echt.“ Sie zog sich zurück, ließ aber die Hände auf meinen Armen liegen.

„Das ist wegen dem, was Eden im Café gesagt hat, stimmt’s? Tante Blake machte sich Sorgen, also rief sie an und erzählte es mir. Aber Eden kennt nicht die ganze Geschichte. Glaubst du, ein Mann, der keine echten Gefühle hat, wäre wochenlang hiergeblieben und hätte dir geholfen? Hätte Scheiße geschaufelt, nach Fliegen geschlagen und Mrs. Jenks Fragen über die Freiheitsstatue immer wieder und wieder beantwortet, einfach so, nur zum Spaß? Sicher nicht. Du bist ihm wichtig. Verdammt, ich glaube, inzwischen ist ihm sogar Majestic wichtig. Lake McNair sagte, dass Kicky Winshaw sagte, jemand hätte eine anonyme Spende an die Suppenküche gemacht, nur ein paar Stunden, nachdem Silas gezielte Fragen über das Programm gestellt hatte. Die Spende war im fünfstelligen Bereich, Waylon.“

Ich starrte sie an. „Ernsthaft?“

Sie nickte. „Niemand sonst hätte das getan, ohne dass es jemand in der Stadt herausgefunden hätte. Das muss er gewesen sein.“

Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn im Verdacht hatte, der Stadt anonym eine Spende zukommen zu lassen, aber es war genug, um bei mir die Frage aufkommen zu lassen, ob er reicher war, als ich angenommen hatte. Als er mein Getriebe bezahlte und mir anbot, Extremsportler von auswärts in die Stadt zu bringen, hatte ich angenommen, dass er reicher war als ein normaler Unternehmensberater – nicht, dass ich wirklich wusste, was man als Berater in New York im Jahr verdiente, aber ich wusste, dass das Leben in New York nicht billig war.

„Du musst mit ihm reden, Way“, sagte sie sanft.

„Ich kann nicht. Seine Freunde sind hier.“ Ich trat gegen einen Stein in der Einfahrt. „Sie sind gekommen, um beim Rennen zu helfen.“

„Dann mach mit ihm einen Spaziergang zum Fluss. Nehmt euch ein paar Minuten Zeit und klärt das.“

Ich schüttelte den Kopf. Wenn ich eines ganz sicher wusste, dann, dass ich mit dieser emotionalen Belastung am Tag vor dem größten Ereignis meiner Karriere nicht umgehen konnte. „Nicht jetzt. Vielleicht heute Abend. Zuerst muss ich nach der Fluss-Crew sehen. Ich habe Foster gesagt, dass ich das Notfall-Kommunikationsprotokoll mit den Rennkoordinatoren dort bestätigen würde.“

Sie presste kurz die Lippen aufeinander, bevor sie nickte. „Okay, dann aber heute Abend.“

Ich nickte und sprang wieder in meinen Truck. Das zerknitterte Majestic Rocks T-Shirt verhöhnte mich vom Beifahrersitz aus.

Ich liebte Majestic, Wyoming, von ganzem Herzen, aber im Moment hatte ich das Gefühl, dass es einfacher wäre, an irgendeinem anderen Ort der Welt zu sein als hier.

Der Rest des Nachmittags verging wie im Flug, denn ich war damit beschäftigt, kleine Notfälle zu lösen, Fragen der Rennkoordinatoren zu beantworten und mich mit den üblichen Herausforderungen des Sommertourismus herumzuschlagen. Als ich schließlich wieder auf die Straße zur Ranch bog, war ich völlig erschöpft. Aber ich wusste, dass Sheridan recht hatte.

Ich musste mit Silas reden. Ich konnte mich nicht das ganze Wochenende fragen, ob meine Welt kurz davor war, auseinanderzufallen. Wenn er wirklich nächste Woche abreisen würde, wie wir es ursprünglich vereinbart hatten, musste ich es wissen.

Die Auffahrt zum Ranchhaus war traurig leer. Die Mietwagen von Silas’ Freunden parkten vor dem Stall, ebenso wie der SUV und der Pferdeanhänger, den Devs Fahrer vor Wochen hergebracht hatte.

Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Vielleicht wäre Silas allein im Haus.

Aber als ich dort ankam, war weder sein Mietwagen noch er da.

Ich ging zu der Bank am Fluss, obwohl ich schon von weitem sehen konnte, dass er auch dort nicht war. Als ich zum Haus zurückkehrte, stand sein Freund Bash auf der Veranda. Als ich näher kam, sah ich Landry hinter ihm. Sie hatten vermutlich gesehen, dass ich am Stall vorbeifuhr und beschlossen, mir zu folgen.

Aber sie waren es nicht, mit denen ich reden musste.

„Wo ist Silas?“, fragte ich. Wahrscheinlich klang ich schroff und unhöflich, aber ich war zu müde, um mir darüber Gedanken zu machen.

Bash und Landry wechselten einen Blick.

„New York“, antwortete Bash.

Ein taubes Gefühl kroch durch meine Gliedmaßen wie ein widerlicher Parasit.

„Er … er ist weg?“ Ich überlegte, wie ich fragen sollte, was ich verzweifelt wissen musste. Gab es einen beruflichen Notfall? Ein superwichtiges strategisches Beratungsproblem, um das er sich sofort kümmern musste? Würde er zurückkommen …?

Oder hatte ihn mein zeitlich unpassendes und seltsam defensives Liebesgeständnis dazu gebracht, aus dem Land zu fliehen und es seinen Freunden zu überlassen, unseren … Papierkram zu erledigen?

„Er musste weg.“ Statt selbstgefällig sah Landry ernst und besorgt aus. „Hör zu, Waylon.“

„Ich will nicht hören, was du zu sagen hast“, zischte ich. Wenn Silas mich kurz vor den Rennen verlassen hatte, musste es wegen etwas Großem gewesen sein, etwas unglaublich Überzeugendem. Das Einzige, was mir einfiel, war, dass er gegangen war, weil ihm ein Freund, dem er vertraute, dazu geraten hatte.

Eine Schlange.

„Es tut mir leid“, sagte Landry. Er klang aufrichtig entschuldigend. „Ich wollte dich vorhin nur provozieren. Um dich auf die Probe zu stellen. Ich weiß, dass ich ein Arschloch war –“

„Ohne Scheiß!“

„Aber wir sind geblieben, um zu helfen.“ Landry hob beide Hände in einer Geste der Beschwichtigung. „Um sicherzustellen, dass das Rennen reibungslos abläuft, damit AdventureSmash den Vertrag für das nächste Jahr unterschreibt. Was immer du brauchst –“

Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Silas war weg … aber seine Freunde waren geblieben, um zu helfen?

Bash legte eine Hand auf Landrys Schulter und drückte sie. „Ich glaube, Way wird deine Entschuldigung deutlich mehr interessieren, wenn du ihm den Rest von Silas erzählst, Bruder.“

„Oh, fuck.“ Landrys Augen leuchteten auf, als er verstand. „Seine Schwester“, platzte er heraus. „Sie wurde verletzt.“

Das taube Gefühl von vorhin kehrte zurück und verursachte ein stechendes Brennen auf meinem Rücken. Camille war Silas’ ganze Welt. „Wie verletzt? Wird sie wieder gesund?“

Ich spürte Landrys starken Halt an meinem Ellbogen, als er mich zur Bank führte und mir von meinen zitternden Beinen half.

„Es schoss jemand in dem Krankenhaus, in dem sie arbeitet, um sich, und Camille wurde zusammen mit einigen anderen Mitarbeitern als Geisel genommen. Kenji hat einen Privatjet organisiert, mit dem Silas von einer nahe gelegenen Landebahn aus unterwegs ist. Wir haben noch keine weiteren Informationen, aber Kenji ist dran.“

„Wer begleitet ihn?“, fragte ich und suchte in den Gesichtern der beiden nach einer Antwort.

Landry schüttelte den Kopf. „Niemand. Zane hat es angeboten, aber Silas ließ nur zu, dass Zane ihn zum Flughafen fährt. Er hat darauf bestanden, dass wir alle bleiben und dir helfen. Er weiß, wie wichtig dieses Ereignis für dich ist. Für Majestic.“

Ich sprang so schnell auf, dass Landry nach hinten trat, um nicht umgestoßen zu werden. „Ich muss los.“

„Los … wohin?“, fragte Bash.

„Nach New York, natürlich! Zu Silas. Er muss durchdrehen. Ich kann nicht glauben, dass ihr ihn allein habt gehen lassen! Was ist, wenn irgendetwas mit ihr ist? Sie ist das Wichtigste in seinem Leben.“

Eines der Mietfahrzeuge kam knirschend die Einfahrt entlang. Kenji, Zane und Dev sprangen heraus. Devs Gesichtsausdruck verriet mir sofort, dass die Neuigkeiten nicht gut waren, aber es war Kenji, der sie laut aussprach.

„Sie wurde angeschossen und ist gerade auf dem Weg in den OP. Er sollte innerhalb der nächsten Stunde landen, und ich habe schon einen Fahrer organisiert, der ihn zu ihr bringt.“

Ich fühlte mich hilflos. „Kenji, kannst du mich dort hinbringen? Ich weiß, dass das viel verlangt ist …“

Die Jungs tauschten einen weiteren Blick aus und Bash trat vor. „Er würde wollen, dass du bleibst. Der einzige Grund, warum er dich nicht angerufen hat, ist, dass er weiß, wie wichtig diese Veranstaltung für dich ist, und dass er dich nicht ablenken wollte. Er wird es verstehen, Way.“

Ich biss die Zähne zusammen, um nicht zu schluchzen. „Mir ist völlig egal, was mit dem Rennen oder mit Majestic passiert. Nichts ist wichtiger für mich als er. Wenn er sie verliert …“

Kenji nickte ein Mal. „Okay. Dann bringe ich dich hin.“

Dev trat zu mir und zog mich in eine feste Umarmung. Obwohl er eher ein zurückhaltender Typ war, hatte ich ihn während des letzten Monats kennengelernt und wusste, dass er ein großes Herz hatte. Der Mann hasste es, wenn jemand litt. „Sie ist zäh und er wird dafür sorgen, dass sie die bestmögliche Behandlung bekommt.“

Das glaubte ich ihm absolut. Aber wer kümmerte sich um Silas?

„Ich muss los“, wiederholte ich mit zittriger Stimme. Dev zog sich zurück und lächelte mich sanft an, aber es war Landry, der sprach.

„Mach dir keine Sorgen um irgendetwas. Wir haben das im Griff. Wir rocken dieses Rennen.“

Zane holte einen Funkschlüssel aus der Tasche und zwinkerte mir zu. „Ich fahre dich. Ich kenne den Weg.“