3. Kapitel

»Das Kapital feiert seine Orgien« -

Die Lage der labouring poor

Kampf um den Normalarbeitstag

Aus: Das Kapital

Wieviel kostet ein Arbeiter?

Aus: Neue Oder-Zeitung

»Koaliert euch nicht!«

Aus: Das Elend der Philosophie

Entfremdete Arbeit

Aus: Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz

Brief an Antoinette Philips

Es war Friedrich Engels, der Marx aus den philosophischen Ideenhimmeln abholte und ihm zeigte, wie es auf der Erde unter den »labouring poor« aussah. Durch Engels kam Marx zur Nationalökonomie, wo er im wesentlichen für den Rest seines Gelehrtenlebens blieb. Die soziale Empörung befeuerte seine Forschungslust nicht weniger als der politische Widerstand gegen die Willkür der Reaktion. Marx hat viel von dem getrieben, was wir heute »Sozialreportage« nennen und etliches davon als Anschauungsmaterial im »Kapital« verwendet – so z. B. den »Kampf um den Normalarbeitstag«. Seine Parteinahme für die labouring poor prägt auch seine Philosophie (siehe den Auszug aus den »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten«) und kehrt wieder in dem frühen Bericht über Verhandlungen des Rheinischen Landtages zum Holzdiebstahlsgesetz. Der Brief an Antoinette Philips steht neben dem Kapitel-Thema. Er zeigt Marx als verfemten Exilanten und als Meister des Postskripts.

Der Kampf um den Normalarbeitstag

Aus: Das Kapital, Bd. 1

Es versteht sich zunächst von selbst, dass der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch nichts ist außer Arbeitskraft, dass daher alle seine disponible Zeit von Natur und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwertung des Kapitals angehört. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur Erfüllung sozialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der physischen und geistigen Lebenskräfte, selbst die Feierzeit des Sonntags und wäre es im Lande der Sabbatheiligen – reiner Firlefanz! Aber in seinem maßlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit, überrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usurpiert die Zeit für Wachstum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Körpers. Es raubt die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und Sonnenlicht. Es knickert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie womöglich dem Produktionsprozess selbst, so dass dem Arbeiter als bloßem Produktionsmittel Speisen zugesetzt werden wie dem Dampfkessel Kohle und der Maschinerie Talg oder Öl. Den gesunden Schlaf zur Sammlung, Erneuerung und Erfrischung der Lebenskraft reduziert es auf so viel Stunden Erstarrung, als die Wiederbelebung eines absolut erschöpften Organismus unentbehrlich macht. Statt dass die normale Erhaltung der Arbeitskraft hier die Schranke des Arbeitstags, bestimmt umgekehrt die größte täglich mögliche Verausgabung der Arbeitskraft, wie krankhaft gewaltsam und peinlich auch immer, die Schranke für die Rastzeit des Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Arbeitskraft. Was es interessiert, ist einzig und allein das Maximum von Arbeitskraft, das in einem Arbeitstag flüssig gemacht werden kann. Es erreicht dies Ziel durch Verkürzung der Dauer der Arbeitskraft, wie ein habgieriger Landwirt gesteigerten Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht.

Die kapitalistische Produktion, die wesentlich Produktion von Mehrwert, Einsaugung von Mehrarbeit ist, produziert also mit der Verlängerung des Arbeitstags nicht nur die Verkümmerung der menschlichen Arbeitskraft, welche ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungs- und Betätigungsbedingungen beraubt wird. Sie produziert die vorzeitige Erschöpfung und Abtötung der Arbeitskraft selbst. Sie verlängert die Produktionszeit des Arbeiters während eines gegebenen Termins durch Verkürzung seiner Lebenszeit.

Der Wert der Arbeitskraft schließt aber den Wert der Waren ein, welche zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiterklasse erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlängerung des Arbeitstags, die das Kapital in seinem maßlosen Trieb nach Selbstverwertung notwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit die Dauer ihrer Arbeitskraft verkürzt, wird rascherer Ersatz der verschlissenen nötig, also das Eingehen größerer Verschleißkosten in die Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der täglich zu reproduzierende Wertteil einer Maschine um so größer ist, je rascher sie verschleißt. Das Kapital scheint daher durch sein eignes Interesse auf einen Normalarbeitstag hingewiesen. [...]

Allerdings zeigt die Erfahrung dem verständigen Beobachter auf der andren Seite, wie rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschichtlich gesprochen, kaum von gestern datiert, die Volkskraft an der Lebenswurzel ergriffen hat, wie die Degeneration der industriellen Bevölkerung nur durch beständige Absorption naturwüchsiger Lebenselemente vom Lande verlangsamt wird und wie selbst die ländlichen Arbeiter, trotz freier Luft und des unter ihnen so allmächtig waltenden principle of natural selection, das nur die kräftigsten Individuen aufkommen lässt, schon abzuleben beginnen. Das Kapital, das so »gute Gründe« hat, die Leiden der es umgebenden Arbeitergeneration zu leugnen, wird in seiner praktischen Bewegung durch die Aussicht auf zukünftige Verfaulung der Menschheit und schließlich doch unaufhaltsame Entvölkerung so wenig und so viel bestimmt als durch den möglichen Fall der Erde in die Sonne. In jeder Aktienschwindelei weiß jeder, dass das Unwetter einmal einschlagen muss, aber jeder hofft, dass es das Haupt seines Nächsten trifft, nachdem er selbst den Goldregen aufgefangen und in Sicherheit gebracht hat. Apres moi le deluge! ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation. Das Kapital ist daher rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird. Der Klage über physische und geistige Verkümmerung, vorzeitigen Tod, Tortur der Überarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? Im großen und ganzen hängt dies aber auch nicht vom guten oder bösen Willen des einzelnen Kapitalisten ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenüber als äußerliches Zwangsgesetz geltend.

Die Festsetzung eines normalen Arbeitstages ist das Resultat eines vielhundertjährigen Kampfes zwischen Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt die Geschichte dieses Kampfes zwei entgegengesetzte Strömungen. Man vergleiche z.B. die englische Fabrikgesetzgebung unsrer Zeit mit den englischen Arbeitsstatuten vom 14. bis tief in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Während das moderne Fabrikgesetz den Arbeitstag gewaltsam abkürzt, suchen ihn jene Statute gewaltsam zu verlängern. Allerdings erscheinen die Ansprüche des Kapitals im Embryozustand, wo es erst wird, also noch nicht durch bloße Gewalt der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch durch Hilfe der Staatsmacht sein Einsaugungsrecht eines genügenden Quantums Mehrarbeit sichert, ganz und gar bescheiden, vergleicht man sie mit den Konzessionen, die es in seinem Mannesalter knurrend und widerstrebig machen muss. Es kostet Jahrhunderte, bis der »freie« Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d. h. gesellschaftlich gezwungen ist, für den Preis seiner gewohnheitsmäßigen Lebensmittel seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfähigkeit selbst, seine Erstgeburt für ein Gericht Linsen zu verkaufen. Es ist daher natürlich, dass die Verlängerung des Arbeitstages, die das Kapital von Mitte des 14. bis Ende des 17. Jahrhunderts staatsgewaltig den volljährigen Arbeitern aufzudringen sucht, ungefähr mit der Schranke der Arbeitszeit zusammenfällt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Verwandlung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staats wegen gezogen wird. Was heute, z. B. im Staate Massachusetts, bis jüngst dem freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamiert ist, war in England noch Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblütiger Handwerker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmiede. [...]

Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeitstag bis zu seinen normalen Maximalgrenzen und dann über diese hinaus, bis zu den Grenzen des natürlichen Tags von 12 Stunden zu verlängern, erfolgte nun, seit der Geburt der großen Industrie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und maßlose Überstürzung. Jede Schranke von Sitte und Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht, wurde zertrümmert. Selbst die Begriffe von Tag und Nacht, bäuerlich einfach in den alten Statuten, verschwammen so sehr, dass ein englischer Richter noch 1860 wahrhaft talmudistischen Scharfsinn aufbieten musste, um »urteilskräftig« zu erklären, was Tag und Nacht sei. Das Kapital feierte seine Orgien.

Sobald die. vom Produktionslärm übertölpelte Arbeiterklasse wieder einigermaßen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunächst im Geburtsland der großen Industrie, in England. Während drei Dezennien jedoch blieben die von ihr ertrotzten Konzessionen rein nominell. Das Parlament erließ fünf Arbeits-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau, keinen Pfennig für ihre zwangsmäßige Ausführung, das nötige Beamtenpersonal usw. zu votieren. Sie blieben ein toter Buchstabe.

»Die Tatsache ist, dass vor dem Akt von 1833 Kinder und junge Personen abgearbeitet wurden (were worked) die ganze Nacht, den ganzen Tag, oder beide ad libitum.« [...]

Die Schöpfung des Normalarbeitstages ist [...] Produkt eines langwierigen, mehr oder minder versteckten Bürgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse. [...] Die englischen Fabrikarbeiter waren die Preisfechter nicht nur der englischen, sondern der modernen Arbeiterklasse überhaupt, wie auch ihre Theoretiker der Theorie des Kapitals zuerst den Fehdehandschuh hinwarfen. Der Fabrikphilosoph Ure denunziert es daher als unauslöschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, dass sie »die Sklaverei der Fabrikakte« auf ihre Fahne schrieb gegenüber dem Kapital, das männlich für »vollkommne Freiheit der Arbeit« stritt.

Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der Februarrevolution zur Geburt des Zwölfstundengesetzes, das viel mangelhafter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht die französische revolutionäre Methode auch ihre eigentümlichen Vorzüge geltend. Mit einem Schlag diktiert sie allen Ateliers und Fabriken ohne Unterschied dieselbe Schranke des Arbeitstags, während die englische Gesetzgebung bald an diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck der Verhältnisse widerwillig weicht und auf dem besten Weg ist, einen neuen juristischen Rattenkönig auszubrüten. Andrerseits proklamiert das französische Gesetz prinzipiell, was in England nur im Namen von Kindern, Unmündigen und Frauenzimmern erkämpft und erst neuerdings als allgemeines Recht beansprucht wird.

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entspross sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien. Der allgemeine Arbeiterkongress zu Baltimore (Aug. 1866) erklärt:

»Das erste und große Erheischnis der Gegenwart, um die Arbeit dieses Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu befreien, ist der Erlass eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den Normalarbeitstag in allen Staaten der amerikanischen Union bilden sollen. Wir sind entschlossen, alle unsre Macht aufzubieten, bis dies glorreiche Resultat erreicht ist.«

Gleichzeitig (Anfang September 1866) beschloss der »Internationale Arbeiterkongress« zu Genf auf Vorschlag des Londoner Generalrats: »Wir erklären die Beschränkung des Arbeitstags für eine vorläufige Bedingung, ohne welche alle andren Bestrebungen nach Emanzipation scheitern müssen... Wir schlagen 8 Arbeitsstunden als legale Schranke des Arbeitstags vor.«

So besiegelt die auf beiden Seiten des Atlantischen Meers instinktiv aus den Produktionsverhältnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den Ausspruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders:

»Weitere Schritte zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit irgendeiner Aussicht auf Erfolg durchzuführen, wenn nicht zuvor der Arbeitstag beschränkt und seine vorgeschriebene Schranke strikt erzwungen wird.«

Man muss gestehen, dass unser Arbeiter anders aus dem Produktionsprozess herauskommt, als er in ihn eintrat. Auf dem Markt trat er als Besitzer der Ware »Arbeitskraft« andren Warenbesitzern gegenüber, Warenbesitzer dem Warenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, bewies sozusagen schwarz auf weiß, dass er frei über sich selbst verfügt. Nach geschlossenem Handel wird entdeckt, dass er »kein freier Agent« war, dass [...] in der Tat sein Sauger nicht loslässt, »solange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten«. Zum »Schutz« gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen. An die Stelle des prunkvollen Katalogs der »unveräußerlichen Menschenrechte« tritt die bescheidne Magna Charta eines gesetzlich beschränkten Arbeitstags, die »endlich klarmacht, wann die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst gehörige Zeit beginnt«. Quantum mutatus ab illo!

(1867, MEW, Bd. 23)

Wieviel kostet ein Arbeiter?

Aus: Neue Oder-Zeitung

Wir lesen von einer jungen Frau, »die ihre rechte Hand verlor«, von einem Kinde, das »seine Nasenknochen eingestampft und auf beiden Augen die Sehkraft durch die Maschine zerstört hatte«, von einem Manne, dem das »linke Bein abgesägt, der rechte Arm an drei oder vier Stellen gebrochen, der Kopf furchtbar verstümmelt wurde«; von einem Jüngling, dem »der linke Arm aus dem Schultergelenk gerissen, nebst anderen Beschädigungen« und von einem andern Jüngling, der »beide Arme aus den Schultergelenken gerissen, den Unterleib zerfetzt hatte, so dass die Eingeweide herausbrachen, beide Schenkel und den Kopf zerquetscht« etc. etc. Das Industriebulletin der Fabrikinspektoren ist furchtbarer, entsetzlicher als irgendeins der Schlachtbulletins von der Krim. Weiber und Kinder stellen ein regelmäßiges und bedeutendes Kontingent zur Liste der Verwundeten und Getöteten. Tod und Wunden sind nicht rühmlicher als die Farben, die die Peitsche des Plantagenbesitzers auf den Leib des Negers zeichnet. Sie sind beinahe ausschließlich verschuldet durch Versäumung der gesetzlich vorgeschriebenen Einfriedigungen der Maschinen. Man wird sich erinnern, dass die Fabrikanten von Manchester [...] das Kabinett mit Deputationen bestürmten, mit Protesten gegen die Akte, die gewisse Sicherheitsvorkehrungen beim Gebrauch der Maschinerien befiehlt. Da sie das Gesetz zunächst nicht umwerfen konnten, suchten sie den Fabrikinspektor L[eonard] Horner zu beseitigen, wegzuintrigieren und einen gefügeren Gesetzeswächter an seine Stelle zu spielen. Bisher noch ohne Erfolg. Sie behaupteten, die Einführung der Sicherheitsapparate werde ihren Profit aufessen. Horner beweist jetzt, dass sich wenige Fabriken in seinem Distrikt befinden, die nicht zu dem Preise von 10 Pfd. St. sicher gemacht werden könnten. Die Gesamtzahl der aus der Maschinerie entspringenden Unfälle während der sechs Monate, die der Bericht einschließt, beträgt 1788, darunter 18 tödliche. Der Totalbetrag der den Fabrikanten auferlegten Geldstrafen, des von ihnen geleisteten Schadenersatzes usw. beläuft sich in derselben Periode auf 298 Pfd. St. Um diese Summe vollzumachen, sind eingeschlossen die Geldstrafen für »Arbeitenlassen während gesetzwidriger Stunden«, für »Anwendung von Kindern unter 8 Jahren« usw., so dass die für 18 Todesfälle und 1770 Verstümmelungen verhängten Geldstrafen noch lange nicht 298 Pfd. St. erreichen. 298 Pfd. St.! Eis ist weniger als der Preis eines Rennpferdes dritter Klasse!

(1855, MEW, Bd 11)

»Koaliert euch nicht!«

Aus: Das Elend der Philosophie

Die Ökonomen sagen zu den Arbeitern: Koaliert euch nicht. Indem ihr euch koaliert, hemmt ihr den regelmäßigen Gang der Industrie, verhindert ihr die Fabrikanten, den Bestellungen nachzukommen, stört ihr den Handel und beschleunigt das Eindringen der Maschinen, die eure Arbeit zum Teil überflüssig machen und dadurch euch zwingen, einen noch niedrigeren Lohn zu akzeptieren. Übrigens ist euer Tun umsonst; euer Lohn wird stets durch das Verhältnis der gesuchten Hände zu den angebotenen Händen bestimmt werden. Und es ist ein ebenso lächerliches wie gefährliches Beginnen, euch gegen die ewigen Gesetze der politischen Ökonomie aufzulehnen.

Die Sozialisten sagen zu den Arbeitern: Koaliert euch nicht, denn was werdet ihr schließlich dabei gewinnen? Eine Lohnsteigerung? Die Ökonomen werden euch bis zur Evidenz beweisen, dass auf den Gewinn von wenigen Pfennigen, den ihr günstigenfalls dabei für eine kurze Zeit erzielen könnt, ein dauernder Rückschlag folgen wird. Geschickte Rechner werden euch beweisen, dass ihr Jahre braucht, um mittelst der Lohnerhöhung nur die Kosten herauszuschlagen, die ihr zur Organisation und Erhaltung der Koalitionen ausgeben musstet. Wir, in unserer Eigenschaft als Sozialisten, sagen euch, dass, abgesehen von dieser Geldfrage, ihr darum nicht minder die Arbeiter sein werdet, wie die Meister stets die Meister bleiben, nach wie vor. Darum keine Koalitionen, keine Politik; denn sich koalieren, heißt das nicht Politik treiben?

Die Ökonomen wollen, dass die Arbeiter in der Gesellschaft bleiben, wie dieselbe sich gestaltet hat und wie sie sie in ihren Handbüchern gezeichnet und besiegelt haben.

Die Sozialisten wollen, dass sie die alte Gesellschaft beiseite lassen, um desto besser in die neue Gesellschaft eintreten zu können, die sie ihnen mit so vieler Vorsorge ausgearbeitet haben.

Trotz beider, trotz Handbücher und Utopien, haben die Arbeiterkoalitionen keinen Augenblick aufgehört, mit der Entwicklung und der Zunahme der modernen Industrie sich zu entwickeln und zu wachsen. Das ist heute so sehr der Fall, dass der Entwicklungsgrad der Koalitionen in einem Lande genau den Rang bezeichnet, den dasselbe in der Hierarchie des Weltmarktes einnimmt. England, wo die Industrie am höchsten entwickelt ist, besitzt die umfangreichsten und bestorganisierten Koalitionen. [...]

Die ersten Versuche der Arbeiter, sich untereinander zu assoziieren, nehmen stets die Form von Koalitionen an.

Die Großindustrie bringt eine Menge einander unbekannter Leute an einem Ort zusammen. Die Konkurrenz spaltet sie in ihren Interessen; aber die Aufrechterhaltung des Lohnes, dieses gemeinsame Interesse gegenüber ihrem Meister, vereinigt sie in einem gemeinsamen Gedanken des Widerstandes – Koalition. So hat die Koalition stets einen doppelten Zweck, den, die Konkurrenz der Arbeiter unter sich aufzuheben, um dem Kapitalisten eine allgemeine Konkurrenz machen zu können. Wenn der erste Zweck des Widerstandes nur die Aufrechterhaltung der Löhne war, so formieren sich die anfangs isolierten Koalitionen in dem Maß, wie die Kapitalisten ihrerseits sich behufs der Repression vereinigen zu Gruppen, und gegenüber dem stets vereinigten Kapital wird die Aufrechterhaltung der Assoziationen notwendiger für sie als die des Lohnes. Das ist so wahr, dass die englischen Ökonomen ganz erstaunt sind zu sehen, wie die Arbeiter einen großen Teil ihres Lohnes zugunsten von Assoziationen opfern, die in den Augen der Ökonomen nur zugunsten des Lohnes errichtet wurden. In diesem Kampfe – ein veritabler Bürgerkrieg – vereinigen und entwickeln sich alle Elemente für eine kommende Schlacht. Einmal auf diesem Punkte angelangt, nimmt die Koalition einen politischen Charakter an.

Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf. [...]

Man hat viele Untersuchungen angestellt, um den verschiedenen historischen Phasen nachzuspüren, welche die Bourgeoisie von der Stadtgemeinde an bis zu ihrer Konstituierung als Klasse durchlaufen hat.

Aber wenn es sich darum handelt, sich genau Rechenschaft abzulegen über die Strikes, Koalitionen und die anderen Formen, unter welchen die Proletarier vor unseren Augen ihre Organisation als Klasse vollziehen, so werden die einen von einer wirklichen Furcht befallen, während die anderen eine transzendentale Geringschätzung an den Tag legen.

Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder auf den Klassengegensatz begründeten Gesellschaft. Die Befreiung der unterdrückten Klasse schließt also notwendigerweise die Schaffung einer neuen Gesellschaft ein. Soll die unterdrückte Klasse sich befreien können, so muss eine Stufe erreicht sein, auf der die bereits erworbenen Produktivkräfte und die geltenden gesellschaftlichen Einrichtungen nicht mehr nebeneinander bestehen können. Von allen Produktionsinstrumenten ist die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst. Die Organisation der revolutionären Elemente als Klasse setzt die fertige Existenz aller Produktivkräfte voraus, die sich überhaupt im Schoß der alten Gesellschaft entfalten konnten.

Heißt dies, dass es nach dem Sturz der alten Gesellschaft eine neue Klassenherrschaft geben wird, die in einer neuen politischen Gewalt gipfelt? Nein.

Die Bedingung der Befreiung der arbeitenden Klasse ist die Abschaffung jeder Klasse, wie die Bedingung der Befreiung des dritten Standes, der bürgerlichen Ordnung, die Abschaffung aller Stände war.

Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist.

Inzwischen ist der Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie ein Kampf von Klasse gegen Klasse, ein Kampf, der, auf seinen höchsten Ausdruck gebracht, eine totale Revolution bedeutet. Braucht man sich übrigens zu wundern, dass eine auf den Klassengegensatz begründete Gesellschaft auf den brutalen Widerspruch hinausläuft, auf den Zusammenstoß Mann gegen Mann als letzte Lösung?

Man sage nicht, dass die gesellschaftliche Bewegung die politische ausschließt. Es gibt keine politische Bewegung, die nicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche wäre.

Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein. Bis dahin wird am Vorabend jeder allgemeinen Neugestaltung der Gesellschaft das letzte Wort der sozialen Wissenschaft stets lauten: »Kampf oder Tod; blutiger Krieg oder das Nichts. So ist die Frage unerbittlich gestellt.« - George Sand

(1847, MEWBd 4)

Entfremdete Arbeit

Aus: Ökonomisch-philosophische Manuskripte

Versetzen wir uns nicht wie der Nationalökonom, wenn er erklären will, in einen nur erdichteten Urzustand. Ein solcher Urzustand erklärt nichts. Er schiebt bloß die Frage in eine graue, nebelhafte Ferne. Er unterstellt in der Form der Tatsache, des Ereignisses, was er deduzieren soll, nämlich das notwendige Verhältnis zwischen zwei Dingen, z. B. zwischen Teilung der Arbeit und Austausch. So erklärt die Theologie den Ursprung des Bösen durch den Sündenfall, d. h., er unterstellt als ein Faktum, in der Form der Geschichte, was er erklären soll.

Wir gehen von einem nationalökonomischen, gegenwärtigen Faktum aus.

Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert.

Dies Faktum drückt weiter nichts aus als: Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. Das Produkt der Arbeit ist die Arbeit, die sich in einem Gegenstand fixiert, sachlich gemacht hat, es ist die Vergegenständlichung der Arbeit. Die Verwirklichung der Arbeit ist ihre Vergegenständlichung. Diese Verwirklichung der Arbeit erscheint in dem nationalökonomischen Zustand als Entwirklichung des Arbeiters, die Vergegenständlichung als Verlust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung als Entfremdung, als Entäußerung.

Die Verwirklichung der Arbeit erscheint so sehr als Entwirklichung, dass der Arbeiter bis zum Hungertod entwirklicht wird. Die Vergegenständlichung erscheint so sehr als Verlust des Gegenstandes, dass der Arbeiter der notwendigsten Gegenstände, nicht nur des Lebens, sondern auch der Arbeitsgegenstände, beraubt ist. Ja, die Arbeit selbst wird zu einem Gegenstand, dessen er nur mit der größten Anstrengung und mit den unregelmäßigsten Unterbrechungen sich bemächtigen kann. Die Aneignung des Gegenstandes erscheint so sehr als Entfremdung, dass, je mehr Gegenstände der Arbeiter produziert, er um so weniger besitzen kann und um so mehr unter die Herrschaft seines Produkts, des Kapitals, gerät.

In der Bestimmung, dass der Arbeiter zum Produkt seiner Arbeit als einem fremden Gegenstand sich verhält, liegen alle diese Konsequenzen. Denn es ist nach dieser Voraussetzung klar: Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet, um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche Welt, die er sich gegenüber schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innre Welt, um so weniger gehört ihm zu eigen. Es ist ebenso in der Religion. Je mehr der Mensch in Gott setzt, je weniger behält er in sich selbst. Der Arbeiter legt sein Leben in den Gegenstand; aber nun gehört es nicht mehr ihm, sondern dem Gegenstand. Die [...] Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung, nicht nur, dass seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer äußern Existenz wird, sondern dass sie außer ihm, unabhängig, fremd von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm gegenüber wird, dass das Leben, was er dem Gegenstand verliehen hat, ihm feindlich und fremd gegenübertritt. [...]

Eine unmittelbare Konsequenz davon, dass der Mensch dem Produkt seiner Arbeit, seiner Lebenstätigkeit, seinem Gattungswesen entfremdet ist, ist die Entfremdung des Menschen von dem Menschen. Wenn der Mensch sich selbst gegenübersteht, so steht ihm der andre Mensch gegenüber. Was von dem Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit, zum Produkt seiner Arbeit und zu sich selbst, das gilt von dem Verhältnis des Menschen zum andren Menschen, wie zu der Arbeit und dem Gegenstand der Arbeit des andren Menschen.

Überhaupt, der Satz, dass der Mensch seinem Gattungswesen entfremdet ist, heißt, dass ein Mensch dem anderen, wie jeder von ihnen dem menschlichen Wesen entfremdet ist.

Die Entfremdung des Menschen, überhaupt jedes Verhältnis, in dem der Mensch zu sich selbst [steht], ist erst verwirklicht, drückt sich aus in dem Verhältnis, in welchem der Mensch zu d[em] andren Menschen steht.

Also betrachtet in dem Verhältnis der entfremdeten Arbeit jeder Mensch den andren nach dem Maßstab und dem Verhältnis, in welchem er selbst als Arbeiter sich befindet.

Wir gingen aus von einem nationalökonomischen Faktum, der Entfremdung des Arbeiters und seiner Produktion. Wir haben den Begriff dieses Faktums ausgesprochen: die entfremdete, entäußerte Arbeit. Wir haben diesen Begriff analysiert, also bloß ein nationalökonomisches Faktum analysiert.

Sehn wir nun weiter, wie sich der Begriff der entfremdeten, entäußerten Arbeit in der Wirklichkeit aussprechen und darstellen muss.

Wenn das Produkt der Arbeit mir fremd ist, mir als fremde Macht gegenübertritt, wem gehört es dann? .

Wenn meine eigne Tätigkeit nicht mir gehört, eine fremde, eine erzwungene Tätigkeit ist, wem gehört sie dann?

Einem anderen Wesen als mir.

Wer ist dies Wesen?

Die Götter? Allerdings erscheint in den ersten Zeiten die Hauptproduktion, wie z. B. der Tempelbau etc. in Ägypten, Indien, Mexiko, sowohl im Dienst der Götter, wie auch das Produkt den Göttern gehört. Allein, die Götter allein waren nie die Arbeitsherrn. Ebenso wenig die Natur. Und welcher Widerspruch wäre es auch, dass, je mehr der Mensch die Natur durch seine Arbeit sich unterwirft, je mehr die Wunder der Götter überflüssig werden durch die Wunder der Industrie, der Mensch diesen Mächten zulieb auf die Freude an der Produktion und auf den Genuss des Produktes verzichten sollte.

Das fremde Wesen, dem die Arbeit und das Produkt der Arbeit gehört, in dessen Dienst die Arbeit und zu dessen Genuss das Produkt der Arbeit steht, kann nur der Mensch selbst sein.

(1844, MEW, Bd 40)

Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz*

*Wälder wurden zu Privatbesitz und den kleinen Leuten das gewohnheitsmäßige Sammeln von »Raffholz« dort verboten. B.S.

Die liberalsten Gesetzgebungen haben sich in privatrechtlicher Hinsicht darauf beschränkt, die Rechte, welche sie vorfanden, zu formulieren und ins Allgemeine zu erheben. Wo sie keine Rechte vorfanden, gaben sie keine. Die partikularen Gewohnheiten schafften sie ab, aber sie vergaßen dabei, dass, wenn das Unrecht der Stände in der Form willkürlicher Anmaßung, das Recht der Standeslosen in der Form zufälliger Konzessionen erschien. Ihr Verfahren war richtig gegen die, welche Gewohnheiten außer dem Recht, aber es war unrichtig gegen die, welche Gewohnheiten ohne das Recht hatten. Wie sie die willkürlichen Anmaßungen, soweit ein vernünftiger Rechtsinhalt in ihnen zu finden, in gesetzliche Ansprüche, so hätten sie auch die zufälligen Konzessionen in notwendige verwandeln müssen. Wir können an einem Beispiel, an den Klöstern, dies klarmachen. Man hat die Klöster aufgehoben, man hat ihr Eigentum säkularisiert, und man hat recht daran getan. Man hat aber die zufällige Unterstützung, welche die Armen in den Klöstern fanden, keineswegs in eine andere positive Besitzquelle verwandelt. Indem man das Klostereigentum zum Privateigentum machte und etwa die Klöster entschädigte, hat man nicht die Armen entschädigt, die von den Klöstern lebten. Man hat ihnen vielmehr eine neue Grenze gezogen und sie von einem alten Recht abgeschnitten. Dies fand bei allen Verwandlungen der Vorrechte in Rechte statt. Eine positive Seite dieser Missbräuche, welche insofern auch ein Missbrauch war, als sie das Recht der einen Seite zu einem Zufall machte, hat man nicht so entfernt, dass man den Zufall in eine Notwendigkeit umschuf, sondern so, dass man von ihm abstrahierte.

Die Einseitigkeit dieser Gesetzgebungen war eine notwendige, denn alle Gewohnheitsrechte der Armen basierten darauf, dass gewisses Eigentum einen schwankenden Charakter trug, der es nicht entschieden zum Privateigentum, aber auch nicht entschieden zum Gemeineigentum stempelte, eine Mischung von Privatrecht und öffentlichem Recht, wie sie uns in allen Institutionen des Mittelalters begegnet. Das Organ, mit welchem die Gesetzgebungen solche zweideutigen Gestaltungen auffassten, war der Verstand, und der Verstand ist nicht nur einseitig, sondern es ist sein wesentliches Geschäft, die Welt einseitig zu machen, eine große und bewunderungswürdige Arbeit, denn nur die Einseitigkeit formiert und reißt das Besondere aus dem unorganischen Schleim des Ganzen. Der Charakter der Dinge ist ein Produkt des Verstandes. Jedes Ding muss sich isolieren und isoliert werden, um etwas zu sein. Indem der Verstand jeden Inhalt der Welt in eine feste Bestimmtheit bannt und das flüssige Wesen gleichsam versteinert, bringt er die Mannigfaltigkeit der Welt hervor, denn die Welt wäre nicht vielseitig ohne die vielen Einseitigkeiten.

Der Verstand hob also die zwitterhaften, schwankenden Formationen des Eigentums auf, indem er die vorhandenen Kategorien des abstrakten Privatrechts, deren Schema sich im römischen Recht vorfand, anwandte. Um so mehr glaubte der gesetzgebende Verstand berechtigt zu sein, die Verpflichtungen dieses schwankenden Eigentums gegen die ärmere Klasse aufzuheben, als er auch seine staatlichen Privilegien aufhob; allein er vergaß, dass, selbst rein privatrechtlich betrachtet, hier ein doppeltes Privatrecht vorlag, ein Privatrecht des Besitzers und ein Privatrecht des Nichtbesitzers, abgesehen davon, dass keine Gesetzgebung die staatsrechtlichen Privilegien des Eigentums abgeschafft, sondern sie nur ihres abenteuerlichen Charakters entkleidet und ihnen einen bürgerlichen Charakter erteilt hat. Wenn aber jede mittelalterliche Gestalt des Rechts, also auch das Eigentum, von allen Seiten zwitterartigen, dualistischen, zwiespältigen Wesens war und der Verstand seinen Grundsatz der Einheit gegen diesen Widerspruch der Bestimmung mit Recht geltend machte, so übersah er, dass es Gegenstände des Eigentums gibt, die ihrer Natur nach nie den Charakter des vorherbestimmten Privateigentums erlangen können, die durch ihr elementarisches Wesen und ihr zufälliges Dasein dem Okkupationsrecht anheimfallen, also dem Okkupationsrecht der Klasse anheimfallen, welche eben durch da« Okkupationsrecht von allem anderen Eigentum ausgeschlossen ist, welche in der bürgerlichen Gesellschaft dieselbe Stellung einnimmt wie jene Gegenstände in der Natur.

Man wird finden, dass die Gewohnheiten, welche Gewohnheiten der ganzen armen Klasse sind, mit sicherem Instinkt das Eigentum an seiner unentschiedenen Seite zu fassen wissen, man wird nicht nur finden, dass diese Klasse den Trieb fühlt, ein natürliches Bedürfnis, sondern ebenso sehr, dass sie das Bedürfnis fühlt, einen rechtlichen Trieb zu befriedigen. Das Raffholz dient uns als Beispiel. Es steht so wenig in einem organischen Zusammenhang mit dem lebendigen Baum, als die abgestreifte Haut mit der Schlange. Die Natur selbst stellt in den dürren, vom organischen Leben getrennten, geknickten Reisern und Zweigen im Gegensatz zu den festwurzelnden, vollsaftigen, organisch Luft, Licht, Wasser und Erde zu eigener Gestalt und individuellem Leben sich assimilierenden Bäumen und Stämmen gleichsam den Gegensatz der Armut und des Reichtums dar. Es ist eine physische Vorstellung von Armut und Reichtum. Die menschliche Armut fühlt diese Verwandtschaft und leitet aus diesem Verwandtschaftsgefühl ihr Eigentumsrecht ab, und wenn sie daher den physisch-organischen Reichtum dem prämeditierenden Eigentümer, so vindiziert sie die physische Armut dem Bedürfnis und seinem Zufall. Sie empfindet in diesem Treiben der elementarischen Mächte eine befreundete Macht, die humaner ist als die menschliche. An die Stelle der zufälligen Willkür der Privilegierten ist der Zufall der Elemente getreten, die von dem Privateigentum abreißen, was es nicht mehr von sich ablässt. So wenig den Reichen Almosen, die auf die Straße geworfen werden, gebühren, so wenig diese Almosen der Natur. Aber auch in ihrer Tätigkeit findet die Armut schon ihr Recht.

Im Sammeln stellt sich die elementarische Klasse der menschlichen Gesellschaft ordnend den Produkten der elementarischen Naturmacht gegenüber. Ähnlich verhält es sich mit Produkten, die in wildem Wachstum ein ganz zufälliges Akzidens des Besitzes und schon wegen ihrer Unbedeutendheit keinen Gegenstand für die Tätigkeit des eigentlichen Eigentümers bilden; ähnlich verhält es sich mit dem Nachlesen, Nachernten und dergleichen Gewohnheitsrechten.

Es lebt also in diesen Gewohnheiten der armen Klasse ein instinktmäßiger Rechtssinn, ihre Wurzel ist positiv und legitim, und die Form des Gewohnheitsrechts ist hier um so naturgemäßer, als das Dasein der armen Klasse selbst bisher eine bloße Gewohnheit der bürgerlichen Gesellschaft ist, die in dem Kreis der bewussten Staatsgliederung noch keine angemessene Stelle gefunden hat.

(1842, MEW, Bd 1)

Brief an Antoinette Philips

London, 17. Juli 1861

Meine holde kleine Cousine,

Ich hoffe, dass Du mein langes Schweigen nicht falsch ausgelegt hast. In der ersten Zeit wußte ich nicht genau, wohin ich meine Briefe richten sollte, ob nach Aachen oder nach Bommel. Dann drängte die Arbeit außerordentlich, und während der letzten 2 oder 3 Wochen habe ich an einer höchst lästigen Augenentzündung laboriert, die die Zeit, welche mir zum Schreiben und Lesen zur Verfügung stand, sehr beschränkte. Wenn ich also, mein liebes Kind, mich schuldig bekennen muss, so gibt es doch viele aufeinanderfolgende Umstände, die Du als ein gnädiger Richter, wie ich zuversichtlich glaube, bei Deinem Urteilsspruch berücksichtigen wirst. Auf alle Fälle würdest Du mir sehr unrecht tun, wenn Du annähmst, dass in dieser ganzen Zeit ein einziger Tag vorübergegangen wäre, ohne dass ich mich meiner lieben kleinen Freundin erinnert hätte.

Meine Berliner Angelegenheit ist noch zu keinem endgültigen Resultat gelangt. Du wirst Dich erinnern, dass während meiner Anwesenheit in der preußischen Metropole die Hohenzollern-Behörden nachzugeben schienen und mir sogar einen Pass für die Dauer eines Jahres aushändigten. Aber kaum hatte ich ihnen den Rücken gekehrt, als Lassalle zu seinem äußersten Erstaunen einen Brief von dem Polizeipräsidenten v. Zedlitz des Inhalts erhielt, dass ich wegen meiner »politischen Bescholtenheit« nicht »wieder eingebürgert« werden könnte. Gleichzeitig erklärte die preußische Regierung, dass alle politischen Flüchtlinge, die länger als 10 Jahre nicht in Preußen waren, ihr Bürgerrecht verloren haben, Ausländer geworden sind und daher, wie alle anderen Ausländer, nur nach Belieben des Königs wieder eingebürgert werden können. Mit anderen Worten: sie erklärten ihre sogenannte Amnestie für eine reine Täuschung, einen Betrug und einen Fallstrick. Das war der Punkt, wohin ich sie während meines Berliner Aufenthalts zu treiben versucht hatte, und es war mehr, als selbst die preußische Presse und das preußische Abgeordnetenhaus schweigend hinnehmen konnten. Zwangsläufig führte der Fall zu heftigen Diskussionen in den Zeitungen und zu einer Interpellation des Kabinetts im Abgeordnetenhaus. Für den Augenblick entzog sich das Kabinett der Sache durch einige zweideutige und widerspruchsvolle Feststellungen, aber das Ganze trug nicht wenig dazu bei, die Menschen in Deutschland ihrer Illusionen hinsichtlich der »neuen Ära« zu berauben, die durch den »Schönen Wilhelm«, wie ihn die Berliner unehrerbietig nennen, eingeleitet worden sein soll. [...]

Lassalle nahm schließlich Graf Schwerin, den Innenminister ins Gebet, der, um den heftigen Vorhaltungen meines Vertreters zu entkommen, ihm versprach, den ganzen Fall dem Berliner Magistrat zur Entscheidung zu überweisen – ein Versprechen, das er jedoch sehr wahrscheinlich nicht halten wird. Was mich selbst angeht, so habe ich zumindest eines erreicht, nämlich, die Berliner Regierung gezwungen zu haben, ihre liberale Maske fallenzulassen. Was meine Rückkehr nach Berlin anbelangt, so könnten sie, wenn ich es für richtig halte, vor Mai 1862 dorthin zu gehen, das nicht verhindern, da sie mir den Pass bewilligt haben. Wenn ich meine Rückkehr aufschieben sollte, so werden sich die Dinge in Preußen vielleicht so verändert haben, dass ich ihre Genehmigung nicht brauche. Es ist wirklich lächerlich, dass eine Regierung aus Furcht vor einer Privatperson soviel Aufhebens macht und sich so kompromittiert. Das Bewusstsein ihrer Schwäche muss schrecklich sein. [...]

Ich glaube nicht, mein liebes Kind, dass meine Frau und meine Töchter Gelegenheit finden werden, in diesem Jahre Bommel einen Besuch abzustatten, weil der Arzt meint, dass während der heißen Jahreszeit ein Seebad das Beste für sie wäre, um die Reste der furchtbaren Krankheit, die sie im vergangenen Herbst durchgemacht hat, loszuwerden. Andererseits hoffe ich, dass Du nicht Dein Versprechen vergisst, London zu besuchen, wo alle Mitglieder der Familie sich freuen werden, Dich zu empfangen. Es erübrigt sich, Dir zu sagen, dass mir nichts in der Welt größeres Vergnügen bereiten würde.

Ich hoffe, meine holde, kleine Zauberin, Du wirst Dich nicht zu streng zeigen, sondern wie ein guter Christ, mir sehr bald einen Deiner kleinen Briefe schicken, ohne Dich für mein zu lange anhaltendes Schweigen zu rächen.

Empfiehl mich Deinem Vater, meiner Freundin »Jettchen«, dem Doktor, Deinem Bruder Fritz und der ganzen Familie. Ich bleibe immer

Dein aufrichtigster Bewunderer

Charles Marx

P.S.: Ich bin ganz erstaunt über die Nachricht von dem Attentat auf seine preußische Majestät, alias »Der schöne Wilhelm«. Wie konnte irgendein Mensch mit normalem Verstand seinen eigenen Kopf riskieren, um einen hirnlosen Esel zu töten?

(MEW, Bd. 30)