4. Kapitel

»Das Geheimnis der Plusmacherei«

Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft

Verwandlung von Geld in Kapital

Aus: Das Kapital

Als hätt es Lieb im Leibe

Aus: »Arbeitsprozess und Verwertungsprozess«, in: Das Kapital

Unproduktiver Seidenwurm

Aus: Theorien über den Mehrwert

Der tendenzielle Fall der Profitrate

Aus: Das Kapital

Der Kredit

Aus: »Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion«

in: Das Kapital, Band 3

Über Proudhon

Brief an J.P. Schweitzer

Bei diesem Kapitel hat die Textauswahl die größte Mühe gemacht – weil ein gar zu reicher Stoff vorliegt. Wie schön wäre es gewesen, mit der »Warenanalyse« zu beginnen: der Anfang des »Kapital« wird als trefflicher Einstieg in eine verwickelte Materie sogar von Marx selbst gelobt. Er ist obendrein so launig abgefasst, dass die Lektüre nicht nur klüger, sondern auch Spass macht. Aber wir hätten es dann bloß bis zum »Austauschprozess« gebracht und die Kapitalproduktion, den eigentlichen Knackpunkt, verfehlt. Wer das 4. Kapitel dieses Buchs aufschlägt, wird also mitten ins »Kapital« hineingeworfen und muss sich zurechtfinden ohne Kenntnis der vorher entwickelten Kategorien. Mit ein bisschen Geduld aber wird er verstehen, worum es geht und bald belohnt werden durch die humoristisch auf die Pointe zutreibende Enthüllung der »Plusmacherei«. – Der Brief an J.B. Schweitzer hat nur insofern mit dem Thema dieses Kapitels zu tun, als es in ihm u. a. um ökonomische Kategorien geht. Er steht hier als Exempel einer glänzenden Werkrezension. Marx zeigt in diesem Nachruf auf Proudhon seine Fähigkeit, auch Gegnern ihre Verdienste zuzugestehen. Dazu kommt eine »starke Muskulatur des Stils«.

Verwandlung von Geld in Kapital

Aus: Das Kapital, Band 1

Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Warenaustausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so dass der Austausch von Äquivalenten als Ausgangspunkt gilt. Unser noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muss die Waren zu ihrem Wert kaufen, zu ihrem Wert verkaufen und dennoch am Ende des Prozesses mehr Wert herausziehen, als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muss in der Zirkulationssphäre und muss nicht in der Zirkulationssphäre vorgehn. Dies sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic salta!

Kauf und Verkauf der Arbeitskraft

Die Wertveränderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soll, kann nicht an diesem Geld selbst vorgehen, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisiert es nur den Preis der Ware, die es kauft oder zahlt, während es, in seiner eignen Form verharrend, zum Petrefakt von gleich bleibender Wertgröße erstarrt. Ebensowenig kann die Veränderung aus dem zweiten Zirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Ware, entspringen, denn dieser Akt verwandelt die Ware bloß aus der Naturalform zurück in die Geldform. Die Veränderung muss sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G – W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Äquivalente ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d. h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Verbrauch einer Ware Wert herauszuziehen, müsste unser Geldbesitzer so glücklich sein, innerhalb der Zirkulationssphäre, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher Verbrauch also selbst Vergegenständlichung von Arbeit wäre, daher Wertschöpfung. Und der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor – das Arbeitsvermögen oder die Arbeitskraft.

Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert.

Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde, müssen verschiedne Bedingungen erfüllt sein. Der Warenaustausch schließt an und für sich keine andren Abhängigkeitsverhältnisse ein als die aus seiner eignen Natur entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Ware nur auf dem Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren Arbeitskraft sie ist, als Ware feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als Ware verkaufe, muss er über sie verfügen können, also freier Eigentümer seines Arbeitsvermögens, seiner Person sein. Er und die Geldbesitzer begegnen sich auf dem Markt und treten in Verhältnis zueinander als ebenbürtige Warenbesitzer, nur dadurch unterschieden, dass der eine Käufer, der andre Verkäufer, beide also juristisch gleiche Personen sind. [...]

Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfindet, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muss.

Damit jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waren verkaufe, muss er natürlich Produktionsmittel besitzen, z. B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente usw. Er kann keine Stiefel machen ohne Leder. Er bedarf außerdem Lebensmittel. Niemand, selbst kein Zukunftsmusikant, kann von Produkten der Zukunft zehren, also auch nicht von Gebrauchswerten, deren Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tage seiner Erscheinung auf der Erdbühne, muss der Mensch noch jeden Tag konsumieren, bevor und während er produziert. Werden die Produkte als Waren produziert, so müssen sie verkauft werden, nachdem sie produziert sind, und können die Bedürfnisse des Produzenten erst nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produktionszeit kommt die für den Verkauf nötige Zeit hinzu.

Zur Verwandlung von Geld in Kapital muss der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, dass er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.

Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des Warenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessiert sie uns ebenso wenig. Wir halten theoretisch an der Tatsache fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld oder Warenbesitzer und auf der andren bloße Besitzer der eignen Arbeitskräfte. Dies Verhältnis ist kein naturgeschichtliches und ebenso wenig ein gesellschaftliches, das allen Geschichtsperioden gemein wäre. Es ist offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das Produkt vieler ökonomischer Umwälzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe älterer Formationen der gesellschaftlichen Produktion. [...]

Diese eigentümliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun näher zu betrachten. Gleich allen andren Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt?

Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit. Soweit sie Wert, repräsentiert die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Äußerung, betätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn usw. verausgabt, das wieder ersetzt werden muss. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine vermehrte Einnahme. Wenn der Eigentümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muss er denselben Prozess morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muss also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden je nach den klimatischen und andren natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andrerseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.

Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muss der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung. Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so dass sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.

Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozess nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter Form erhalten und entwickeln. Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, erfordert, um sie in normaler Güte zu liefern. [...]

In allen Ländern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft erst gezahlt, nachdem sie bereits während des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins funktioniert hat, z. B. am Ende jeder Woche. Überall schießt daher der Arbeiter dem Kapitalisten den Gebrauchswert der Arbeitskraft vor; er lässt sie vom Käufer konsumieren, bevor er ihren Preis bezahlt erhält, überall kreditiert daher der Arbeiter dem Kapitalisten. Dass dies Kreditieren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche Verlust des kreditierten Lohns beim Bankrott des Kapitalisten, sondern auch eine Reihe mehr nachhaltiger Wirkungen. Indes ändert es an der Natur des Warenaustausches selbst nichts, ob das Geld als Kaufmittel oder als Zahlungsmittel funktioniert. Der Preis der Arbeitskraft ist kontraktlich festgesetzt, obgleich er erst hinterher realisiert wird, wie der Mietpreis eines Hauses. Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst hinterher bezahlt wird. Für die reine Auffassung des Verhältnisses ist es jedoch nützlich, einstweilen vorauszusetzen, dass der Besitzer der Arbeitskraft mit ihrem Verkauf jedes Mal auch sogleich den kontraktlich stipulierten Preis erhält.

Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Werts, welcher dem Besitzer dieser eigentümlichen Ware, der Arbeitskraft, vom Geldbesitzer gezahlt wird. Der Gebrauchswert, den letztrer seinerseits im Austausch erhält, zeigt sich erst im wirklichen Verbrauch, im Konsumtionsprozess der Arbeitskraft. Alle zu diesem Prozess nötigen Dinge, wie Rohmaterial usw., kauft der Geldbesitzer auf dem Warenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozess von Ware und von Mehrwert. Die Konsumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder andren Ware, vollzieht sich außerhalb des Markts oder der Zirkulationssphäre. Diese geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit Geldbesitzer und Arbeitskraftbesitzer, um beiden nachzufolgen in die verborgne Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: No admittance except on business. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie man es selbst produziert, das Kapital. Das Geheimnis der Plusmacherei muss sich endlich enthüllen.

Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.

Beim Scheiden von dieser Sphäre der einfachen Zirkulation oder des Warenaustausches, woraus der Freihändler vulgaris Anschauungen, Begriffe und Maßstab für sein Urteil über die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es, schon in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als die – Gerberei.

(1867, MEW, Bd. 2)

Als hätt es Lieb im Leibe

Aus: »Arbeitsprozess und Verwertungsprozess«

in: Das Kapital, Band 1

Arbeitsprozess

Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. [...] Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dass er nur eine Form Veränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muss. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt. [...]

Kehren wir zu unsrem Kapitalisten in spe zurück. Wir verließen ihn, nachdem er auf dem Warenmarkt alle zu einem Arbeitsprozess notwendigen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Faktoren oder die Produktionsmittel, den persönlichen Faktor oder die Arbeitskraft. Er hat mit schlauem Kennerblick die für sein besondres Geschäft, Spinnerei, Stiefelfabrikation usw., passenden Produktionsmittel und Arbeitskräfte ausgewählt. Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Ware, die Arbeitskraft, zu konsumieren, d. h. er lässt den Träger der Arbeitskraft, den Arbeiter, die Produktionsmittel durch seine Arbeit konsumieren. Die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses ändert sich natürlich nicht dadurch, dass der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt für sich selbst verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und Weise, wie man Stiefel macht oder Garn spinnt, kann sich zunächst nicht ändern durch die Dazwischenkunft des Kapitalisten. Er muss die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst später ereignen und ist daher erst später zu betrachten.

Der Arbeitsprozess, wie er als Konsumtionsprozess der Arbeitskraft durch den Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigentümliche Phänomene.

Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist passt auf, dass die Arbeit ordentlich vonstatten geht und die Produktionsmittel zweckmäßig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d. h. nur so weit zerstört wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernötigt.

Zweitens aber: Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters. Der Kapitalist zahlt z. B. den Tageswert der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Ware, z. B. eines Pferdes, das er für einen Tag gemietet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Ware gehört der Gebrauch der Ware, und der Besitzer der Arbeitskraft gibt in der Tat nur den von ihm verkauften Gebrauchswert, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Kapitalisten. Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gärungsstoff den toten ihm gleichfalls gehörigen Bildungselementen des Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der Arbeitsprozess nur die Konsumtion der von ihm gekauften Ware Arbeitskraft, die er jedoch nur konsumieren kann, indem er ihr Produktionsmittel zusetzt. Der Arbeitsprozess ist ein Prozess zwischen Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwischen ihm gehörigen Dingen. Das Produkt dieses Prozesses gehört ihm daher ganz ebenso sehr als das Produkt des Gärungsprozesses in seinem Weinkeller.

Verwertungsprozess

Das Produkt – das Eigentum des Kapitalisten – ist ein Gebrauchswert, Garn, Stiefel usw. Aber obgleich Stiefel z.B. gewissermaßen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts bilden und unser Kapitalist ein entschiedner Fortschrittsmann ist, fabriziert er die Stiefel nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswert ist überhaupt nicht das Ding qu’on aime pour lui-meme in der Warenproduktion. Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind. Und unsrem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswert produzieren, der einen Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware. Und zweitens will er eine Ware produzieren, deren Wert höher als die Wertsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoss. Er will nicht nur einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert.

In der Tat, da es sich hier um Warenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Prozesses betrachtet. Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und Wert, muss ihr Produktionsprozess Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess sein.

Betrachten wir den Produktionsprozess nun auch als Wertbildungsprozess.

Wir wissen, dass der Wert jeder Ware bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswert materialisierten Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Dies gilt auch für das Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen.

Es sei z.B. Garn. [...]

Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Teil der zur Produktion des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten Arbeitszeit und deshalb im Garn enthalten. Ebenso verhält es sich mit der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse erheischt ist, ohne deren Verschleiß oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen werden kann. [...]

Die Werte der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, ausgedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandteile des Garnwerts oder des Werts des Produkts.

Nur sind zwei Bedingungen zu erfüllen. Einmal müssen Baumwolle und Spindel wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerts gedient haben. Es muss in unsrem Fall Garn aus ihnen geworden sein. Welcher Gebrauchswert ihn trägt, ist dem Wert gleichgültig, aber ein Gebrauchswert muss ihn tragen. Zweitens ist vorausgesetzt, dass nur die unter den gegebnen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen notwendige Arbeitszeit verwandt wurde. Wäre also nur 1 Pfund Baumwolle nötig, um 1 Pfund Garn zu spinnen, so darf nur 1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung von 1 Pfund Garn. Ebenso verhält es sich mit der Spindel. Hat der Kapitalist die Phantasie, goldne statt eiserne Spindeln anzuwenden, so zählt im Garnwert dennoch nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit, d. h. die zur Produktion eiserner Spindeln notwendige Arbeitszeit.

Wir wissen jetzt, welchen Teil des Garnwerts die Produktionsmittel, Baumwolle und Spindeln, bilden. Er ist gleich 12 sh. [....] Es handelt sich also nun um den Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt.

Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz andren Gesichtspunkt zu betrachten, als während des Arbeitsprozesses. Dort handelte es sich um die zweckmäßige Tätigkeit, Baumwolle in Garn zu verwandeln. Je zweckmäßiger die Arbeit, desto besser das Garn, alle andren Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war spezifisch verschieden von andren produktiven Arbeiten, und die Verschiedenheit offenbarte sich subjektiv und objektiv, im besondren Zweck des Spinnens, seiner besondren Operationsweise, der besondren Natur seiner Produktionsmittel, dem besondren Gebrauchswert seines Produkts. Baumwolle und Spindel dienen als Lebensmittel der Spinnarbeit, aber man kann mit ihnen keine gezogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit des Spinners dagegen wertbildend ist, d. h. Wertquelle, ist sie durchaus nicht verschieden von der Arbeit des Kanonenbohrers, oder, was uns hier näher liegt, von den in den Produktionsmitteln des Garns verwirklichten Arbeiten des Baumwollpflanzers und des Spindelmachers. Nur wegen dieser Identität können Baumwollpflanzen, Spindelmachen und Spinnen bloß quantitativ verschiedne Teile desselben Gesamtwerts, des Garnwerts, bilden. Es handelt sich hier nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und den Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese ist einfach zu zählen. [...]

Während des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der Baumwolle vergegenständlicht. Wir sagen Arbeitsstunde, d. h. die Verausgabung der Lebenskraft des Spinners während einer Stunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, soweit sie Verausgabung von Arbeitskraft, nicht soweit sie die spezifische Arbeit des Spinnens ist. [...]

Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, dass ihr Tageswert = 3 sh., und in den letztren 6 Arbeitsstunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren. Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeitsstunde 1²/³ Pfund Baumwolle in l²/³ Pfund Garn, so in 6 Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Wert von 3 sh. zugesetzt.

Sehen wir nun den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn, an. In ihnen sind 2½ Arbeitstage vergegenständlicht,

2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, ½ Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Wert der 10 Pfund Garn adäquate Preis beträgt also 15 sh., der Preis eines Pfundes Garn 1 sh. 6 d.

Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15 sh., und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Warenmarkt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 10 sh. für Baumwolle, 2 sh. für die verzehrte Spindelmasse und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufgeschwollene Wert des Garns hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft verteilten Werte, und aus einer solchen bloßen Addition vorhandner Werte kann nun und nimmermehr ein Mehrwert entspringen. Diese Werte sind jetzt alle auf ein Ding konzentriert, aber so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich durch drei Warenkäufe zersplitterte.

An und für sich ist dies Resultat nicht befremdlich. Der Wert eines Pfund Garn ist 1 sh. 6 d., und für 10 Pfund Garn müsste unser Kapitalist daher auf dem Warenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sein Privathaus fertig auf dem Markt kauft oder es selbst bauen lässt, keine dieser Operationen wird das im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren.

Der Kapitalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiß, sagt vielleicht, er habe sein Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu machen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten gepflastert, und er konnte ebenso gut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produzieren. Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er die Ware fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabrizieren. Wenn aber alle seine Brüder Kapitalisten desgleichen tun, wo soll er Ware auf dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisiert. Man soll seine Abstinenz bedenken. Er konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumiert und Garn daraus gemacht. Aber dafür ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muss beileibe nicht in die Rolle des Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte, was bei der Asketik herauskommt. Außerdem, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, um sie extra zu zahlen, da der Wert des Produkts, der aus dem Prozess herauskommt, nur gleich der Summe der hineingeworfenen Warenwerte. Er beruhige sich also dabei, dass Tugend der Tugend Lohn. Statt dessen wird er zudringlich. Das Garn ist ihm unnütz. Er hat es für den Verkauf produziert. So verkaufe er es, oder, noch einfacher, produziere in Zukunft nur Dinge für seinen eignen Bedarf, ein Rezept, das ihm bereits sein Hausarzt MacCulloch als probates Mittel gegen die Epidemie der Überproduktion verschrieben hat. Er stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gließmaßen in der blauen Luft Arbeitsgebilde schaffen, Waren produzieren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der größte Teil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und seine Spindel, einen unermesslichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soll er den Dienst nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwiesen, Baumwolle und Spindel in Garn zu verwandeln? Außerdem handelt es sich hier nicht um Dienste. Ein Dienst ist nichts als die nützliche Wirkung eines Gebrauchswerts, sei es der Ware, sei es der Arbeit. Hier aber gilt’s den Tauschwert. Er zahlte dem Arbeiter den Wert von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Äquivalent zurück in dem der Baumwolle zugesetzten Wert von 3 sh. Wert für Wert. Unser Freund, eben noch so kapitalübermütig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst gearbeitet? nicht die Arbeit der Überwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Wert? Sein eigner overlooker und sein Manager zucken die Achseln. Unterdes hat er aber bereits mit heitrem Lächeln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er gibt keinen Deut darum. Er überlässt diese und ähnliche faule Ausflüchte und hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Professoren der politischen Ökonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er außerhalb des Geschäfts sagt, aber stets weiß, was er im Geschäft tut.

Sehn wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, d. h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangene Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne Größen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andre bildet ihren Gebrauchswert. dass ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozess sind also zwei verschiedne Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muss, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat. Dies ist der spezifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Warenaustausches gemäß. In der Tat, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder andren Ware, realisiert ihren Tauschwert und veräußert ihren Gebrauchswert. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den andren wegzugeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebenso wenig ihrem Verkäufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Öls dem Ölhändler. Der Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, dass die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, dass daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.

Unser Kapitalist hat den Kasus, der ihn lachen macht, vorgesehen. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozess. Saugten 10 Pfund Baumwolle 6 Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 Pfund Garn, so werden 20 Pfund Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsaugen und in 20 Pfund Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses. In den 20 Pfund

Garn sind jetzt 5 Arbeitstage vergegenständlicht, 4 in der verzehrten Bäumwoll- und Spindelmasse, 1 von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von 5 Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd. St. 10 sh. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber die Wertsumme der in den Prozess geworfenen Waren betrug 27 sh. Der Wert des Garns beträgt 30 sh. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschossenen Wert. So haben sich 27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von 3 sh. gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.

Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise verletzt. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andre Käufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozess der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozess der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 3 sh. mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozess ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist »tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles«.

Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als Stoffbilder eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Wert, vergangene, vergegenständliche, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertenden Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu »arbeiten« beginnt, als hätt’ es Lieb’ im Leibe.

(1867, MEW, Bd. 23)

Unproduktiver Seidenwurm

Aus: Theorien über den Mehrwert

Der spezifische Gebrauchswert der produktiven Arbeit für das Kapital

Das Resultat des kapitalistischen Produktionsprozesses ist weder ein bloßes Produkt (Gebrauchswert) noch Ware, d. h. Gebrauchswert, der einen bestimmten Tauschwert hat. Sein Resultat, sein Produkt ist Schöpfung des Mehrwerts für das Kapital und daher faktische Verwandlung von Geld oder Ware in Kapital, was sie vor dem Produktionsprozess bloß der Intention nach, an sich, ihrer Bestimmung nach sind. In dem Produktionsprozess wird mehr Arbeit eingesaugt, als gekauft ist, und dies Einsaugen, Aneignen fremder unbezahlter Arbeit, das im Produktionsprozess vollbracht wird, ist der unmittelbare Zweck des kapitalistischen Produktionsprozesses; denn was das Kapital als Kapital (daher der Kapitalist als Kapitalist) produzieren will, ist weder unmittelbar Gebrauchswert zum Selbstkonsum noch Ware, um sie erst in Geld und später in Gebrauchswert zu verwandeln. Sein Zweck ist die Bereicherung, die Verwertung des Wertes, seine Vergrößerung, also das Erhalten des alten Wertes und Schaffen von Mehrwert. Und dies spezifische Produkt des kapitalistischen Produktionsprozesses erreicht es nur im Austausch mit der Arbeit, die daher produktive Arbeit heißt.

Die Arbeit, damit sie Ware produziert, muss nützliche Arbeit sein, einen Gebrauchswert produzieren, sich in einem Gebrauchswert darstellen. Und nur Arbeit, die sich in Ware darstellt, also in Gebrauchswerten, ist daher Arbeit, womit sich Kapital austauscht. Dies ist selbstverständliche Voraussetzung. Aber es ist nicht dieser konkrete Charakter der Arbeit, ihr Gebrauchswert als solcher – dass sie also z. B. Schneiderarbeit, Schusterarbeit, Spinnen, Weben etc. –, was ihren spezifischen Gebrauchswert für das Kapital bildet, sie daher zur produktiven Arbeit im System der kapitalistischen Produktion stempelt. Was ihren spezifischen Gebrauchswert für das Kapital bildet, ist nicht ihr bestimmter nützlicher Charakter, sowenig wie die besondren nützlichen Eigenschaften des Produkts, worin sie sich vergegenständlicht. Sondern ihr Charakter als das schöpferische Element des Tauschwerts, abstrakte Arbeit, und zwar nicht, dass sie überhaupt ein bestimmtes Quantum dieser allgemeinen Arbeit vorstellt, sondern ein größeres Quantum, als in ihrem Preis, d. h. dem Wert des Arbeitsvermögens, enthalten ist.

Der Gebrauchswert des Arbeitsvermögens ist für es eben der Überschuss der Quantität Arbeit, die es liefert über die Quantität Arbeit, die in ihm selbst vergegenständlicht und daher zu seiner Reproduktion erheischt ist. Sie liefert dieses Quantum natürlich in der bestimmten Form, die ihr als besondrer nützlicher Arbeit zukommt, als Spinnarbeit, Webearbeit etc. Aber dieser ihr konkreter Charakter, der sie überhaupt befähigt, sich in Ware darzustellen, ist nicht ihr spezifischer Gebrauchswert für das Kapital. Für es besteht dieser in ihrer Qualität als Arbeit überhaupt und in der Differenz des Arbeitsquantums, das sie leistet über dem Arbeitsquantum, das sie kostet.

Eine bestimmte Geldsumme x wird dadurch Kapital, dass sie sich in ihrem Produkt als x + h darstellt; d. h., dass das Quantum Arbeit, das in ihr als Produkt enthalten ist, größer ist als das Quantum Arbeit, das ursprünglich in ihr enthalten war. Und dies ist das Resultat des Austauschs zwischen dem Geld und der produktiven Arbeit, oder, nur die Arbeit ist produktiv, die vergegenständlichte Arbeit befähigt, im Austausch mit ihr sich als ein vergrößertes Quantum vergegenständlichter Arbeit darzustellen.

Der kapitalistische Produktionsprozess ist daher auch nicht bloß die Produktion von Waren. Er ist ein Prozess, der unbezahlte Arbeit absorbiert, Material und Arbeitsmittel – die Produktionsmittel – zu Mitteln der Absorption unbezahlter Arbeit macht.

Aus dem Bisherigen geht hervor, dass produktive Arbeit zu sein eine Bestimmung der Arbeit ist, die zunächst absolut nichts zu tun hat mit dem bestimmten Inhalt der Arbeit, ihrer besondren Nützlichkeit oder dem eigentümlichen Gebrauchswert, worin sie sich darstellt.

Dieselbe Sorte Arbeit kann produktiv oder unproduktiv sein.

Z. B. Milton, who did the »Paradise Lost« for 5 l. war ein unproduktiver Arbeiter. Der Schriftsteller dagegen, der Fabrikarbeit für seinen Buchhändler liefert, ist ein produktiver Arbeiter. Milton produzierte das »Paradise Lost« aus demselben Grund, aus dem ein Seidenwurm Seide produziert. Es war eine Betätigung seiner Natur. Er verkaufte später das Produkt für 5 l. Aber der Leipziger Literaturproletarier, der unter Direktion seines Buchhändlers Bücher (z. B. Kompendien der Ökonomie) fabriziert, ist ein produktiver Arbeiter, denn sein Produkt ist von vornherein unter das Kapital subsumiert und findet nur zu dessen Verwertung statt. Eine Sängerin, die auf ihre eigene Faust ihren Gesang verkauft, ist ein unproduktiver Arbeiter. Aber dieselbe Sängerin, von einem entrepreneur engagiert, der sie singen lässt, um Geld zu machen, ist ein produktiver Arbeiter, denn sie produziert Kapital.

(1862/3, MEW, Bd 26.1)

Der tendenzielle Fall der Profitrate

Aus: Das Kapital, Band 3

Der Widerspruch, ganz allgemein ausgedrückt, besteht darin, dass die kapitalistische Produktionsweise eine Tendenz einschließt nach absoluter Entwicklung der Produktivkräfte, abgesehen vom Wert und dem in ihm eingeschlossenen Mehrwert, auch abgesehen von den gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb deren die kapitalistische Produktion stattfindet; während sie andrerseits die Erhaltung des existierenden Kapitalwerts und seine Verwertung im höchsten Maß (d. h. stets beschleunigtes Anwachsen dieses Werts) zum Ziel hat. Ihr spezifischer Charakter ist auf den vorhandnen Kapitalwert als Mittel zur größtmöglichen Verwertung dieses Werts gerichtet. Die Methoden, wodurch sie dies erreicht, schließen ein: Abnahme der Profitrate, Entwertung des vorhandnen Kapitals und Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit auf Kosten der schon produzierten Produktivkräfte.

Die periodische Entwertung des vorhandenen Kapitals, die ein der kapitalistischen Produktionsweise immanentes Mittel ist, den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen, stört die gegebnen Verhältnisse, worin sich der Zirkulations- und Reproduktionsprozess des Kapitals vollzieht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses.

Die mit der Entwicklung der Produktivkräfte Hand in Hand gehende relative Abnahme des variablen Kapitals gegen das Konstante gibt dem Anwachsen der Arbeiterbevölkerung einen Stachel, während sie fortwährend künstliche Übervölkerung schafft. Die Akkumulation des Kapitals, dem Wert nach betrachtet, wird verlangsamt durch die fallende Profitrate, um die Akkumulation des Gebrauchswerts noch zu beschleunigen, während diese wieder die Akkumulation, dem Wert nach, in beschleunigten Gang bringt.

Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerem Maßstab entgegenstellen.

Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: dass das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als Motiv und Zweck der Produktion erscheint; dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muss und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion, auf die Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern. Das Mittel – unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandnen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen.

(1865, MEW, Bd 25)

Der Kredit

Aus: »Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion«, in: Das Kapital, Band 3

[Der Kredit erlaubt es], die Akte des Kaufens und Verkaufens länger auseinanderzuhalten, und dient daher der Spekulation als Basis [...]

Abgesehen von dem Aktienwesen – das eine Aufhebung der kapitalistischen Privatindustrie auf Grundlage des kapitalistischen Systems selbst ist, und in demselben Umfang, worin es sich ausdehnt und neue Produktionssphären ergreift, die Privatindustrie vernichtet –, bietet der Kredit dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit. Verfügung über gesellschaftliches, nicht eignes Kapital, gibt ihm Verfügung über gesellschaftliche Arbeit. Das Kapital selbst [...] wird nur noch die Basis zum Kreditüberbau. Es gilt dies besonders im Großhandel, durch dessen Hände der größte Teil des gesellschaftlichen Produkts passiert. [...] [Den wenigen Aneignern des gesellschaftlichen Eigentums gibt der Kredit] immer mehr den Charakter reiner Glücksritter. Da das Eigentum hier in der Form der Aktie existiert, wird seine Bewegung und Übertragung reines Resultat des Börsenspiels, wo die kleinen Fische von den Haifischen und die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen werden. In dem Aktienwesen existiert schon Gegensatz gegen die alte Form, worin gesellschaftliches Produktionsmittel als individuelles Eigentum erscheint; aber die Verwandlung in die Form der Aktie bleibt selbst noch befangen in den kapitalistischen Schranken; statt daher den Gegensatz zwischen dem Charakter des Reichtums als gesellschaftlicher und als Privatreichtum zu überwinden, bildet sie ihn nur in neuer Gestalt aus. [...]

Wenn das Kreditwesen als Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel erscheint, so nur, weil der Reproduktionsprozess, der seiner Natur nach elastisch ist, hier bis zur äußersten Grenze forciert wird, und zwar deshalb forciert wird, weil ein großer Teil des gesellschaftlichen Kapitals von den Nichteigentümern desselben angewandt wird, die daher ganz anders ins Zeug gehen als der ängstlich die Schranken seines Privatkapitals erwägende Eigentümer, soweit er selbst fungiert. Es tritt damit nur hervor, dass die auf den gegensätzlichen Charakter der kapitalistischen Produktion gegründete Verwertung des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat eine immanente Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird. Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.

Die dem Kreditsystem immanenten doppelseitigen Charaktere: einerseits die Triebfelder der kapitalistischen Produktion, Bereicherung durch Ausbeutung fremder Arbeit, zum reinsten und kolossalsten Spiel- und Schwindelsystem zu entwickeln und die Zahl der den gesellschaftlichen Reichtum ausbeutenden Wenigen immer mehr zu beschränken; andrerseits aber die Übergangsform zu einer neuen Produktionsweise zu bilden, – diese Doppelseitigkeit ist es, die den Hauptverkündern des Kredits [...] ihren angenehmen Mischcharakter von Schwindler und Prophet gibt.

(1865, MEW, Bd. 25)

Über Proudhon Brief an J.B. v. Schweitzer

London, 24. Januar 1865

Sehr geehrter Herr!

Ich erhielt gestern einen Brief, worin Sie von mir ausführliche Beurteilung Proudhons verlangen. Zeitmangel erlaubt mir nicht, Ihren Wunsch zu befriedigen. Zudem habe ich keine seiner Schriften hier zur Hand. Um Ihnen jedoch meinen guten Willen zu zeigen, werfe ich rasch eine kurze Skizze hin. Sie können dann nachholen, zusetzen, auslassen, kurz und gut, damit machen, was Ihnen gutdünkt.

Proudhons erster Versuche erinnere ich mich nicht mehr. Seine Schularbeit über die »Langue universelle« zeigt, wie ungeniert er sich an Probleme wagte, zu deren Lösung ihm noch die ersten Vorkenntnisse fehlten.

Sein erstes Werk »Qu’est-ce que la proprieté?« ist unbedingt sein bestes Werk. Es ist epochemachend, wenn nicht durch neuen Inhalt, so doch durch die neue und kecke Art, Altes zu sagen. In den Werken der ihm bekannten französischen Sozialisten und Kommunisten war natürlich die »propriété« nicht nur mannigfach kritisiert, sondern auch utopisch »aufgehoben« worden. Proudhon verhält sich in jener Schrift zu Saint-Simon und Fourier ungefähr wie sich Feuerbach zu Hegel verhält. Verglichen mit Hegel ist Feuerbach durchaus arm. Dennoch war er epochemachend nach Hegel, weil er den Ton legte auf gewisse, dem christlichen Bewusstsein unangenehme und für den Fortschritt der Kritik wichtige Punkte, die Hegel in einem mystischen Clair-obscur gelassen hatte.

Wenn ich mich so ausdrücken darf, herrscht in jener Schrift Proudhons noch starke Muskulatur des Stils. Und ich halte den Stil derselben für ihr Hauptverdienst. Man sieht, dass selbst da, wo nur Altes reproduziert wird, Proudhon selbständig findet; dass das, was er sagt, ihm selbst neu war und als neu gilt. Herausfordernder Trotz, der das ökonomische »Allerheiligste« antastet, geistreiche Paradoxie, womit der gemeine Bürgerverstand gefoppt wird, zerreißendes Urteil, bittre Ironie, dann und wann durchschauend ein tiefes und wahres Gefühl der Empörung über die Infamie des Bestehenden, revolutionärer Ernst – durch alles das elektrisierte »Qu’est-ce que la proprieté?« und gab einen großen Anstoß bei seinem ersten Erscheinen. In einer streng wissenschaftlichen Geschichte der politischen Ökonomie wäre dieselbe Schrift kaum erwähnenswert. Aber solche Sensationalschriften spielen in den Wissenschaften ebenso gut ihre Rolle wie in der Romanliteratur. Man nehme z. B. Malthus’ Schrift über »Population«. In ihrer ersten Ausgabe ist sie nichts als ein »sensational pamphlet«, dazu Plagiat von Anfang zu Ende. Und doch, wieviel Anstoß gab dies Pasquill auf das Menschengeschlecht!

Läge Proudhons Schrift vor mir, so wäre an einigen Beispielen seine erste Manier leicht nachzuweisen. In den Paragraphen, die er selbst für die wichtigsten hielt, ahmt er Kants Behandlung der Antinomien nach – es war dies der einzige deutsche Philosoph, den er damals aus Übersetzungen kannte – und lässt den starken Eindruck zurück, dass ihm, wie Kant, die Lösung der Antinomien für etwas gilt, das »jenseits« des menschlichen Verstandes fällt, d. h. worüber sein eigner Verstand im Unklaren bleibt.

Trotz aller scheinbaren Himmelsstürmerei findet man aber schon in »Qu’est-ce que la proprieté?« den Widerspruch, dass Proudhon einerseits die Gesellschaft vom Standpunkt und mit den Augen eines französischen Parzellenbauern (später petit bourgeois) kritisiert, andererseits den von den Sozialisten ihm überlieferten Maßstab anlegt.

Das Ungenügende der Schrift war schon in ihrem Titel angedeutet. Die Frage war so falsch gestellt, dass sie nicht richtig beantwortet werden konnte. Die antiken »Eigentumsverhältnisse« waren untergegangen in den feudalen, die feudalen in den »bürgerlichen«. Die Geschichte selbst hatte so ihre Kritik an den vergangenen Eigentumsverhältnissen ausgeübt. Das, worum es sich für Proudhon eigentlich handelte, war das bestehende modern-bürgerliche Eigentum. Auf die Frage, was dies sei, konnte nur geantwortet werden durch eine kritische Analyse der »politischen Ökonomie«, die das Ganze jener Eigentumsverhältnisse, nicht in ihrem juristischen Ausdruck als Willensverhältnisse, sondern in ihrer realen Gestalt, d. h. als Produktionsverhältnisse, umfasste. Indem Proudhon aber die Gesamtheit dieser ökonomischen Verhältnisse in die allgemeine juristische Vorstellung »das Eigentum«, »la propriete«, verflocht, konnte er auch nicht über die Antwort hinauskommen, die Brissot mit denselben Worten in einer ähnlichen Schrift schon vor 1789 gegeben hatte: »La propriete c’est le vol.«

Im besten Fall kommt dabei nur heraus, dass die bürgerlich-juristischen Vorstellungen von »Diebstahl« auch auf des Bürgers eignen »redlichen« Erwerb passen. Andererseits verwickelte sich Proudhon, da der »Diebstahl« als gewaltsame Verletzung des Eigentums das Eigentum voraussetzt, in allerlei ihm selbst unklare Hirngespinste über das wahre bürgerliche Eigentum.

Während meines Aufenthalts in Paris, 1844, trat ich zu Proudhon in persönliche Beziehung. Ich erwähne das hier, weil ich zu einem gewissen Grad mit schuld bin an seiner »Sophistication«, wie die Engländer die Fälschung eines Handelsartikels nennen. Während länger, oft übernächtiger Debatten infizierte ich ihn zu seinem großen Schaden mit Hegelianismus, den er doch bei seiner Unkenntnis der deutschen Sprache nicht ordentlich studieren konnte. Was ich begann, setzte nach meiner Ausweisung aus Paris Herr Karl Grün fort. Der hatte als Lehrer der deutschen Philosophie noch den Vorzug vor mir, dass er selbst nichts davon verstand.

Kurz vor Erscheinen seines zweiten bedeutenden Werkes »Philosophie de la misere etc.« kündigte mir Proudhon dieses selbst in einem sehr ausführlichen Brief an, worin u. a. die Worte unterlaufen: »Tattends votre firule critique.« Indes fiel diese bald in einer Weise auf ihn (in meiner Schrift »Misere de la philosophic etc.«, Paris 1847), die unserer Freundschaft für immer ein Ende machte.

Aus dem hier Gesagten ersehen Sie, dass Proudhons »Philosophie de la rmsere ou Systeme des contradictions economiques« eigentlich erst die Antwort enthielt auf die Frage: »Qu’est-ce que lapropriete?« Er hatte in der Tat erst nach dem Erscheinen dieser Schrift seine ökonomischen Studien begonnen; er hatte entdeckt, dass die von ihm aufgeworfene Frage nicht beantwortet werden konnte mit einer Invektive, sondern nur durch Analyse der modernen »politischen Ökonomie«. Er versuchte zugleich, das System der ökonomischen Kategorien dialektisch darzustellen. An die Stelle der unlösbaren »Antinomien« Kants sollte der Hegelsche »Widerspruch« als Entwicklungsmittel treten.

Zur Beurteilung seines zweibändigen, dickleibigen Werkes muss ich Sie auf meine Gegenschrift verweisen. Ich zeigte darin u. a., wie wenig er in das Geheimnis der wissenschaftlichen Dialektik eingedrungen; wie er andererseits die Illusionen der spekulativen Philosophie teilt, indem er die ökonomischen Kategorien, statt als theoretische Ausdrücke historischer, einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktion entsprechender Produktionsverhältnisse zu begreifen, sie in präexistierende, ewige Ideen verfaselt, und wie er auf diesem Umwege wieder auf dem Standpunkt der bürgerlichen Ökonomie ankommt.

Ich zeige weiter noch, wie durchaus mangelhaft und teilweise selbst schülerhaft seine Bekanntschaft mit der »politischen Ökonomie«, deren Kritik er unternahm, und wie er mit den Utopisten auf eine sogenannte »Wissenschaft« Jagd macht, wodurch eine Formel für die »Lösung der sozialen Frage« a priori heraus spintisiert werden soll, statt die Wissenschaft aus der kritischen Erkenntnis der geschichtlichen Bewegung zu schöpfen, einer Bewegung, die selbst die materiellen Bedingungen der Emanzipation produziere. Namentlich aber wird gezeigt, wie Proudhon über die Grundlage des Ganzen, den Tauschwert, im Unklaren, Falschen und Halben bleibt, ja die utopistische Auslegung der Ricardoschen Werttheorie für die Grundlage einer neuen Wissenschaft versieht. Über seinen allgemeinen Standpunkt urteile ich zusammenfassend wie folgt:

[...] Er will als Mann der Wissenschaft über Bourgeois und Proletariern schweben; er ist nur der Kleinbürger, der beständig zwischen dem Kapital und der Arbeit, zwischen der politischen Ökonomie und dem Kommunismus hin- und hergeworfen wird.«

Hart, wie das vorstehende Urteil klingt, muss ich noch heute jedes Wort desselben unterschreiben. Zugleich aber bedenke man, dass zur Zeit, wo ich Proudhons Buch für den Kodex des Sozialismus des petit bourgeois erklärte und dies theoretisch nachwies, Proudhon noch als Ultra-Erzrevolutionär von politischen Ökonomisten und von Sozialisten zugleich verketzert ward. Deshalb habe ich später auch nie eingestimmt in das Geschrei über seinen »Verrat« an der Revolution. Es war nicht seine Schuld, wenn er, von anderen wie von sich selbst ursprünglich missverstanden, unberechtigte Hoffnungen nicht erfüllt hat.

In der »Philosophie de la misère« springen alle Mängel der Proudhon’schen Darstellungsweise im Kontrast zu »Qu’est-ce que la propriete?« sehr ungünstig hervor. Der Stil ist oft, was die Franzosen ampoule nennen. Hochtrabend spekulatives Kauderwelsch, deutsch-philosophisch sein sollend, tritt regelrecht ein, wo ihm die gallische Verstandsschärfe ausgeht. Ein marktschreierischer, selbstlobhudelnder, ein renommistischer Ton, namentlich das stets so unerquickliche Gesalbader von und falsches Gepränge mit »Wissenschaft«, gellt einem fortwährend ins Ohr. Statt der wirklichen Wärme, welche die erste Schrift durchleuchtet, wird sich hier an gewissen Stellen systematisch in eine fliegende Hitze hineindeklamiert. Dazu das unbeholfen-widrige Gelehrttun des Autodidakten, dessen naturwüchsiger Stolz auf originelles Selbstdenken bereits gebrochen ist und der nun als Parvenü der Wissenschaft mit dem, was er nicht ist und nicht hat, sich spreizen zu müssen wähnt. Dann die Gesinnung des Kleinbürgers, der etwa einen Mann wie Cabet, respektabel wegen seiner praktischen Stellung zum französischen Proletariat, unanständig brutal – weder scharf noch tief, noch selbst richtig – angreift, dagegen z. B. einem Dunoyer (allerdings »Staatsrat«) gegenüber artig tut, obgleich die ganze Bedeutung jenes Dunoyer in dem komischen Ernst bestand, womit er drei dicke, unerträglich langweilige Bände hindurch den Rigorismus predigte, den Helvetius so charakterisiert: »On veut que les malheureux soient parfaits.« (Man verlangt, dass die Unglücklichen vollkommen sein sollen.)

Die Februarrevolution kam Proudhon in der Tat sehr ungelegen, da er just einige Wochen zuvor unwiderleglich bewiesen hatte, dass »die Ara der Revolutionen« für immer vorüber sei. Sein Auftreten in der Nationalversammlung, so wenig Einsicht in die vorliegenden Verhältnisse es bewies, verdient alles Lob. Nach der Juni-Insurrektion war es ein Akt großen Mutes. Es hatte außerdem die günstige Folge, dass Herr Thiers in seiner Gegenrede gegen Proudhons Vorschläge, die dann als besondere Schrift veröffentlicht ward, ganz Europa bewies, auf welchem Kleinkinderkatechismus-Piedestal dieser geistige Pfeiler der französischen Bourgeoisie stand. Herrn Thiers gegenüber schwoll Proudhon in der Tat zu einem vorsündflutlichen Kolosse auf. [...]

Vor wenigen Jahren schrieb Proudhon eine Preisschrift – ich glaube von der Lausanner Regierung veranlasst–über die »Steuern«. Hier erlischt auch die letzte Spur von Genialität. Es bleibt nichts als der petit bourgois tout pur.

Was Proudhons politische und philosophische Schriften angeht, so zeigt sich in allen derselbe widerspruchsvolle, zwieschlächtige Charakter wie in den ökonomischen Arbeiten. Dabei haben sie nur lokal-französischen Wert. Seine Angriffe gegen Religion, Kirche usw. besitzen jedoch ein großes lokales Verdienst zu einer Zeit, wo die französischen Sozialisten es passend hielten, dem bürgerlichen Voltairianismus des 18. und der deutschen Gottlosigkeit des 19. Jahrhunderts durch Religiosität überlegen zu sein. Wenn Peter der Große die russische Barbarei durch Barbarei niederschlug, so tat Proudhon sein Bestes, das französische Phrasenwesen durch die Phrase niederzuwerfen.

Als nicht nur schlechte Schriften, sondern als Gemeinheiten, jedoch dem kleinbürgerlichen Standpunkt entsprechende Gemeinheiten, sind zu bezeichnen seine Schrift über den »Coup d’état«, worin er mit L. Bonaparte kokettiert, ihn in der Tat den französischen Arbeitern mundgerecht zu machen strebt, und seine letzte Schrift gegen Polen, worin er dem Zaren zur Ehre kretinartigen Zynismus treibt.

Man hat Proudhon oft mit Rousseau verglichen. Nichts kann falscher sein. Eher hat er Ähnlichkeit mit Nic. Linguet, dessen »Theorie des loix civiles« übrigens ein sehr geniales Buch ist.

Proudhon neigte von Natur zur Dialektik. Da er aber nie die wirklich wissenschaftliche Dialektik begriff, brachte er es nur zur Sophistik. In der Tat hing das mit seinem kleinbürgerlichen Standpunkt zusammen. Der Kleinbürger ist wie der Geschichtsschreiber Raumer zusammengesetzt aus einerseits und andrerseits. So in seinen ökonomischen Interessen, und daher in seiner Politik, seinen religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Anschauungen. So in seiner Moral, so in everything. Er ist der lebendige Widerspruch. Ist er dabei, wie Proudhon, ein geistreicher Mann, so wird er bald mit seinen eigenen Widersprüchen spielen lernen und sie je nach Umständen zu auffallenden, geräuschvollen, manchmal skandalösen, manchmal brillanten Paradoxen ausarbeiten. Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Akkomodation sind von solchem Standpunkt unzertrennlich. Es bleibt nur noch ein treibendes Motiv, die Eitelkeit des Subjekts, und es fragt sich, wie bei allen Eiteln, nur noch um den Erfolg des Augenblicks, um das Aufsehn des Tages. So erlischt notwendig der einfache sittliche Takt, der einen Rousseau z. B. selbst jedem Scheinkompromiss mit den bestehenden Gewalten stets fernhielt.

Vielleicht wird die Nachwelt die jüngste Phase des Franzosentums dadurch charakterisieren, dass Louis Bonaparte sein Napoleon war und Proudhon sein Rousseau-Voltaire.

Sie müssen nun selbst die Verantwortlichkeit dafür übernehmen, dass Sie, so bald nach dem Tode des Mannes, die Rolle des Totenrichters mir aufgebürdet.

Ihr ganz ergebener

Karl Marx

(MEW, Bd. 16)