Kapitel 11

Es fühlt sich ein bisschen an wie Dating, aber ohne die verliebten Blicke.

Wochen verbringen Philipp und ich damit, einander besser kennenzulernen. Wir treffen uns im Café, zum Essen oder zum Spazierengehen und reden ohne Punkt und Komma. Wir beobachten Familien auf der Straße und analysieren ihren Umgang mit den Kindern und miteinander. Wir gehen in ein Spielzeugwarengeschäft und sind uns einig, dass Jungs auch Rosa tragen und Mädchen mit Autos spielen dürfen. Wir gehen ins Kino, wo ich ein paarmal tief einatme, um heimlich zu überprüfen, ob ich ihn gut riechen kann. Kann ich. Und schließlich kommt der Tag, den ich ein bisschen hinausgezögert habe, weil ich Sorge hatte, er könnte alles ruinieren: Ich werde Philipp zu Hause in seiner Wohnung besuchen.

»Ja, und?«, fragt Johanna, als ich ihr davon erzähle. »Was ist daran so dramatisch?«

»Wenn es dreckig ist oder unordentlich ist oder er heimlich Klappmesser sammelt?!«

»Hmmm. Ich hatte mal was mit jemandem, der alle Wände schwarz gestrichen hatte.«

»Ach. War er schon als Amokläufer in den Nachrichten?«

»Nee, im Gegenteil, das war so ein hipper Design-Heini, der es ein bisschen übertrieben hatte mit seinem Style. Ich glaube, er fand es auch scheiße, wollte es aber nicht zugeben, weil es so viel Arbeit macht, Schwarz wieder hell zu überstreichen.«

»Philipp sagt, seine Wohnung ist hell. Hoffentlich gehen die Fenster nicht zu tief runter, da könnte ein Kind leicht rausfallen.«

»Du machst dich schon wieder verrückt. Geh einfach hin, statt dich reinzusteigern.«

 

Zum Glück ahnt Philipp nichts von meinen Bedenken. Er öffnet mir lächelnd seine Wohnungstür und umarmt mich. Wir haben mittlerweile ein kumpelhaftes Begrüßungsritual, bei dem wir uns kurz auf die Schultern klopfen, wie manche Männer mittleren Alters das gerne tun, die dabei »Na, altes Haus« sagen. Der Flur ist angenehm kühl; in einem der Zimmer dudelt ein Radio. Keine schwarzen Wände. Im Wohnzimmer sind sie sandfarben; ich verkneife mir einen Geologen-Scherz. Durch die Fenster scheint die Frühsommersonne auf einen schönen großen Esstisch aus hellem Holz, eine Reihe niedriger Bücherregale und ein rotbraunes Sofa. In der Ecke lehnt eine schwarze E-Gitarre. Aus der Küche zieht ein wunderbarer Duft.

»Das Kichererbsencurry köchelt seit einer Stunde. Es sollte jetzt richtig durchgezogen sein«, sagt Philipp. »Wir müssen nur noch den Tisch decken.«

Ich folge ihm in die Küche, wo ein kleiner weißer Tisch mit zwei Stühlen steht, beide lindgrün gestrichen. Hier würde ein Hochstuhl für ein Kind noch gut hinpassen. Es wundert mich selbst, aber in Philipps Wohnung kann ich mir auch sofort ein Kind vorstellen  – genau wie in meiner eigenen. Es ist nicht nur Platz dafür, die Atmosphäre ist auch so schön ruhig und einladend.

Optimistisch öffne ich die Besteckschublade. Und dann stehe ich vor drei Fächern, in denen Gabeln, Messer und Löffel liegen. Aber nicht sortiert, sondern alles durcheinander.

»Äh, Philipp?«

»Ja?«

»Machst du das immer so?« Ich deute auf das Chaos.

»Ach ja, eigentlich schon. Ich finde, es lohnt sich nicht, Besteck zu sortieren. Man findet ja auch so leicht das, was man braucht.«

»Oh, okay.« NICHT OKAY. Wer macht denn so was? Aber natürlich weiß ich, wie übertrieben mein Ordnungssinn ist und dass ich ihn sowieso mehrfach nachjustieren muss, wenn erst einmal ein Kind im Haus ist. Da kommt das Chaos von ganz alleine. Wahrscheinlich habe ich in einem Jahr eh keine Zeit mehr, mein Besteck zu sortieren.

Philipp, der von meinem inneren Kampf hoffentlich nichts ahnt, schöpft Reis und Curry in tiefe, dunkelgrüne Teller. Der Mann hat schon Geschmack, das muss man ihm lassen. Ich nehme ihm die Teller ab, drehe mich um und erstarre.

Von der Wand lächeln mich ein etwas jüngerer Philipp und eine ausnehmend schöne Frau an. Die Köpfe halten sie so nah beieinander, dass ihre blonden Haare ineinanderfließen. Beide sind festlich angezogen, vielleicht für eine Taufe oder Hochzeit. Philipp bemerkt meine Reaktion und folgt meinem Blick, sagt aber nichts.

»Deine, äh, Schwester?«, frage ich. Sie sehen sich tatsächlich ein bisschen ähnlich.

»Nein. Das ist meine Ex.«

»Oh.« Ich halte die Teller ganz fest und versuche, unbesorgt zu klingen. Aber Herrgott, der Mann hat ein Foto seiner Ex an der Wand, von der er seit vier Jahren getrennt ist? Ernsthaft? Als er sagte, er sei nicht bereit für eine neue Beziehung, lag er auf jeden Fall hundertprozentig richtig. Dass das Bild nur eines von etwa zehn an dieser Wand ist, die allesamt fröhlich lachende Menschen zeigen, manchmal mit Philipp, manchmal ohne ihn, macht es kaum besser.

»Und das andere sind deine Freunde?«

»Ja, genau. Sie gehört auch zu diesem Freundeskreis, den es immer noch gibt, deshalb hätte ich es komisch gefunden, sie wegzulassen.«

»Aha.« Fassen wir es kurz zusammen: Er ist nach der Trennung in diese Wohnung gezogen und hat erst mal ein Bild von seiner Ex aufgehängt. Wenn wir eine Liebesbeziehung hätten, würde ich jetzt, in dieser Sekunde, die Wohnungstür hinter mir schließen und nie mehr wiederkommen.

Philipp nimmt mir die Teller aus der Hand und geht vor mir her ins Wohnzimmer. Er scheint zu merken, dass ich ein bisschen Zeit brauche, das zu verarbeiten. Sofort melden sich neue Bedenken. Ich setze mich zu ihm an den Esstisch; wir schauen einander an. Keiner von uns greift auch nur nach dem Besteck.

»Ich muss dich was Wichtiges fragen«, sage ich.

»Ja, das merke ich. Schieß los.«

»Besteht die Möglichkeit, dass du mit deiner Ex wieder zusammenkommst, die keine Kinder will, und dass dann unser Kind überzählig ist?« Ich bin äußerlich ruhig, aber innerlich stinkwütend. Ich hab mich doch nicht gegen Rafael entschieden, um dann bei Philipp in das gleiche Problem zu rennen!

»Nein«, sagt Philipp schlicht. »Ich weiß, dass es komisch aussieht, dass dieses Foto da hängt, aber es war einfach ein schöner Tag, an den ich gerne zurückdenke. Ria und ich haben es lange genug miteinander versucht, und am Ende hat es nicht geklappt. Außerdem dachte ich, ich hätte sehr deutlich gemacht, wie sehr ich ein Kind will. Da hat in der Zukunft keine Frau zu kommen, die damit nicht einverstanden ist.«

Ich atme erleichtert auf und merke erst da, dass ich vor lauter Anspannung die Luft angehalten habe. Aber Philipp ist noch nicht fertig.

»Ein Kind zu haben ist jetzt meine Priorität«, sagt er. »Frauen interessieren mich gerade nicht. Und schon gar nicht Frauen, mit denen ich es schon erfolglos versucht habe.«

»Okay. Gut.«

Ich greife nach meinem Löffel und fange an zu essen, aber Philipp sieht mich weiter an und verzieht den Mund.

»Du fühlst dich gerade nicht besonders wohl hier, oder?«

»Doch, schon!« Ich lege den Löffel wieder hin, und meine ganze Genervtheit bricht aus mir raus. »Deine Wohnung ist prima, aber das mit dem Foto hat mich gerade so kalt erwischt, dass ich ein bisschen sauer bin. Ich musste das alles fragen, aber jetzt steh ich da wie die eifersüchtige Neue. Dabei geht es mir doch gar nicht darum, wir sind doch nicht mal zusammen, du kannst unglücklich verliebt sein, in wen du willst!«

»Ich kann  – was? Jetzt hör aber mal auf! Ich bin nicht unglücklich in Ria verliebt!«

»Ach so, na klar. Du hast einfach nur so ein Foto aus glücklichen Zeiten da hängen, das du jeden Tag siehst

»Ich hab dir das doch erklärt!«

»Siehst du, jetzt bin ich schon wieder die eifersüchtige Neue, die nix versteht. Ich versuch einfach nur zu sagen, dass ich das ungewöhnlich finde und dir nicht abnehme, dass du keine Gefühle mehr für sie hast. Und ich bin auch nicht eifersüchtig, aber wenn wir zusammen ein Kind haben, braucht es Platz in deinem Leben!«

»In meinem Leben ist mehr als genug Platz!«

»Aber vielleicht ja nur, bis sie wieder anruft!«

Philipp verstummt kurz. Dann schiebt er unsere Teller beiseite, nimmt meine Hände in seine und redet ganz leise weiter. Der ungewohnte Körperkontakt zwischen uns bereitet mir etwas Unbehagen, aber seine sanfte Stimme fühlt sich an, als würde er warmes Öl in mich hineinträufeln.

»Ich weiß, dass wir uns gerade erst kennenlernen. Und ich weiß, dass wir gerade streiten. Ich möchte dir trotzdem jetzt sagen, dass ich mich schon entschieden habe, dass ich das Kind mit dir will. Ich will ihm ein guter Vater sein, und ich will das gemeinsam mit dir gut machen. Du kannst dich auf mich verlassen. Ich sehe, wie wichtig dir das ist, weil du gerade deswegen ausflippst. Aber du bist die Einzige hier, die noch überlegt. Ich bin mir sicher.«

Ich schniefe ein bisschen, lasse den Kopf sinken und starre auf den Tisch.

»Ich will dich überhaupt nicht unter Druck setzen«, fährt er fort. »Ich will aber auch nicht unter Druck gesetzt werden wegen etwas, was mit unseren Plänen nicht das Geringste zu tun hat. Und wenn du Sorgen hast, dass ich dich hängen lasse, dann entwerfen wir heute noch einen Vertrag, in dem genau steht, wie wir die Verantwortung und die Aufgaben teilen. Du musst ihn nicht sofort unterschreiben, aber du kannst es jederzeit. Würde dich das beruhigen?«

»Ja.« Ich hebe den Kopf und schaue ihn an. Meine Hände ziehe ich zurück, weil gerade eine derartige Hitzewelle durch meinen Körper rast, dass jede weitere Wärmequelle sich wie Feuer anfühlt. Ungelenk spreize ich meine Finger. »Ja, das würde mich beruhigen.«

»Gut. Jetzt gleich oder erst essen?«

»Erst essen, bitte, es riecht so gut, und Streiten ist so anstrengend. Können wir das Fenster kippen?« Ich fühle mich, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen.

»Klar.« Philipp steht auf, während ich unsere Teller richtig hinstelle. Als er sich wieder hinsetzt, wirkt er amüsiert.

»Du bist ganz schön unfair beim Streiten.«

Ich muss lachen.

»Das wird dich jetzt natürlich total überraschen, aber  …«, ich hebe den Zeigefinger und gucke bedeutsam: »Das hör ich nicht zum ersten Mal.«

Philipp lacht auch. »Ja, total überraschend, ehrlich.«

»Das Curry schmeckt himmlisch.«

»Danke. Ist ein Rezept von meiner Ex.«

Ich lasse den Löffel sinken und schaue ihn genervt an, aber er lacht schon wieder und sagt: »War ein Witz. Zu früh?«

»Bisschen zu früh. Morgen vielleicht wieder.«

»Gut zu wissen. Hey, wir haben unseren ersten Running Gag!«

»Du bist echt unmöglich.«

»Jaja. Sag mir das alles jetzt, vor dem Kind kannst du das ja dann nicht mehr, da musst du immer wertschätzend von mir sprechen. Ich habe gelesen, wie wichtig das ist beim Co-Parenting.«

»Du hast dich eingelesen?«

»Äh, klar. Das ist die wichtigste Entscheidung meines Lebens, da informiere ich mich doch vorher.«

»Ich finde dich echt super.«

»Jetzt schon? Ich hatte überlegt, dir gleich vorzuschlagen, dass Geschenke für Kindergeburtstage zu kaufen meine Aufgabe sein wird, aber dann brauche ich diesen Bestechungsversuch vielleicht gar nicht?«

»Also, ich würde dir diese ätzende Aufgabe abnehmen, zum Dank, weil du gerade wirklich gut reagiert hast. Dafür könntest du eine richtig coole bekommen: alle Arzttermine!«

»So kannst du vielleicht unser Kind reinlegen, aber nicht mich. Und das Kind auch nur in den ersten paar Jahren. Das wird nämlich sehr intelligent.«

»Ach so? Bräuchten wir dafür nicht eine Samenbank?«

»Ganz dünnes Eis, Frau Färber!«