Mein Gefühl sagt mir, dass es ein Mädchen wird. Mädchennamen sind leicht, da gibt es viele hübsche. Aber Jungsnamen! Alleine einen zu finden, der nicht zu einem Mann gehört, mit dem ich eine negative Erinnerung verbinde! Tom zum Beispiel, prima Name. So hieß aber auch der Typ, in den ich in der Uni mindestens ein Semester lang unsterblich verliebt war und der meine Aufmerksamkeit genoss, aber mit meiner Referatspartnerin ins Bett ging. Oder Markus: zwei Dates, alles fing super an, aber dann ghostete er mich und ward nie mehr gesehen. Jonathan, auch sehr schön: Kurzzeitaffäre, bis sich herausstellte, dass er verheiratet war.
Zum Glück habe ich mit Philipp keine Beziehung, sonst könnte ich ihm das alles nicht sagen, falls er diese Namen vorschlägt. Es klingt, als hätte ich so viele Affären gehabt, dass jetzt nur noch Korbinian und Xaver als Namen in Betracht kommen.
Philipp ist in Partylaune, als er an meine Tür klopft. Aus einer Tasche zieht er alkoholfreien Sekt, Wäscheleine, Wäscheklammern und buntes Papier.
»Oh, wird das ein Bastelprojekt?«, frage ich.
»Allerdings. Öffnest du den Sekt?«
Er macht sich daran, die Wäscheleine zu entwirren. Als ich mit zwei gefüllten Gläsern wieder ins Wohnzimmer komme, hat er sie quer über die Wand gezogen und an den Nägeln befestigt, mit denen ich die Bilder aufgehängt habe. Ich reiche ihm ein Sektglas, wir stoßen an und …
»Uff.« Er verzieht das Gesicht.
»Ja. Nee.«
»Ich wollte solidarisch sein und auch keinen Alkohol trinken, bis das Baby da ist, aber das ist echt hart.«
»Glasreiniger in der Kopfnote. Willst du ne Apfelschorle?«
»Ja bitte!«
Mit frischen Getränken setzen wir uns an den Tisch, und Philipp überreicht mir Papier und einen Edding.
»Also, meine Idee wäre: Jeder darf seine Vorschläge aufschreiben und hinhängen, und dann dürfen wir abwechselnd welche abnehmen. Was hängen bleibt, wäre uns beiden recht.«
»Aber nur, wenn wir beide gleich viele Namen aufschreiben.«
»Genau. Jeder zehn für Mädchen, zehn für Jungs?«
»So viele? Weiß nicht, ob mir so viele einfallen.«
Wortlos zieht Philipp ein Namenslexikon hervor und schiebt es mir über den Tisch zu. Ich nehme es in die Hand, es riecht ganz neu. Mit geschlossenen Augen lasse ich die Seiten durch meine Finger gleiten, stoppe irgendwo und tippe mit dem Zeigefinger der anderen Hand auf eine Stelle der offenen Seite. Dann öffne ich die Augen. Philipp schaut mir neugierig zu.
»Wenn andere Leute diese Methode auch anwenden, erklärt das wahrscheinlich einiges«, sagt er.
»Bernd«, sage ich. »Oder Bernfried, mein Finger liegt genau dazwischen.«
»Gut, ich denke, sieben wohlüberlegte Namen von jedem von uns sind besser als zehn Bernfriede, die du willkürlich ausgesucht hast.«
»Okay, lass uns loslegen.«
Ich fange natürlich mit den Mädchennamen an. Sieben habe ich schnell beisammen. Bei den Jungs dauert es länger. Ich linse zu Philipp hinüber.
»Nicht abschreiben«, sagt er, ohne aufzuschauen.
»Gustav, echt jetzt?«
»Und nicht einmischen! Du darfst ihn nachher abnehmen, wenn er dir nicht gefällt. Schreib deine eigenen Namen auf.«
Ich denke so scharf nach, dass es mich für ein paar Minuten sogar von der Übelkeit ablenkt. Während Philipp die fertigen Zettel schon aufhängt, muss ich nachsitzen, aber irgendwann habe ich auch sieben beisammen, mit denen ich gut leben könnte, und drehe mich zur Wäscheleine um.
»Petra?!«
»Ja, nach deiner Mutter.«
»Ach komm, du spinnst.«
»Nicht als Rufname, als Zweitname!«
»Und dann noch Ulrike nach deiner Mutter?«
Beides begeistert mich null.
»Nee, mein Bruder hat seine Älteste schon Ulrike genannt, das reicht.«
»Okay, dann lass mal sehen.«
Wir schreiten die Wäscheleine ab. Achtundzwanzig Namen, das könnte ein langer Abend werden. Ich deute auf einen in der Mitte: »Arved? Ist das ein Jungenname? Klingt wie aus Game of Thrones.«
»Arved Fuchs heißt ein berühmter Polarforscher, du Banausin. Und meinst du Jevgenij ernst? Hast du russische Wurzeln?«
»Nein, aber ich finde, das ist ein wunderschöner Name!«
»Auf Deutsch heißt er Eugen.«
»Aber da steht Jevgenij und nicht Eugen.«
»Alles klar, hier lege ich mein erstes Veto ein. Zu kompliziert. Unser Kind soll sein Leben nicht mit Buchstabieren verbringen.« Philipp nimmt den Zettel ab.
»Meinetwegen. Du hast Jasper aufgeschrieben, hat das was mit Jaspis zu tun?«
»Ja! Auf Englisch heißt es Jasper. Das ist eine Variante von Quarz. Man macht Schmuck daraus, wahrscheinlich kennst du den Namen daher.«
»Das klingt ganz schön, aber würdest du unser Kind wirklich nach einem Stein benennen?«
»Der Name Peter heißt auch nix anderes als Stein. Außerdem ist Stein unpräzise, Jaspis ist ein Mineral.«
»Aha. Und gibt es noch mehr Mineralien, nach denen man deiner Meinung nach Kinder benennen sollte?«
»Klar. Nickelblödit zum Beispiel.«
»Das hast du gerade erfunden!«
»Das gibt es wirklich. Magst du nicht? Wie wär’s mit Plumbogummit?«
Ich lasse mich aufs Sofa fallen und lache. »Plumbogim …?«
»Plumbogummit. Ist vielleicht auch ein bisschen kompliziert. Was hältst du von Kakoxen?«
»Ich hatte keine Ahnung, wie lustig dein Job ist!«
»Über Mineraliennamen zu lachen hat meine Freunde und mich durchs Studium getragen.«
»Noch einen, bitte!«
»Pimelit.«
»Ahahaha!«
Ich winde mich hilflos vor Lachen auf dem Sofa.
»Ich finde, du nimmst das hier nicht ernst genug«, sagt Philipp mit gespieltem Stirnrunzeln.
»Wenn du mich öfter so zum Lachen bringst, darfst du unser Kind nennen, wie du willst.«
»Oh, cool, dann …«
»Außer Gustav!«
»Pah.« Philipp setzt sich zu mir. »Aber ich bringe dich gerne zum Lachen. Bestimmt lacht der Zellhaufen in deinem Bauch mit.«
»Das ist sehr romantisch.«
»Ich bin Naturwissenschaftler, was hast du erwartet?«
»Willst du bei mir einziehen?«
Herrgott. Was für ein idiotischer Zeitpunkt für diese Frage, so ganz ohne Kontext. Philipp schaut mich befremdet an, und ich kann’s ihm nicht verübeln.
»Also, das ist eine längere Geschichte«, sage ich schnell.
»Würde ich wetten. Dann erzähl mal.«