Wir schauen zusammen fern und krümeln mit Chips, aber Philipp wirkt abwesend. Erst nach vier Tagen fällt mir auf, was anders ist: Er lacht nicht mehr. Er macht mir morgens Kaffee und streichelt abends im Bett über meinen Bauch, aber Freude sehe ich nicht bei ihm. Nicht über unsere Jungs, nicht über mich und das, was zwischen uns entsteht.
»Wer könnte es ihm verübeln?«, fragt Johanna, der ich davon erzähle.
»Ich! Ich kann es ihm verübeln. Ich bekomme schließlich auch überraschend Zwillinge, und ich muss sie auch noch im Bauch mit mir rumtragen. Meine Schwangerschaftsstreifen werden so breit sein wie der Rhein! Und dann wollen zwei Babys gleichzeitig gestillt werden!«
»Ich glaube, man stillt Zwillinge nacheinander«, sagt sie. »Willst du damit sagen, dass du dich trotzdem freust?«
»Ja!« Erst als ich es gesagt habe, merke ich, wie wahr es ist. »Ich freue mich. Schon ein Kind wäre ein Segen gewesen, und jetzt sind es zwei, das ist doch der Wahnsinn!«
»Schon. Wahnsinnig viel Arbeit auch. Vor allem, wenn man mit den Kindern alleine ist, während der andere im Odenwald Steine klopft.«
»Das macht mir auch ein bisschen Sorgen, ich geb’s ja zu. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, tagelang mit zwei Babys alleine zu sein.«
»Dann muss Philipp eben bei dir einziehen. Es kann ja wohl kein Mensch erwarten, dass du es alleine machst. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du die Kinder nach ein paar Monaten bei ihm ablädst und drei Tage frei hast, so wie ihr das ursprünglich geplant hattet. Es ist nicht alleine zu schaffen.«
»Wir müssen noch darüber reden, wie es gehen könnte.«
»Dann macht das mal. Bald.«
»Okay. Und wie läuft es mit deiner Halb-privat-halb-Geschäfts-Beziehung?«
»Falls du von Adam sprichst: sehr gut. Ich schaffe schon fünfzehn Liegestützen hintereinander, und er hat genauso wenig Interesse daran wie ich, jeden Abend miteinander zu verbringen.«
»Wie oft seht ihr euch denn dann?«
»Einmal die Woche privat, einmal zum Training. Das reicht mir auch.«
»Würdest du sagen, ihr seid zusammen?«
»Weiß nicht. Ist mir auch egal.«
»Hey, wieso muss ich mit Philipp immer alles klären, während du mit Adam irgendwo im luftleeren Raum rumhängen darfst?«
»Weil wir kein Kind zusammen kriegen, Laura! Geschweige denn zwei.«
»Aber seid ihr exklusiv, oder trefft ihr euch auch mit anderen?«
»Adam sagt, er hat gerade kein Interesse, andere Frauen kennenzulernen, und mir geht’s mit Männern auch so.«
»Oh, eine ganz neue Situation für dich.«
»Du bist so ein Lästermaul. Red lieber mit Philipp!«
Auf meinem Heimweg hebt ein hässlicher Gedanke den Kopf: Was, wenn Philipps plötzliche Zurückhaltung gar nicht so viel mit den Babys zu tun hat? Vielleicht hat er einfach festgestellt, dass er doch nicht genug für mich empfindet. Ein Besuch beim Gynäkologen ist nicht gerade sexy, und besonders geistreich, lustig oder sonstwie attraktiv fühle ich mich im Moment auch nicht.
Dagegen spricht nur, dass wir immer noch miteinander schlafen. Und Sex gehört zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen sich Philipp nicht hinter einer Milchglasscheibe vor mir verbirgt. Es ist sogar aufregender geworden in den letzten Tagen. Leidenschaftlicher. Das kann allerdings auch an mir liegen: Beim Sex kann ich mich so sehr an ihn klammern, wie ich es auch sonst gerade gern täte. Außerhalb des Bettes versuche ich, ihm Zeit zu geben, aber das fällt mir verdammt schwer.
Zu Hause hole ich meinen Zollstock und fange an, das künftige Kinderzimmer auszumessen. Wenn ich die Wickelkommode rechts neben die Tür und ein Bettchen vors Fenster stelle, könnte es gehen. Allerdings komme ich dann nicht mehr zwischen den Betten durch. Oder ich schiebe sie zusammen wie ein L, da muss ich dann aber immer artistische Darbietungen liefern, um ein Baby ins hintere Bett zu legen. Und wo stelle ich eigentlich so einen riesigen Zwillingskinderwagen hin? Im Treppenhaus ist es zu eng, der muss mit hoch, und dann? Muss er auch hier rein. Ich weiß nur nicht, wie.
Wie geht’s dir, was machst du gerade?, schreibt Sophie.
Ganz gut. Ich messe das Kinderzimmer aus.
Ich fürchte, die Größe des Kinderzimmers wird dein geringstes Problem sein.
Jaha, ich weiß schon. Wie geht’s euch denn?
Die Kinder haben Hand-Fuß-Mund-Krankheit, ich hoffe, Jamal und ich bleiben gesund.
Was ist DAS denn? Klingt schrecklich.
So was wie Maul- und Klauenseuche, nur bei Menschen. Ausschlag und Fieber, das volle Programm.
Hätte ich doch nicht gefragt …
Ich verspreche, du stumpfst rechtzeitig ab, ehe deine Jungs das kriegen. Wollte nur sagen, dass wir uns leider erst wieder treffen können, wenn meine Familie die Seuche überstanden hat. Du darfst das jetzt echt nicht kriegen.
Nee, besser nicht. Schade, ich vermisse dich.
Ich dich auch!
Etwas melancholisch stelle ich mich an den Herd und setze Nudelwasser auf. Mein Körper bläht sich auf, meine beste Freundin kann ich nicht treffen, der Vater meiner Kinder durchläuft ein Stimmungstief, und mein eigener Vater hat bei unseren beiden Telefonaten der letzten Tage Joachim noch mal ernsthaft als Namensvorschlag ins Spiel gebracht. Fände er auch schöner als Rafael, erklärte er ungerührt. Meine Mutter lässt mir unterdessen fast täglich Informationen zu Prominenten mit Zwillingen zukommen, die das laut Gala »spielend leicht gewuppt kriegen«.
Obwohl ich weiß, dass Mariah Carey und ihr Mann sich zwanzig Kindermädchen leisten können und wahrscheinlich nicht jede Windel selbst gewechselt haben, ärgert mich das ein bisschen. Ich wuppe im Moment gar nichts spielend leicht. In der größten Umbruchphase meines Lebens habe ich das Recht, permanent überfordert zu sein.
Philipps Schlüssel dreht sich erst in der Tür, als ich schon im Dunkeln im Bett liege. Ich schließe die Augen und stelle mich schlafend. Ich will nicht reden. Ich will nur für ein paar Minuten das Gefühl haben, dass alles wieder in Ordnung ist.
Ein paar Tage schleichen wir so umeinander herum. Dann bitte ich Philipp um ein Gespräch. Ich bin mir jetzt sicher, was ich will. Wir sitzen einander am Esstisch gegenüber, Philipp hat für uns beide Wasser, Papier und Stifte bereitgestellt. Wie bei einer Koalitionsverhandlung. Ist es ja irgendwie auch.
»Ich könnte anfangen«, sage ich.
»Ja, gut.«
»Also.« Ich atme tief durch. »Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was die Zwillinge an unserem Plan ändern. Ich sehe da zwei große Probleme. Erstens traue ich mir nicht zu, tagelang mit zwei schreienden Babys alleine zu bleiben, ohne den Verstand zu verlieren.«
»Ich würde natürlich vorbeikommen und füttern und Windeln wechseln«, sagt Philipp.
»Aber das ist nur das eine Problem. Das andere ist, dass ich umziehen muss. Ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, zwei Kinder und einen Zwillingskinderwagen und all das andere Zeug hier unterzubringen.«
»Hmmm.«
»Dein Arbeitszimmer ist kaum größer als meins, und auch wenn die Babys erst mal hier wohnen, brauchen sie doch bald ein Kinderzimmer bei dir. Dann wirst du dasselbe Problem haben.«
»Das stimmt.«
»Gleichzeitig habe ich natürlich bemerkt, dass du mir gegenüber etwas, na ja, abgekühlt bist. Ich habe das in meine Überlegungen miteinbezogen und wollte dir sagen: Wenn du nicht willst, müssen wir nicht zusammen sein, um gemeinsam Eltern zu sein. Das war ja nie der Plan. Du musst es nur sagen. Ich wäre nicht sauer.« Ich wäre am Boden zerstört, aber diese Information hat hier nichts zu suchen.
»Laura, das habe ich nie …«
»Du hast es nie gesagt, deshalb bitte ich dich, es zu tun, falls es so ist. Aber ich bin noch nicht fertig.«
»Okay.«
»All das zusammengenommen, möchte ich, dass wir zusammenziehen. Irgendwas mit einem kleinen Garten im Hinterhof wäre gut. Wenn wir kein Paar mehr sind, braucht die Wohnung eben zwei Bäder und zwei Eingänge, das können wir uns von unseren addierten Mieten leisten. Das ist deine Entscheidung. Aber wir müssen uns gemeinsam um die Kinder kümmern, und zwar tagsüber und nachts, und ich sehe keine andere Möglichkeit, wie wir das hinkriegen sollen. Wenn sie älter sind, können wir alles wieder auseinanderdividieren.«
Philipp ist verstummt.
»Das war’s, ich bin fertig«, sage ich.
»Ich kann das nicht.«
»Was kannst du nicht?«
»Das alles. Ich weiß, das kommt jetzt unvermittelt, aber ich will wieder alles halbe-halbe organisieren.«
»Aha.« Es fühlt sich an, als hätte jemand einen Baseballschläger gegen meinen Hinterkopf gedonnert. »Wie stellst du dir das vor – du nimmst ein Kind und ich das andere, wie beim doppelten Lottchen?!«
»Nein. Ich weiß noch nicht, wie genau. Aber ich kann nicht mit dir zusammenziehen. Es hat nichts mit dir zu tun …«
»… weißt du, das glaube ich auch!« Allmählich werde ich laut. »Nichts davon hatte mit mir zu tun! Du warst nur mit mir zusammen, weil es so praktisch war, während ich dein Kind ausbrüte, und sobald es nicht mehr praktisch für dich ist, sondern irgendwie stressig wird, rennst du weg!«
»Laura, das ist unfair, und es stimmt nicht! Es geht mir nur alles zu schnell!«
»Aber du wolltest doch unbedingt Vater werden!«
»Ja, aber versteh doch bitte: Ich wollte ein halbes Kind. Jetzt sieht es so aus, als hätte ich bald eine ganze Familie mit Frau und zwei Kindern und Haus mit Garten, darauf bin ich einfach nicht vorbereitet!«
»Ich bin darauf auch nicht vorbereitet! Aber ich kann nicht einfach davonlaufen, weil diese Kinder nämlich in meinem Bauch sind!«
»Ich weiß! Du bist bestimmt auch überfordert, das tut mir leid. Trotzdem bin ich noch nicht so weit!«
»Weißt du«, zische ich, »ich hätte Rafael nehmen sollen als Vater. Der war nämlich kein Feigling. Und kein unreifes Bürschchen, das kneift, wenn es plötzlich zwei Kinder kriegt.«
»Das ist gemein von dir.« Philipp ist genauso sauer wie ich, was mich noch wütender macht, denn ich habe verdammt noch mal mehr Anrecht auf Wut.
»Du traust dich was, mir Gemeinheit vorzuwerfen, wo du mich gerade mit zwei Babys im Stich lässt.«
»Ich kneife ja nicht, ich will nur zu unserem Vertrag zurück!«
»Das ist doch dasselbe!« Ich stehe auf und warte darauf, dass er es auch tut. »Du gehst jetzt nach Hause. Ich will dich nicht mehr hier sehen. Du kannst dich in einem halben Jahr wieder melden, wenn du deine Söhne kennenlernen willst.«
Philipp schaut mich an, dann lässt er den Kopf hängen und geht in den Flur, um seine Jacke anzuziehen. Kurz steht er noch da, aber ich mache keine Anstalten, ihn zum Abschied zu umarmen, sondern halte ihm die Wohnungstür auf. Keiner von uns sagt Auf Wiedersehen.