Vor den Grappa haben die Götter das Grauen gesetzt. Deshalb verbringe ich einen guten Teil meiner Arbeitswoche damit, das Projekt Jobrotation zu retten. Ich bitte verschiedene Abteilungen um eine Kurzbeschreibung ihrer Arbeit und muss nur die des Reiseführerverlags noch mal zurückgeben mit dem Hinweis, das Ganze solle schon auch attraktiv klingen. Dann schreibe ich den Kollegen, sie mögen ihre Wünsche überdenken, und hänge die Beschreibungen an. Am Ende der Woche habe ich fast alle in Abteilungen vermittelt, die dem Oberchef genehm sind. Mit Ausnahme eines besonders hartnäckigen Kandidaten aus der Asien-Abteilung, der unbedingt nach Amerika rotieren will und auf meine genervten Fragen nach seinen Gründen nur wolkige Antworten hat. Also frage ich Johanna. Die weiß immer alles. Und auch diesmal enttäuscht sie mich nicht.
»Konrad Hoffmann? Der ist in Ami-Susanne verknallt«, sagt sie wie aus der Pistole geschossen, als ich das Thema anschneide. Ami-Susanne heißt die Kollegin hausintern, um Verwechslungen mit Aussie-Susanne auszuschließen.
»Aha. Weiß sie davon?«
»Keine Ahnung.«
»Aber woher weißt DU denn davon?«
»Aus der Kaffeeküche.«
»Toll. Damit stehe ich jetzt also vor der Entscheidung, der Mitarbeiterin einfach einen Typen in die Abteilung zu schicken, der sie rund um die Uhr kuhäugig anschaut, oder sie vorher zu fragen, ob sie von seiner Schwärmerei weiß und ob es ihr recht ist.«
»Sie ist verheiratet, soweit ich weiß.«
»Stimmt ja, auch das noch. Ist er wenigstens Single?«
»Glaube schon. Eine andere Kollegin hat ihn neulich auf Tinder gesehen.«
»Okay, das war jetzt mehr Information, als ich haben wollte. Vielen Dank. Falls du noch mehr intime Details aus seinem Leben kennst, will ich sie nicht wissen!« Ich fuchtele mit den Händen, um sie zum Schweigen zu bringen, und verlasse schnell ihr Büro.
Ich habe keine Ahnung, wie ich dieses Problem elegant lösen soll. Konrad Hoffmann scheint ein wirklich netter Kerl zu sein, aber wenn er die Rotation nur zum Flirten nutzen will, nutzt das der Abteilung nicht gerade. Und ich will der Mitarbeiterin keinen potenziellen Stalker ins Büro setzen.
Weil das Projekt erst in ein paar Wochen starten soll, vertage ich die Suche nach einer Lösung. Bis dahin muss mir einfach etwas einfallen. Sophie und Oscar sitzen schon mit bunten Getränken an der Bar, als ich zu unserer Verabredung eintreffe. Ich bin aufgeregt, und ich habe ein Notizbuch und einen Kugelschreiber eingesteckt, was sich ein bisschen lächerlich anfühlt. Es ist doch kein Meeting. Immer muss ich alles so generalstabsmäßig vorbereiten.
Oscar begrüßt mich herzlich, und Sophie umarmt mich mit dem ganzen Enthusiasmus einer Mutter, die endlich mal wieder einen freien Abend in einer Bar verbringt. Dass ich nicht mehr oft ausgehe, liegt schon auch daran, dass fast alle meine Freundinnen Kinder bekommen haben. Manche sind auch noch aufs Land gezogen, was unsere Freundschaft nicht gerade vertieft hat. Sophie hingegen hätten keine zehn Pferde dazu gebracht, in einen Vorort zu ziehen – nur unsere Verabredungen, die müssen wir jetzt eben oft auf den Spielplatz, in den Zoo oder in die Turnhalle zu einem Volleyballspiel ihrer Ältesten legen.
Sophie und Oscar warten anstandshalber ab, bis ich ein Glas Weißwein vor mir habe. Aber dann wollen sie es doch wissen.
»Jetzt sag schon, warum sind wir hier?«, fragt meine Freundin.
»Wüsste ich auch gern. Ich freu mich, dich zu sehen, aber die Konstellation ist, ähm, ungewöhnlich«, sagt Oscar.
»Ja, stimmt. Also, es ist so.« Schnell stürze ich das halbe Glas Wein in mich hinein. »Ich wünsche mir ein Kind. Es wird zeitlich knapp, und an Liebe glaube ich nicht mehr. Deshalb möchte ich einen Mann finden, der es mit mir zeugen und aufziehen will. Einen schwulen Mann, die anderen haben ja biologisch keine Schwierigkeiten, die können mit sechzig noch Vater werden. Da wäre mir das Risiko zu groß, dass der Mann noch mal eine eigene Familie gründet und von unserem Kind nichts mehr wissen will. Und jetzt brauche ich eure Hilfe beim Formulieren der Anzeige, mit der ich den Mann suchen will.«
Ich verstumme und schaue die beiden an. Oscar macht große Augen, während Sophie nach meinem Weinglas greift und es austrinkt.
»Das war mein Wein«, sage ich.
»Ja, aber man kann Campari-Soda schlecht exen. Entschuldigung.« Sie winkt dem Barkeeper und dreht sich dann zögerlich wieder in meine Richtung. »Ich sag jetzt einfach, was ich denke, ja? Mir fallen auf der Stelle zwanzig Arten ein, wie das in einer Katastrophe enden kann. Aber wie ich dich kenne, hast du über die alle schon nachgedacht und wirst versuchen, sie auszuschließen. Außerdem fallen mir auch bei jeder neuen Liebesbeziehung zwanzig Wege in die Katastrophe ein, und das hat noch nie jemanden davon abgehalten. Und bei neuen Lieben sage ich auch erst mal, dass ich mich freue, was ich eben irgendwie vergessen habe, weil ich so überfordert war, also, ich wollte sagen: Ich freu mich.« Sie nimmt meine Hand. »Ich freu mich, das wird alles super, und bitte hör nicht auf mich, ich bin ’ne Spießerin.«
»Bist du nicht!«
»Also ich bin kein Spießer, und ich find’s trotzdem krass«, sagt Oscar.
»Dabei hast du mich auf die Idee gebracht! Du hast mir vorletztes Jahr auf einer Party gesagt, du hättest gern ein Kind, und das wäre die einzige Lösung für dich.«
»Ich, ein Kind?« Oscar guckt erschreckt.
»Da warst du noch mit Stefan zusammen und voll auf dem Familientrip«, sagt Sophie.
»Puh, ja, das kann sein. War ich sehr betrunken?«
»Schon.« Ich verkneife mir die Bemerkung, dass er auf jeder Party bodenlos betrunken ist. Außerdem bin ich erleichtert, dass er seine Meinung offenbar geändert hat – er wäre nämlich aus genau diesem Grund nicht als Vater infrage gekommen.
»Das erklärt einiges. Vergessen wir das, ich weiß jedenfalls genau die richtige Website für dich!« Oscar sprüht schon wieder vor Begeisterung. »Sie heißt Gay for it, da sind nur Männer aus dem Rhein-Main-Gebiet, ein Leipziger bringt dir ja nichts. Es gibt Kleinanzeigen, und die werden sogar gelesen, weil sie oft so crazy sind.«
»So crazy wie meine.«
»Ja, na ja.« Er prostet mir zu und grinst.
»Du hast noch nie was Verrücktes gemacht«, sagt Sophie.
»Na, herzlichen Dank.«
»Du weißt, wie ich das meine! Du gehst keine Risiken ein, du überlegst dir alles genau. Wenn du das vorhast, ist es nicht verrückt, sondern nur unkonventionell.«
»Ich schreib das gleich mit, diese Argumente werde ich brauchen, um es meinen Eltern beizubringen.«
»Aber ich muss dich in einem Punkt warnen.« Sophie hebt mahnend den Zeigefinger, um ihn dann in meine Schulter zu piksen. »Diese ganze Vorausplanerei, auf die du so stehst, diese lückenlose Ausarbeitung von Plan B und Plan C und Plan D – das wird aufhören, wenn du ein Kind hast. Kommst du damit klar?«
»Du findest, ich bin zu perfektionistisch für ein Kind?«
»Nicht zu perfektionistisch, eher zu …«
»Unflexibel«, springt Oscar ihr bei.
»Ist das euer Ernst? Oscar, du kennst mich doch kaum!«
»Ja, und sogar mir ist es schon aufgefallen.«
»Ich sage doch überhaupt nicht, dass du deswegen keine gute Mutter sein könntest!«, sagt Sophie. »Ich will dich nur darauf vorbereiten, dass alles chaotisch wird und trotzdem super sein kann.«
»Hmpf.« Ich bin ein bisschen beleidigt. »Ich bin vielleicht nicht besonders flexibel, aber was ist denn gegen gute Planung einzuwenden? Und ist fünf alternative Pläne zu haben nicht fast so gut, wie flexibel zu sein?«
»Wenn du dann mit Plan F genauso zufrieden bist, klar«, sagt Sophie.
»Ich finde das mit den Plänen nicht so schlecht«, erklärt Oscar. »Mal ganz realistisch, du wirst mit dem Vater haufenweise Vereinbarungen und Listen und gemeinsame Kalender haben müssen, da kannst du nicht einfach alles ad hoc entscheiden.«
»Seht ihr!«
»Was wir also eigentlich brauchen, ist ein Typ, der ähnlich tickt wie du.«
Ich ziehe mein Notizbuch aus meiner Tasche. »Genau. Und wenn wir das jetzt noch irgendwie wertschätzend formulieren könnten, damit der Mann nicht denkt, ich suche eine Selbsthilfegruppe für Perfektionisten, wäre es mir sehr recht.«
»Das bekommen wir schon hin«, sagt Sophie. »Aber erst brauchen wir alle noch was zu trinken.«
Eine Stunde später steht in meinem Büchlein zwischen tausend durchgestrichenen Wörtern, Sternchen und Ausrufezeichen:
Suche Mann für Co-Elternschaft
Du möchtest ein Kind und weißt nicht, wie? Geht mir genauso. Bin Single-Frau, achtunddreißig, und suche einen Mann, der mit mir ein Kind zeugt und aufzieht – ohne Liebesbeziehung, aber freundschaftlich und verlässlich. Wenn du bis fünfzig Jahre alt bist, dein Leben im Griff hast und glaubst, dass Erziehung ohne Humor nicht funktioniert, könnte das ganz gut klappen. Ich freue mich auf deine Nachricht.
»Ist das konkret genug?«, fragt Sophie. »Willst du nicht noch irgendwas Genaueres reinschreiben?«
»Was denn zum Beispiel?«
»In normalen Kontaktanzeigen steht immer, man soll tierlieb sein«, sagt Oscar.
»Ich bin gegen Katzen und Hunde allergisch. Ich hoffe, der Mann ist nicht allzu tierlieb.«
»Wie er aussieht, ist dir wirklich ganz egal?«
»Also wenn er wirklich sehr dick wäre, würde ich mir Sorgen machen, dass er nicht alt wird. Aber das ist ja kein ästhetisches Kriterium, mir geht’s nur um seine Gesundheit.«
»Was ist mit Rauchen?«
»Könnte ich mir als Partner nicht vorstellen, aber wenn er nur ab und zu eine raucht, während das Kind bei mir ist, wäre das auch okay.«
»Okay, allmählich verstehe ich, warum die Suche nach einem Vater tatsächlich einfacher sein könnte als die nach einem Partner«, sagt Sophie. »Die Zielgruppe ist kleiner, aber es kommen mehr davon infrage.«
»Das sagst du jetzt. Warte mal ab, bis Laura anfängt, die Bewerber auszusortieren. Das wird lustig.«
»Ich werde einfach auf meinen Bauch hören«, verkünde ich. »Schließlich spielt mein Bauch in der ganzen Sache eine entscheidende Rolle.«
Sophie und Oscar tauschen einen bedeutungsvollen Blick, den ich beim besten Willen nicht interpretieren kann.