VORWORT

Von Hetty Berg

Das Tagebuch von Etty Hillesum erschien 1981 zum ersten Mal in den Niederlanden. Ich erinnere mich an die Begeisterung, mit der es in der gesamten niederländischen Gesellschaft aufgenommen wurde. Dieses Dokument war einer der ersten Berichte einer jüdischen Frau, die ihre Erfahrungen im Lager Westerbork beschrieb und dabei vor allem ihre innersten Gefühle und Gedanken über ihr Schicksal und das anderer Juden während des Krieges zum Ausdruck brachte. Die Begeisterung hat nicht nachgelassen, und sie bleibt eine der meistgelesenen Zeuginnen dieser dunklen Zeit.

Über Etty Hillesums Tagebücher und ihre Briefe aus Westerbork ist schon viel geschrieben worden. Ihr Werk gibt uns Aufschluss über die tragischen jüdischen Erfahrungen in den von den Nazis besetzten Niederlanden und über die persönlichen psychologischen und philosophischen Gedanken Hillesums aus der Perspektive einer jungen Frau, Jüdin, Mitarbeiterin des Judenrats und eines Häftlings des Lagers Westerbork.

Diese neue deutsche Ausgabe von Hillesums Tagebüchern und Korrespondenz bereichert unser Verständnis ihrer komplexen Persönlichkeit und zeigt, was für eine bemerkenswerte Schriftstellerin sie war. Obwohl sie persönliche Texte verfasste – was ist individueller und persönlicher als ein Tagebuch und Briefe, die an bestimmte Empfänger gerichtet sind? –, machte sie deutlich, dass sie ein breiteres Publikum erreichen wollte.

Sie achtete auf den Stil und die Gliederung ihrer Gedanken, und sie hatte die Disziplin, jeden Tag zu schreiben. Als sie erkannte, dass die Deportation aus Westerbork höchstwahrscheinlich den Tod bedeuten würde, sorgte sie dafür, dass die Tagebücher erhalten blieben und schließlich veröffentlicht werden konnten. «Man fühlt sich immer wie Augen und Ohren eines Stücks jüdischer Geschichte, und man hat manchmal auch das Bedürfnis, eine kleine Stimme zu sein. Wir müssen einander doch darüber auf dem Laufenden halten, was in den verschiedenen Ecken dieser Erde geschieht, jeder muss seinen kleinen Teil dazu beitragen, damit nach dem Krieg das Mosaik ohne Lücken über die ganze Welt reicht.»

Ihr Zeugnis war für sie von großer Bedeutung, wie es auch für uns heute und für künftige Generationen von Bedeutung ist. Es bleibt eines der wichtigsten Ego-Dokumente über die Deportation und Internierung von Juden aus den Niederlanden. Die große Mehrheit der niederländischen Juden wurde zuerst nach Westerbork deportiert, dem Hauptdurchgangslager im Nordosten der Niederlande, wo sie bis zu ihrer weiteren Deportation nach Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen und Theresienstadt interniert waren. Drei Viertel der 140.000 Juden, die in den Niederlanden lebten, wurden ermordet.

Etty Hillesum schrieb, weil sie wusste, dass sie damit dokumentieren konnte, was sie erlebt hatte. Sie schrieb an Freunde, damit diese zurückschrieben, und dieser Austausch enthielt wichtige Informationen über das Leben im Lager und außerhalb des Lagers: «Ich bin froh, dass ich dank mutiger Menschen hin und wieder eine Nachricht nach draußen bekommen kann. Unsere offiziellen Briefe scheint man bis auf Weiteres zurückzuhalten, von der eingehenden Post bekommen wir auch nicht mehr alles, scheint es. Aber schreib bitte trotzdem weiter, ja bitte, irgendwann kommt sie schon wieder durch.»

Sie beschreibt die Eltern und wie sich deren Gesundheitszustand täglich verschlechtert. Sie sieht, wie ein alter Mann zu einem Zug getragen wird, nachdem er den Segen des Rabbiners erhalten hat. Und sie schreibt auch über die Grenzen der Sprache, über die Unmöglichkeit zu beschreiben, was sich vor ihren Augen abspielt: «Dass Worte und Bilder für Nächte wie diese nicht ausreichen, habe ich euch schon oft genug erzählt. Trotzdem muss ich versuchen, etwas für euch niederzuschreiben.» Und an anderer Stelle: «Ach, ich kann es letztendlich doch nicht beschreiben.»

Mehr als einmal spricht sie Gott an, oft im Zusammenhang mit ihrem Schreiben: «Vielleicht werde ich nie eine große Künstlerin werden, obwohl ich das doch eigentlich möchte, aber ich bin schon zu sehr geborgen in dir, mein Gott. Ich möchte manchmal kunstvolle kleine Weisheiten und vibrierende Geschichten schaffen, aber ich lande immer wieder direkt bei ein und demselben Wort: Gott, und das umfasst alles, und dann brauche ich all das andere nicht mehr zu sagen. Und all meine schöpferische Kraft setzt sich um in diesen innerlichen Zwiegesprächen mit dir, der Wellenschlag meines Herzens ist hier zugleich breiter geworden und bewegter und ruhiger, und mir ist, als würde mein innerer Reichtum immer größer.»

Es war an der Zeit, dass die Schriften von Etty Hillesum dem deutschsprachigen Publikum in einer zuverlässigen Gesamtausgabe zugänglich gemacht werden. Sie selbst hat mit dem Schreiben einen unermüdlichen Einsatz bewiesen: «Ich wollte erst meinen Schreibtag ungenutzt vorbeigehen lassen – wegen übergroßer Müdigkeit und weil ich glaubte, ich hätte diesmal nichts zu schreiben. Aber natürlich habe ich doch viel zu schreiben, doch ich lasse meine Gedanken lieber ungehindert zu euch hinausströmen, ihr fangt sie schon auf.»

Wir können Etty Hillesum dankbar sein, dass sie trotz ihres Schicksals, ihrer Erschöpfung und ihres Leidens an ihrer schriftstellerischen Disziplin festgehalten hat; jetzt ist es an uns, ihre Werke zu lesen und die Erinnerung wachzuhalten.