HEFT 8

18. Mai 1942–5. Juni 1942

[Montag, 18. Mai 1942.]

Und diese Beppie,[1] die jetzt mit heruntergerutschten Strümpfen und ungekämmten Haaren durch Amsterdam läuft und ganze Familien in die Illegalität und ins Verderben zu treiben scheint, weil sie für die Gestapo arbeitet. Obwohl ich Max nicht alles glaube, was er erzählt, werde ich ihm nie klarmachen können und werde es auch gar nicht erst versuchen, wie groß seine Schuld an ihrem Verhalten und wie bedauernswert dieses verwahrloste und verkümmerte Kind ist. Ein naives, verwahrlostes Kind, das diesen Mann nicht begreifen und verarbeiten konnte, und die ganze Gestapo und die ganze Besatzung und der ganze Krieg sind für sie nur Hilfsmittel, derer sie sich in ihren gequälten Wahnvorstellungen bedient. Und so weiter.

Ich habe wirklich nicht genug Geduld in den Fingern, um einen Roman darüber zu schreiben. Ich meine nur: Es ist so unerheblich, dass sie Spionin ist, dass sie sich vom Feind bezahlen lässt, dass sie ihren einstigen Verführer und Abtrünnigen mit allem verfolgt, was ihrem verwirrten Gehirn zur Verfügung steht, es ist wirklich unerheblich, verglichen mit den Dingen, um die es geht. Die Gestapo ist zufällig die Kulisse, der Krieg und die Besatzung auch, das sind alles zufällige Requisiten um sie herum, wenn es keinen Besatzungsfeind gegeben hätte, hätte sie nach anderen Instrumenten für ihre Qual und Verlassenheit gesucht – aber um das Ganze abzuschließen, müsste ich hinzufügen, dass sie auch ein widerliches, verlogenes, geschwätziges kleines Ghetto-Mädchen ist. Aus einem billigen, nicht ernst gemeinten Abenteuer – zumindest von der Seite des Mannes – wurden in ihrer Fantasie große Werte: Liebhaberin, Mutterschaft, Frau, Kameradin. Vor Jahren sagte sie mir einmal, und es klang schon damals fast lächerlich: «Ich habe zu Max gesagt: Ich will deine Mutter, deine Kameradin und deine Liebhaberin sein.»

Sie ist letztendlich so unglückselig und zutiefst bedauernswert, aber dennoch sehr gefährlich. Aber dass sein Anteil an der Schuld so groß ist, ob Max das jemals begreifen wird?

Eine hehre Absicht in einem erhabenen Moment seines Lebens zu konzipieren ist wirklich nicht ausreichend, man muss sie dann auch noch austragen und aufziehen. Was Leonie betrifft, so habe ich es nur bis zur Konzipierung gebracht, aber dabei ist es dann auch geblieben. Aus dem Durchlesen ihrer Herzensergüsse «in blutigem Ernst» ist noch nichts geworden, mein Widerwille ist noch zu groß, und morgen kommt sie schon wieder – wir sollten einfach ein bisschen Urlaub von ihr nehmen. Könnte es womöglich doch nur daher kommen, dass ich ihren Mund so hässlich finde, dass ich mich nicht daran gewöhnen kann?

Die Bedrohungen von außen werden immer größer, der Terror nimmt von Tag zu Tag zu. Ich ziehe das Gebet wie eine dunkle, schützende Mauer um mich herum, ich ziehe mich in das Gebet wie in eine Klosterzelle zurück und trete dann wieder hinaus, «gesammelter» und stärker und wieder zusammengerafft. Mich in die abgeschlossene Zelle des Gebets zurückzuziehen wird für mich zu einer immer größeren Realität und auch Notwendigkeit. Diese innere Konzentration errichtet hohe Mauern um mich herum, in denen ich mich wiederfinde und mich aus all den Zerstreuungen wieder zu einem Ganzen zusammenraffe. Und ich könnte mir vorstellen, dass Zeiten kommen, in denen ich tagelang kniete, bis ich endlich fühlte, dass sich schützende Mauern um mich herum errichteten, innerhalb derer ich nicht auseinanderfallen und mich selbst verlieren und zugrunde gehen könnte.

Dienstagmorgen [19. Mai 1942], 8 Uhr.

In der engen Abstellkammer meines Körpers sind die Gefühle vorläufig in Kisten und Ballen gestapelt. Sie liegen verpackt und unbenutzt in der Ecke und warten darauf, dass sie ausgepackt werden und einen Platz in einem belebten Raum statt in diesem unbehaglichen Lagerhaus zugewiesen bekommen, in dem sie jetzt liegen und warten.

Dies ist übrigens überhaupt nicht wahr, aber ich fand es so ein schönes Bild am frühen Morgen. Und vielleicht ist doch etwas davon in den letzten Tagen wahr gewesen? Der gestrige Regen hat, so großzügig und reichlich er auch war, keine Befreiung von der bedrückenden Atmosphäre gebracht. So könnte ich viele Seiten schreiben und vielleicht auch keine Befreiung für das in die Enge getriebene Gemüt finden? Ich glaube im Grunde, dass ich eher über Bauch und Nieren als über «Gemüt» sprechen sollte. Heute Morgen habe ich auch alle wackeligen Teile meines Körpers zusammengebetet. Dann schlinge ich ein starkes Seil um einige klappernde Teile und hoffe, die Dinge so zusammenzuhalten. In meinem Magen ist Übelkeit und in meiner Schulter ist Rheuma und in meinem Bauch befinden sich alle möglichen Dinge, die sich danebenbenehmen, wie die Nieren und Eierstöcke – oder vielleicht befinden sie sich ja gar nicht im Bauch. Aber auf dem abgenutzten Strohsitz des Badezimmerstuhls verflochten sich meine Finger wie starke Zweige und daraus schöpfte ich wieder Kraft und Stärke. Um 10 Uhr werde ich Leonies «Beichte» bei S. weiterlesen, und vorher würde ich so gerne aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus einen vernünftigen, längeren Brief an meine мать[2] und meinen отец[3] schreiben. Leonie liegt mir so schwer im Magen. Oh, lieber Gott, mach mich doch ein wenig gerecht und nicht eifersüchtig und wirklich, wirklich erwachsen und mach, dass ich ein wenig über den Dingen stehe. Und weil jemand einen Mund hat, der einem zu schlaff und zu sinnlich ist, darf man ihn deshalb gänzlich als Menschen zurückweisen? Wenn dem so ist, wie steht es dann eigentlich um deine Menschlichkeit?

12 Uhr mittags.

Wenn ich heute Morgen etwas mehr Zeit gehabt hätte, hätte ich noch etwa Folgendes aufgeschrieben:

Er hatte in den letzten Tagen so viel zu tun. Es kommt mir auch gerade so vor, als ob er mich mit seinen Gedanken für einen Moment losgelassen hätte, er ist wieder so weit weg von mir.

«Es gibt Ebbe und es gibt Flut», habe ich ihm einmal in einem vernünftigen und gelassenen Moment geschrieben. Und schon seit gestern denke ich: Jetzt ist wieder Ebbe. Und ich reagiere darauf nicht mehr so rebellisch und traurig, wie ich es früher tat. Und ich sage mir: Nun gut, jetzt ist Ebbe. Du musst doch sicherlich der Ebbe einen Platz in der Ordnung der Dinge einräumen? Und ich bin dann innerlich nicht mehr so radikal von ihm abgeschnitten, wie das früher der Fall war.

So in etwa hätte ich das geschrieben und es wäre jetzt – ein paar Stunden später – schon wieder überholt gewesen. Heute Morgen saß ich wieder eine halbe Stunde vor seinem fröhlichen, gutmütigen Gesicht und er überschüttete mich wieder mit seiner Post, von allen Seiten, und mit Fragen, und er war wieder ganz da, und da bemerkte ich, dass es an mir lag, an meiner körperlichen Verfassung. Im Moment fehlt mir die Kraft, ihn ganz zu tragen und zu begreifen, und plötzlich kommen mir die Worte des Dichters wieder in den Sinn:

«Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt
und will niemals blind sein oder zu alt,
um dein schweres schwankendes Bild zu halten.»[4]

Und dann bin ich wirklich ein wenig zu müde, um sein schweres, schwankendes Bild zu tragen, und dann muss ich ihn einen Augenblick lang nicht beachten, dann muss ich mich kurz am Rand seines Wegs ausruhen, der gerade ist und immer weitergeht. Es ist nützlich und notwendig für mich, kurz und sachlich festzustellen: Es liegt an mir und nicht an ihm. Er lässt mich nicht los, aber ich kann ihn gerade nicht unterstützen. Ich bin immer wieder viel schneller, unvermittelter und unerwarteter ausgeruht, als ich selbst ahne. Aber in diesen Bereichen südlich des Zwerchfells geht es doch sehr unangenehm zu.

Ausruf: Und was will ich einzig und allein? Die Kunst. Mit dem größtmöglichen K. Und Skizzen, die so zart und zugleich so stark wie japanische Drucke sind. Und einen einzelnen flüchtigen Satz vor einem wortlosen Hintergrund, wie ein einzelner biegsamer, dunkler Ast, der manchmal in einen eintönigen, hellen Himmel geätzt wird. Ich muss auf einmal etwas aus einem Brief von Rilke abschreiben aus dem Jahr 1903, nachdem er Rodin flüchtig kennengelernt hatte.

«Immer ist ihm das, was er schaut und mit Schauen umgibt, das Einzige, die Welt, auf der alles geschieht; wenn er eine Hand bildet, so ist sie ein Raum allein, und es ist nichts außer einer Hand; und Gott hat in sechs Tagen nur eine Hand gemacht und hat die Wasser um sie ausgegossen und die Himmel gebogen über sie; und hat geruht über ihr, als alles vollendet war, und es war eine Herrlichkeit und eine Hand.»[5]

20. Mai [1942], Mittwochmorgen, halb 9.

Dann bin ich plötzlich eine Trapezkünstlerin und befinde mich mit einem kräftigen Schwung auf dem komplizierten Trapez, das dieses Leben ist.

Als S. mir um halb 1 am Telefon sagte: «Dieses Mädchen[6] ist jetzt auf dem Weg zu dir, sei ein bisschen nett zu ihm, es hatte so eine Angst davor, zu dir zu gehen», da fielen plötzlich auf einen Schlag all diese Hemmungen und all diese Bazillen, die ich in meinem Unterbewusstsein gegen sie habe, von mir ab. Mein Gott, in dieser Welt, in der man sich ermordet und sich gegenseitig zu Tode ärgert! Warum sollten dann diejenigen, die noch eine kleine Vorstellung davon haben, um welche Werte es geht, diese Werte nicht auch wirklich in ihrem täglichen Leben verwirklichen? Und obwohl ich überall im Körper und im Kopf stechende Schmerzen hatte, sagte sie, als sie gerade hereingekommen war: «Du siehst aber viel, viel besser aus als letzte Woche.» Und es war ein kurzes, heiteres und intensives Treffen.

Am Abend auf dem Weg zu seinem Kurs wieder so ein prächtiger Riesenschwung auf diesem Trapez. Ich erinnerte mich daran, wie ich mich letzte Woche müde und krank zwischen all den Schülern verkrochen und gedacht hatte: Wie furchtbar schrecklich muss es sein, wenn man jemanden, den man liebt, nicht begreifen, verkraften und unterstützen kann. Was für Leidensgeschichten gehen in Ehen daraus hervor, dass der eine den anderen nicht begreift. Und dann erfuhr ich am eigenen Leibe, wie schlimm das sein muss. Und gestern Morgen war mir noch, als ob ich am Rand seines geraden Wegs zurückgeblieben wäre und ein wenig ausruhen müsste. Aber gestern Abend, als ich mit dem Fahrrad zu ihm unterwegs war, spürte ich plötzlich meine Kraft wieder, sie durchschauerte den ganzen müden Körper. Ich konnte ihn und die ganze Welt begreifen und war auf einmal wieder so dankbar, dass ich so geschaffen war, dass ich alles, was ich in diesem Leben zulasse – und das ist auch fast alles –, annehmen, bewältigen und verarbeiten kann. Und ich spannte meinen Bizeps an. Es ist lustig zu spüren, wie der Körper parallele Ausdrucksmöglichkeiten für das findet, was im Gemüt vor sich geht. Und vielleicht habe ich in meinem jugendlichen Überschwang einen zu großen Schwung auf diesem Trapez gemacht. Ich saß direkt neben ihm im Kurs und habe mich nicht zwischen den anderen verkrochen wie in der Woche zuvor, und ich sah von Zeit zu Zeit seinen Kopf von der Seite her an und fand ihn plötzlich so alt und müde. Sehr alt im Vergleich zu der Kraft, die plötzlich wieder in mir geboren war. Und er sagte am späteren Abend: «Du siehst wieder so gut aus», und mit seiner natürlichen und direkten Geste, die nichts Anstößiges an sich hat, griff er nach meiner Brust. Und es ist ja nur «seelische Kraft».

«Sie sind eine Verliebte
in den Geist.»[7]

«Aber die Hauptsache ist,
daß Sie mich inspirieren bleiben.»

23. Mai [1942], Samstagabend, 10 Uhr.

Manchmal kristallisieren sich in einem Gespräch mit ihm die Konturen so heraus, dass man das ganze Gespräch fotografieren möchte. Manchmal komme ich nach Hause mit einem Gespräch im Kopf, das so rund und klar ist, dass mir ist, als ob ich es aus einem solchen wortreichen Abend als Ganzes herausschneiden könnte. Aber hier unterliegt man immer wieder einer Täuschung. Im Nachhinein kann man ein Gespräch nicht aus dem Kopf abfotografieren, man kann versuchen, es nachzubilden. Heute Nachmittag war plötzlich wieder alles in groben Umrissen deutlich. Aber dann wage ich nicht, es aufzuschreiben, aus Angst, es mit meinen Worten wieder undeutlich zu machen. Und es gibt eine Sache, von der ich mich endlich befreien sollte: von der Vorstellung, dass ich, wenn ich nach einem Erlebnis, von dem ich ergriffen bin, nach Hause komme, mich vor ein Blatt Papier setzen und das Erlebte sofort in einem Kunstwerk nachbilden muss. Und ich muss mich auch von der Angst befreien, dass ich es – wenn ich es nicht sofort aufschreibe – später vergessen habe. Schließlich weiß ich diese Dinge doch, aber ich muss sie auch leben, d.h., ich muss wirkliches Vertrauen gewinnen, damit die stärksten und wertvollsten Eindrücke in einem Reservoir aufbewahrt werden, aus dem ich später mit vollen Händen schöpfen werde.

Aber darüber wollte ich überhaupt nicht schreiben; ich lande, glaube ich, immer wenn ich mich gehen lasse, beim Gleichen: beim «Schreiben», beim Schreibenwollen, bei der Gestaltung. Geduld und nochmals Geduld.

«Ich will ein Buch schreiben», maulte ich heute Nachmittag plötzlich wie ein tyrannisches kleines Kind gegen sein Knie. In den unerwartetsten Momenten sprudelt das plötzlich in mir hoch, es kommt von ganz tief unten und ist sehr intensiv und sehr ehrlich: «Ich will ein Buch schreiben!» Und er sagte sehr beschwichtigend, aber meinte es auch so: «Na, Sie sind doch schon nahe dran, Sie sind immer noch in den Geburtswehen, aber Sie sind doch schon nahe dran.» Ich weiß es nicht.[8] Aber denke jetzt bitte an den Papiermangel.

So etwas kann nur er sagen, ohne dass es platt klingt. Ich ging wieder einmal schweigend neben ihm her, gänzlich schweigend und natürlich auch wieder einmal leidend, und plötzlich grinst er mich mitten auf der Apollolaan an: «Sie onanistische Sau, im Geistigen, meine ich. Sie schweigen und schweigen und zu Hause schreiben Sie dann sicher zehn Seiten Tagebuch und nach einem halben Jahr erzählen Sie mir vielleicht mal was.»

Manchmal kommt es mir vor, als ob ich ihm und seinen Worten hinten und vorne nicht gerecht werde. In einem Gespräch zwischen uns über die wichtigsten Dinge des Lebens kommen seine Worte manchmal, Schlag auf Schlag, wie Hammerschläge daher, so pointiert und so ins Herz getroffen. Und in einem solchen Gespräch entsteht dann plötzlich ein Stück unseres Lebens, so stark wie eine Festung. Ich kann ja auch schlecht alles stenografieren, wenn wir manchmal über die intimsten Dinge sprechen. Aber je voller mein Herz und auch mein Kopf manchmal von einem Treffen mit ihm sind, mit umso leereren Händen kehre ich zu diesem Heft zurück und ich schreibe manchmal nur ein einziges unbedeutendes Wort auf. Vielleicht finde ich es später wieder wie einen kleinen Aufhänger, an dem ich dann plötzlich einen ganzen Abend oder einen Nachmittag oder eine einzelne Stunde mit dem vollständigen, reichen Inhalt aufhängen kann.

Ich könnte es fast wie eine algebraische Formel aufschreiben. Inwiefern bin ich noch der konventionellen Vorstellung verhaftet, dass man unbedingt so und so oft in der Woche eine ganze Nacht zusammen unter der gleichen Decke liegen muss, um eine richtige Beziehung zu haben? Mir geht es, glaube ich, um ganz andere Dinge als um Konventionen.

Und noch einmal: Wo liegt die Grenze zwischen Treue und Untreue? Aber das spielt objektiv gesehen nicht wirklich eine Rolle. Er ist treu, auf seine Weise. Und wenn er eine umfassende Beziehung mit mir eingehen würde, geriete er in solche Konflikte mit sich selbst, was die Beziehung zu Hertha betrifft, dass dies unserer Beziehung, die so intensiv und über 15 Monate hinweg stetig gewachsen ist und immer noch wächst, ernsthaft schaden könnte. Und in einer vollständigen Beziehung mit mir würde er sich mir gegenüber unfreier fühlen. «Ich denke nicht so darüber nach», sagte er, «darüber habe ich noch gar nicht so nachgedacht, aber intuitiv mache ich das so und ich glaube, dass das gut ist.»

(Intermezzo: Man kann nicht Worte aus der Realität eines Gesprächs nehmen und sie auf ein Blatt Papier schreiben. Es werden dann ganz andere Worte. Man muss sie in einer anderen Realität nachbilden und die Atmosphäre rund um die gesprochene Realität darf man nicht nachbilden, sondern man muss sie erschaffen, und zwar mit Worten, und hier ist der Anfang der Literatur und der Scherereien.)

«Wenn ich wüsste», sagte er, «dass sie dort ein einigermaßen zufriedenstellendes Leben führen und mit netten Menschen verkehren würde, dann würde ich hier vielleicht auch anders leben, was dies betrifft.»

«Es hat nichts zu tun mit Begehren oder Verlangen, es ist eher, ja es ist doch Treue.»

Und er denkt auch an das «Nachher», auch für mich. Und dann hätte ich gern gesagt, dass das «Nachher» für mich sowieso schon verloren ist, weil wir sowieso schon viel zu weit gegangen sind. Beginnt in mir wieder ein neuer Prozess? Es geht überhaupt nicht um dieses Doppelbett. Ab und zu kommt da plötzlich etwas in mir hoch, was ich früher nicht gekannt habe: der Wunsch, seine Frau zu sein. Es hat nichts mit Betten und dem Familienstand zu tun und damit, ein Leben lang zusammen zu sein. Es ist ein sich vollständig zu jemandem bekennen. Und jedes Mal, wenn ich diesen Wunsch in mir verspüre, sehe ich auch wieder die vollgeschriebenen Blätter mit dieser unruhigen, charakteristischen Handschrift und der Unterschrift vor mir: Deine Frau. Und unter jedem wilden, sehnsuchtsvollen Brief wieder: Deine Frau. Und er schreibt unter seine Briefe: Dein Mann. Und hier ist die Grenze. Und immer wieder wird einem durch dieses «Deine Frau» ein «halt!» zugerufen. Und er denkt an das «Nachher», vor allem für mich. Und während ich das schreibe, wird mein Hals immer dicker und ich fühle mich immer verzweifelter und alles erscheint mir ganz schrecklich. Und es ist so seltsam, dass ich mich genau in solchen Momenten diesem Heft zuwende. Dabei war die Woche, die diesem Tag vorausging, doch mit einem ganz anderen Gefühl gefüllt gewesen: ausgerechnet mit dem Gefühl, meinen eigenen Weg gehen zu wollen und mein Leben niemals mit seinem zu verbinden. Manchmal scheint alles überhaupt nicht so schwierig zu sein und es scheint, als wären mir von ihm nur gute und fruchtbare Dinge zugeströmt. Aber dann ist es auf einmal wieder so, als wäre beim Bau des Hauses irgendwo ein kleiner Fehler gemacht worden, als würde daher in einem unerwarteten Moment das ganze Haus einstürzen. Und dann ist alles Positive unserer Beziehung verschwunden und mich beschleicht eine bange Vorahnung einer einzigen großen Leidensgeschichte.

Es ist jetzt Viertel vor 11, und ich finde es fürchterlich, jetzt ins Bett zu gehen. Ich habe noch immer einen dicken Hals und der morgige Tag steht bedrohlich wie ein hoher Berg vor mir, der mit müden Beinen erklommen werden muss. Und ich bin so unzufrieden, so unzufrieden, dass ich zu bequem bin, um mir selbst die tiefste Rechenschaft abzulegen, die abzulegen ist. Manchmal habe ich plötzlich den Verdacht, dass diese Dinge auf dem Grund nochmals ganz anders sind als auf der Ebene, zu der ich durchdringe.

Es ist nicht so schlimm, wenn in einem ein Gefühl wächst, sich vollständig zu jemandem bekennen zu wollen. Ein solches Gefühl muss nicht sofort verwirklicht werden. Du musst es nicht so tragisch nehmen, du solltest bestenfalls dankbar dafür sein, dass solche Urgefühle in deinem Vagabundenherz möglich sind. Und dann diese Backfischfantasien, in denen du es schaffst, dich selbst zu Tränen zu rühren. Ist das noch ein Rest Masochismus? Du musst den Wegen folgen, die dir das Leben im Moment weist, den schwer begehbaren Wegen dieses Stückes Geschichte, in dem wir aktuell leben. Du musst dein eigenes Leben immer wieder in diesem großen Kontext sehen. Wenn sich da wirklich ein starkes Gefühl entwickelt, nun, dann lass es ruhig wachsen. Und in einem Gefühl zu weit zu gehen, wovor ich mich manchmal so fürchte, kann man nie, solange man es nie zerstörerisch in sich hineinschlingt und solange es einen nicht in Asche auflöst, solange man daraus wieder Leben schöpft und solange es einen wieder «schöpferisch» macht. Und natürlich sind noch Elemente dieses kleinen Weibchens vorhanden, das den Mann besitzen will. Heute Nachmittag sprachen wir auch über den Zusammenhang zwischen «Sexualität» und «Selbstgefühl».

So schwer es mir auch fällt, ich muss diese «Treue» von ihm akzeptieren und ich muss auch wissen, dass Untreue seinerseits – die ich auslöse – diese schöne und fruchtbare Beziehung zerstören könnte.

Ich starre ein wenig vor mich hin und sage plötzlich: Er hat natürlich schon recht: Ich nehme zu wenig Rücksicht auf dieses Mädchen in London. Das ist doch auch ein wichtiger Teil seines Lebens, diese Beziehung. Und er muss diese Beziehung in diesen schwierigen Zeiten weiterhin intakt halten. Ich möchte zu gern, dass seine Beziehung zu mir den Mittelpunkt seines Lebens bildet, und vielleicht ist das bei mir noch ein wenig Intoleranz und womöglich auch noch gekränkte Eitelkeit. Aber wenn das so ist, sage ich mir geradewegs: Dann verdienst du es auch nicht, in solch einer intensiven und unbeschreiblich nuancierten Beziehung mit diesem 55-jährigen Mann zu leben, wenn sich im Hintergrund deines Gefühls noch solche kleinlichen Details befinden.

Und ist da nicht auch manchmal noch: «Nun, und wenn ich dich nicht ganz kriegen kann, dann lieber gar nicht»? So banal ist es, glaube ich, nicht bei mir, aber aufgrund dessen, was zwischen uns nicht ist, übersehe ich dann vielleicht die vielen Dinge, die wohl zwischen uns sind und die täglich noch wachsen können.

Ich weiß jetzt schon, dass ich in vielen Jahren dankbar sein werde für alles, was durch das von ihm verursachte Leiden in mir aufgewühlt wurde, denn nur ihm habe ich zu verdanken, dass die Schöpfungskräfte in mir zum Leben erwacht sind. Und obwohl ich weiß, dass ich später dankbar sein werde und auch dankbar dafür bin, dass er mich meinen eigenen Weg hat gehen lassen, muss ich das alles doch zuerst einmal erleiden. Und plötzlich bin ich so überrascht, dass dieses Wort «erleiden» immer wieder aus meiner Feder fließt. Dieses Wort wird meinem Leben nun wirklich nicht gerecht. S. sah wieder wie ein wohlgenährter römischer Kaiser aus, wie er sich da in seinem großen Lehnstuhl zurücklehnte. So muss Nero in seinen intimsten Momenten ausgesehen haben. Sein dicker Bauch – nicht einmal unangenehm dick – war für meinen schläfrigen Kopf ein Zufluchtsort. Und das schwere, ausdrucksstarke Gesicht, so lebenslustig, aggressiv, gutmütig und wollüstig zugleich. Und über alledem liegt immer wieder, wie eine Überdachung, diese olympische Ruhe. Und du quälst dich doch eigentlich mit etwas Unwirklichem, wenn du glaubst, dass dir etwas von ihm geraubt wird, weil dort in London ein Mädchen ist, das er später zu seiner Frau machen will. Später, ja später. Was wissen wir über später? Mein Gott. Was haben wir noch für einen sonnigen Optimismus in unseren Fantasien. Die Zukunft? Eine Baracke in Drenthe, mit 36 Familien in einer Baracke? Hunger, Mord oder Exil? Auf jeden Fall solltest du keine Kräfte an Fantasien verschwenden, an nutzlose, selbstquälerische Fantasien; Kräfte, die du brauchst, um diese Zeit zu überstehen. Fantasien sind sehr schön, aber sie dürfen dein eigenes Leben nicht anfressen und deine Kraft nicht wie ein Sieb durchlöchern. In mir liegen noch ganze Gebiete brach, die die elementarste Menschlichkeit noch nie betreten hat wie beispielsweise meine Einstellung zu diesem Mädchen in London. Tide betet jeden Tag für sie. Dass sie zusammenkommen können. Am liebsten in Holland und im «Spier-Club» und dann schön den Spier-Club weiterführen. Nein, wirklich, das kann ich noch nicht. Dann muss ich auf Reisen gehen. Siehst du, da beginnen die Scherereien schon wieder. Jawohl, auf Reisen! Wahrscheinlich in die Drenther Heide. Gut, das spielt keine Rolle. Ob sie kommen wird oder nicht und ob ich auf Reisen gehen werde oder nicht, was wissen wir darüber im Voraus? Aber es geht um die innere Einstellung, auch zu ihr. Früher ging ich mit einem hochmütigen Gesicht an ihrem Porträt vorüber und hatte das Gefühl: Mit diesem blöden Fräulein habe ich nichts zu tun. Als ob sie mir etwas wegnehmen würde, auf das sie keinen Anspruch hätte. Das ist wirklich gut! Wenn hier einer rauben wollte, dann wäre das doch sicherlich ich? Aber jetzt lege ich doch ein sehr schlechtes «geistig-seelisches» Niveau an den Tag. Hier findet kein Raub, sondern nur Bereicherung statt. Sein Vorrat an Liebe ist so groß und wird immer größer und größer. Und jeder, der in sein Strahlenbündel kommt (wie fürchterlich werde ich mich später über all diese pathetischen Worte ärgern; nur ruhig, ich verwende sie vorläufig in Ermangelung besserer Worte, die richtigen Worte kommen dann schon noch irgendwann), raubt nichts von der Liebe eines anderen, sondern fügt zu dieser Liebe etwas hinzu. Aber jetzt finde ich mich tatsächlich wieder im gleichen kosmischen Bacchanal wieder, das mich letztens bei Leonie so aufgewühlt hat. Eine Frau möchte manchmal plötzlich die weiten Ebenen verlassen und eine enge Grenze um sich selbst und einen Mann herumgezogen sehen, und in diesem eingegrenzten Bereich dürfte sich nichts anderes als sie und dieser Mann befinden. Das steckt natürlich in mir auch noch, aber es ist nicht das Einzige. Als an jenem legendären Mittwochabend (ist das wirklich erst 3 Tage her, es erscheint mir jetzt wie ein großartiges und inspirierendes Abenteuer aus einer längst vergangenen Zeit meines Lebens) Hanneke sagte, als sie über «Gebundenheit» und «Verbundenheit» sprach: «Nein, so könnte ich nicht leben, ohne Beziehungen, ohne Mann, ohne Kinder, ich könnte so nicht weiterleben», – da wusste ich, als Reaktion darauf, plötzlich in meinem Gefühl: Doch, so könnte ich schon leben, ich könnte es vielleicht längere Zeit in einer kahlen Zelle aushalten, jahrelang auf hartem Boden kniend, und es gäbe trotzdem ein großartiges und blühendes Leben in mir, alles, was an Leben möglich wäre, wäre in mir. Und ich fühlte mich, als wäre ich aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als Hanneke und viele Frauen, die ohne Beziehungen nicht leben können.

Er sagte heute Nachmittag beim Spaziergang: «Ich habe so ein gutes Gefühl für Sie, für die Ingredienzen Ihrer Seele. Ich habe so ein gutes Gefühl für das Wesentliche bei Ihnen. Denn im allgemeinen versteht man das in Holland doch nicht gut, das russische bei Ihnen. Man hat wohl Gefühl für Ihren Witz und Ihren Geist aber für das Wesentliche hat man doch kein Verständnis», so oder so ähnlich zumindest sagte er es.

Ich habe noch so viel zu tun, dass ich eigentlich nicht verstehe, wie ich überhaupt jemals eine Minute meines Lebens vergeuden kann. Hier liegt Jung und nach seinen Wandlungen usw. kommt die «Energetik der Seele»[9] dran. Der heilige Augustinus liegt da auch noch und die Bibel und auch von Rilke habe ich noch längst nicht alles gelesen. Seit Wochen liegt auf meinem Schreibtisch «Die Renaissance» von Walter Pater.[10] Und Fürst Myschkin habe ich plötzlich seinem Schicksal überlassen. Und dann spüre ich, wie ich langsam reif für die «Gothischen Kathedralen» werde, die zunächst so unbeachtet auf diesem kleinen weißen Tisch lagen und die nun immer stärker meine Aufmerksamkeit beanspruchen. Und noch so vieles, so unendlich viel mehr. Und meine Russen und die Literatur über Russland sowie das Lesen der russischen Originale vernachlässige ich völlig. Aber darüber musst du dir jetzt im Klaren sein: Du darfst deine Kraft nicht von Zukunftsfantasien oder dem Erleben wilder, wüster, erschöpfender Leidensgeschichten unterhöhlen lassen. Ein bisschen leiden ist nicht so schlimm, mein Kind, es gehört nun einmal dazu, und wenn du nicht so sehr leiden kannst, kannst du auch nicht so glücklich sein, wie du es manchmal, nein, eigentlich ziemlich oft bist. Und du darfst dich auch nicht so stark auf diesen einen Mann fixieren. Du darfst dein Gefühl für Proportionen nicht verlieren, indem du diesen Mann überlebensgroß in den Mittelpunkt stellst. Es geht jetzt schon auf Mitternacht zu, aber jetzt bereue ich es nicht, dass ich doch nicht früh ins Bett gegangen bin. Ich denke, dass unter all den vielen Wörtern, die ich geschrieben habe, doch eines gewesen ist, das treffend und erhellend war, denn ich fühle mich trotz dieser wirklich sehr unangenehmen Bauchschmerzen ein wenig befreiter und leichter als noch vor einer halben Stunde. Der Beginn eines befreienden Konzepts ist also vermutlich gefunden. Und jetzt denke ich, dass ich doch einfach zu Han ins Bett krieche. Nicht aufgrund der Schwäche-Anwandlungen von soeben, weil ich es in meinem schlappen Zustand nicht fertiggebracht hätte, allein zu sein, sondern einfach so, weil es ja doch gemütlich ist. Das war auch noch ein seltsamer Satz aus unserem Gespräch heute Nachmittag: «Und wenn ich jetzt darauf bestehen würde, dass du ganz mir gehörst und dass du die Beziehung zu W.[11] aufgibst, das würde dich doch sicherlich auch in einen Konflikt bringen, nicht wegen dir, sondern wegen ihm.» Und dann fügte er noch hinzu: «Es macht doch nichts, wo das bischen hinfließt, wenn man nur schöpferisch ist», usw., und er sagte noch mehr absolut wichtige Dinge dazu, aber ich weiß es nicht mehr wortwörtlich, es muss ungefähr auf Folgendes hinausgelaufen sein: wenn man nur nicht am Geist Verrat übt. Und vielleicht habe ich deshalb manchmal ein unsicheres Gefühl, weil ich dann an die biederen Bürger denke, denen sicherlich die Haare zu Berge stehen würden, und daran, wie man sich zur allgemeinen Moral stellt, ich kann das dann nicht in einen allgemeinen Zusammenhang stellen.

Und doch trifft das auf unser beider Leben zu:

«Es macht doch nichts, wo das bischen hinfließt» – hier findet dann auf einmal eine so beängstigende Verschiebung von traditionellen Normen statt, dass ich für einen Moment in einem luftleeren Raum lande. Doch noch an die Konventionen gebunden? Angst davor, dass mit hohen Werten gespielt wird? Und wenn irgendwo die hohen Werte dieses Lebens gut aufgehoben sind, wo, wenn nicht bei ihm? Und meine Abstellkammer wird doch bestimmt auch immer sicherer?

Und warum nicht: sich vollständig zu jemandem bekennen? Geht das nur in Form von: «Ich bin deine Frau?» Sollte es immer darum gehen? Kann sich dieses «sich vollständig zu jemandem bekennen» nicht in den Bereichen des rein Menschlichen ereignen? Bin ich doch noch zu vielen traditionellen Vorstellungen verhaftet?

Und dieses Verlangen nach völliger körperlicher Hingabe, das manchmal so stark ist, als notwendige Ergänzung zu den starken Gefühlen für ihn? Mal ist dieses Verlangen da, mal verschwindet es wieder. Und schließlich will man es nicht einmal stillen, denn man kennt ja die Gefahren, die daraus erwachsen können? Und ich habe noch dunkle Erinnerungen an dieses eine Mal. Und dieses Verlangen, erfüllt es sich nicht manchmal in einer einzigen Umarmung, in einer einzigen Geste der vollkommenen Hingabe? Ist das nicht genug? Überschätze ich in meiner Vorstellung nicht immer noch zu sehr diesen einen kleinen Moment der sexuellen Begegnung? Und obwohl das Sexuelle in meinem Leben nicht einmal eine so große Rolle spielt, beeinflusst es mich nicht in gewisser Hinsicht aus einer Art konventioneller Vorstellung heraus in Bezug auf diese Dinge? Und jetzt solltest du wirklich endlich schlafen gehen, mein liebes Kind, aber bloß nicht bei Han, dem das viel zu spät ist, sondern allein. Aber es ist gut, dass ich diese dunklen und unklaren Dinge in mir schnell bei den Hörnern gepackt habe, sonst gehen sie wirklich wie ein wild gewordener Stier mit mir durch.

Sonntagmorgen [24. Mai 1942], halb 11.

Ein windiger Pfingstmorgen. Ich nehme diesen krämerischen Korinthenkacker-Satz zurück, für immer zurück: «Ich bin in meinen Gefühlen für ihn schon zu weit gegangen.» In der Liebe zu jemandem kann man niemals zu weit gehen; wenn ich sage: «zu weit gegangen», dann meine ich, dass ich Angst habe, dass ich daran kaputtgehen werde. Aber das wird sich noch zeigen, bislang habe ich nur Leben und Kraft geschöpft aus meinen immer stärker werdenden Gefühlen für ihn.

Die gestrige algebraische Formel lautete ungefähr wie folgt: Wenn ich eine vollständige Beziehung mit dir eingehen würde, wären der Schaden und die Konflikte, die daraus in seiner Beziehung zu Hertha entstehen würden, größer als die Bereicherung, die unsere Beziehung mit sich bringen könnte.[12] Und diese Konflikte in seinen Gefühlen für Hertha könnten eine verheerende Auswirkung auf unsere Beziehung haben. Und wenn für ihn dort die Grenze ist, wenn er sich wirklich erst untreu fühlt, wenn er eine gemeinschaftliche Liebesnacht in einem gemeinsamen Bett verbringen würde, dann ist das seine subjektive Grenze und die habe ich zu respektieren. Und dann ist das seine Art, diesem einsamen, sich abrackernden Ding in London die Treue zu halten. Ich habe ihm gestern gesagt, dass das versteckter Selbstbetrug und Vogel-Strauß-Politik sei und dass doch irgendetwas nicht stimme, aber das ist wiederum mein subjektives Gefühl, wo die Grenzen gezogen werden sollten. Und weshalb sollten wir uns für diese wirklich todunglückliche, wartende und sehnsüchtige kleine Kreatur auf der anderen Seite des Kanals nicht in diesem einen kleinen Akt der Enthaltsamkeit üben?

Er hat es gestern Nachmittag so deutlich und ehrlich ausgedrückt, dass ich dafür eigentlich sehr dankbar bin.

Zu der immer größer werdenden Bewusstwerdung gehört auch, dass man seinen aktuellen Zustand nicht zu stark verallgemeinert, sondern dass man ihn als ein Bindeglied zwischen vielen anderen Bindegliedern ansieht und dass man nicht von einem gegenwärtigen Zustand allzu abhängig wird. Man muss immer so gut wie möglich den Überblick über sich selbst behalten. Gestern Abend um halb 1 im Badezimmer, nachdem ich auf diese blauen Linien geschrieben hatte, um mich zu beruhigen, sank ich plötzlich so herzzerreißend weinend neben dem Stuhl im Badezimmer nieder. In plastischen und deutlichen Szenen erlebte ich einen Abschied von ihm. Mit einer blassen Maske, mit leblosen Augen und mit dem Gefühl, zu Asche zu zerfallen, ging ich an einem Gewässer entlang. Na ja, und so weiter, endlos. Wenn ich in der Lage wäre, all diese Szenen, die sich in mir in vielleicht 5 Minuten abspielten, in die Form einer Novelle oder eines Romans zu gießen, dann würden viele sensible Menschen deswegen in Tränen zerfließen. Und ich fing an, mich totzuweinen. Aber zugleich wusste ich auch: Du bist wieder in den Tagen kurz vor der Menstruation. Oft ist es wieder dasselbe: Dann rasen Kräfte durch deinen Körper, durch dein Blut, denen du ausgeliefert bist und die deine Fantasie zu den schlimmsten selbstquälenden Vorstellungen und Szenen anregen. Und irgendwo, in einem Winkel deiner selbst, hast du sogar noch eine Art masochistisches Vergnügen an all diesen Fantasien, die so viele Tränen herauspressen. Und in diesem Augenblick erscheinen plötzlich wieder diese Worte auf der Bildfläche: «sich ernst nehmen» und «sich wichtig nehmen». Dadurch, dass ich die Faktoren nicht aus den Augen verliere, die so eine vorübergehende verzweifelte Situation bestimmen, verliere ich mich nicht mehr ganz in dieser Verzweiflung und stelle diese Verzweiflung nicht mehr wie früher ins Zentrum des Kosmos, umgeben von nichts anderem als verlassenen, großen Flächen. Und ich glaube, dass dies auch Teil des Bewusstseinsprozesses ist: seine Zustände erkennen, weiterhin überblicken, verstehen, relativieren und nicht verabsolutieren.

Ein solches Gefühl ist das dann: als ob ein verrückter Hund all seine scharfen Zähne in mein Herz schlagen, beißen, reißen, ziehen und schütteln würde und nicht mehr loslassen wollte.

Was Rilke da an Mary Gneisenau (1906) über die Briefe der portugiesischen Nonne[13] schreibt, hat nichts mit dem zu tun, was ich durchlebe, und dennoch möchte ich hier ein paar Sätze wegen eines einzigen Wortes, das darin steht, übernehmen:

«Denn das Welken und Welksein und Sich-daran-Hingeben ist eine Schönheit mehr neben der Schönheit dessen, was kommt und treibt und trägt, ganz wie das Klagen eine ist, und das Bangsein, und das Sich-Preisgeben, und das unnütze und sich erniedrigende Flehen, wenn es so gewaltig kommt, so unaufhaltsam hinstürzend über das Gefälle eines Herzens, wie es bei der portugiesischen Schwester geschah.»

«‹ein ganz klein wenig klein und unklug› war es ja, dieses Anflehen und Sich-Verringern und -Herabsetzen in der Verschmähung, aber es war doch so reich, so schöpferisch, so sehr der Fortschritt und die Herrlichkeit dieses Herzens, daß es über den Gegenstand hinaus groß und gültig wurde, unerschöpflich und schön …»[14]

Solange man selbst in seinen traurigsten und verzweifeltsten Momenten kreativ wird, spielt das alles keine Rolle mehr, oder? Und mit keinem einzigen Leiden ist ein schöpferischer Augenblick zu teuer bezahlt, nicht wahr?

Folgendes ist bei mir öfters der Fall: Plötzlich wird energisch ein neues Gefühl geboren und das ist dann mit einem Mal so überwältigend stark, dass es wie ein großer Sturm über das Alte hereinbricht. Alles, was einst da war, ist plötzlich nichtig und unwichtig und spielt keine Rolle mehr, es gibt nur noch das neue Gefühl, das wie ein Tyrann über allem Alten herrscht. So war es auch mit dem Gefühl, sich vollständig zu ihm bekennen zu wollen, mit dem Gefühl, dazu imstande zu sein, die Frau von jemandem sein zu wollen. Für mein unbeständiges, wanderndes Herz in der Tat eine unerwartete, gewaltige Empfindung. Aber ich habe noch nicht gelernt, ein solches Gefühl sich zunächst einmal ruhig auf sich selbst besinnen zu lassen; wie ein eigensinniger Tyrann will es die alte Ordnung durcheinanderbringen, obwohl es die alte Ordnung durchdringen sollte. Ich glaube, dass es erst dann lebensfähig und echt sein wird, wenn es sich natürlich in die bereits bestehende Beziehung einfügen kann, wenn es in der Lage sein wird, dieser Beziehung einen größeren Hintergrund und ein tieferes Relief zu verleihen. Ansonsten ist es einfach nur ein neuer Reiz und eine Empfindung. Man muss immer aufs Neue die Kraft dazu finden, die starken Gefühle, die in einem selbst entstehen, zu ertragen und auszuhalten. Man sollte nicht nach einer unverzüglichen Umsetzung streben und nicht sofort davon erlöst werden wollen. Und man sollte es nicht als so übermächtig und alles Alte zerstörend erleben. Es ist doch eigentlich nur ein neuer kleiner farbiger Faden, der das wachsende Gewebe erweitert und vermehrt.

Siehst du, so kann man den eigenen Gemütsbewegungen auch zu viel Bedeutung beimessen. Es entsteht eine neue Gemütsbewegung und alles Alte muss dafür das Feld räumen, alles gerät aus den Fugen, und wie ein plündernder Usurpator dringt das neue Gefühl in ein friedliches Gebet ein. Dabei sollte es wie ein bescheidener Gast – wenn auch von hoher Geburt – kommen, der um Aufnahme bittet. Und es kann zu einer mächtigen Position aufsteigen, vielleicht zu einer alles beherrschenden Position in diesem alten, gastfreundlichen Land, aber zuerst muss es beweisen, dass es dieser Position würdig ist.

nachmittags 4 Uhr.

Man muss nicht weit außer Haus gehen, um spannende Abenteuer und Begegnungen zu erleben. Ich wollte für ein Stündchen mit dem heiligen Augustinus in mein Bett steigen, aber zuerst streiften meine Hände noch ein wenig an den Bücherreihen neben meinem Bett entlang und plötzlich traf ich in Italien Lou Salomé,[15] in Gesellschaft von Nietzsche. (Guy de Pourtalès:[16] Amor Fati, Nietzsche in Italien.) Ich traf sie im Alter von 21 Jahren, ± 1880, also als Rilke mit ihr durch Russland reiste, und später, als er ihr das Stundenbuch in die Hände legte (Gelegt in die Hände von Lou, 1899), da war sie also etwa 40 Jahre alt. Und als sie 1929 ihr Buch über Rilke schrieb, war sie eine alte Frau. Es war so überraschend, sie dort plötzlich zu treffen, blutjung und am Anfang.

«Es handelte sich um eine junge Dame, Lou Salomé, eine Jüdin finnländischer Herkunft, 21 Jahre alt, von reizvollem Äußern, rascher Auffassungsgabe und Entschlußfähigkeit; auch lebte sie in guten Verhältnissen. Sehr gebildet und vollständig unabhängig, suchte dies frei erzogene junge Mädchen sich die Zeit zu vertreiben und hätte gewiß nichts sehnlicher gewünscht, als ihren sich entfaltenden Geist dem Schicksal des umherschweifenden Gelehrten zu verbinden.»[17]

Malwida von Meysenbug[18] wollte Nietzsche und Lou verkuppeln.

«Inzwischen erzählte mir Malwide», teilte er (Nietzsche) mit, «das junge Mädchen habe ihr anvertraut: ‹sie hätte von frühster Jugend an nur nach Erkenntnis gestrebt und ihr jedes Opfer gebracht.› Das hat mich erschüttert.»

Zu Malwida sagte er: «Da ist eine Seele, welche sich mit einem Hauch ein Körperchen geschaffen hat.»[19]

Und er schrieb einmal einem Freund über sie: «Lou … ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe.»[20]

Auf jede Frage, die man ihm stellt, erhält man immer eine direkte Antwort. Bei ihm ist nie etwas verschleiert, er tut nie geheimnisvoll und er kann es sich erlauben, jederzeit und überall offen und ehrlich zu sein, ohne dabei seine Faszination einzubüßen. Gestern bin ich wieder mit allen möglichen Fragen bis zu seinem nackten Körper vorgedrungen. Und so ausgewogen, fast sachlich und für mich so beeindruckend einfach lautete eine der Antworten: «Ich onaniere nie nach dem Beten.»

26. Mai [1942], Dienstagmorgen, halb 10.

Ich bin bei lauem und zugleich erfrischendem Wind an der Stadionkade[21] entlanggegangen. Wir kamen an Flieder und kleinen Rosen und deutschen Soldaten auf dem Wachposten vorbei. Wir sprachen über unsere Zukunft und darüber, dass wir doch gerne zusammenbleiben würden.

Ich kann es überhaupt nicht beschreiben, wie gestern alles war. Als ich abends durch die laue Nacht nach Hause ging, so leicht und so schwer zugleich von diesem weißen italienischen Chianti, war auf einmal wieder diese Gewissheit da, die jetzt – mit einem Federhalter in meinen Fingern – wieder völlig verschwunden ist: Ich werde später einmal schreiben. Die langen Nächte, in denen ich dasitzen und schreiben werde, das werden meine schönsten Nächte sein. Es wird dann aus mir herausströmen, langsam und unaufhörlich in einem niemals mehr endenden Strom wird alles, was sich jetzt in mir ansammelt, aus mir herausfließen.

Ich wollte etwas über ihn schreiben, aber ich weiß es nicht mehr. Als Liesl nach diesem Gespräch zwischen ihm und Werner so müde und erschöpft war, sagte er: «Das verstehe ich sehr gut, ich rede ja wie ein Besessener.» Und das ist er auch: ein Besessener.

Und später gingen wir zu dritt am Kai entlang: «Ein großer, häßlicher, dämonischer Mann mit zwei charmanten Frauen.»

Es ist wahr, was Liesl am Nachmittag gesagt hat. Man darf es nicht als ein «Opfer» von mir betrachten, wenn ich ihm nach Polen oder in was für eine Hölle auf Erden auch immer folgen will. Es wäre ein größeres Opfer für mich, mit der Absicht, etwas von seiner Aura und seinem Geist hier zu retten und zu bewahren, allein zurückzubleiben. Aber ich fühle mich zu diesem Opfer noch nicht in der Lage und auch noch nicht stark genug.

Und nebenbei bemerkt: Es kommt, wie es kommt. Die Möglichkeiten werden in Erwägung gezogen und spielen bereits eine Rolle in unserem Leben. Die Handlung, um diese Möglichkeiten zu verwirklichen, sollte nicht erzwungen werden, sie wird vielleicht plötzlich da sein, wenn es keinen anderen Weg gibt.

Aus einem Gespräch: «Im Erotischen bin ich polygam, aber im Inneren, im Letzten bin ich monogam.»

Und später: «Aber wenn du feststellst, dass du polygam bist, heißt das noch nicht, dass du jetzt das Recht hast, entsprechend zu leben.»

«Du hast einen römischen Bauch», habe ich am Nachmittag festgestellt. «Überhaupt nicht!», fand Liesl und untersuchte aufmerksam diesen Körperteil. «Noch römisch im Schwere, aber römisch im Ausdruck.» Er sieht manchmal so aus, wie ich mir einen römischen Kaiser in seiner häuslichen Umgebung vorstelle. Und dann kann man solche großartigen, sinnreichen Dialoge führen. Als Werner aus seinem Theater nach Hause kam, saßen wir hinter dem bildhübschen Stapel belegter Brote, mit Ei und mit Tomaten und Wurst und Käse, Dinge, die gegenwärtig nahezu ein Recht darauf haben, besungen zu werden, und ich sagte unvermittelt: «Werner, weißt Du, daß S. einen römischen Bauch hat?» Und Werner auf seine knappe, komische Art: «Wieso gerade einen römischen Bauch?» Ich sagte: «Ja, ein Bauch, wie ein römischer Kaiser in der Verfallzeit?» Und Werner, wieder genauso hartnäckig überrascht: «Wieso gerade aus der Verfallzeit?» – Usw.

Ich weiß nicht, wie ich ihn gestern Abend angesehen habe, als er sich nach dem Essen auf das Sofa gelegt hatte und ich mich zum x-ten Mal an diesem Tag neben ihm fallen lassen habe. Seine Augen wurden plötzlich – nur für einen sehr kurzen Augenblick – sanft und gerührt, und er sagte: «Du darfst mich nicht so angucken.»

Und dann wurde sein Blick wieder sachlich, und ich schaute plötzlich todernst und sehr reserviert und erschrocken, und er lachte wieder sein ausgelassenes, strahlend gesundes Lachen und ein wenig später in einem Gespräch fragte ich auf einmal: «Findest Du es unangenehm wenn ich Dich so angucke?» Und er wurde plötzlich sehr nachdenklich und ernst und wieder schwappte diese Rührung wie eine kleine Welle über sein Gesicht und er sagte: «Es ist da so ein komischer Regulator in mir selber.»

Liesls unerwartete kosmische Perspektive. – Und am Abend weißer Chianti und ein privates Zimmer und vier Menschen, zwei Frauen und zwei Männer, und das Johannesevangelium.

Und ist das nicht das einzig Richtige: so stark leben und leiden und aufgehen in diesem Lebensabschnitt, von Tag zu Tag, aber mit dem Geist immer auf die weiten Horizonte ausgerichtet sein, die hinter diesen Tagen und diesen Jahren liegen. Und manchmal schon etwas wie ein geläutertes Gefühl in sich haben, dieses Gefühl, das man vielleicht haben wird, wenn man nach Jahren – gereift und verändert – auf diese Zeit zurückblickt. So ganz und gar mit jedem Herzschlag in dieser reichen und in sich geschlossenen Gegenwart leben und doch immer um die Wege wissen, die weit und endlos geöffnet sind für die kommenden Jahre, für ferne Länder und auch für den Himmel. Und gestern war in mir alles so im Gleichgewicht und ich war so versöhnt mit allem, mit Hertha, mit seiner Beziehung zu Hertha, mit all dem Leid, das kommen wird und das ich überhaupt nicht mehr als Leiden empfand. Vielleicht weil ich gestern so eng mit ihm verbunden war und – auch in ihm – die Möglichkeit einer immer größeren Verbundenheit spürte?

Die Zeit, in der unsere Lebenswege sich trennen müssen, ist auch noch nicht gekommen. Wir fühlen beide, dass diese Zeit noch nicht gekommen ist. Und außerdem kann ich ja nicht immer wiederholen, dass ich noch immer von ihm lerne? Manchmal bin ich genauso ein glühender und andächtiger «Jünger», der an den Lippen des «Meisters» hängt. Dann sitze ich manchmal atemlos neben ihm und beobachte die Wellen und Bewegungen, die über sein begeistertes Gesicht gespült werden, und dann weiß ich: Ich muss noch so viel von dir lernen und noch so viel an dir wachsen und ich werde noch lange nicht ohne dich auskommen können – aber auch: Eines Tages werde ich allein gehen können und dann werde ich etwas von der Kraft und Begeisterung in mir weitergeben, die ich täglich in kleinen Mengen von dir erbe, aber es ist absolut notwendig, dass ich noch nicht von dir fortgehe.

Und jetzt mit Liesl zur Schneiderin.

Nur so an einem späten Abend.

Manchmal reicht die körperliche Kraft nicht aus, um den Strom der Gefühle und vieler guter Absichten zu stützen und zu tragen, und das ist immer das Schlimmste, was es gibt. Ich muss mich noch immer ein wenig dazu erziehen, mich nicht machtlos dagegen aufzulehnen, indem ich etwas mit aller Gewalt forcieren will, z.B. mich plötzlich durch ein sehr schweres Buch durchkämpfen zu wollen. Ich muss mich jetzt dazu zwingen, alles beiseitezulegen und es zu wagen, mit meiner Kraftlosigkeit allein zu sein und nur dieses kleine Häufchen müder und uninspirierter Mensch zu sein, das ich im Moment bin, und nicht mehr. Gute Nacht.

Diese Eheschließung ist für mich «jenseits des Liebens und Hassens»[22]; so muss es in unserem Fall zumindest sein.

Ich fange an, die regelmäßig wiederkehrenden Augenblicke der Objektivität bei ihm immer besser zu verstehen: Es sind immer wieder errichtete Dämme in dem ansonsten viel zu großen und starken Strom seiner Gefühle. «Ich würde sonst in meine Gefühle davon schwemmen.» In seinen zwischenmenschlichen Kontakten den ganzen Tag über, Stunde für Stunde, fließen sie in so großen und starken Strömungen durch ihn hindurch, die Gefühle, und er muss immer wieder Dämme bauen, um nicht von der Strömung mitgerissen zu werden.

Eigentlich habe ich nur sehr wenige Worte für die vielen Dinge, die ich sagen möchte. Ob ich meinen Wortschatz vergrößern könnte? Ich denke, dass das möglich ist. Das ist harte Arbeit und es ist ein Handwerk. Ich glaube, dass ich immer noch zu stark damit rechne, dass plötzlich einmal «Gnade» über mich kommen wird und dass danach alle Worte und Bilder vorhanden sein werden.

Ich mache mir manchmal Vorwürfe, dass ich nicht arbeite, nicht wirklich arbeite, obwohl ich den ganzen Tag beschäftigt bin. Dann bin ich der Meinung und habe Angst, dass ich meine Zeit verstreichen lasse und nicht mit allen Fasern, die in mir stecken, an den Dingen arbeite, die wichtig sind. Ich sage mir dann selbst tröstend, dass meine Zeit noch kommen wird, und vertraue auch darauf, dass sie kommen wird, aber bin ich nicht in gewisser Hinsicht faul und bequem oder vielleicht sogar eher: furchtsam angesichts der Dinge, die wichtig sind? Wichtig für mich zumindest.

Ich arbeite noch nicht an dem, von dem ich in meinen inspiriertesten Momenten denke, dass es in Zukunft meine Arbeit sein wird, aber manchmal wird daran sehr hart in mir gearbeitet und ich lasse es zu. Dann bin ich die Werkstatt, in der das Leben mächtige Projekte ausarbeitet, meistens weiß ich nicht einmal, was, aber ich höre es dort dröhnen und wachsen und arbeiten, aber ich bemühe mich nicht einmal darum herauszufinden, was sich dort abspielt, aber ich weiß es ganz sicher: Eines Tages werde ich es schon erfahren. Arbeite also einfach ruhig weiter.

Tide schreibt am Morgen in ihrer «stillen Stunde» alles auf, was in ihr hochkommt. Das reicht von Gott bis hin zu Brotbezugsscheinen. Ich nehme mir oft vor, das auch zu tun, aber plötzlich weiß ich, dass ich das nie können werde, weil ich in aller Herrgottsfrühe schon anfangen würde, in allem zu ertrinken, was ich in mir hochsteigen lassen würde. Ich sitze hier seit 5 Minuten, körperlich übermüdet und nicht allzu angeregt, und starre ein wenig auf diesen unordentlichen, geliebten Schreibtisch, und wenn ich aufschreiben müsste, was sich alles in meine schreibenden Fingerspitzen drängelt, dann würde ich ja nie wieder aufhören können, nicht wahr?

Mein Wecker ist auf 7 Uhr gestellt, ich werde ihn jetzt jeden Morgen auf diese Zeit stellen, die Morgenmomente vor dem Frühstück werden vielleicht noch zu meiner ertragreichsten Zeit werden – oder gucke ich das jetzt nur von ihm ab?

Ich würde ihn eigentlich doch lieber nicht heiraten, aber ich würde trotzdem gerne sehr lange bei ihm bleiben, so mit drei Straßen, einer Gracht und einer Brücke zwischen uns. Ich glaube, dass ich doch werde allein bleiben müssen. Ich muss noch allein durch die ganze Welt gehen, in meinen Bewegungen nicht durch einen leibhaftigen Ehemann verlangsamt, aber doch inspiriert und getrieben von einer Erinnerung, die jetzt noch jeden Tag Realität ist. Aber diese Realität kann so mächtig werden, dass man sie nie wieder verlassen will, obwohl ich in einigen lichten und ehrlichen Momenten weiß, dass die Erinnerung an diese zeitlich begrenzte Realität für mich eine größere und inspirierendere Realität sein wird als das Aufrechterhalten dieser Realität. Das ist wirklich ungewöhnlich tiefsinnig und glasklar ausgedrückt, scheint mir.

Gott, gib mir viel Kraft. Ich muss so stark und so scharfsinnig wie ein Mann sein, wie ein erwachsener Kerl, um für ihn in seiner Arbeit so gut wie möglich ein Gegengewicht zu bilden. Wenn ich mit ihm verheiratet wäre und wir ein Haus hätten, dann würde ich dafür sorgen, dass vernünftige und intelligente Männer seines Alters zu uns kämen, Fachkollegen, die ihm ein bisschen gewachsen wären und an denen er sich messen könnte. Nun ist das nicht der Fall und ich bin nur ein kleines Mädchen. Und ich will doch so viel Stärke und Erkenntnis und Verstand haben, dass ich vorläufig alle diese Kollegen ersetzen kann. Aber jetzt kann ich nicht mehr.

Und doch noch ein letztes Wort:

Es ist wirklich ein Vermächtnis, eine Erbschaft, die ich täglich, nach und nach, aus seinen Händen empfange.

29. Mai [1942], Freitagmorgen, halb 12.

Was ist das eigentlich? Als ob ich ein Gefäß wäre, vollgefüllt mit einer kostbaren Flüssigkeit. Aber das Gefäß ist von schlechter Qualität und abgenutzt, und die edlere Qualität des Inhalts fühlt sich dadurch nicht gut aufgehoben an. So fühle ich mich im Moment, schon seit dem Aufstehen. Ein alter, verbrauchter Lederschlauch voller abgenutzter Stellen, der eine viel zu edle Flüssigkeit enthält. Es gibt fast ein lächerliches Missverhältnis zwischen der Hülle und ihrem Inhalt. Ich kann mir wirklich nichts anderes als meine schlechte körperliche Verfassung vorstellen, die mir ein so trauriges und unausgewogenes Gefühl beschert. Er sagte heute Morgen schon: «Sie sehen so verschlagen aus, ist wieder eine Krise da?» Aber beim besten Willen der Welt fiel mir nichts anderes als die überlebensgroße Müdigkeit und die erneuten Schmerzen in meinem Leib ein.[23] Und natürlich ist es nicht allein das. Ich bin so oft körperlich total angeschlagen, aber mein Geist und mein Verstand gehen dann doch noch ihre eigenen Wege, voller Kraft und Sicherheit, und ich habe dann in keinem Augenblick das Gefühl eines Missverhältnisses zwischen Hülle und Inhalt. Und jetzt fühle ich es fast physisch: ein alter, abgenutzter Schlauch, der den viel edleren Inhalt durchdringt und durch seine schlechte Qualität angreift.

Der ausgefranste gelbe Stern flatterte unordentlich auf seinem grauen, nicht allzu sauberen, offenen Regenmantel, er schwang einen schweren Koffer hin und her und er hatte so ein fröhliches, liebenswürdiges Gesicht: Mischa. Das Erste, womit er herausplatzte, war: «Ich stand gestern Abend auf dem Kopf.» Dies als erste Reaktion auf seinen gestrigen Abend mit S. Und später: «Er ist ein unvergleichlicher Kerl. Zuerst macht er vielleicht den Eindruck eines efficiency-man, aber das ist er eigentlich gar nicht.» Und ich erzählte ihm, dass er 25 Jahre lang im Geschäftsleben gestanden hat. «Nein», sagte Mischa sehr entschieden, «das glaube ich nicht.»

Und dann sehr liebenswürdig: «Er kann nicht mal ein Buch einpacken, er ist so schrecklich ungeschickt, ich glaube wirklich nicht, dass er im Geschäftsleben gestanden hat.» Und bei der Straßenbahnhaltestelle angelangt, sagte er auf einmal: «Es ist so komisch, er ist ein Riesentollpatsch, aber er macht überhaupt keinen ungeschickten Eindruck.»

«Das liegt an seiner großen Disziplin», sagte ich daraufhin.

«Und glaubt er wirklich, dass es mir gut gehen wird?», fragte er mich noch hoffnungsvoll.

Der Handlungsspielraum ist so gering und man sollte nicht zu optimistisch sein, aber zumindest hat sich noch nie jemand so um ihn gekümmert, weil ihm niemand gewachsen war? «Er hat einfach einen Schaden», sagte Jaap gnadenlos und eigentlich so herzlos. Aber nachdem Jaap seine unerbittliche Buchgelehrsamkeit zur Schau gestellt hatte, endete er doch mit einer hilflosen Frage: «Ja, aber wer soll ihm dann helfen?» Versuchen, ihn auf dieser Seite der Trennlinie zu halten, ihn für die Gemeinschaft und für sich selbst zu erhalten. Die Kunstfertigkeit, der schöpferische Akt muss sehr teuer bezahlt und schwer gebüßt werden, mit Schäden hier und da, mit Erschöpfungszuständen nach den Höhepunkten, von denen man glaubt, man werde sich nie mehr von ihnen erholen können.

Es ist jetzt 12 Uhr, was soll ich jetzt noch machen? Der ganze Tag, der vor mir liegt, gehört mir. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich, je instabiler ich mich fühle, meine Tage umso disziplinierter und geordneter verbringen und auf dem Fundament stehen bleiben muss, um nicht in viele Stücke auseinanderzufallen. Sind das jetzt nur diese Wandernieren? Ich glaube es nicht. Ich glaube, dass ich wieder schwer zu tragen habe und mit vielen Dingen schwanger gehe, von denen ich selbst noch nichts weiß. Ich bin an jeder Stelle meines Körpers und meiner Seele so mürbe und die kleinste Bewegung erfordert zu viel Anstrengung.

Ich frage mich plötzlich, ob das nicht immer wieder die gleiche Bewegung und Gegenbewegung ist: dass ich an den Tagen, an denen ich mich körperlich sehr müde und kraftlos fühle, das allergrößte Bedürfnis nach kreativen Handlungen, nach produktiven Tätigkeiten habe?

Liesl, die sich mit meiner auf einmal entdeckten neuen Seite «auseinandersetzen» muss: die «Empfindlichkeit».

«Und so jemand möchte heiraten!», lachte S. laut nach unserem Gespräch. Und ich denke auch, dass ich doch auf Dauer für jede Lebensgemeinschaft ungeeignet bin, weil Irritationen, Sticheleien und Unbeherrschtheiten im täglichen Zusammenleben niemals auszubleiben scheinen – auch wenn ich nie verstehe, warum das notwendig ist; ich verstehe es wirklich nicht und bin darüber immer wieder traurig überrascht, nie gekränkt oder in meinem Selbstbewusstsein angegriffen, sondern überrascht, wie es möglich ist, dass sich Menschen, die sich innerlich nahestehen, in einem besinnungslosen und müden Moment einander durch scharfe Bemerkungen verletzen. Das tötet bei mir sofort alles Schöne, das es zwischen mir und dem anderen gibt. Dieser Welt, die so voller Dissonanzen ist, sollte man nicht die kleinste Dissonanz hinzufügen dürfen. Und das bedeutet nicht, dass man nicht temperamentvoll, lebhaft oder leidenschaftlich in seinen Äußerungen und offen und schonungslos ehrlich zueinander sein darf. Aber diese kleinen Irritationen halte ich für eine Beziehung für tödlich. Zumindest bei mir ist das der Fall und deshalb bin ich wahrscheinlich für ein Zusammenleben ungeeignet. Aber trotzdem, warum muss das so sein und muss man es akzeptieren? Wir streben nach Verständnis, Bewusstwerdung und Menschenliebe, aber so eine einzige verärgerte Äußerung, die zwischen zwei Menschen gewechselt wird, die am Vortag noch in einer so großen inneren Verbundenheit und Harmonie beieinander waren, scheint mir in so einem krassen Gegensatz zu all unserem Bemühen zu stehen, dass in meinen Augen diese Bemühungen beinahe wertlos werden. Wenn dieses Streben nicht den kleinsten Atemzug unseres täglichen Lebens und Handelns durchdringt, dann erscheinen mir dieses ganze Streben nach tieferem Verständnis und all diese Bemühungen, eine höhere und bewusstere Ebene des Daseins zu erreichen, wertlos. Und hier übertreibe ich natürlich wieder, obwohl meine Formulierung gut ist. Ich sage: Streben und Bemühungen, und das heißt folglich: etwas noch nicht erreicht haben. Und da sind Zusammenbrüche und Abstürze jederzeit möglich, aber das sollte dich nicht so verzweifelt und unglücklich machen. Schließlich ist dieser Dienstagabend für uns alle so produktiv geworden, so unangenehm er an sich auch war. Und genau darum geht es: dass sich alles, was auch immer es sein mag, zur fruchtbaren Produktivität weiter entfaltet. Er sagte: «Ich bin so heilfroh darüber, daß mal wieder eine negative Seite von mir zum Vorschein gekommen ist. Ich fand es die letzten Monate schon so unbehaglich, daß gar keine negative Seite» – usw. Und für Hanneke wurde dies der Auslöser für diesen Brief, der für sie eine kühne Tat war, und für jene unerhört fruchtbare Auseinandersetzung mit ihm, die in einem spontanen Kuss von beiden Seiten endete und über die ich mich so freue. Und Liesl, die zu ihrem Staunen plötzlich meine «Empfindlichkeit» entdeckte, über die sie noch mit mir reden will.

Und ich habe etwas tiefer und von etwas näher in die Augen dieser eindrücklichen und verhängnisvollen Institution geschaut, die Ehe heißt und mit der ich mich in letzter Zeit immer wieder innerlich messe. Ich entdecke zwei große Strömungen in mir, die beide gleich stark sind; diejenige des Wunsches, meinen eigenen Weg zu gehen, sowie des Umstandes, mich einem gemeinschaftlichen Leben nicht gewachsen zu fühlen, und diejenige des Wagnisses, das Leben mit einem anderen zusammen zu verbringen und alle Konsequenzen daraus zu tragen. Und dazwischen, oder besser gesagt «jenseits», befindet sich dann unsere «Scheinehe», eine Institution für sich, eine Möglichkeit, zusammenzubleiben und diese harten Zeiten gemeinsam durchzustehen. Aber die Institution der «Ehe» ist so traditionsreich, so ehrwürdig, dass man damit nicht spielen kann. Und obwohl es sich nur um eine Scheinehe handelt, erzwingt sie dennoch eine innere Auseinandersetzung mit der echten Ehe. Und die Ernsthaftigkeit dieser Institution wird mir erst jetzt zum ersten Mal am eigenen Leibe bewusst. Ein prächtiges Thema für eine Novelle.

Und meine lieben Eltern, meine Mutter hier vorgestern im Wintergarten: «Wir finden es keine sehr erfreuliche Angelegenheit, aber letzten Endes musst du dein eigenes Leben leben. Ein abgelebter, alter Mann, der sein ganzes Leben schon hinter sich hat, so jung er auch im Geiste sein mag.»

Abends nach dem Essen.

Es stellt sich immer wieder in einem anderen Bereich heraus, dass ich mich innerlich doch noch nicht ganz von ihm losgelöst habe und dass ich noch kein freier Mensch auf eigenen Beinen bin. Wenn ich mich so krank fühle wie heute, dann bringe ich das mit ihm in Verbindung. Ich meine das so: Ich fühle mich dann so kraftlos und habe dann Angst, dass ich nicht genug Kraft für ihn habe und ihm nicht genüge. Dann habe ich wahrscheinlich unterbewusst Angst, dass er mich langweilig finden wird, wenn ich mich so elend fühle; dann bin ich vorübergehend nicht so voller Begeisterung für alles, was ihn betrifft, und dann fürchte ich, dass unsere Beziehung an Intensität verlieren wird. Und das ist natürlich sehr dumm. Ein Mensch kann sich an manchen Tagen elender fühlen als an anderen und darauf hat er sozusagen ein Anrecht; das gehört zum Leben dazu und andere haben das auch zu akzeptieren. Ich will nur Folgendes sagen: Wenn ich mich so schlecht und unbehaglich fühle, dann muss das ein Gefühl sein, das von ihm losgelöst ist. Ich brauche es auch gar nicht erst zu verstecken, es scheint ja doch durch. Ich kann doch sehr sachlich sagen: «Ich fühle mich heute völlig beschissen, in meinem Bauch, in meinem Kopf und in meinem ganzen Körper; lass mich einfach für eine Weile in Ruhe.» – Wie aufgebauscht und forciert doch vieles im Leben eines Menschen ist! Wirklich den eigenen Weg auf den eigenen Beinen gehen, in Lust und Unlust; in Krankheit und Gesundheit; in Momenten der Kreativität und in Tiefs. Und nicht immer begleitet von einem Gefühl wie: «Was wird der andere von mir denken, würde es ihn stören, würde ich ihm auf den Geist gehen?» Und denk immer wieder an den Unterschied zwischen

Gebundenheit und VERBUNDENHEIT!

Heute noch: Michelangelo und Leonardo. Auch sie gehören zu meinem Leben, sie bevölkern mein Leben. Dostojewski und Rilke und der heilige Augustinus. Und die Evangelisten. Ich verkehre in ausgezeichneter Gesellschaft. Und es gibt keine Verbindung mehr zur «Schöngeisterei» von früher. Jeder von ihnen hat mir auf seine Weise etwas Wahrhaftes aus unmittelbarer Nähe zu erzählen. Es gab einige Dinge von Michelangelo, die mich so unerwartet an der Kehle packten und die bei mir eine direkte, starke Ergriffenheit versursachten. –

«Man gab sich seinen Traurigkeiten hin, maßlos bis zur Selbstvernichtung.»[24] Dies ist wirklich ein legendärer Satz geworden. «Dies gibt es nicht mehr.» Selbst an meinen müdesten und traurigsten Tagen lasse ich mich nie mehr so tief fallen. Das Leben bleibt ein kontinuierlicher und ununterbrochener Strom, der in diesen Tagen vielleicht etwas langsamer fließt und auf mehr Widerstände stößt, aber dennoch immer weiterströmt. Ich kann auch nicht mehr so wie früher von mir selbst sagen: «Ich bin so unglücklich, ich weiß mir keinen Rat mehr», das ist mir völlig fremd geworden. Ich habe früher schon mal anmaßend behauptet, der unglücklichste Mensch auf Erden zu sein.

Über Dinge, die mich wirklich beeindrucken, kann ich nicht schreiben. Zum Beispiel über diesen Abend bei Pieter und Hanneke. Ein solcher Abend versinkt dann in mir und ruht in mir wie etwas Schweres. Ich glaube, es liegen viele schwere Dinge auf meinem Grund. Und vielleicht fühle ich mich deshalb manchmal so schwer, so müde und so schwanger. Aber vielleicht lagern sich all diese Eindrücke und Erinnerungen in mir zu einem schweren Lehmboden ab, der vielleicht eines Tages fruchtbar sein wird für Gott weiß was für unbekannte Gewächse?

Und das drängt sich mir immer wieder auf: Einen unordentlichen Schreibtisch voller Bücher und Papiere, der mir allein gehört, werde ich immer wieder dem idealsten und harmonischsten Ehebett vorziehen. Und meine Mutter würde aggressiv sagen: «Aber das eine schließt doch das andere nicht aus?» Aber ich glaube, dass das eine das andere tatsächlich ausschließt.

Ich erinnere mich an einen Satz aus einem Roman,[25] den ich vor langer Zeit gelesen hatte, es ging um irgendeine exaltierte Gräfin, die zudem eine historische Figur war, und die sagte: «Ich liebe ihn zu sehr, um ihn zu heiraten.» Ich dachte damals, das sei eine dumme und unbegreifliche Äußerung dieser Gräfin, aber allmählich kann ich etwas damit anfangen. Später werde ich ein nicht allzu dickes Buch darüber in einer harmlosen und glasklaren Ich-Form schreiben. Aber das erst viel später.

Und jetzt: jenseits des Schreibtisches und des Ehebettes, steht: die Drenther Heide, wo man verhungern kann, und Polen, wo man Diphtherie[26] bekommen zu können scheint. Das ist eine Aufgabe für sich. Und diese «Scheinehe» hat nichts mit einer echten Ehe zu tun. Aber diese Institution hat, trotz des Scheins, mit dem wir sie umgeben wollen, doch solch starke Strahlen zu mir ausgesendet, dass ich plötzlich mit der echten Ehe konfrontiert worden bin und an der Auseinandersetzung mit ihr reife.

Das merke ich jetzt auch wieder: Egal wie zerschlagen, müde und erschöpft ich bin: Wenn ich eine Weile an diesem Schreibtisch sitze, an meinem unordentlichen Arbeitsplatz, die weiße Wand der Mauer, die senkrecht vor mir aufsteigt, das Zimmer in meinem Rücken und dahinter die ganze Welt, dann fühle ich mich wieder so gelassen und so wohl, so gänzlich «heimisch». Aber ich weiß zur gleichen Zeit, dass die kleinste Verletzung dieser «Gelassenheit» und dieses Zuhauses alles wieder zerplatzen lässt.

Es ist mitunter kaum zu verdauen und zu begreifen, Gott, was sich deine Ebenbilder auf der Erde in diesen entfesselten Zeiten gegenseitig alles antun. Aber ich ziehe mich nicht davor in mein Zimmer zurück, Gott, ich sehe allem weiterhin ins Auge und will vor nichts davonlaufen, sondern versuchen, selbst die schlimmsten Verbrechen irgendwie zu verstehen und zu ergründen, und ich versuche immer wieder, den nackten, kleinen Menschen ausfindig zu machen, der oft inmitten der monströsen Ruinen seiner sinnlosen Taten nicht aufzufinden ist. Ich befinde mich hier nicht in diesem stillen Zimmer, um mich an Blumen zu ergötzen oder um mit Dichtern und Denkern Gott zu preisen, das wäre wahrhaftig keine Kunst, und ich glaube auch nicht, dass ich so «weltfremd» bin, wie meine guten Freunde liebenswürdigerweise sagen. Jeder Mensch hat nun mal seine eigene Realität, das weiß ich, aber ich bin keine verträumte Fantastin, Gott, und auch keine noch etwas backfischhafte «schöne Seele» (über meinen «Roman»[27] sagte Werner: «von einer schönen Seele an eine große Seele»). Ich stehe deiner Welt Auge in Auge gegenüber, Gott, und flüchte mich nicht vor der Realität in schöne Träume – ich glaube, dass auch neben der grausamsten Realität noch Platz für schöne Träume ist – und ich werde deine Schöpfung weiterhin preisen, Gott – trotz allem!

Wenn er demnächst wieder anruft und mit seiner inquisitorischen Stimme fragt: «Na, wie geht’s Ihnen denn?», dann kann ich aufrichtigen Herzens wieder antworten: «Oben sehr gut, unten sehr schlecht!»

Die meisten Probleme sind schon größtenteils gelöst, wenn man sie nur schon angeht. Zumindest in der Psychologie ist das der Fall, im «Leben» ist das womöglich ganz anders. Indem mir plötzlich bewusst wurde, dass, wenn ich mich krank fühle, dies viel zu oft in Verbindung mit ihm geschieht, und indem ich das in einem recht unbeholfenen Satz niedergeschrieben habe, habe ich mich mit einem schlagartigen kleinen Ruck wieder etwas mehr von ihm gelöst und werde ihm bald wieder von einem neu erworbenen Stückchen Freiheit aus entgegentreten. Und so gibt es immer parallel zu dem Prozess des Zueinander-hin-Wachsens auch einen Prozess des Immer-stärker-voneinander-Loslösens.

Und an solchen Tagen, an denen ich mich sehr matt und müde fühle, klammere ich mich womöglich unwillkürlich stärker an seiner Kraft fest, als ob ich Heil von dieser Kraft erwarten würde. Und gleichzeitig bringt mich diese überströmende Kraft aus der Fassung, weil ich mich ihr nicht gewachsen fühle und befürchte, nicht mehr mit ihr mithalten zu können. Weder das eine noch das andere ist die richtige Reaktion. Heilung und Regeneration müssen aus meiner eigenen Kraft erfolgen, nicht aus der seinen. Und in solchen Zeiten kann mich diese ungebrochen starke Lebenskraft manchmal plötzlich irritieren und ängstigen, aber das wird oft der Fall sein bei einem kranken Menschen, der auf einen gesunden trifft, und zwar aus einer Art Gefühl der Benachteiligung heraus.

Plötzlich, später am später Abend,

zwischen den Übersetzungen von zwei russischen Sätzen:

Vor ein paar Tagen habe ich es ungefähr so ausgedrückt, dass es für mich ein größeres Opfer wäre, hier in komfortablen Verhältnissen allein zurückzubleiben, als ihm in was für eine Hölle auf Erden auch immer zu folgen. Und nach alledem, was in den letzten Tagen in mir durchgearbeitet wurde, glaube ich, dass es wirklich ein Opfer wäre, mit ihm wohin auch immer mitzugehen, um ihn zu unterstützen. Und so empfinde ich das jetzt: Ich gehe nicht für mich selbst mit und nicht einmal aufgrund einer Solidarität des Schicksals, sondern aus einer fast sachlichen Leidenschaft heraus, wenn man das so sagen kann, um zu versuchen, Material, das für die Menschheit so wertvoll ist wie dasjenige, aus dem er geschaffen ist, so gut wie möglich zu retten und zu bewahren.

In mir ist wieder viel los, ich weiß immer noch nicht, ob es sich dabei um plötzliche Anwandlungen oder wirklich ausgereifte Früchte langsamer, unterirdischer Prozesse handelt. – Das Studium der Grammatik und Übersetzungsübungen sind eine Leidenschaft von mir.

Samstagmorgen [30. Mai 1942], halb 8.

Gestern Abend habe ich bereits den Frühstückstisch gedeckt und mein Wecker war heute Morgen auf 7 Uhr gestellt. Ich war am frühen Morgen schon mit dem heiligen Augustinus zusammen und möchte hier ein paar Worte festhalten. Immer überall das Gleiche, in immer anderen Nuancierungen und Tonarten, aber immer das Gleiche:

«… Meine Seele soll dich preisen in den Dingen, Gott, du Schöpfer des All, aber sie soll nicht an ihnen haften in sündiger Liebe mit den Sinnen des Leibes. Denn alles geht, wohin es immer ging, daß es nicht sei; und es zerreißt mit all den kranken Wünschen unsre Seele, denn die will sein und will drin in den Dingen ruhen, die sie liebt.

In ihnen aber ist nicht, worin sie ruhte, denn sie bleiben nicht. Sie scheiden, und wer vermag es, ihnen zu folgen mit den Sinnen des Fleisches, und wer kann sie fassen, auch wenn sie vor ihm liegen? Denn langsam sind die Sinne des Fleisches, und wer kann sie fassen, auch wenn sie vor ihm liegen? Denn langsam sind die Sinne des Fleisches.»[28]

Die kahlen Stämme, die vor meinem Fenster aufragen, sind jetzt mit grünen, jungen Blättchen bedeckt. Ein gekräuseltes Fell auf ihren nackten, harten Asketenleibern.

Ja, wie war das gestern Abend in meinem kleinen Schlafzimmer? Ich war früh zu Bett gegangen und schaute von meinem Bett aus durch mein großes, offenes Fenster nach draußen. Und mir war wieder, als wäre mir das Leben mit all seinen Geheimnissen sehr nahe, als könnte ich es berühren. Ich hatte das Gefühl, als ob ich an der nackten Brust des Lebens ruhte und seinen leisen, regelmäßigen Herzschlag hörte. Ich lag in den nackten Armen des Lebens, und es war dort so sicher und geschützt. Und ich dachte: Wie merkwürdig das doch ist. Es ist Krieg. Es gibt Konzentrationslager. Kleine Grausamkeiten häufen sich auf kleine Grausamkeiten. Wenn ich durch die Straßen gehe, dann weiß ich von vielen Häusern, an denen ich vorbeikomme: Hier ist ein Sohn im Gefängnis, hier wurde der Vater als Geisel genommen, und dort haben sie das Todesurteil eines 18-jährigen Sohns zu ertragen. Und diese Straßen und Häuser befinden sich ganz in der Nähe meines eigenen Hauses. Ich weiß, wie gehetzt die Menschen sind, ich weiß um das viele menschliche Leid, das sich häuft und häuft, ich weiß um die Verfolgung, Unterdrückung, Willkür und um den ohnmächtigen Hass und viel Sadismus. Ich weiß das alles und behalte jedes Stückchen Realität im Auge, das sich mir aufdrängt. Und dennoch: In einem unbewachten Moment, wenn ich mir selbst überlassen bin, liege ich plötzlich an der nackten Brust des Lebens, und seine Arme legen sich so sanft und so beschützend um mich und sein Herzklopfen kann ich nicht einmal beschreiben: so langsam und so regelmäßig und so leise, fast gedämpft, aber auch so treu, als ob es nie wieder aufhören wollte, und auch so gut und barmherzig.

Das ist nun einmal mein Lebensgefühl, und ich glaube, dass kein Krieg oder irgendwelche sinnlosen menschlichen Grausamkeiten etwas daran zu ändern vermögen.

Dort, südlich meines Zwerchfells, sind alle möglichen Dinge aus den Fugen geraten. Meine körperliche Hülle bedarf sicherlich einiger tiefgreifender Reparaturen. Solange ich noch in diesem ruhigen, beschützenden Haus lebe, ist das alles nicht allzu schlimm, aber ich muss in jedem Moment darauf vorbereitet sein, dass mich diese freundlichen Wände nicht mehr so sicher umgeben, und dann ist das mit mir schon ein verdammt ärgerlicher Zustand. Ich will ihn beschützen und begleiten, aber er kann doch kaum auf seinen Wegen ein so sonderbares Wrack gebrauchen, wie ich es im Moment bin. Ich weiß im Grunde nicht genau, was ich dagegen tun soll. Wenn ich kein Salz mehr esse, wird die Niere vielleicht ein bisschen weniger wandern. Aber diese homöopathischen Tröpfchen und diese andauernden Aspirintabletten gehen natürlich ständig aufeinander los und liefern sich in meinem «irdischen Haus» Schlachten.

Ja, mein Körper: Plötzlich sehe ich vor mir das Bild einer alten, verfallenen Ruine, aber durch die vielen Öffnungen fliegen weiße Tauben, das sind meine Gedanken, es sind mehr als Gedanken, es sind die Bewegungen und die Regung meines Geistes, und zwischen den Ritzen wachsen junge und neue Blumen, so reizend frisch und jung zwischen den verwitterten Mauern – und das sind meine Gefühle. So fühle ich mich plötzlich selbst: wie eine alte, verfallene Ruine – aber weiße Tauben fliegen durch die vielen Öffnungen und kleine leuchtende Blumen wachsen in den Ritzen der Mauern.

Na ja, das ist jetzt sehr bildhaft, mein Mädchen, du solltest jetzt besser ein paar Tropfen schlucken, und ich werde froh sein, wenn ich einmal ein weniger verfallenes Gesicht im Spiegel sehen werde, als meines heute früh am Morgen war.

Am Ende des Vormittags kurz ein paar Worte aus der Mitte eines Rilke-Briefs:

«… Wir stellen Bilder aus uns hinaus, wir nehmen jeden Anlaß wahr, weltbildend zu werden, wir errichten Ding um Ding um unser Inneres herum.»[29]

1. Juni ’42, Montagmorgen, 8 Uhr.

Ich war schon am frühen Morgen in eigenartiger Gesellschaft: in derjenigen von Casanova[30] und des heiligen Augustinus.

Er nimmt allmählich sehr merkwürdige Ausmaße an, dieser Prozess in meinem Körper. Ich kann schon alberne Scherze machen wie gestern Abend: «Kinder, in meine körperliche Hülle hat sich der Holzwurm eingeschlichen oder eine Motte oder weiß Gott was; südlich meines Zwerchfells sind alle möglichen Dinge aus den Fugen geraten.» – Aber so kann es wirklich nicht weitergehen. Um mein Herz herum bilden sich Strudel und seit drei Tagen habe ich ein Schwebegefühl bis hinunter zu meinen Halswirbeln. Und übrigens, ich finde es todlangweilig, über einen Gesundheitszustand zu schreiben. Das Unverantwortliche an mir ist, dass es mich tief im Inneren nicht wirklich kümmert, wie ich mich körperlich fühle. Ich lebe einfach weiter auf meine Weise und die Klippen des körperlichen Unbehagens umschiffe ich geschickt, während mein Geist seinen eigenen Kurs und mein Gefühl seine eigene Intensität beibehält. Und bei allem behalte ich dieses Gefühl des Geborgenseins. – Telefon.

Nach dem Frühstück.

Die stark verästelte Geranie verblutet langsam hinter seinem Fenster. Ich sehe sie immer schon von Weitem wie ein feuerrotes Leuchtfeuer. Ich gehe die Straße hinauf, direkt auf sein Fenster zu, hinter dem S. manchmal mit ungeduldigen Gebärden steht. Dann muss ich noch dieses kleine Stück Sandfläche vor seinem Haus überqueren – so ein kleines, ungepflegtes Stück Wüste mitten in dem gepflegten Stadtteil Amsterdam-Süd – und dann renne ich viele Treppenstufen hinauf und bin endlich da.

Und jetzt gehe ich mit meinem Strudelgefühl zum Arzt, in den ich, ganz heimlich unter uns gesagt, nicht viel Vertrauen habe. Aber heute Morgen gehe ich wirklich als Hilfesuchende dorthin.

[Dienstag] 2. Juni [1942], nachmittags 6 Uhr.

Aus einem Brief an Leonie, die nicht mehr reisen darf:

«Jetzt werden wir schon wieder essen gehen und heute Abend gibt es ein weiteres Opfer bei den Levies mit seinem ‹Hände hoch›. Ich möchte noch eine einzige Sache aufschreiben. Heute Morgen im Badezimmer, als ich mich in Gedanken stark mit dir beschäftigte, kamen mir plötzlich diese Worte in den Sinn. Wenn ich sie wortwörtlich abschreibe, wie sie mir in den Sinn kamen, bin ich davon überzeugt, dass sie ein wenig pathetisch klingen, aber sie waren dennoch aufrichtig am frühen Morgen und entsprechend traue ich mich, sie aufzuschreiben:

Es wird in kommenden Jahren unser Stolz und unser Sieg sein, dass jeder vernichtende Schlag, den man uns zufügen wollte, in sein Gegenteil verkehrt wurde und unsere Stärke und Entwicklung lediglich gefördert hat.

Und wie viele traurige und einsame Momente sie dir womöglich bescheren mag, wer weiß, wie segensreich diese vorübergehende Isolation für dich sein kann und was für ein fruchtbarer schriftlicher Kontakt sich daraus ergeben kann. Und ansonsten?

Vielleicht bist du nächste Woche wieder hier, aber das ändert nichts an dem hier Gesagten, denn es geht letzten Endes um die Einstellung. Und jetzt zu Tisch! Halte die Ohren steif, Kleines, und bis zum nächsten Mal.»

Mittwochmorgen [3. Juni 1942], 9 Uhr.

Das schöpferische Verlangen steigt an manchen Tagen in so hohen Flutwellen in mir auf, dass ich fast Angst habe, innerlich überflutet zu werden und zu ertrinken. Die Inhalte, die dort herausfließen möchten, sind so unverhältnismäßig im Vergleich zu der ihr gegenüberstehenden schwachen Form – wie ein lächerlich kleiner Damm in einem wild reißenden, großen Fluss –, dass ich, wenn solche Flutwellen des Öfteren in mir hochschlagen würden, von innen heraus untergraben würde. Und ich möchte mir selbst sagen: Anstatt in großen und vagen Bögen um diese unüberschaubaren und unbezähmbaren Inhalte zu kreisen, sollte ich an der Verstärkung dieser ach so winzigen und schwachen Form arbeiten.

Ich sage stets, dass in mir ein so starkes schöpferisches Verlangen ist, und ich suche immer nach Worten und Bildern, mit denen ich dieses Verlangen charakterisieren könnte. Aber vielleicht sollte ich besser versuchen, in minutiösen und präzisen Formen dasjenige darzustellen, das dieses Verlangen hervorruft, z.B. eine Blume, eine Geste, ein menschliches Gesicht oder eine Atmosphäre, die irgendwo herrscht. Ich komme sozusagen noch nirgends dran, ich kann noch nichts erfassen, alles drängt sich mir noch so groß und stark und unübersichtlich auf. Als ich gestern Nachmittag hier an meinem Schreibtisch saß, überkam es mich fast wie eine Art Offenbarung: Hier sitze ich jetzt und könnte Dinge aus Worten erschaffen. Eine Atmosphäre, ein Verhältnis zwischen Menschen, ich müsste daraus etwas machen. Etwas mit Umrissen und klaren Konturen, wägbar und greifbar und materiell und doch letztendlich wiederum auch immateriell und ungreifbar. Ja, vielleicht müsste ich das tun, aber ich kann es noch nicht gut ausdrücken und innerlich schäme ich mich manchmal so, was natürlich sehr kindisch ist, dass ich im Alter von 28 Jahren noch so wenig zum Ausdruck bringen kann. Aber so sollte es sein: Zuerst alles kristallklar, sehr präzise und minutiös beschreiben, und erst wenn man bis in die entlegensten Winkel der zugänglichen Realität einer Sache alles dargestellt hat, dann ist die Zeit reif, in die irrealen Sphären überzugehen, erst dann kann etwas zum Symbol, zum Abbild einer immateriellen und irrealen Vorstellungswelt werden. Aber das muss über den Weg des Minutiösen und Präzisen und über den Weg der Deutlichkeit, Klarheit und Verständlichkeit laufen. Andernfalls wird alles vage und «verschwommen». Mir gehen hier langsam ein paar Lichter auf.

Ich möchte Dinge aus ernsten und bizarren Worten erschaffen. Wahre Verfeinerung und Zärtlichkeit können, glaube ich, nur auf einem Boden der Urkraft wachsen. Andernfalls erhält man Perversion und Dekadenz.

7 Uhr abends.

Die Tage und die guten Vorsätze zerrinnen zwischen deinen Fingern, ohne die Fruchtbarkeit zu erlangen, die man gelegentlich in einem guten Moment von ihnen erwartet.

Ich muss ohnehin zuerst wieder ganz gesund werden. So geht das doch nicht, mit dieser interessanten, halben Gesundheit und der überheblichen Überzeugung zu glauben, der Geist würde schon seine eigenen Wege gehen. Es ist heute so heiß und drückend, und viele zähe Stunden dieses Tages sind in mir zu einer vagen und suchenden Abneigung angeschwollen. Manchmal fragt man sich plötzlich, wer und was man eigentlich ist. Man fragt sich, ob man sich nicht zu weitaus größeren Leistungen berufen fühlt, als man jemals erreichen kann? Ob man sich nicht bezüglich kreativer Fähigkeiten etwas vormacht? Ob man tatsächlich ein ehrlicher Mensch ist und ob man nicht in den tiefsten Tiefen doch in gewisser Hinsicht mit den Werten dieses Lebens spielt? Ob man alles in sich selbst vollkommen aufklärt? – Aber während ich hier so sitze, fühle ich wieder, wie meine Ernsthaftigkeit wie ein bleischwerer Stein in mir liegt und der fast zu schwer ist, weil ich überhaupt nichts für ihn tue, außer mich ihm hinzugeben. Manchmal habe ich das schuldbewusste Gefühl, dass ich meine wichtigsten Pflichten vernachlässige und in den wesentlichsten Dingen faul bin. Ich müsste eine einzige einfache Sache aus Worten erschaffen, auch wenn sie noch so mangelhaft wäre. Ich sollte den Mut haben, einige meiner schweren, vagen Ahnungen aus dem inneren Kerker zu befreien, der allmählich viel zu eng wird; ich sollte für sie eine Form suchen, in der sie ans Tageslicht treten könnten, und mich nicht schämen, wenn diese Form hässlich oder mangelhaft ist. Aber das ist es, was mich manchmal fast zur Verzweiflung bringt. Ich bräuchte Hektare an Zeit, ganze Wüsten voller Zeit, unendliche Zeiträume und Konzentration um mich herum, um die kleinste Sache zu schaffen. Und ein Tag besteht aus einem Frühstück, einem Mittagessen und einem Abendessen. Und dazwischen ein paar Stunden. Ein Telefongespräch, ein Schüler, eine russische Übersetzungsübung. Und manchmal hat man eine einzige Minute in sich selbst, die aus unzähligen Tagen zu bestehen scheint, so weit und so grenzenlos. Aber man bräuchte viele Tage echter Zeit, um die Erfahrungen einer einzigen Minute zu beschreiben. Und die Stunden sind zwischen den vielen täglichen Verrichtungen und kleinen Pflichten so eingeklemmt. Und wenn ich zum Schreiben kommen könnte – was etwas unendlich Schwieriges für mich sein wird, glaube ich –, dann bräuchte ich Stunden mit einem weiten Ausblick auf viele darauffolgende Stunden, die alle nur mir gehören würden. Dann müsste ich sozusagen in einem Saal der Zeit mit vielen großen Fenstern sitzen, die alle wieder einen Ausblick auf die Zeit erlauben würden, und das müsste dann alles mein eigener Bereich sein. Und deshalb habe ich manchmal das Gefühl, dass ich nichts tue und dass alle guten Inspirationen und kleinen Anläufe zu vager Träumerei und Spekulation über die vielen großen Dinge zerfallen, die ich in Zukunft aus Erfahrungen und Empfindungen und dem gewonnenen bisschen Weisheit erschaffen werde, von denen ich glaube, dass ich jetzt noch keine Zeit dazu habe. Aber ich weiß, dass das Leben immer aus Aufstehen und Schlafengehen und ein paar Mahlzeiten am Tag und täglichen Pflichten bestehen wird, und dazwischen muss man zusehen, dass man mit den großen Dingen fertigwird, die man für wirklich wichtig hält. Und wenn ich jetzt nicht damit fertigwerde, wenn ich ihnen jetzt keinen Platz in meinem Leben einräume, wer sagt mir dann, dass ich das später noch tun kann?

Donnerstagmorgen [4. Juni 1942], halb 10.

Ich schreibe es noch einmal ab, zum x-ten Mal, ich muss es mir selbst immer wieder einprägen, immer und immer wieder:

«Da gibt es kein Messen mit der Zeit, da gilt kein Jahr, und zehn Jahre sind nichts. Künstler sein heißt: nicht rechnen und zählen; reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt und getrost in den Stürmen des Frühlings steht ohne die Angst, daß dahinter kein Sommer kommen könnte. Er kommt doch. Aber er kommt nur zu den Geduldigen, die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge, so sorglos still und weit. Ich lerne es täglich, lerne es unter Schmerzen, denen ich dankbar bin: Geduld ist alles!»[31]

An einem solchen Sommertag wie heute liegt man wie in tausend sanfte Arme gebettet. Man wird so träge und so faul, aber im Inneren brodelt eine Welt auf ein unbekanntes Ziel zu.

Und was ich auch noch sagen wollte: Als er neulich den «Lindenbaum»[32] gesungen hatte (ich fand es so schön, dass ich ihn bat, einen ganzen Wald voller Lindenbäume zu singen), glichen die Falten und Linien in seinem Gesicht alten, uralten Pfaden durch eine Landschaft, die so alt war wie die Schöpfung selbst.

Am kleinen Ecktisch bei Geiger schob sich neulich Münsterbergers junges und fein geschnittenes Gesicht zwischen das seine und das meine, und für den Bruchteil einer Sekunde war ich fast entsetzt darüber, wie alt sein Gesicht doch ist, als hätte es schon viele Leben hinter sich und nicht nur sein eines Leben. Und das löste in mir eine kleine Reaktion aus, wie eine Momentaufnahme: Ich würde mein Leben nicht mit seinem für immer verbinden wollen, das ist etwas Unmögliches. Aber eigentlich ist eine solche Reaktion so platt und unter allem Niveau. Sie basiert auf dem konventionellen Konzept der Ehe. Mein Leben ist ohnehin an seines gebunden, oder besser gesagt, es ist mit seinem verbunden. Und nicht einmal unsere Leben, sondern unsere Seelen – ich gebe zu, dass ich diese Formulierung am frühen Morgen hochgestochen finde, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich noch nicht ganz dahinterstehe («dazu stehe»), hinter dem Wort «Seele». Und es ist so außergewöhnlich platt und kleinlich und wirklich unter allem Niveau, manchmal, wenn sein Gesicht dir besonders gut gefällt, zu denken: «Ja, ich würde ihn gerne heiraten und immer bei ihm bleiben», und in Augenblicken, in denen er dir so alt, so uralt oder gar ururalt erscheint, besonders dann, wenn du ein junges und frisches Gesicht neben seinem siehst, zu denken: «Nein, doch lieber nicht.» Das sind solche Kriterien, die ich aus meinem Leben verbannen sollte. Das ist eine Art der Reaktion, die ich, ja, ich kann es noch nicht einmal ausdrücken, als störend und behindernd für die wirklich großen Gefühle der Verbundenheit empfinde, die über alle Grenzen der Konvention und Ehe hinausgehen. Und es geht hier nicht einmal um Konvention und Ehe, sondern um die Vorstellung, die man davon hat und in sich trägt.

Es darf einfach nicht passieren, dass man im einen Augenblick anlässlich eines bestimmten Gesichtsausdrucks oder was auch immer denkt: «Ich würde ihn schon gerne heiraten.» Und im nächsten Augenblick reagiert man genau umgekehrt. Das dürfte wirklich nicht passieren, denn es hat nichts mit den wesentlichen Dingen zu tun, um die es geht. Schon wieder etwas, das ich nicht einmal annäherungsweise ausdrücken kann. Aber: Man muss viel in sich selbst ausreißen und ausrotten, damit ein ungeteilter weiter Raum für die großen Gefühle und Verbundenheiten in ihrer abgeschlossenen Ganzheit frei gemacht wird, ohne dass diese ständig von diesen kleinen Reaktionen niederer Ordnung durchkreuzt werden.

Ich sollte mit der Chirologie ganz aufhören und die Zeit, die dadurch frei wird, für das Studium der russischen Sprache nutzen. Ich darf mich nicht mit Dingen verzetteln, die für mich nicht notwendig sind. Und ich muss den Mut haben, ihm das zu sagen. Und gestern Abend zum Beispiel bin ich mindestens eine Stunde zu lange bei Aleida Schot geblieben, ich weiß selbst nicht, warum, wahrscheinlich weil ich gespürt habe, dass sie es schlecht finden würde, wenn ich schon weggegangen wäre. Wenn ich es mit diesen Dingen wirklich ernst meine, sollte so etwas nicht passieren. Ich verzettele mich und verschwende meine Zeit auf Dinge, die weder für mich noch für andere notwendig sind, aber immer noch aus dieser unselbstständigen Angst heraus, ihn und andere zu verletzen, wobei dahinter wahrscheinlich wiederum steckt, dass ich Angst habe, dass ich anderen weniger gut gefallen werde. Und das ist letztendlich wieder eine Abhängigkeit von anderen, von der Meinung der anderen über mich, was ja eigentlich die Sache der anderen ist und nicht meine.

Es ist jetzt Viertel vor 11 und ich glaube, dass ich mich wieder «zusammengerafft» habe. Es geht alles schon wieder. Disziplin und Ausdauer und Durchhaltevermögen und Vertrauen und Ehrlichkeit und das Bestreben, den Hauptweg so gut wie möglich zu erkennen und sich nicht auf den viel zu vielen Nebenstraßen zu verirren.

Mitternacht, im Badezimmer.

Ein paar Worte aus einem Gespräch von heute Abend, als wir die Treppe hinuntergingen und sein Gesicht auf dieser halbdunklen Treppe plötzlich wieder so männlich und ernst wurde, nachdem er zuerst wie ein alberner Säugling mit heftigen, unbegründeten Lachanfällen in einem himmelblauen Hemd, heiß, furchtbar heiß, hart an der Grenze zum Schwitzen, und mit völlig entspannten Gesichtszügen, die dem Gesicht dann so etwas Weiches und Sinnliches und auch etwas sehr Gutmütiges verliehen – wo bin ich eigentlich in meinem Satz stecken geblieben? Ich weiß es nicht mehr.

Na ja. Aber auf dieser halbdunklen Treppe spannten sich die Gesichtszüge auf einmal während eines aufsteigenden Gedankens wieder an und sein eigentlich weiches und gutmütiges Gesicht wurde fast wieder männlich durch die tiefe Nachdenklichkeit, die alle Gesichtszüge umgab.

«Es geht doch eigentlich darum, daß jeder Augenblick des Lebens erfüllt ist und daß man doch nicht zu ich-haft wird und nur sich selber erlebt.»

Und ich erinnerte mich daran, wie ich letzte Woche zu Liesl in dieser schäbigen kleinen, mit gelben Sternen überfrachteten Eisdiele sagte: «Solange wir nur nicht zu selbstgefällig werden, davor müssen wir uns hüten, wir, die wir unsere innere Realität gefunden haben.»

Und sich immer wieder auf andere einstellen und selbst immer wissen, wie schwierig der Weg zu dieser inneren Realität gewesen ist und wie man diesen Weg immer wieder finden muss.

Mitten in einem Gespräch heute Abend, als meine allzu große Verschlossenheit zur Sprache kam und ich sagte, dass ich nur über Dinge von mir selbst sprechen kann, die «fertig» seien, griff er mich plötzlich an, dass ich da eine falsche Vorstellung hätte, dass man niemals fertig sei und dass man auch den Mut haben müsse, sich in seiner Entwicklung zu zeigen, auch wenn man noch nicht «fertig» sei. Und ich habe dann noch kurz darüber gesprochen, dass ich manchmal in mir eine Diskrepanz empfinde zwischen meinem Temperament, meiner Spontaneität, der raschen Auffassungsgabe und der Flinkheit nach außen hin und der trägen, langsamen und tiefgehenden Art und Weise, auf die meine inneren Prozesse stattfinden. Und wenn ich etwas über mich selbst erzähle, habe ich das Gefühl, dass ich mich so zersplittere, dann fühle ich mich so «zerrissen» und bin hinterher immer sehr traurig. Und doch habe ich das Bedürfnis, mich vor anderen zu rechtfertigen, und es mag womöglich sehr geschwollen klingen, wenn ich sage, dass ich mich dazu berufen fühle, meine eigenen inneren Prozesse vor der Menschheit zu rechtfertigen. Nicht vor einem einzelnen Menschen in einem Gespräch, sondern vor der ganzen Menschheit, jawohl, vor der ganzen, in irgendeinem Kunstwerk. Das ist natürlich Unsinn, wie ich mich hier selbst lächerlich mache in Ermangelung der richtigen Worte, aber manchmal ist mir, als ob alles, was ich innerlich erlebe, nicht nur mir gehörte, als ob ich kein Recht darauf hätte, es für mich allein zu behalten, als ob ich es rechtfertigen müsste. (S. sagte ausgerechnet heute Abend, dass meine Verschlossenheit vielleicht unter anderem auch ein Hängen an «Besitz» sei.)

Als ob ich in diesem kleinen Stück einer von vielen Empfängern wäre, die etwas wieder weitersenden müssen. Aber was, das weiß ich noch nicht.

Wenn ich jetzt nicht schon zu schläfrig wäre, um eine Bilanz dieses Tages zu ziehen, wäre ich mit einer Sache unzufrieden: mit der Art und Weise, wie ich mit Hetty über die «Theaterwelt» gesprochen habe. Ihr ist es wahrscheinlich entgangen, aber mich stört es. Es schwang so ein wenig mit, dass ich die Frau sei, die in diesen Kreisen ihr zweites Zuhause hat und die so viel darüber weiß. Und einige vage Ungeheuerlichkeiten, von denen niemand etwas hat. Was S. heute Abend in dem Gespräch mit diesen siamesischen Zwillingen Fein und Weyl[33] sagte, die sich nach 8 Jahren immer noch siezen, war zumindest stichhaltig: Der Schauspieler, der sein ganzes Leben in diesen wenigen Minuten abends auf der Bühne immer wieder komprimiert und konzentriert, ist oft außerhalb der Bühne ein innerlich verkümmerter Mensch, der nicht an sich selbst arbeitet und «stecken bleibt». Und er sagte noch ein paar weitere glasklare Dinge, während ich solche vagen Sensationsgeschichten auftischte, wirklich so wie eine «Eingeweihte», und zugleich sehr eingebildet meine Missbilligung dieser Gruppe von Menschen zum Ausdruck brachte, deren Niveau ich so niedrig fand. Unmittelbar danach folgt bei mir ein Kater. Wenn ich nicht jedes Wort, das ich sage, innerlich verantworten kann, sollte ich besser gar nichts sagen. Humbug, um andere zu beeindrucken, du müsstest dich schämen, Kleines!

Und deshalb ist jedes seiner Worte so eine Erquickung und Erleichterung: Es ist niemals vage, jedes Wort wird geboren, nachdem es vollständig ausgetragen wurde, es ist alles so sicher, so ohne Vagheit und Tricks und Verschleierungen. Und von jedem Wort, das er äußert, lerne ich. Und selbst so ein Abend wie der heutige, an dem wir beide fast schwachsinnig von der Wärme sind und uns wie freigelassene Idioten verhalten, bringt uns doch, unmerklich, seine ausgereiften Momente, durch die man selbst im Inneren wieder etwas klarer und deutlicher wird. Aber das alles weiß dieser gute Mann selbst nicht.

Gute Nacht.

Freitagmorgen [5. Juni 1942], halb 9, im Badezimmer.

Als ich gestern Abend auf der Stadionkade kurz zurückblickte und Werners Gesicht sah, fand ich dort plötzlich eine Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit vor, die ich von diesem Gesicht noch kaum kannte. Aber diese Ernsthaftigkeit war in dieses Gesicht gemeißelt. Und in S.s Gesicht ist das anders, während meiner Atemübungen habe ich benommen darüber nachgedacht, wie es bei S. ist. Und dann habe ich es herausgefunden: Bei ihm ist diese Ernsthaftigkeit modelliert. Gemeißelt und modelliert. So bearbeitet das Leben die Gesichter mit verschiedenen Werkzeugen. Oder besser gesagt: An S.s Gesicht «tritt» das Leben mit seinen eigenen nackten Händen «heran», «an» Werners Gesicht indirekter, mit einem Instrument, einem Meißel oder was auch immer.

Als ich heute Morgen aufwachte, fiel mir plötzlich ein Satz ein, den ich einst als Backfisch stolz in einen kleinen Notizblock geschrieben hatte:

«Mein Herz ist wie eine Ziehharmonika, es zieht sich zusammen und dehnt sich aus, und sein Spielmann ist das Leben».

Freitagabend, halb 8.

Heute Nachmittag habe ich mit Glassner japanische Drucke angesehen. Und plötzlich wusste ich es wieder: So will ich schreiben. Mit so viel Raum um ein paar Worte herum. Ich hasse viele Worte. Nur Worte, die organisch in ein großes Schweigen eingefügt sind, möchte ich schreiben, und nicht Worte, die nur dazu da sind, das Schweigen zu übertönen und auseinanderzureißen. Die Worte sollten eigentlich das Schweigen betonen, so wie auf dem einen japanischen Druck mit dem Blütenzweig in der unteren Ecke. Ein paar zarte Pinselstriche – aber was für eine Darstellung des kleinsten Details – und um sie herum der große Raum, aber kein Raum, der eine Leere ist, sondern ein, sagen wir, beseelter Raum. Ich hasse die Anhäufung von Wörtern. Man kann im Grunde mit so wenigen Worten die paar großen Dinge sagen, um die es im Leben geht. Wenn ich jemals schreiben werde – was eigentlich? –, möchte ich einzelne Worte auf einen wortlosen Hintergrund pinseln. Und es wird schwieriger sein, diese Stille und dieses Schweigen darzustellen und zu beseelen, als die Worte zu finden. Es wird dann um das richtige Verhältnis zwischen Worten und Wortlosigkeit gehen, eine Wortlosigkeit, in der mehr passiert als in allen Worten, die man aneinanderreihen kann. Und in jeder Novelle – oder was auch immer es sein mag – muss der wortlose Hintergrund wieder anders gefärbt sein und einen anderen Inhalt haben, wie das auch bei diesen japanischen Drucken der Fall ist. Es geht nicht um ein vages und unergründliches Schweigen, auch dieses Schweigen wird seine eigenen kantigen Konturen und seine eigene Form haben. Und folglich sollten die Worte nur dazu dienen, dem Schweigen seine Form und seine Konturen zu verleihen. Und jedes Wort ist wie ein kleiner Meilenstein oder wie eine kleine Erhebung über endlos flachen und ausgedehnten Wegen und weiten Ebenen.

Es ist so komisch bei mir: Ich könnte Bände darüber schreiben, wie ich eigentlich schreiben möchte, und es ist durchaus möglich, dass ich abgesehen von diesen Schreibanleitungen niemals einen Buchstaben zu Papier bringen werde. Aber auf diesen japanischen Drucken sah ich plötzlich so anschaulich, wie ich im Grunde gerne schreiben würde. Und ich möchte später einmal durch japanische Landschaften wandern, um mir dessen noch bewusster zu werden. Ich glaube überhaupt, dass ich eines Tages in den Osten ziehen werde, später, um festzustellen, dass dort täglich das gelebt wird, womit man sich hier allein fühlt und was man als Dissonanz empfindet.