Liebe Etty!
Vor allem anderen gratuliere ich dir hiermit zu deinem 27. Geburtstag! Viel Spaß am 15., und danach noch viele angenehme Jahre mit vielen Kinobesuchen …! Ich mache gute Fortschritte und hoffe, bald von hier wegzukönnen. Studiere du nur ordentlich Bulgarisch und grüße ansonsten alle. Tschüüüüüss!!
Herzliche Grüße und ein Küsschen von
Mischa
P. S. Natürlich herzliche Grüße an Jaap mit den besten Wünschen für sein Doktorexamen!!!!!!
M.
[Vater Louis Hillesum:]
Ebenfalls herzliche Grüße von
Пere[1]
Leiden, irgendwann.
Liebe Etty!
Verzeih dieses dekadente Papier – jeder hat so seine Schwächen.
Ich habe mir diese Geschichte von Spier noch einmal durchgelesen. Seit du sie mir geschickt hast, habe ich oft darüber nachgedacht. Du hast wirklich recht, er ist ein besonderer Mann.
Was Joop angeht, so behauptet er, dass er ihm nicht imponiert. Vielleicht ist er nicht ehrlich, oder vielleicht erkennt er wirklich kein Genie, wenn ihm eines begegnet.
Seit Samstag habe ich ununterbrochen Magenschmerzen gehabt. Die Sache ist folgende: Ein Freund von Joop,[2] ein Verleger, hat über meine Übersetzungen gesagt, sie seien nicht «literarisch». Am Samstagmorgen bekam ich von Joop einen Brief, in dem er u.a. schreibt, ich solle mich nicht verkannt «wähnen» etc. etc. Schulmeisterlich und mit der bekannten unpassenden familiären Vertraulichkeit. Ich habe sofort einen geharnischten Brief voller beißender Substanzen und Dynamit zurückgeschrieben. Ich will ihn nie mehr sehen. Abgehakt.
Ich weiß noch nicht, ob ich am Donnerstag komme. Grüße vor allem Spier. Ich habe kurz nach dem Besuch in Amsterdam damals ein deutsches Gedicht für ihn geschrieben. Sag ihm, dass ich ihn noch einmal besuchen möchte, ja?
Viele herzliche Grüße etc. etc.
Любим Васильевич[3]
Viele Grüße an Mijnheer Wegerif.
Und hör mal, ich mache wirklich Fortschritte im Russischen und Tschechischen.
Vlaardingen 21.6.42.
Liebe Etty,
schaust du noch so tief unglücklich wie ein krankes Kätzchen in die Welt hinaus, oder bist du über den Höhepunkt aller Unannehmlichkeiten hinweg und es geht dir ganz schnell immer besser? Vielleicht läufst du schon wieder gesund und munter durch Amsterdam und saugst wie so viele Menschen Sonne, Wärme und Schönheit in dich auf, bis du nicht mehr kannst.
Umfallen vor Erstaunen wirst du nicht über diesen Brief, denn man hat dir erzählt, dass du einmal damit rechnen musst, und du weißt, wer ihn angeregt hat. Aus eigener Bewegung wäre ich nie dazu gekommen, obwohl die Versuche, einmal miteinander zu reden, immer wieder fehlgeschlagen sind. Nach sechs Wochen (oder ist es schon länger?) habe ich endlich einmal Zeit und Ruhe, mir einen ordentlichen Brief zu überlegen. Die eine Hälfte von Vlaardingen sitzt in der Kirche, die andere schläft sich aus, und es gibt niemanden, der mich stören kann.
Ich frage mich, was für einem Menschenkind ich da wohl gerade schreibe. Ich weiß das ein oder andere aus Geschichten über dich, die ich in Hilversum gehört habe und die Gera geschrieben oder erzählt hat, aber aus eigener Erfahrung «kenne» ich dich nur oberflächlich. Ich weiß, wie du aussiehst, dass du ein ordentliches Gehirn hast, dass du witzig sein kannst, und ich meine erkannt zu haben, dass du auch durchaus ein bisschen raffiniert sein kannst. Letzteres hat mir Ome auszureden versucht. Du siehst, es wurde sogar schon über dich «geklatscht». Das ist alles, was ich über dich weiß. Nicht viel, was? Es tut mir immer leid, dass ich so wenige aus eurem Kreis kenne. Es ist kein Wunder, denn ich bin immer nur kurze Augenblicke bei euch, und dann geht es außerdem ums Zuhören, nicht ums Reden.
Der Anlass dieses Briefes war ursprünglich auch, dich zu fragen, was du für das Bezeichnende an Omes Arbeitsweise hältst. Als er mich nach meiner Meinung dazu fragte, habe ich sofort von ihm wissen wollen, was andere darüber dachten, denn ich ging davon aus, dass sicher jeder eine eigene Auffassung hätte. Er hat damals gesagt, es wäre vielleicht schön, einmal mit jemand anderem darüber zu sprechen, z.B. mit dir. Also lege ich jetzt los, in der Hoffnung, dass du Zeit und Lust hast, auf mein Gestammel einzugehen und mir mal zu erzählen oder zu schreiben, was du davon hältst.
Ich habe über Omes Arbeitsweise Folgendes ausgeknobelt: ein Umschalten vom unbewussten, sinnlichen, materiellen zum bewussten geistigen Leben, um dem Menschen durch das Entfernen von Blockaden seine persönlichen Kräfte bewusst werden zu lassen, sodass eine gesunde Wechselwirkung zwischen dem Ich und der Gemeinschaft entsteht, in dem Sinne, dass dieses Gemeinschaftsgefühl auf Liebe zur Menschheit begründet ist.
Außerdem wird mir von Zeit zu Zeit vorgehalten, dass genug Spannung in einem Menschenleben bleibt, ohne dass man ins Extreme verfällt. Wie denkst du darüber? Wenn ich mir so das bürgerliche, anständige Leben eines Durchschnittsvlaardingers anschaue, gibt es darin nicht viel Spannung, allenfalls die, mit wie wenig Essen man möglichst lange auskommt, aber diese Art der Spannung meine ich nicht. Ich empfinde das Dasein hier zwischen sich selbst genügenden anständigen Herdentieren als ziemlich muffig und öde. Und weil ich mir unter einem goldenen Mittelweg zwischen zwei Extremen immer so etwas Verschlafenes vorstelle, macht mich das ab und zu ganz kribbelig.
So, Etty, das zum Kennenlernen und als Einleitung. Wenn es dir noch nicht besser geht, wünsche ich dir gute Besserung, und wenn das schon der Fall ist, hoffe ich, dass es so bleibt. Mit herzlichem Gruß
deine
Annette van der Hof
Deventer, 7. Juli ’42.
Liebe Etty,
zu unserer großen Freude können wir dir mitteilen, dass Mischa gestern bei einem Auswahlverfahren für die «Arbeitsverstärkung» abgelehnt worden ist. Das ist zumindest ein Stein, der einem vom Herzen fällt.
Wahrscheinlich hast du Mien schon gesprochen; was einigermaßen wissenswert ist, weißt du also schon. Aus Amsterdam hören wir von verschiedenen Seiten Dinge und ersehen daraus, dass die Stimmung dort nicht besonders gut ist. Wir müssen einfach eine stoische ἀταραξία[5] an den Tag legen. (Ist das nicht ein netter Ausdruck «aus dem Volk»?) Solche Ausdrücke werden wir mit der Zeit verlernen. Wir werden in absehbarer Zeit wieder eine Gruppensprache sprechen; das wird dann also ein Neo-Jiddisch. Herzlichen Gruß, auch an Jaap.
Пere
Trude war gerade eben hier, sie hat erzählt, dass sie einen Brief von Jaap bekommen hat, in dem u.a. stand, dass er vielleicht Krankenpfleger im NIZ[6] werden wird.
[Mutter Rebecca Hillesum:]
Liebste Etty, ich habe im Augenblick ein großes Bedürfnis, dir ein wenig mehr zu schreiben, aber Vater hat gerade gesagt, dass es schon fast 8 Uhr[7] ist. Also für diesmal nur ein herzlicher Gruß. Ich wollte dir heute eigentlich ein wenig Obst (Kirschen) schicken, aber als ich heute Nachmittag einkaufen ging, waren sie ausverkauft. Könnt ihr Obst bekommen?
Über meinen Besuch am Sonntag und Montag bis abends war ich nicht besonders beglückt. Ich bin sehr müde, erledige alles allein – 4 Stunden in der Woche habe ich eine Haushaltshilfe –, und wenn man dann noch einen gern gesehenen Gast bekommt, ist das noch etwas anderes. Ein andermal mehr darüber.
Als mein Gast gestern aufgebrochen war, kam zu meinem großen Vergnügen ein netter Mensch zum Unterricht zu mir. Das hat die paar sehr schlimmen Tage ein bisschen weggewischt. Nun ist Mischa wieder viel ruhiger. Bis zum nächsten Mal.
крепкий поцелуй мать[8]
Was für ein unansehnlicher Brief!
Haltet euch tapfer und lasst ab und zu etwas von euch hören.
21. Juli ’42.
Meine geliebte, tüchtige Tochter,
in deinem Brief, den wir heute erhalten haben, stehen ganze Romane. Romane, die einen nicht wenig berühren. Du bist sehr tüchtig und vernünftig – sorge dafür, dass du es bleibst. Ich erkenne in dir meine eigenen Erlebnisse wieder. Mit nur 17 Jahren habe ich auch Großes erlebt.[9] Sei froh, dass dein Leben bisher ungetrübt war. Ich werde mich jetzt nicht in Betrachtungen vertiefen, ich bin zu müde dafür. Ich will dir nur sagen, dass das, was du jetzt tust, viel zu viel ist. Mein liebes, liebes Kind, es ist zu viel! Du darfst gar nicht daran denken, auch noch deine Stunden zu geben, und wenn man dir noch so große Reichtümer dafür bezahlt. Das war genau mein Fehler, dass ich zu einer bestimmten Zeit zu viel gearbeitet habe. Sorgen wir dafür, dass du davor bewahrt bleibst. Vielleicht kann deine Arbeit ja so geregelt werden, dass es 4 Tage in der Woche sind, wenn es in diesem Chaos noch eine Regelung gibt.[10]
An den Tagen, die du vielleicht freibekommst, darfst du gar nichts tun. Nach 10 Stunden Arbeit in einer Hölle darf bei dir keine andere Aufgabe dazukommen. Hör gut zu, was ich dir sage. Ich habe Respekt vor deiner Tüchtigkeit, mein lieber, lieber Schatz, aber um stark zu bleiben, musst du etwas von deiner Arbeit aufgeben. Was du für verschiedene Ausgaben brauchst, bekommst du von Mijnheer Wegerif. Spare an nichts, was das Essen betrifft. Iss nur, was du bekommen kannst, und wenn die Zeiten noch so teuer sind. Jaap soll sich auch zusätzlich etwas nehmen. Mijnheer Wegerif ist für euch da. Gib die Stunden an mich weiter, wenn die Leute das wollen. Bei mir werden sie bestimmt gute Fortschritte machen, und du darfst das Geld behalten.
Einen Tag in der Woche musst du wirklich eine Ruhepause einlegen, dich ganz und gar gehen lassen. In den verlorenen Augenblicken schreibst du uns dann wieder mal. Deine Briefe sind bei dem ganzen Zores dann sehr aufmunternd. Heute haben wir auch Jaap einen Brief geschrieben, unserem lieben, tüchtigen Jaap. Vielleicht gelingt es ihm noch, eine Erlaubnis zu bekommen. Willst du nicht auch probieren, deine Mutter zu besuchen? Himmel, wie sehr wünschen wir uns das.
Es ist gleich 8 Uhr, bis zum nächsten Mal. Pass auf die Marken auf. Schreib, was du sonst noch haben willst. Tschüss, mein Engel,
sei umarmt von Mutter.
Apeldoorn, 16. September 1942.
Liebe Etty,
Dr. Waterman,[11] der zurzeit mein treuer Berichterstatter aus Westerbork ist, hat mir erzählt, dass es dir gut geht.
Darüber bin ich unsagbar froh. Du hast sicher viel erlebt, schreib doch mal etwas darüber. Das Leben ist im Augenblick für fast jeden schwer zu ertragen, das merkt man hier auch. Trotzdem fällt der Vergleich zwischen hier und Drenthe noch zu eurem Vorteil aus, weil der Zustand dort nur vorübergehend ist und hier manche Leute das ganze Leben bleiben müssen.
Letzte Woche kamen 7 Patienten aus Westerbork hierher. Ich sprach bei dieser Gelegenheit mit dem Gendarmen Postma,[12] der dich jedoch nicht kannte, aber das kann bei so vielen Leuten natürlich auch kaum sein.
Es ist aber unglaublich bestialisch und grauenhaft – all die Tausende von Menschen, die im Augenblick wegen ein paar Verrückten zugrunde gehen.
Mein Zustand ist schließlich noch gut auszuhalten, auch wenn er alles andere als angenehm ist. Wir wollen optimistisch bleiben. Ich habe hier übrigens schon noch ein wenig Freiheit, kann Klavier spielen etc. Dr. Spanjaard,[13] von dem du bestimmt gehört hast, ist sehr nett.
Liebe Etty, ich hoffe, dass wir einander bald wiedersehen, in einer gereinigten Atmosphäre.
Der derzeitige Zustand scheint den Experten zufolge nicht mehr lange zu dauern. Eigentlich haben wir doch mit Spier, Glassner und den ganzen Mädchen noch einen sehr schönen Winter gehabt. Wenn ich daran denke, kann ich nicht begreifen, dass ich den Zustand damals schon so schlimm fand.
Von diesen ganzen Leuten hörst du sicher nichts mehr?
Dr. Waterman hat mir erzählt, dass die Transporte nach Polen höchstwahrscheinlich bald bis zum Frühling aufgeschoben werden sollen, das erfüllt einen dann wieder mit großer Hoffnung! Sorge du auf alle Fälle um Himmels willen dafür, dass du «außer Schussweite» bleibst. Wer weiß, vielleicht dauert das Ganze ja gar nicht mehr so lange, und nach dem Krieg ist das Leben vielleicht doppelt so schön und die Mühe wert.
So, liebe Etty, ich muss leider Schluss machen. Dr. W. wird alles andere Wichtige schon berichten. Vielleicht höre ich ja auch noch mal was von dir.
Meine Adresse ist:
Apeldoornse Bos, Pavillon Stokvis.
Apeldoorn.
Jetzt muss ich also aufhören, mit ganz vielen herzlichen Grüßen und Küsschen
von
Mischa
P. S. Ich soll dich von Frits Lobstein[14] grüßen.
Mien Kuyper hat mir geschrieben, du hättest sie angerufen. Danke dir! Das Allerbeste!
Tschüüüüüüüss!!!!
Mischa
Westerbork 26/2/43.
2350
Hallo, Etty – gerade habe ich Maria eine kurze Nachricht geschrieben. Sie hat mir aus Wageningen ein herrliches Roggenbrötchen geschickt, dafür musste ich ihr doch schnell ganz besonders danken.
Ich habe dich in den letzten Tagen ein bisschen vernachlässigt. Nach meinem langen Brief habe ich dir nicht mehr geschrieben, ich bin nicht dazu gekommen, ich habe in den letzten Tagen eine ziemlich «alberne» Laune. Vielleicht ist es der Frühling, der sich hier auch bemerkbar macht, heute hatten wir auch wieder einige prächtige sonnige Augenblicke. Alles sieht dann fröhlicher und hübscher aus. Aber wenn ich dir nicht geschrieben habe, bedeutet das nicht, dass ich nicht an deiner Seite gewesen bin. Deinem lieben Gesichtchen über der Decke nicke ich jeden Morgen und jeden Abend freundlich zu. Ich mache eigentlich im Augenblick nicht so viel. Ein bisschen langweilige Arbeit, Kontrolle usw. Ansonsten lebe ich leider einfach ein bisschen in den Tag hinein. Spät ins Bett (Zensur) und spät aufstehen. Und dazwischen vergehen die Tage wie im Flug, ohne dass man es überhaupt merkt.
Die Stimmung unter unseren Leuten ist bisher bestens, aber mit dem Beginn der 4. Woche, ohne irgendwelche Neuigkeiten zur Lage, macht sich langsam eine ziemlich nervöse Stimmung breit,[15] die sich natürlich in Kritik an «der Leitung» äußert. Leitung! Die gibt es natürlich genauso viel oder so wenig wie früher. Aber man will einmal an etwas außerhalb seiner selbst einen Halt finden, und man will nicht wahrhaben, dass das ein Fehler ist. Ich hatte darüber gestern Abend noch ein Gespräch mit zwei weiblichen Kollegen in 37 k.[16] Vor allem Ellen Waller[17] führte das Wort und war sehr kritisch. Sie hat eigentlich keine angenehme Art. Hilde Cramer begriff viel besser als sie, dass es nicht angeht, es anderen übel zu nehmen, dass man sich betrogen fühlt, weil man blindlings (entgegen den eigenen tiefsten Gefühlen) ein paar beruhigenden Worten eines wohlmeinenden, aber dadurch wie ein sanfter Arzt sprechenden «Leiters» vertraut hat. Der ist inzwischen (das ist eigentlich eine komische Sache) selbst das Opfer dessen geworden,[18] wovor er die anderen bewahren zu können glaubte! Ach, es war wirklich ein nützliches Gespräch dort gestern Abend in 37 k. Danach eine großartige Kabarettvorstellung in unserem großen Schlafsaal aus Anlass der Hochzeit von Jo Peper[19] mit einer netten jungen Frau aus dem Lager besucht. Es wurde improvisiert, und einige haben sich als anständige Künstler entpuppt. Das Niveau war ziemlich gut, und du kennst die Entourage aus dem Publikum, 1, 2 oder 3 Etagen hoch um die «Künstler». Gerard Polak[20] versuchte einige selbst geschriebene Liedchen vorzutragen; die Liedchen waren nett, der Vortrag war weniger gelungen. Trotzdem gehört das zu den besonderen Ereignissen, die mit nichts von dem, was wir früher vielleicht gesehen haben, verglichen werden können und durch die eine Atmosphäre der Zusammengehörigkeit zum Ausdruck kommt (richtiggehend in der Luft hängt), die manchmal (sonst) eindeutig zu sehr fehlt.
Ach, Etty, ich habe schon manchmal große Sehnsucht nach zu Hause (zu dem Begriff zu Hause gehörst du auch!). Aber dann denkt man wieder, die paar dummen Wochen vergehen doch so schnell, dass es eigentlich eine Schande ist, von einer langen Zeit zu sprechen. Was sollen denn dann die anderen sagen?
Ich hoffe, dich in einer Woche besuchen zu können. Osias habe ich schon ein paarmal gesprochen, er ist sehr zufrieden mit seiner Reise. Petzal sehe ich auch regelmäßig, und die Mahlers besuche ich hin und wieder. Da gibt es immer noch den offenen Tisch.
Heute hat mein Sohn Geburtstag. Er wird elf. Für ihn ist es eine große Enttäuschung, dass ich nicht bei ihm sein kann,[21] aber auch damit muss man fertigwerden. Ich habe dir, glaube ich, schon geschrieben, dass mein Bruder[22] jetzt nicht mehr bei mir wohnt und dass die Omas nun anfragen, das ist auch wieder ein wenig beigelegt. Morgen bricht ein Kurier von hier auf, dem ich einen Auftrag für dich mitgegeben habe; ich hoffe, er führt ihn gut aus. Schreib mir doch mal etwas über Ies Spetter.[23] Alle sagen hier, dass er sich scheiden lassen wird, und mich interessiert schon ein wenig, ob das stimmt.
Ich habe dein Buch ausgelesen, habe aber sofort wieder von vorne angefangen, und jetzt werde ich es erst gut lesen können und versuchen, es zu kapieren. Es ist ziemlich schwierig für mich.
Seit deinem 11-seitigen Brief[24] habe ich nichts mehr von dir gehört. Ich bin sehr neugierig, ob die Bilder noch irgendeinen neuen Gesichtspunkt ergeben haben und ob du jetzt ein wenig Fortschritte machst, was deinen Zustand angeht. (Nimm es mir nicht übel, dass ich darüber spreche, aber ich mache mir manchmal schon Sorgen um dich.)
Es war heute wieder so herrlich sonnig, und der bewölkte Himmel über der Heide hinter dem Stacheldraht und an den Türmen sah genauso aus wie ein Gemälde. Könntest du das doch zusammen mit mir genießen. Heute Abend habe ich mal wieder Grammofonplatten aufgelegt. Alte Platten und kein besonders gutes Grammofon, aber trotzdem ist es schön, ein paar gute Dinge zu hören; was technisch fehlt, fügt man automatisch aus der Erinnerung hinzu, dann wird es doch zu einem wahren Genuss.
Ich verlasse dich wieder und hoffe, bald einen Brief von dir zu erhalten.
Ganz viele liebe Gedanken und gute Besserung, mein Schatz
Tschüss, Jopie.