Kapitel 5

 

»Wie bitte?«, fragte Riker.

»Es stimmt«, bestätigte Barclay. »Ich habe die Sonde untersucht, die wir zur galaktischen Barriere schickten und an Bord beamten, als die Calamarainer angriffen. Dabei stellte sich heraus, dass ihre Gel-Massen psychokinetische Energie von der Barriere absorbiert haben, die sie teilweise vor den Tachyonen-Strahlen der Calamarainer schützte.« Er hob einen Tricorder und hielt ihn zu nah vor Rikers Gesicht. »Die Daten sind hier drin gespeichert. Ich wollte Mr. LaForge über meine Entdeckungen Bericht erstatten, aber dann bestand Professor Faal darauf, die Brücke aufzusuchen, und ich musste ihm folgen, und dann wiesen Sie mich an, die Kontrollen der wissenschaftlichen Station zu bedienen, als Fähnrich Schultz verletzt wurde …«

Riker hob die Hand, um den Wortschwall zu unterbrechen. Manchmal konnte Barclay auf seine eigene Art und Weise ebenso langatmig sein wie Data vor einigen Jahren. Wenn das geschah, schien es eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er zur Sache kam.

Der Erste Offizier nahm den Tricorder entgegen und reichte ihn dem Androiden für eine genaue Analyse. »Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Wie kann uns diese Sache helfen?«

Er war nicht nur einfach ungeduldig. Die Calamarainer setzten ihre Angriffe fort, und die Schilde wurden immer schwächer – unter solchen Umständen konnte Riker es sich nicht leisten, Zeit zu verlieren. Er hatte die Sonde völlig vergessen, bis Barclay sie erwähnte, und er zweifelte noch immer daran, ob sie ihnen in ihrer aktuellen Situation etwas nützte. Soweit es ihn betraf, war ihre Mission in Hinsicht auf die galaktische Barriere fehlgeschlagen. Sein einziges Ziel bestand jetzt darin, die Enterprise intakt zu halten und ihre Crew vor dem Tod zu bewahren.

»Auch die Enterprise-E ist mit den neuen Gel-Massen ausgestattet«, erklärte Barclay. »Sie gehören zum Datenverarbeitungssystem des Computers, das wiederum mit dem taktischen Deflektorsystem verbunden ist.« Er stützte sich an der Rückenlehne des Kommandosessels ab und schloss kurz die Augen. Riker vermutete, dass ihm die Schwerelosigkeit auf der Brücke noch immer sehr zusetzte.

»Setzen Sie sich«, sagte der Erste Offizier und deutete auf den Sessel, in dem er selbst saß, wenn der Captain zugegen war. Barclay kam der Aufforderung dankbar nach, und seine Gravstiefel klackten übers Deck. »Die bio-organische Technik ist noch immer ziemlich neu für mich«, gestand Riker. Das erste mit den neuen organischen Computersystemen ausgestattete Schiff war die verschollene U.S.S. Voyager. Sie bot wohl kaum ein vielversprechendes Beispiel, obwohl die Gel-Massen natürlich nicht für ihr Schicksal verantwortlich waren. »Was hat das alles mit unserer gegenwärtigen Situation zu tun?«

»Oh, die Gel-Massen sind wirklich wundervoll«, erwiderte Barclay. Wissenschaftliche Begeisterung sorgte dafür, dass er seine Übelkeit vergaß. »Sie erlauben eine wesentlich schnellere Datenverarbeitung als die alten synthetischen Subprozessoren, und außerdem kann man sie leichter austauschen.« Riker befürchtete einen längeren Vortrag, aber Barclay rief sich rechtzeitig genug zur Ordnung. »Wie dem auch sei … Wenn die Gel-Massen des Schiffes genug psychokinetische Energie von der Barriere absorbieren, können wir diese Energie vielleicht in die Deflektoren leiten und uns damit vor der Barriere selbst schützen. Wir würden das energetische Potenzial der Barriere für eine Verstärkung unserer Schilde nutzen. Wie eine Art Brandmauer. Es ist die perfekte Lösung!«

»Möglicherweise«, entgegnete Riker und blieb skeptisch. Die Enterprise war viel größer und komplexer als eine einfache Sonde. Hinzu kam: Wenn jemand ein Hightech-Kaninchen aus seinem Hut zog, so wäre ihm jemand anders als Reginald Barclay lieber gewesen. Nichts für ungut, dachte er. Aber wenn es um hochmoderne Technik geht, vertraue ich vor allem Data und Geordi.

Er wandte sich an den Androiden. »Lässt sich so etwas bewerkstelligen?«, fragte er.

»Die von Lieutenant Barclay aufgezeichneten Daten sind sehr herausfordernd«, sagte Data. »Es gibt zu viele Variablen, um einen Erfolg zu garantieren, aber es handelt sich um eine Hypothese, die Beachtung verdient.«

»Entschuldigen Sie bitte, Commander«, sagte Alyssa Ogawa und trat neben Riker. Er spürte, wie sie ihm den Injektor an den Unterarm presste, und es folgte ein leichtes Prickeln, als der Wirkstoff in seinen Blutkreislauf gelangte. Zwar hatte die Schwerelosigkeit keine negativen Auswirkungen auf ihn, trotzdem fühlte er Erleichterung. Eine Sorge weniger, dachte er.

»Kapazität der Schilde auf zehn Prozent gesunken«, meldete Baeta Leyoro und setzte damit den Countdown des Unheils fort. Der Wandschirm zeigte, wie es in der Plasmawolke blitzte, und wieder donnerte es ohrenbetäubend laut. Eine heftige Erschütterung sorgte dafür, dass sich der Tricorder aus Datas Hand löste und in Richtung Decke schwebte. Der Androide griff danach, konnte das Gerät jedoch nicht mehr erreichen.

»Das haben wir gleich«, sagte Leyoro, nahm ihren Insignienkommunikator von der Uniformjacke und warf ihn wie einen kleinen Diskus. Er flog durch die Luft und traf den Tricorder. Durch die Kollision kehrte sich das Bewegungsmoment der beiden Objekte um: Kommunikator und Tricorder kehrten zu ihrem jeweiligen Ausgangspunkt zurück. Leyoro fing ihren Insignienkommunikator auf, und Datas Hand schloss sich um das Gerät mit den aufgezeichneten Daten.

»Diesen Trick habe ich auf Lunar V gelernt«, sagte Baeta Leyoro und meinte damit die Strafkolonie, in der man sie und die anderen angosianischen Veteranen untergebracht hatte.

Ich sollte besser nicht Racketball oder Dom-Jot mit ihr spielen, dachte Riker.

»Wir können den Angriffen nicht mehr lange standhalten, Sir«, fügte die Angosianerin hinzu. »Wir müssen etwas unternehmen, und zwar schnell.«

Riker traf eine Entscheidung. »Riskieren wir's«, sagte er und stand auf. »Data, Sie und Barclay stellen eine energetische Verbindung zwischen den Gel-Massen und den Deflektoren her. Setzen Sie sich mit Geordi in Verbindung; ich möchte, dass er an diesem Projekt mitarbeitet. Vielleicht kann er Ihnen vom Maschinenraum aus helfen. Es wäre durchaus möglich, dass seine Schalttafeln in einem besseren Zustand sind als Ihre. Fähnrich Clarze, nehmen Sie Kurs auf die galaktische Barriere.«

»Ja, Sir!«, bestätigte der junge Deltaner. Er war ganz versessen darauf, irgendetwas zu versuchen, das sie von den Calamarainern befreien konnte.

Ich weiß, wie Sie sich fühlen, dachte Riker und richtete einen besorgten Blick auf die Counselor. »Deanna, du solltest dich zusammen mit allen anderen Telepathen an Bord unter medizinische Aufsicht begeben, bevor wir die Barriere erreichen. Melde dich in der Krankenstation und erinnere Dr. Crusher an die psychischen Gefahren der Barriere. Schwester Ogawa, bitte begleiten Sie die Counselor.« Er klopfte auf seinen Insignienkommunikator. »Riker an Sicherheitsabteilung. Bringen Sie Professor Faal und seine Kinder unverzüglich zur Krankenstation.« Er hätte fast »Alarmstufe Rot« hinzugefügt, erinnerte sich dann aber daran, dass dieser Alarmstatus an Bord herrschte, seit die Calamarainer von den Sensoren erfasst worden waren. Schade, dass wir keine noch höhere Stufe der Notfall-Bereitschaft haben, dachte er. Insbesondere dann, wenn wir vom Regen in die Traufe geraten.

Riker begegnete Deannas Blick, als sie zusammen mit Ogawa den Turbolift betrat. Für ein oder zwei Sekunden glaubte er fast, ihre telepathische Stimme zu hören, durch die besondere Verbindung zwischen ihnen. Pass gut auf dich auf, teilten ihm ihre Augen mit, und dann schloss sich die Tür des Turbolifts.

Ich verspreche es dir, erwiderte Riker in Gedanken und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgabe. Zwischen Deanna und ihm waren nie große Abschiedsworte nötig gewesen. Sie wussten beide: Wenn dem anderen etwas passierte, so existierte er oder sie in den Erinnerungen des Überlebenden. Immerhin waren sie Imzadi.

Der Wandschirm zeigte Riker Sternenlicht, als der Bug der Enterprise den Rand der Gaswolke durchstieß. Der Anblick des schwarzen Alls wirkte seltsam belebend auf den Ersten Offizier, nachdem er stundenlang nur brodelndes Plasma gesehen hatte. Doch schon wenige Sekunden später hatte ein Teil der calamarainischen Wolke das Schiff wieder eingeholt und verwehrte erneut den Blick auf die Sterne.

»Die Calamarainer verfolgen uns«, sagte Leyoro.

»Können wir sie abschütteln?«, fragte Riker.

»Nicht bei dieser Geschwindigkeit«, meldete Clarze von der Navigationsstation. »Wir fliegen bereits mit voller Impulskraft.«

Nun, wir wussten, dass die Calamarainer schnell sind, dachte Riker. Auf diese Weise können wir ihnen nicht entkommen. »Na schön«, sagte er mit fester Stimme, um die Moral der Brückencrew zu fördern. »Sollen sie uns begleiten. Mal sehen, wie weit sie hier gehen wollen.«

Wenn wir ein wenig Glück haben, sind sie nicht ganz so verrückt wie wir, dachte Riker in einem Anflug von Selbstironie. Alle Brückenoffiziere sahen zum Wandschirm und hielten dort nach Anzeichen für die Barriere Ausschau, als sich das Raumschiff dem Rand der Galaxis näherte. Riker kreuzte heimlich die Finger und hoffte das Beste. Ich fasse es einfach nicht, dass ich die Enterprise bei der Ausführung eines Plans aufs Spiel setze, der von Reg Barclay stammt! Dies war keine von Barclays Holo-Phantasien, sondern die Wirklichkeit.

Eine Wirklichkeit, die ihnen allen den Tod bringen konnte.

 

»Aber dies ist nicht der Weg zum Maschinenraum!«, schnaufte Lem Faal.

»Ich habe bereits darauf hingewiesen, Sir: Ich bin beauftragt, Sie und Ihre Familie zur Krankenstation zu bringen.« Der Sicherheitswächter, Fähnrich Daniels, hielt den betazoidischen Wissenschaftler am Arm fest, als er ihn und die beiden Kinder durch den Korridor führte. Auch hier herrschte Schwerelosigkeit, und Milo stapfte in Gravstiefeln, die einige Nummern zu groß für ihn waren. Er hielt Kinya in den Armen und spürte, dass der große Mensch allmählich die Geduld mit ihrem Vater verlor. »Bitte beeilen Sie sich, Sir. Der Befehl stammt von Commander Riker.«

Milo folgte den beiden Erwachsenen. Sein Vater bemühte sich, den Arm aus Daniels' Griff zu lösen. Er keuchte und versuchte, den Menschen dazu zu überreden, ihn den Maschinenraum aufsuchen zu lassen. Was hat er mit uns vor?, fragte sich Milo. Will er uns dem Fähnrich überlassen oder uns zu irgendeinem Laboratorium an Bord mitnehmen? Vermutlich war Ersteres der Fall. Im Maschinenraum wären die beiden Kinder nur im Weg gewesen, so wie sie dem Vater immer im Weg zu sein schienen. Neuerlicher Groll regte sich in Milo. Er machte sich Sorgen um die Zukunft und fürchtete auch um ihre Sicherheit, aber diese Empfindungen verdrängten nicht den Zorn darüber, dass ihr Vater sich überhaupt nicht um sie kümmerte. Selbst jetzt denkt er vor allem an seinen ach so wichtigen Apparat und nicht an uns, dachte Milo.

Überall blinkten die Indikatoren der Alarmstufe Rot und wiesen darauf hin, dass sich das Raumschiff in einer schwierigen Situation befand. Fähnrich Daniels erklärte nicht, warum sie so schnell die Krankenstation aufsuchen mussten, aber ganz offensichtlich lag irgendeine Art von Notfall vor. Rechnet man damit, dass wir krank werden? Gewinnen die fremden Wesen den Kampf? Droht uns der Tod? Milo schluckte laut, dachte ans Schlimmste und versuchte, sich seiner Schwester gegenüber nichts anmerken zu lassen. Er musste tapfer sein, obgleich er innerlich zitterte, als er sich vorstellte, wie die fremden Geschöpfe sie alle umbrachten. Und wenn wir das Schiff aufgeben müssen? Er wusste, dass die galaktische Barriere weit von der nächsten Föderationskolonie entfernt war. Sind die Gaswesen bereit, uns entkommen zu lassen?

Kinya war in der Nullschwerkraft zwar gewichtslos, aber ihre Masse musste bewegt werden, und Milos Arme wurden allmählich müde. Seinen Beinen ging es nicht viel besser. Mit jedem Schritt verlor er ein wenig an Kraft. »Ist es noch weit?«, fragte er Fähnrich Daniels, und seine Stimme vibrierte.

»Nein«, erwiderte der Sicherheitswächter. Sie kamen um eine Ecke, und Milo sah eine Doppeltür in der linken Korridorwand. Ein hinkendes Besatzungsmitglied, allem Anschein nach ein Tellarit, näherte sich ihr und presste einen verletzten Arm an die Brust. Blut tropfte aus einer Schnittwunde in der Stirn und Brandspuren zeigten sich an den Uniformärmeln. Ein Stoßzahn war gesplittert, und die hufförmigen Stiefel klackten in unregelmäßigen Abständen über den Boden. Schmerzerfüllte Emanationen gingen von dem Verletzten aus und erreichten Milo, bevor er sich abschirmen konnte. Das unangenehme Stechen in seinen Händen ging auf die Brandwunden des Mannes zurück, und Phantomschmerzen entstanden dort, wo sich ein Stoßzahn befunden hätte, wenn er ein Tellarit gewesen wäre. Milo schloss die Augen und schob die fremden Empfindungen beiseite.

Kinya hatte die ganze Zeit über geschluchzt und sich immer wieder hin und her geworfen. Sie verstummte, als sie das verletzte Besatzungsmitglied sah, schlang die Arme fester um ihren Bruder. Der Tellarit erweckte den Eindruck, von einem Schlachtfeld zu kommen. Selbst Lem Faal wurde still, als er dieses deutliche Zeichen dafür sah, dass ein Kampf stattfand. Er unterbrach sich mitten in einem Satz, der mehrere für Fähnrich Daniels bestimmte Kraftausdrücke enthielt. Milo beobachtete, wie sein Vater plötzlich zur Vernunft kam, und er fragte sich, wie lange diese Phase dauern würde. Vermutlich nicht lange genug.

Die Doppeltür glitt auseinander, als sich der Tellarit ihr näherte, und dadurch konnte Milo einen ersten Blick in die Krankenstation werfen. Sofort gewann er den Eindruck von fast hektischer, konstanter Aktivität. Mehr als zehn Personen befanden sich in dem Raum, Verletzte und medizinisches Personal. Hier und dort lagen Patienten auf Biobetten und Monitore gaben über ihren Zustand Auskunft. Trotz der Enge schien alles unter Kontrolle zu sein. Nichts deutete auf Panik oder dergleichen hin. Medo-Arbeiter in Gravstiefeln riefen sich gegenseitig Anweisungen zu, und jeder schien genau zu wissen, worauf es ankam. Die Krankenstation funktionierte wie eine große Maschine, deren Einzelteile perfekt aufeinander abgestimmt waren. Instrumente aus glänzendem Stahl flogen von Hand zu Hand. Fähnriche mit Sauggeräten sorgten dafür, dass Flüssigkeiten, Asche und Kleidungsfragmente aus der Luft verschwanden. Milo fragte sich, ob an diesem Ort immer so reger Betrieb herrschte oder nur während eines Notfalls.

Die Tür blieb für Milo und seine Gruppe geöffnet. Fähnrich Daniels ging voran und bedeutete den anderen, ihm zu folgen. Der Junge erinnerte sich an die vom Tellariten ausgehenden Schmerzen und schirmte sein Selbst ab, bevor er die Krankenstation betrat.

Der medizinische Geruch in der Luft erinnerte Milo an Sterilisierungsfelder und die Leuchtkörper an der Decke strahlten heller als in anderen Abteilungen des Schiffes. Vorsichtig betraten sie den Raum. Eine schwebende Bahre stieß an Milos Schulter und er bemerkte mehrere Fühler, die neben einem bewusstlosen Andorianer lagen. Können sie wieder mit dem Kopf verbunden werden? Rasch drehte er sich, um seiner Schwester den grässlichen Anblick zu ersparen. Er vernahm ein furchterfülltes Wimmern von dem kleinen Mädchen.

Der Doktor, der sich um den Andorianer kümmerte, – ein großer, kahlköpfiger Mann – sah auf die Kinder hinab und rollte mit den Augen. »Wundervoll«, brummte er sarkastisch. »Kinder. Bestimmt dauert es nicht mehr lange, bis auch Katzen und Hunde eintreffen.« Seltsamerweise empfing Milo weder Ärger noch andere Emotionen von dem Mann. Er schien gar nicht richtig da zu sein.

Fähnrich Daniels sah sich um und entdeckte Dr. Crusher einige Meter entfernt – sie dirigierte ihr Medo-Team so wie ein General sein Heer auf dem Schlachtfeld. »Doktor!«, rief er und bahnte sich einen Weg durchs Gedränge. »Ich habe Professor Faal und seine Familie gebracht.«

Eine Krankenschwester eilte herbei und reichte Dr. Crusher einen Handcomputer. Sie warf einen kurzen Blick darauf, gab einige Modifikationen ein und reichte das Gerät der Schwester zurück, die sofort wieder forthastete. Dr. Crusher atmete tief durch, bevor sie sich dem Sicherheitswächter und seinen Begleitern zuwandte.

»Gut«, sagte sie. »Ich habe Sie erwartet.« Die Ärztin nickte Milos Vater zu. »Geben Sie mir nur eine Sekunde Zeit, Professor, und folgen Sie mir dann.« Aus meergrünen Augen sah sie sich um. »Alyssa, übernehmen Sie hier, bis ich zurückkehre. Sorgen Sie dafür, dass das MHN Lieutenant Goldschlagers Strahlungsblasen behandelt. Und sagen Sie Troi, dass Sie zu mir kommen soll, sobald sie mit Kadett Arwen fertig ist.« Sie griff nach Faals Arm. »Danke, Fähnrich. Wenn Sie nicht anderenorts gebraucht werden … Wir sind hier für jede Hilfe dankbar. Setzen Sie sich mit dem Lager in Verbindung und lassen Sie weitere für Nullschwerkraft bestimmte Infusionseinheiten hierher beamen. Wir können sie nicht schnell genug replizieren.«

»Ja, Doktor«, sagte Daniels. »Ich kümmere mich sofort darum.«

»Kommen Sie, Professor.« Dr. Crusher führte den Betazoiden und seine Kinder fort von dem organisierten Durcheinander in einen angrenzenden Raum, in dem einige kleinere Biobetten und ein hochmoderner Inkubator standen. Die pädiatrische Abteilung, begriff Milo voller Unbehagen. Er kam sich bereits wie ein Patient vor, obwohl er noch gar nicht verletzt war.

»Deine Schwester kannst du mir überlassen«, sagte Dr. Crusher und nahm Kinya entgegen. Milo überließ sie ihr dankbar, streckte die Arme und spürte, wie das Blut in sie zurückkehrte.

Kinya weinte zunächst, aber die Ärztin klopfte ihr auf den Rücken, bis sie schließlich verstummte. »Braves Mädchen«, gurrte Dr. Crusher und wischte sich mit der freien Hand Schweiß von der Stirn. »Danke, dass Sie gekommen sind, Professor. Bei uns herrscht natürlich eine kritische Situation, aber ich möchte gewährleisten, dass Sie und Ihre Familie die richtige Pflege bekommen.«

»Schon gut«, erwiderte Faal. Seine Wangen glühten, und er erweckte den Eindruck, Fieber zu haben. Auswirkungen der Schwerelosigkeit?, fragte sich Milo. Oder steckte etwas Ernsteres dahinter? »Was hat dies alles zu bedeuten, Doktor? Ich verlange eine Erklärung.«

Dr. Crusher sah auf Milo hinab und beschloss, ihre Worte sorgfältig zu wählen. »Um den Calamarainern zu entkommen, will Commander Riker die Enterprise in die peripheren Bereiche der Barriere steuern. Er glaubt, dass unsere Techniker eine Möglichkeit entwickelt haben, uns vor der Barriere zu schützen. Allerdings hält er es für besser, alle Telepathen an Bord unter direkte medizinische Beobachtung zu stellen.« Sie nickte den Kindern zu. »Den Grund dafür brauche ich wohl nicht extra zu erklären.«

Es war tatsächlich nicht nötig. Milo wusste, wie gefährlich die galaktische Barriere sein konnte, vor allem für jemanden mit hohem psionischen Potenzial. Zwar ärgerte er sich über die Arbeit seines Vaters, aber das bedeutete nicht, dass er den Zielen seiner Eltern keine Beachtung geschenkt hätte. Selbst Menschen, die nach betazoidischen Maßstäben kaum telepathisch waren, riskierten einen mentalen Kollaps durch den Kontakt mit der Barriere. Und jetzt wollte die Enterprise direkt hineinfliegen! Milo schauderte bei der Vorstellung. Beim Kampf gegen die Wolke – gegen die Calamarainer, verbesserte sich der Junge – musste eine Niederlage drohen, wenn Commander Riker verzweifelt genug war, das Schiff in die Barriere zu steuern. Wir hätten Betazed nie verlassen sollen, dachte er. Wir werden alle sterben!

Die neuesten Entwicklungen schienen auch seinen Vater zu bestürzen, wenn auch aus anderen Gründen. »Aber das darf er nicht!«, entfuhr es ihm. »Nicht ohne mein Wurmloch.« Seine Brust hob und senkte sich schnell, als er sich an den Inkubator lehnte und seinen Injektor hervorholte. »Darum geht es ja gerade. Deshalb sind wir hier.«

»Derzeit gilt Commander Rikers Hauptsorge der Sicherheit des Schiffes«, erklang eine andere Stimme. Milo spürte Counselor Troi, noch bevor sie in der Tür der pädiatrischen Abteilung erschien. Sie näherte sich den beiden Erwachsenen und ging dabei um den Jungen herum. »Professor, ich versichere Ihnen, dass der Commander alle Möglichkeiten berücksichtigt hat, auch Ihre Wurmloch-Theorie. Er glaubt fest daran, im besten Interesse aller Personen an Bord zu handeln, und dazu gehören auch Ihre Kinder.«

»Aber er ist kein Wissenschaftler«, schnaufte Faal. Der Injektor zischte und presste eine neue Dosis Polyadrenalin in den geschwächten Körper des Betazoiden. »Was weiß er über die Barriere und ihre übernatürlichen Energien?«

Die Counselor versuchte, ihn zu beruhigen. »Commander Riker ist zwar kein wissenschaftlicher Spezialist, aber er hat einige unserer besten Leute konsultiert, unter ihnen Commander LaForge. Der Chefingenieur, Lieutenant Commander Data und Lieutenant Barclay sind der Ansicht …«

»Barclay?« Faal explodierte regelrecht und seine Stimme klang wesentlich kräftiger als noch vor wenigen Sekunden. Milo spürte, wie die Counselor mit Kummer reagierte. Er wusste nicht, wer Barclay war, aber Troi begriff offenbar, dass sie mit der Erwähnung seines Namens einen Fehler gemacht hatte. »Soll das etwa heißen, dass meine umfassenden Forschungen in Hinsicht auf die Barriere und ihre Auswirkungen weniger wert sind als der Rat jenes inkompetenten Narren? Bei den Heiligen Ringen, bin ich hier in ein Tollhaus geraten?«

»Ich bitte Sie, Professor«, sagte Dr. Crusher mit Nachdruck. »Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren. Die Entscheidung ist getroffen, und ich muss Sie und Ihre Kinder rechtzeitig vorbereiten.« Sie deutete auf eins der kleinen Biobetten. »Wir haben vor, die kortikalen Stimulatoren auf eine negative Frequenz zu justieren, um Ihre Hirnaktivität und die der Kinder so zu reduzieren, dass Sie sich während des Kontakts mit der Barriere in einer komatösen Phase befinden. Das gilt auch für Sie, Deanna«, fügte die Ärztin hinzu. »Zusammen mit der zusätzlichen Abschirmung, die von … Data und Geordi entwickelt wurde, sollte das genügen, um Sie vor den mentalen Auswirkungen der Barriere zu schützen.«

Sie klang sehr überzeugt, aber Milo merkte, dass ein großer Teil ihrer Zuversicht gespielt war. Wusste sie denn nicht, dass man Betazoiden nichts vormachen konnte? Vielleicht sollten Ärztin und Counselor besser auf seinen Vater hören. So sehr er seine Kinder auch vernachlässigte: Vermutlich wusste Lem Faal mehr über die galaktische Barriere als sonst jemand in der Föderation.

Der Professor schien sich nicht beruhigen zu wollen. »Dies ist so absurd, dass es an Wahnsinn grenzt«, sagte er und schob den Injektor in die Innentasche seiner Jacke zurück. »Es war schon schlimm genug, als sich Riker von der Barriere zurückziehen wollte. Aber in sie hineinzufliegen, ohne auch nur zu versuchen, mein Experiment durchzuführen …«

»Vielleicht sollten Sie weniger an Ihr Experiment denken und mehr an Ihre Kinder«, sagte Dr. Crusher. Milo fühlte ihren Ärger angesichts der falschen Prioritäten seines Vaters. Sie ließ Kinya auf eins der kleinen Biobetten sinken. Das Mädchen blieb auf der Bettkante sitzen und ließ die Beine baumeln. »Nach den Starfleet-Vorschriften benötige ich während der Alarmstufe Rot nicht Ihre Zustimmung, um Ihre Familie zu schützen, aber ich erwarte Kooperationsbereitschaft von Ihnen. Deanna, bitte bringen Sie den Professor in die Erwachsenenabteilung. Schwester Ogawa soll Biobetten für ihn und Sie vorbereiten. Ich kümmere mich um die Kinder und kehre anschließend zu Ihnen zurück.«

Counselor Troi legte dem Professor die Hand auf den Arm, aber Milos Vater war mit seiner Geduld am Ende. Ganz plötzlich griff er nach Dr. Crushers Insignienkommunikator und riss ihn von ihrer Uniformjacke.

»Mr. LaForge«, sprach er in das kleine Kom-Gerät, »hier ist Lem Faal. Erzeugen Sie sofort die Tensormatrix und treffen Sie Vorbereitungen für den Start des Quantentorpedos mit dem Magneton-Generator. Dies ist unsere letzte Chance!«

Geordis verwirrte Stimme drang aus dem Lautsprecher des Insignienkommunikators. »Professor Faal? Was machen Sie auf diesem internen Kom-Kanal? Hat Commander Riker seine Genehmigung gegeben?«

»Hören Sie nicht auf ihn, Geordi!« Dr. Crusher griff nach ihrem Kommunikator, aber der Professor stieß ihre Hand einfach beiseite.

»Vergessen Sie Commander Riker!«, rief er und hielt sich das Kom-Gerät dabei dicht vor den Mund. Speichel flog von seinen Lippen. »Wir sind der Barriere so nahe, dass wir es unbedingt versuchen müssen. Alles andere wäre verrückt.«

»Sie gehen zu weit, Professor«, erwiderte der Chefingenieur. »Und ich habe zu tun. LaForge Ende.«

»Nein!«, heulte Lem Faal, obwohl die Verbindung bereits unterbrochen war. »Starten Sie den Torpedo, verdammt! Sie müssen den Torpedo starten!«

Dr. Crusher hielt einen Injektor an die linke Schulter des Professors, und das Gerät entlud sich zischend.

»Papa!«, rief Milo, als sich sein Vater überrascht versteifte. Dann senkten sich seine Lider, und er erschlaffte, sank in die wartenden Arme der Ärztin.

»Keine Sorge«, sagte sie zu dem Jungen. »Ich habe ihm ein Sedativ verabreicht. Er wird nur eine Zeit lang schlafen.« Mit Trois Hilfe brachte sie Milos Vater in die andere Abteilung der Krankenstation. Ein oktonoides Besatzungsmitglied, das die beiden unteren Arme in Schlingen trug, rutschte von einem Biobett herunter, um für Lem Faal Platz zu schaffen.

Trotz des Betäubungsmittels verlor der Professor nicht vollständig das Bewusstsein. Zwar blieben seine Augen geschlossen, aber die Lippen bewegten sich, angetrieben von einem Drang, den das Sedativ nicht aus Lem Faal vertreiben konnte. Milo stand neben dem Biobett und hörte das deliröse Flüstern seines Vaters. »Hilf mir … Wir sind so nahe … Du darfst nicht zulassen, dass sie mich aufhalten … Bitte hilf mir.«

Zu wem spricht er?, fragte sich Milo. Zu mir? »Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann, Vater. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

»Fühl dich wegen dieser Sache nicht schuldig, Milo«, sagte Counselor Troi und legte ihm eine tröstende Hand auf die Schulter. Der Junge spürte Aufrichtigkeit und Anteilnahme bei ihr, außerdem eine Sorge, die Lem Faal galt. »Dein Vater war in letzter Zeit ziemlich viel Stress ausgesetzt.«

Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt, dachte Milo und wieder regte sich der Groll in ihm. Die Counselor war nur eine halbe Betazoidin. Spürte sie, wie zornig er manchmal auf seinen Vater wurde?

»Wir sollten uns beeilen«, sagte Dr. Crusher und beendete Milos kurze Zweisamkeit mit der Counselor. Sie blickte auf den vermeintlich schlafenden Lem Faal hinab und seufzte erleichtert. »Zuerst kommen die Kinder an die Reihe«, wandte sie sich an Troi. »Anschließend kümmere ich mich um Sie und den Professor.«

Milo folgte den beiden Frauen in die pädiatrische Abteilung und beobachtete dort, wie Dr. Crusher Kinya vorbereitete. Seine Schwester weinte wieder – der Zusammenbruch des Vaters hatte sie erneut verängstigt –, doch die Ärztin verabreichte ihr ein Sedativ und daraufhin schlief Kinya schnell ein. Anschließend legte sie das Mädchen aufs Biobett, holte zwei kleine Metallobjekte aus der Tasche ihres Laborkittels und befestigte sie an Kinyas Stirn.

»Das sind kortikale Stimulatoren«, erklärte sie Milo und überprüfte die Anzeigen eines Displays über dem Bett. Der Junge wusste nicht, wonach Dr. Crusher Ausschau hielt, aber sie schien zufrieden zu sein. »Sie tun deiner Schwester nicht weh, das verspreche ich dir.«

»Ich weiß«, entgegnete Milo. »Ich glaube Ihnen.« Die Ärztin erinnerte ihn ein wenig an seine Mutter. Sie erweckte ebenfalls den Eindruck, immer zu wissen, worauf es ankam. Und sie redete nicht von oben herab mit ihm; das wusste er sehr zu schätzen.

»Schade, dass Selar jetzt zur Crew der Excalibur gehört«, sagte die Ärztin zu Troi und nahm einige letzte Justierungen an den kleinen Geräten auf Kinyas Stirn vor. »Vulkanier können den psychischen Auswirkungen der Barriere angeblich widerstehen, trotz ihrer telepathischen Fähigkeiten. Den Grund dafür kennt niemand, aber es gibt einige Theorien.«

Milo war viel zu besorgt, um Interesse an der Funktionsweise vulkanischer Gehirne zu zeigen. Auf die Anweisung der Ärztin hin setzte er sich auf ein anderes Biobett, und von dort aus konnte er seinen Vater in der Erwachsenenabteilung sehen. Überrascht beobachtete er, wie es in seinem Gesicht zuckte und sich die Finger einer Hand krümmten. Lem Faal erweckte den Eindruck, aus einem Albtraum zu erwachen. Das Betäubungsmittel hätte ihn bestimmt länger schlafen lassen sollen, dachte Milo und fragte sich, ob es besser war, Dr. Crusher und den anderen Bescheid zu geben.

Die Counselor spürte offenbar seine Unsicherheit, denn sie drehte sich zu ihm um und folgte seinem Blick. Sie riss unwillkürlich die Augen auf, als sie sah, wie Faal am ganzen Leib erbebte und sich dann abrupt aufrichtete. Er strich sich übers zerzauste Haar und warf unruhige Blicke durch die Krankenstation, sah sich wie ein gejagtes Tier um, das nach einem Fluchtweg suchte. Seine blutunterlaufenen Augen lagen tief in den Höhlen und Speichel tropfte aus einem Mundwinkel. Milo erkannte seinen Vater kaum wieder.

»Beverly!«, rief Troi und weckte damit die Aufmerksamkeit der Ärztin. Die Counselor eilte durch die offene Tür. »Bitte, Professor … Bleiben Sie liegen. Wir nähern uns der Barriere, und Dr. Crusher muss Sie vorbereiten.«

Als Troi die Barriere erwähnte, brachte das Flackern in Lem Faals Augen jähe Entschlossenheit zum Ausdruck. Er schnappte nach Luft, verließ das Biobett und wankte in Richtung Ausgang. Das Medo-Personal und die anderen Patienten waren so sehr miteinander beschäftigt, dass niemand auf den ausgemergelten Betazoiden achtete, der sich einen Weg durchs Chaos aus Körpern und medizinischen Geräten bahnte.

Milo sprang vom eigenen Bett herunter und folgte Troi, die versuchte, seinen Vater zu erreichen.

»Warte, Milo!«, rief Dr. Crusher ihm nach, aber er achtete nicht auf sie.

Die Counselor war jünger und gesünder als der todkranke Betazoide, und deshalb schloss sie schnell zu ihm auf. Von hinten griff sie nach einem Ellenbogen. »Sie müssen hier bleiben«, sagte sie. »Nur in der Krankenstation sind Sie sicher.«

Faal drehte sich mit einem Knurren zu ihr um, und silbriges Metall blitzte zwischen seinen Fingern. Milo erkannte das Objekt sofort: der mit Polyadrenalin gefüllte Injektor seines Vaters.

Nein, dachte er verblüfft. Dazu lässt er sich bestimmt nicht hinreißen, oder?

Ungläubig beobachtete er, wie sein Vater den Injektor an Trois Hals presste. In der Krankenstation ging es so laut zu, dass Milo nicht hörte, wie sich das kleine Gerät mit einem Zischen entlud. Aber er sah, wie die Counselor überrascht den Mund öffnete und erblasste. Alles geschah so schnell, dass niemand rechtzeitig eingreifen konnte. Aus einem Reflex heraus ließ Troi Faal los, um nach ihrem Hals zu tasten. Benommen schwankte sie von einer Seite zur anderen, während die Gravstiefel sie auf dem Boden festhielten. Sie atmete immer schneller, als das Polyadrenalin in ihren Blutkreislauf drang. Ihre Augen trübten sich, und die Adern am Hals traten deutlich hervor. Milo vermutete, dass ihr Herz jetzt wie rasend schlug. Sie schwankte noch stärker und wäre vermutlich zu Boden gefallen, wenn keine Schwerelosigkeit geherrscht hätte.

»Deanna!«, rief Dr. Crusher, trat an Milo vorbei und kümmerte sich um die Counselor. Mit einer Hand fühlte sie ihren Puls, und mit der anderen hob sie den Injektor, um ihr ein Gegenmittel zu verabreichen. Es wirkte sofort, und Milo stellte erleichtert fest, dass Troi wieder langsamer atmete. Durch das rasche Eingreifen der Ärztin stabilisierte sich ihr Zustand.

Den Heiligen Ringen sei Dank, dachte der Junge. Die Counselor würde ganz offensichtlich überleben, und dadurch blieb es seinem Vater erspart, zu einem Mörder zu werden.

Lem Faal wartete nicht ab, um zu sehen, was aus Troi wurde. Er setzte seinen Weg fort, und Milo beobachtete, wie er die Krankenstation durch die große Doppeltür verließ. Er folgte ihm, doch in den für ihn zu großen Gravstiefeln kam er nur langsam voran. Dr. Crushers Aufmerksamkeit galt noch immer der Counselor und sie versuchte nicht, den Jungen aufzuhalten.

Vor Milo öffnete sich die Tür, und er wollte gerade in den Korridor treten, als ihn plötzlich eine Hand am Kragen packte und in die Krankenstation zurückzog. »Wohin willst du, junger Mann?«, fragte eine strenge Stimme.

Sie gehörte dem kahlköpfigen Doktor, von dem seltsamerweise keine empathischen Emanationen ausgingen. Er richtete einen skeptischen Blick auf Milo und hielt ihn auch weiterhin fest. »Kein Patient verlässt die Krankenstation, ohne dass ein qualifiziertes Mitglied des Medo-Personals einen einwandfreien Gesundheitszustand des Betreffenden bestätigt hat.«

»Aber mein Vater …« Milo sah fast verzweifelt zur Tür, die sich jetzt wieder schloss.

»Eins nach dem anderen«, sagte der Doktor. »Wir kümmern uns später darum, dass dein Vater einfach so gegen die hier herrschenden Regeln verstieß. Zuerst bringen wir dich in die pädiatrische Abteilung zurück.«

Vor dem inneren Auge sah Milo kortikale Stimulatoren, die an seiner Stirn befestigt wurden, und er versuchte, sich aus dem Griff des Doktors zu befreien. Was passiert mit Papa, während ich bewusstlos auf einem Biobett liege? Das Medo-Personal hatte zu viel mit den anderen Patienten zu tun, um Milos Vater zur Krankenstation zurückzubringen, bevor das Raumschiff die galaktische Barriere erreichte. Ich muss ihn retten, dachte er.

»Lassen Sie mich los!«, rief der Junge, aber der kahlköpfige Doktor schloss die Hand noch fester um seinen Kragen. Er war erstaunlich stark.

»Nein!«, wies Dr. Crusher ihren Kollegen an. Sie hatte einen Arm um die Schultern der Counselor geschlungen, damit Troi nicht mehr schwankte. Offenbar war sie gerade auf Milos Fluchtversuch aufmerksam geworden. »Lassen Sie ihn nicht entwischen.«

»So etwas käme mir nie in den Sinn«, erwiderte der Doktor. »Und meine Programmparameter erlauben vielen Dingen, mir in den Sinn zu kommen.«

Milo wusste nicht, was der Mann damit meinte, aber einst stand fest: Der Doktor war ganz offensichtlich entschlossen, ihn auch weiterhin festzuhalten. Er wollte schon aufgeben, als die ganze Krankenstation wie ein defekter Turbolift erzitterte. Die Wolken-Ungeheuer, dachte Milo. Sie versuchen, die Enterprise daran zu hindern, die Barriere zu erreichen.

»Crusher an Sicherheitsabteilung«, sagte die Ärztin und klopfte auf ihren Insignienkommunikator. Offenbar wollte sie Lem Faal von Sicherheitswächtern zurückholen lassen. Doch es kam nur ein Pfeifen aus dem Lautsprecher des kleinen Kom-Geräts, und damit hatte Dr. Crusher nicht gerechnet. »Zum Teufel auch … Mit dem Kommunikationssystem ist irgendetwas nicht in Ordnung.«

Das Licht der Deckenlampen flackerte und erstaunlicherweise galt das auch für den Doktor, der Milo festhielt. Er ist ein Hologramm, begriff der Junge und nutzte die Instabilität des Holo-Doktors, um sich loszureißen und zum Ausgang zu laufen.

»Halt!«, rief das Hologramm und versuchte, Milo erneut festzuhalten, aber die immateriellen Finger glitten durch den Jungen. »Du bist noch nicht entlassen!« Der Holo-Doktor sah zur Ärztin zurück und zuckte hilflos mit den Schultern. »Sehen Sie mich nicht so an. Ich bin nicht für unerwartete energetische Fluktuationen verantwortlich. Suchen Sie im Maschinenraum nach den Schuldigen.«

Milo hörte die Worte des Doktors kaum. Hinter ihm schloss sich die Tür des Maschinenraums und er sah sich einer Kreuzung gegenüber, die ihm drei Wege anbot. Von seinem Vater fehlte jede Spur. Er kann nicht weit sein, dachte er und verfluchte das Hologramm, durch dessen Eingreifen er Zeit verloren hatte. Aber wohin ist er gegangen? Milo suchte telepathisch nach seinem Vater, konnte seine Präsenz aber nirgends wahrnehmen. Er schirmt sich ab. Enttäuscht überlegte er, welche Richtung sein Vater eingeschlagen haben mochte.

Eigentlich kam nur ein Ziel in Frage: der Maschinenraum und die dortige Ausrüstung. Hatte er nicht von Fähnrich Daniels verlangt, ihn zum Maschinenraum zu bringen? Milo hielt nach dem nächsten Turbolift Ausschau und entschied sich dann für den nach links führenden Korridor. Vielleicht konnte er seinen Vater noch einholen, bevor … was? Eigentlich wusste Milo gar nicht, was er erreichen wollte. Nur eins war ihm klar: Er musste irgendetwas unternehmen, um seinen Vater daran zu hindern, sich etwas Schreckliches anzutun.

Sich oder anderen …