Jean-Luc Picard beobachtete stumm, wie das Reich Tkon für immer und ewig zerstört wurde. Er war entsetzt, aber nicht überrascht. Nach der Entdeckung des uralten Tkon-Portals auf Delphi Ardu hatte er sich mit der archäologischen Literatur über das Reich Tkon befasst und daher wusste er, dass jene Zivilisation von einer Supernova ausgelöscht worden war. Aber dass Q eine Rolle dabei gespielt hatte … Auf diesen Gedanken wäre er nie gekommen. Ich habe mich immer gefragt, wieso ein Volk, das Planeten und Sterne bewegen konnte, einem vorhersehbaren stellaren Phänomen zum Opfer fiel. Jetzt weiß ich Bescheid.
Es war eine Sache, in trockenen historischen Artikeln vom Ende eines Volkes zu lesen. Doch mit eigenen Augen zu sehen, wie es passierte, sogar am Leben einiger Personen teilzuhaben, die von den Geschehnissen betroffen waren … Eine heftige emotionale Reaktion schnürte Picard den Hals zu. Er musste sich sehr bemühen, um die Tränen zurückzuhalten. Billionen von Schicksalen stellten nur eine statistische Größe dar – bis man begriff, dass es sich in jedem einzelnen Fall um eine Person handelte, mit Hoffnungen, Träumen und Wünschen, die den eigenen ähnelten.
Picard fragte sich, was die Menschheit in vier Milliarden Jahren unternehmen würde, wenn das ›Leben‹ der irdischen Sonne zu Ende ging. Werden die zukünftigen Menschen die gleiche Entschlossenheit zeigen wie die Tkon, als sie sich ihrer größten Herausforderung gegenübersahen? Werden sie die Überlebenschance nutzen, die den Tkon im letzten Augenblick auf grausame Weise vorenthalten wurde? Er hoffte, dass Generationen noch ungeborener Männer und Frauen dort einen Erfolg erzielten, wo die Tkon auf so noble Weise versagt hatten. Gleichzeitig dankte er dem Himmel dafür, dass die Föderation zu seinen Lebzeiten nicht mit einer derartigen Krise fertig werden musste.
Oder vielleicht doch? Tkons Sonne war Jahrmillionen vor ihrer Zeit explodiert, und zwar aufgrund der Manipulationen von Wesen wie Q. Was sollte solche Geschöpfe daran hindern, den Vorgang bei der irdischen Sonne oder anderen Sternen im Alpha-Quadranten zu wiederholen? Picard drehte den Kopf und sah zur vertrauten Entität an seiner Seite, die den Tod der vielen Tkon mit ungewöhnlichem Schweigen ehrte. Q's gewaltige Macht erschreckte ihn. Er hat der Menschheit mehrmals mit völliger Auslöschung gedroht, erinnerte sich der Captain. Daher sollte es mich eigentlich nicht schockieren zu erfahren, dass er tatsächlich an einer solchen Grausamkeit beteiligt war, wenn auch nur indirekt. Es war leicht, sich Q als einen Schelm und ein Ärgernis vorzustellen. Doch die vor ihnen im All lodernde Supernova wies deutlich darauf hin, wie gefährlich Q und Wesen seiner Art sein konnten.
»Es ist kein völliger Verlust«, sagte Q schließlich. »Solche Supernova sind die einzigen Orte im Universum, wo Elemente entstehen, die schwerer als Eisen sind. Das Rohmaterial Ihrer Realität, selbst die Atome Ihres Körpers, entstand letztendlich im Herzen eines solchen stellaren Infernos. Wer weiß? Vielleicht steckt ein wenig von Tkon in Ihnen, Jean-Luc.«
»Das ist ein nur kleiner Trost angesichts des Todes von Billionen, Q«, erwiderte Picard. Vor dem inneren Auge sah er das Gesicht der Kaiserin, als junge Frau und als würdevolle Greisin. Sie kam dem Ziel, ihr Volk zu retten, so nahe.
»Versuchen Sie, die Dinge langfristig zu sehen, Picard.« Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete Q den leuchtenden Ball, der das Reich Tkon verschlungen hatte. Genauso gut hätte man direkt in eine Materie-Antimaterie-Reaktion blicken können. »Alle Zivilisationen gehen früher oder später unter. Außerdem gibt es noch immer Spuren der Tkon in der Galaxis, sogar in Ihrer Zeit. Artefakte und Relikte weisen auf ihren Platz in der Geschichte hin.«
»Wie die Ruinen von Delphi Ardu«, sagte Picard. Er bedauerte nun, eine Landegruppe geschickt und sie nicht selbst besucht zu haben. Riker war von Technik und Kultur der Tkon recht beeindruckt gewesen.
»Um nur ein Beispiel zu nennen«, entgegnete Q. »Und dann wäre da noch dieses kleine Spielzeug.« Er wandte sich von der Supernova ab und wanderte durchs All, bis er eine gelbe Sonne erreichte, etwa so groß wie ein großer Tribble und umgeben von einem komplexen Gitterwerk. Hier und dort blinkten an den dünnen Verstrebungen Objekte, die aussahen wie kristallene Perlen.
Natürlich, dachte Picard. Jene Sonne, die die Tkon in ihr Heimatsystem transferieren wollten. Und der gewaltige Transporter, den sie zu diesem Zweck konstruierten.
»Die Transfervorrichtung existiert noch immer«, sagte Q. »Vergessen und nie genutzt. An Ihrer Stelle würde ich sie suchen, bevor sie von den Borg oder dem Dominion entdeckt wird.« Er warf dem Relikt einen flüchtigen Blick zu. »Was allerdings nicht bedeuten soll, dass wir aus diesem Grund hier sind.«
Picard sah eine Gelegenheit, Q nach seinen Motiven zu fragen. »Na schön. Wenn die Auslöschung des Reiches Tkon so belanglos ist, nach kosmischen Maßstäben … Warum sind wir dann hier? Was hat dies alles für einen Sinn?«
»Ist das nicht offensichtlich?«, erwiderte Q und klang verärgert. Er drehte sich zu Picard um und sprach betont langsam, als müsste er sich einem Minderbemittelten verständlich machen. »Es geht nicht um die Tkon, sondern um ihn.«
Das Aufblitzen der Supernova blendete den jungen Q und die Schockwelle riss ihn von den Beinen. Er taumelte zurück und die ungeheure Gewalt der Explosion befreite ihn aus dem Griff der beiden Entitäten, die ihn bisher festgehalten hatten und ebenfalls das Gleichgewicht verloren. Mehrere Lichtjahre von der Nova entfernt verharrte er und beobachtete entsetzt, was 0 angestellt hatte. Die unmittelbaren Auswirkungen hatte er bereits gespürt, aber die psychologischen und emotionalen Folgen stellten sich erst jetzt ein.
Einige weniger starke Schockwellen folgten den ersten und erschütterten das Raum-Zeit-Kontinuum, wie die Erdstöße nach einem schweren Beben. Q schwankte und versuchte, sich auf den Beinen zu halten, während ein kleiner, distanzierter Teil seines Intellekts überlegte, wie viel von der ursprünglichen solaren Masse nach der Explosion übrig geblieben war. Davon hing es ab, ob Tkons Sonne entweder zu einem Neutronenstern wurde oder zu einem Schwarzen Loch. Benommen beobachtete er, wie der kollabierende Stern eine sich ausdehnende Gaswolke zurückließ, die viele radioaktive Elemente enthielt. Diese Gase strichen wie ein heißer Wind an Q und den anderen vorbei. Der junge Q schnappte nach ätherischer Luft und hustete. Abkühlende Materie klebte wie kondensierende Feuchtigkeit an Gesicht und Händen.
»Bäh«, sagte er und schnitt eine Grimasse. Er hatte ganz vergessen, wie schlecht Supernova rochen.
Der radioaktive Nebel dehnte sich weiter aus, an Q vorbei, und dadurch konnte er dorthin sehen, wo sich zuvor eine rote Sonne befunden hatte, im Zentrum des Reiches Tkon. Der stellare Rest war weiter implodiert, während die Gase dem jungen Q die Sicht versperrt hatten, und damit erfüllte sich sein Schicksal. Eigentlich sah Q gar nichts, nur eine profunde Abwesenheit dort, wo sich zuvor eine Sonne befunden hatte. Das Zentralgestirn von Tkon war zu einem Schwarzen Loch geworden. Q spürte die Gravitation wie eine Unterströmung. Sollte dieses finstere Loch alles sein, das von der Kaiserin und ihrem Volk übrig blieb?
Es ist alles meine Schuld, dachte er. Dies hätte nicht passieren dürfen.
Voller Zorn wandte sich Q an 0. »Wie konnten Sie so etwas tun? Die Tkon gewannen bei Ihrem dummen Spiel und dann änderten Sie plötzlich die Regeln! Eine Supernova, ohne jede Vorwarnung? Bei der Schöpfung, wie sollten sie so etwas überleben können?«
Die anderen Entitäten hatten sich inzwischen von den Auswirkungen der Schockwelle erholt und näherten sich Q, aber 0 winkte sie fort. Jetzt, da alles vollbracht war, schien er bereit zu sein, sich der Entrüstung des jungen Q zu stellen. Er wischte sich stellares Plasma von den Händen und rückte seine Jacke zurecht, bevor er sich Q zuwandte.
»Na, na, Q, regen Sie sich wegen dieser Sache nicht zu sehr auf. Offenbar ist Ihnen nicht klar, worum es ging. Ich habe einfach nur die Fähigkeit der Tkon getestet, mit etwas völlig Unerwartetem fertig zu werden. Und das ist doch der einzige Test, der wirklich Bedeutung hat, oder? Jede einfache Spezies kann Schwierigkeiten überwinden, die sich auf soziale Unruhen oder Naturkatastrophen beschränken. So etwas bietet keine Garantie für wahre Größe. Wir müssen strengere Maßstäbe anlegen.« Er nickte in Richtung des einige Parsec entfernten Schwarzen Lochs, und sein Gesicht gewann einen philosophischen Ausdruck. »Akzeptieren Sie die Fakten, Q. Wenn Ihre kleinen Tkon nicht einmal imstande waren, mit etwa so Gewöhnlichem wie einer ganz normalen Supernova fertig zu werden, so hätten sie es nie zu etwas gebracht.«
»Er klingt wie Sie«, sagte Picard.
»Das soll wohl ein Scherz sein.« Offenbar nahm Q tatsächlich Anstoß an diesem Vorwurf. Zum Glück war er vor allem entsetzt und weniger verärgert. »Selbst eine so niedere Lebensform wie Sie sollte in der Lage sein, den fundamentalen Unterschied zwischen mir und … dem größenwahnsinnigen Sadisten und seinen unterwürfigen Kumpanen zu erkennen.«
»Worin besteht er?«, fragte Picard und trieb seine Provokation noch ein wenig weiter. Er hatte eine vage Vorstellung davon, was Q meinte, aber er wollte es von ihm selbst hören.
»Ich bleibe fair, Jean-Luc.« Er hob die Hände und vollführte eine Geste, die fast beschwörend wirkte. Allem Anschein nach legte er großen Wert darauf, dass Picard ihn verstand. »Im Grunde genommen gibt es an Tests und Spielen nichts auszusetzen, aber man muss fair sein. Ganz gleich, welche banalen Unannehmlichkeiten ich Ihnen während der vergangenen Jahre bereitet habe – Sie müssen zugeben, dass ich mich immer an die Spielregeln gehalten habe, auch wenn ich manchmal in Versuchung geriet, mich einfach darüber hinwegzusetzen.«
»Vielleicht«, räumte Picard ein. Seiner Ansicht nach vertrat Q eine sehr seltsame Vorstellung von Fairness, wenn er sie auf Wesen bezog, die nicht annähernd so mächtig waren wie er. Aber er musste zugeben, dass sich Q gelegentlich durchaus ›sportlich‹ verhalten und ihm erlaubt hatte, den einen oder anderen kleinen Sieg zu erringen. Das ist wenigstens etwas, dachte er und fühlte sich nicht mehr ganz so beunruhigt wie noch vor wenigen Sekunden. »Und 0?«, fragte er. »Und Tkon?«
Q schnitt ein verächtliches Gesicht. »Das war kein Test, sondern ein verdammtes Massaker.«
Der jüngere Q konnte seine Empfindungen noch nicht so exakt artikulieren. Bestürzt und desorientiert zögerte er nach 0's Wortschwall. 0 klang so ruhig, so vernünftig.
»Aber Sie haben sie alle umgebracht«, platzte es aus ihm heraus. »Was haben Tests für einen Sinn, wenn am Ende alle tot sind?«
»Das ist ein Berufsrisiko der Sterblichkeit«, erwiderte 0 in einem sachlichen Tonfall. »Man darf sich so etwas nicht zu Herzen nehmen, Q. Ich weiß, zu Anfang ist es schwer. Kleine, hilflose Wesen können manchmal sehr reizend sein. Aber glauben Sie mir: Je mehr Tests man durchführt, desto leichter fallen sie einem. Stimmt's, Kameraden?«
Die anderen Entitäten murmelten zustimmend, bis auf (*), der auch weiterhin schwieg.
»Bald berühren Sie solche Dinge nicht mehr, Q«, versicherte ihm 0.
Q dachte darüber nach. Der Gedanke, sich später besser zu fühlen, war durchaus verlockend, versprach ihm Erleichterung von seinen Gewissensbissen. Aber vielleicht sollte man sich ein wenig schuldig fühlen, nachdem man das Heimatgestirn eines hilflosen Volkes zur Supernova werden ließ. Will ich meine Unsterblichkeit dazu verwenden?, fragte sich Q. Möchte ich so werden wie 0?
»Erlauben Sie mir, Sie etwas zu fragen«, sagte er und sah 0 direkt in die Augen. Er wusste jetzt, was er wissen musste. »Hat abgesehen von den Coulalakritous jemals eine Spezies Ihre Tests überlebt?«
0 versuchte gar nicht zu lügen. Das grausame Glitzern in den Augen und sein Grinsen genügten Q als Antwort.
Es war der Beginn des ersten Q-Krieges …