Kapitel 14

Der rote Oldtimer zog neugierige Blicke auf sich. Als
Erika Modder in Klein Berkel von der Talstraße nach links auf die steil ansteigende Grabbestraße abbog und mit ihrem rechten Fuß auf das Gaspedal trat, heulte der Motor des 1963er-Mercedes-Cabrio hörbar auf. Ein älterer Mann, der den auffälligen Sportwagen und dessen Fahrerin offenbar kannte, blieb stehen, hob zum Gruß seinen Krückstock und fuchtelte damit herum wie ein Fechter mit seinem Florett. Peter Petrov saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz und hatte den Kragen seines beigefarbenen Pullis hochgezogen. Er wollte vermeiden, dass ihn später jemand beschreiben konnte. Er hätte diesen Opa verfluchen können. Der Typ hatte ihn gesehen. Nun gab es einen Menschen, der bezeugen konnte, dass Erika Modder einen Mann mit nach Hause genommen hatte. Shit happens, dachte er und kaute nervös an dem Rollkragen, der wie eine Maske Mund und Nase bedeckte. Die Mittsechzigerin schaute zur Seite und wunderte sich, wie sich Peter verhielt. Seinem Habitus nach schien er krank zu sein. Er war wie ausgewechselt. Sie machte sich Sorgen. „Peter, geht es dir nicht gut?“

Petrov rappelte sich aus dem Sitz hoch, zog den Rollkragen nach unten und sah sie lächelnd an. „Mir geht es gut. Der Piccolo hat mich wohl etwas müde gemacht.“ Erika Modder fuhr vorbei an Mehrfamilienhäusern, die weiter oberhalb von Fertighäusern abgelöst wurden. Petrov wunderte sich, dass auf diesem steilen Hügel ein reicher Fabrikant eine Villa gebaut hatte. Als Erika Modder die Schulstraße überquerte, bemerkte er erleichtert, dass weiter bergauf immer mehr Einfamilienhäuser standen. Einige sahen luxuriös aus. Hohe Buchenhecken und Nadelbäume schützten die Anwohner des Kiefernhains vor neugierigen Blicken.

„Gleich sind wir da“, sagte die Mercedes-Fahrerin. „Ist nicht mehr weit.“ Petrov hielt sich seine zur Faust geballte rechte Hand vor den Mund und räusperte sich. Er bemühte sich, nicht allzu oft aus dem Seitenfenster des Wagens zu schauen. Er wollte nicht von einer weiteren Person gesehen werden. Was, wenn die Olle irgendwo rechts ranfährt, um ein Schwätzchen mit einem Nachbarn zu halten; was, wenn sie mich irgendwem mit stolzgeschwellter Brust als ihren neuen Bekannten vorstellt?, fragte er sich. Dann wäre alles vergebens gewesen. Den Schmuck hätte er sich abschminken können. Petrov hoffte, dass die Fahrt schnell vorbei sein würde. Kurz vor der Ohrbergkuppe setzte Modder den Blinker und bog in eine breite, von Koniferen gesäumte und mit buntem Perlkies bestreute Einfahrt ab. „So, da wären wir“, sagte die freudig erregte Witwe und kramte umständlich eine kleine Fernsteuerung aus ihrer schwarzen Saint-Laurent-Handtasche, die sie ein kleines Vermögen gekostet hatte. Auf Knopfdruck öffnete sich kaum hörbar das breite Tor einer Doppelgarage, in der sich eine Werkstatt befand. Das war wohl der Hobbyraum von Erikas verblichenem Otto, ging Petrov durch den Kopf. Erika Modder fuhr mit dem Cabrio in die Garage und zog den Zündschlüssel aus dem Schloss. Hinter dem Oldtimer schloss sich automatisch das Garagentor. Sie verließen den Wagen und betraten durch eine Seitentür das Erdgeschoss des Hauses. Sofort stieg Petrov der Geruch von Chlor in die Nase. „Hast du ein eigenes Schwimmbad?“, wollte er wissen. Erika Modder drehte sich zu ihm um und lächelte. „Ja, du kannst es gern benutzen. Eine Sauna gibt es auch. Ich kann sie anheizen. Du wirst sehen, wie schnell dir warm wird.“ Petrov nickte. „Ja, warum nicht.“

Sie gingen die Kellertreppe hinauf, standen kurz darauf im Eingangsbereich der Villa. Petrovs Blick fiel auf ein großes Ölgemälde, das die Schlacht von Trafalgar zeigte. Erika Modder zeigte auf die geöffnete Wohnzimmertür. „Geh schon mal rein, Peter. Fühl dich ganz wie zu Hause. Ich mache uns jetzt erst mal einen schönen heißen Pharisäer, ja?“

„Mmh ... Das klingt sehr gut“, sagte er und sah sich verstohlen nach Wertgegenständen um.

Erikas Augen strahlten, als sie in der Küche Wasser für den Kaffee aufsetzte. Sie konnte kaum fassen, was passiert war. Am Vormittag war sie als Single runter in die Stadt gefahren, um nach langer Zeit der Einsamkeit einen Mann kennenzulernen – und jetzt, wenige Stunden später, stand ein richtiges Prachtexemplar in ihrem Haus. „Lieber Gott, bitte, bitte lass mich noch einmal Glück im Leben haben“, sandte die gläubige Hamelnerin ein leises Stoßgebet zum Himmel.

Petrov hingegen führte Böses im Schilde – er konnte es kaum erwarten, die Schränke der Fabrikantenwitwe zu durchsuchen. Er erwischte sich bei dem Gedanken, eine Schublade des Wohnzimmerschranks aufzuziehen. „Lass es!“, hörte er eine innere Stimme sagen. Der Raubmörder ließ sich in einen englischen Clubsessel aus braunem Rindsleder fallen und legte seine Füße auf den dazugehörigen Fußhocker. Seine Schuhe zog er nicht aus. Petrov fläzte sich auf dem Sessel hin und her. Er hörte Geschirr klirren. Erika Modder werkelte in der Küche. Es war der letzte Kaffee, den sie vor ihrem plötzlichen Tod zubereitete.

Peter Petrov schob seine rechte Hand unter seine Lederjacke. Mit Zeige- und Mittelfinger tastete er nach dem Etui aus dünnem Weißblech, in dem er sein Mordwerkzeug verwahrte. Als er die Klappschatulle ertastete, atmete er erleichtert tief ein und aus. Alles lag bereit. Er hatte die Spritze und die todbringende Flüssigkeit dabei, musste nur noch auf die richtige Gelegenheit warten.

Er hörte Erikas Stimme. „Wenn du dir einen Drink nehmen möchtest, nimm dir, was du magst. Steht alles in der Globus-Bar. Musst nur den Deckel anheben.“ Petrov sah sich um. Er raffte sich auf, ging zu der antiken Weltkugel, klappte die obere Hälfte hoch und nahm den Inhalt in Augenschein. Die kleine Bar war gut bestückt. Neben Whisky- und Cognac-Gläsern standen vier Flaschen. Petrov zog einen Macallan-Glenlivet, Jahrgang 1938, aus dem Barwagen. Ihm lief das Wasser im Munde zusammen. Er drehte die Flasche in seiner Hand und las, was auf dem Etikett stand: A Pure Highland Malt Scotch Whisky. „Donnerwetter“, entfuhr es ihm. Erika Modder hatte ihn zwar gehört, aber nicht verstanden, was Petrov gesagt hatte. „Hast du mich gerufen?“, fragte sie. „Nein, nein, alles gut. Ich habe nur den Whisky bestaunt. Der ist ja 82 Jahre alt ... Krass.“

„Ja, das stimmt. Stell dir vor: Diese Flasche ist noch vor Hitlers Überfall auf Polen abgefüllt worden. Die hat schon den Zweiten Weltkrieg überstanden. Otto hat Whisky gesammelt. Das war seine Leidenschaft. Schenk dir bitte einen ein. Koste ihn, wenn du magst.“

„Echt? Ja, gern. So etwas Kostbares rinnt ja nicht jeden Tag durch meine Kehle. Soll ich dir auch ein Gläschen einschenken?“

„Nein, danke“, antwortete Erika Modder. „Ich trinke nur Champagner oder guten trockenen Winzersekt.“

Peter Petrov wählte ein Spinning-Whisky-Glas und füllte es zur Hälfte mit dem alten Scotch. Er hielt das schwere Kristallglas vor seine Augen und betrachtete durch die braune Flüssigkeit die Wintersonne, die den Whisky besonders strahlen und leuchten ließ. Dann gönnte er sich einen großen Schluck Highland Malt. Er behielt den Malt ein paar Sekunden lang in seinem Mund und schluckte ihn dann hinunter. Petrov schaute auf den Tumbler. Er hatte für diesen edlen Tropfen das falsche Glas gewählt. Durch die große Glasöffnung war das Aroma sofort verflogen. Er würde seinen nächsten Macallan-Glenlivet aus einem Nosing-Glas oder aus einem Cognac-Glas trinken. Dieser außergewöhnliche Whisky verdiente ein bauchiges Glas, das sich nach oben hin verjüngt. Dadurch konnte sich das Aroma des Highland Malt im Bauch des Glases sammeln und über die schmale Öffnung intensiver von der Nase aufgenommen werden. Er gönnte sich noch einen Schluck, füllte das Glas auf und machte es sich wieder in dem Clubsessel bequem. Das Leder knarzte. Er liebte dieses Geräusch. Herrlich, dachte er. Petrov konnte es nicht fassen. Er hatte sich gerade Whisky im Wert von bestimmt 1000 Euro eingeschenkt. „Ach ja ...“, sagte er seufzend zu sich selbst. „Das Leben könnte härter sein.“ Er wusste, dass er besser keinen Alkohol trinken sollte, tat es aber dennoch.

Erika Modder hatte zwei blau-weiße Hutschenreuther-Pharisäer-Tassen mit Segelschiff-Motiv auf einem Tablett aus chinesischem Rosenholz platziert und balancierte es vorsichtig zum Stubentisch. Die spitze Haube aus frisch geschlagener Sahne schwappte auf dem mit einem ordentlichen Schuss Rum verfeinerten und mit zwei Stückchen Würfelzucker gesüßten starken Kaffee hin und her.

Die Witwe stellte das Tablett auf den mit afrikanischen Schnitzereien reich verzierten Couch-Tisch aus Teakholz und reichte Petrov, der immer noch im Clubsessel saß, die Porzellantasse. „Vorsicht, heiß!“, warnte sie ihn. „Fass den Henkel an!“ Petrov nahm sein rechtes Bein von der Armlehne und setzte sich gerade hin. Er reichte Erika sein Whiskyglas und grinste feist. „Ich habe gerade ein Luxusproblem“, sagte er und schaute abwechselnd auf Tasse und Tumbler. „Ah, verstehe.“ Erika Modder nahm ihm das schwere Kristallglas ab und brachte es in die Küche. Als sie zurückkam, stellte sie fest, dass ihr Verehrer schon an dem Pharisäer genippt haben musste. Unter seiner Nase befand sich Sahne. „Der Schnäuzer steht dir gut“, sagte sie und warf ihm lächelnd einen Kussmund zu. Petrov konnte mit Erikas Anspielung im ersten Moment nichts anfangen. Nur einen Wimpernschlag später klickte es bei ihm. Er leckte sich rasch die Sahne von der Oberlippe. Das ungleiche Paar brach in Gelächter aus. Sie tranken den nordfriesischen Kaffee mit Schuss in kleinen Schlucken. „Und?“, wollte Erika nach einiger Zeit wissen. „Wie hat er dir geschmeckt?“

Petrov sah ihr in die Augen. „Der Kaffee oder der Whisky?“ Modder zog die Augenbrauen hoch. „Na, der Pharisäer ... So etwas Leckeres bekommst du nicht einmal auf Sylt serviert. Ich habe ihn mit einer Prise Zimt verfeinert.“

Er schaute auf die Tasse in seiner Hand und ließ den letzten Rest Kaffee seine Kehle hinablaufen. „Erstklassig, Erika. Wirklich vorzüglich. Wärmt tüchtig von innen. Ein tolles Gesöff.“ Obwohl sich die Witwe über Petrovs Wortwahl wunderte, huschte ein Strahlen über ihr Gesicht. Sie gab sich die allergrößte Mühe, ihren Gast zu verwöhnen. „Magst du noch einen?“, wollte sie wissen. Doch Petrov winkte ab. „Nein, danke. Sonst singe ich schmutzige Lieder“, sagte er. Modder neigte ihren Kopf zur Seite. „Ein zweiter Pharisäer wird dich schon nicht umhauen.“

„Natürlich nicht, Erika. Aber ich habe vorhin schon zwei Gläser Whisky gehabt. Und wir wollen doch noch ein paar schöne Stunden in Zweisamkeit verbringen ... Ist es nicht so, meine Liebe?“ Erika Modder lief rot an. Wollte Peter Petrov tatsächlich mit ihr schlafen oder nur etwas kuscheln? Sie war irritiert, aber auch seltsam erregt. Ihr hatte es die Sprache verschlagen. Verlegen führte sie ihre leere Pharisäer-Tasse zum Mund. Es dauerte eine Weile, bis sie die richtigen Worte gefunden hatte. „Meinst du etwa, also, du und ich ...? Wir beide?“ Sie zeigte abwechselnd auf Peter und sich selbst.

Petrov fasste sich lasziv in den Schritt. „Ja, warum denn nicht. Ich bin heiß“, antwortete er. „Du willst es doch auch, nicht wahr?“

Die Professorin war verzückt, die Vorfreude ließ sie strahlen. „Ja, Peter. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir im Bett zu liegen und von dir gestreichelt zu werden.“ Dass alles viel zu schnell ging, dass er ihr etwas vormachen könnte, blendete Erika Modder aus. Sie hatte Angst, dass ihr dieser Prachtkerl noch in letzter Sekunde von der Fahne gehen würde. „Hm ... Ja, also, dann gehe ich mal kurz ins Bad“, flötete sie und zeigte auf die Wendeltreppe aus weißem Marmor und grünem Onyx. „Das Schlafzimmer ist oben.“

Während die Witwe eine heiße Dusche nahm, ging Petrov in die erste Etage und suchte das Schlafzimmer. Es befand sich hinter der zweiten Tür, die er öffnete. Er war überrascht. In der Mitte des geräumigen Zimmers stand ein riesiges Bett aus Mahagoni, über dem ein weißes Moskitonetz wie ein in Falten gelegter Schleier aus Tausendundeiner Nacht hing. Es gab eine Kommode und einen Kleiderschrank und einen großen Spiegel, der in einem goldfarbenen Rahmen steckte. Obwohl es Peter Petrov widerstrebte, mit einer erheblich älteren Frau ins Bett zu steigen, zog er sich komplett aus. Er würde es nicht zum Äußersten kommen lassen. Das stand fest. Das silberfarbene Etui, in dem sich die Mordwaffe und ein paar aus roten und weißen Wollfäden geflochtene Bändchen befanden, legte er auf das Nachtschränkchen neben sich. Erika sollte es ruhig sehen. Er hatte sich eine schöne Geschichte für sie ausgedacht.

Während er unter der Decke aus roter Seide auf Erika wartete, dachte er nach. Er könnte die Witwe töten, die Leiche irgendwo im Haus verstecken und sich eine Weile in der Villa einnisten. Er dachte an edlen Whisky, teuren Schampus und stellte sich vor, wie er die sicher reich gefüllte Speisekammer plündern würde. Nach einem Saunagang würde er ein paar Bahnen schwimmen, sich einen Drink gönnen und in aller Ruhe nach Geld, Gold und anderen Wertgegenständen suchen. Er hörte Schritte – das Klappern von Holzlatschen riss ihn aus seinen Tagträumen. Er drehte sich auf die Seite, stützte seinen Kopf mit der Hand ab und wartete darauf, dass Erika eintrat. Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Die Fabrikantenwitwe steckte zaghaft ihren Kopf durch den Türrahmen. Sie hatte ihre Nana-Mouskouri-Brille abgesetzt, ihre braunen Augen mit einem goldfarbenen Lidschatten betont und ihre vollen Lippen mit Lipgloss dunkelrot gefärbt. Die kleinen Äderchen, die vorhin noch bläulich-violett durch ihre Gesichtshaut schimmerten, hatte Erika mit einem sandfarbenen Make-up abgedeckt.

Unter dem hellgrünen Seidenkimono trug Erika nichts. In ihren Händen hielt die Hamelnerin zwei langstielige Sektgläser und eine Flasche Moët & Chandon. Erika Modder stellte den Champagner und die Gläser auf ihrem Nachttisch ab und zündete eine Kerze an. Dann ließ sie per Knopfdruck die Jalousien herunter und ihren Morgenmantel fallen. Nackt stand sie vor ihm. Sie fühlte sich wie vor dem ersten Mal. Petrov nahm ihr die Scheu. „Komm zu mir, mein Schatz“, sagte er und winkte sie zu sich heran. Erika Modder schlüpfte unter die Seidendecke und kuschelte sich dicht an ihn. „Peter, du musst wissen: Es ist nicht meine Art, mit einem Mann, den ich gerade erst kennengelernt habe, gleich ins Bett zu gehen“, stammelte sie. „Aber bei dir ist das anders. In deiner Nähe fühle ich mich geborgen. Mein Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit ist übergroß. Mein Herz schlägt gerade Purzelbäume. Ich hatte ganz vergessen, wie sich das anfühlt ...“ Peter Petrov legte seinen Zeigefinger sanft auf ihren Mund. „Pst! Du musst dich nicht erklären. Ich fühle mich zu dir hingezogen. Du fühlst dich zu mir hingezogen. Das ist doch die normalste Sache der Welt. Hey, Baby. Heute ist unser Tag. Lass ihn uns genießen.“

„Ja, du hast recht. Aber es ist schon sehr lange her, dass ich mit einem Mann geschlafen habe. Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Das blumige Parfum, das Erika Modder aufgelegt hatte, widerte Petrov an. Es roch nach Rosen, Jasmin und Veilchen. Anfangs hielt er die Luft an, wenn sie sich nahe waren. Mit der Zeit gelang es ihm, seine Aversion gegen den Duft, der bei ihm Übelkeit auslöste, zu unterdrücken. Sie küssten, streichelten und umarmten sich. Als Petrov von ihr genug hatte, nahm er das Etui vom Nachtschrank und öffnete es. „Was ist denn das?“, wollte Erika Modder wissen. „Bist du etwa ein Junkie, Peter?“, fragte sie. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Petrov hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Er tätschelte ihre Wange und lächelte sie an. „Ach, wo denkst du hin, Liebes. Ich bin Veganer“, log er, ohne rot zu werden. „Deshalb leide ich unter einem Vitamin-B-Mangel. Und das macht mich müde. Du musst wissen: Alkohol ist ein Vitamin-B-Räuber. Ich hätte den Whisky und den Rum nicht trinken dürfen.“ Die Professorin schaute ihn ungläubig an. „Ist das auch wirklich wahr?“

„Wenn ich es dir doch sage. Ich muss mir einmal täglich Vitamin B unter die Haut spritzen. Das hält mich fit.“ Er zwinkerte ihr zu. „Und geil ... Du möchtest doch, dass ich voll da bin, oder?“

Petrov setzte sich auf, stach die spitze Nadel durch den Gummipfropfen eines kleinen Medizinfläschchens und zog die Spritze auf. Erika Modder sah ihm zu. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Mit Daumen und Zeigefinger formte Petrov auf seinem Waschbrettbauch eine Hautfalte und injizierte sich die glasklare Flüssigkeit.

Das alles dauerte keine zehn Sekunden. „So, fertig. Hat überhaupt nicht wehgetan“, sagte er. „Das ist besser als Viagra, Erika. Das kannst du mir glauben. Vitamin B
ist ein Aphrodisiakum, das die Libido steigert. Ein echter Geheimtipp. Ey, du wirst es nicht glauben, aber mit Vitamin B werden Frauen zu Sex-Maschinen. Nur eine Vitamin-Spritze – und du fühlst dich wieder wie 30. Probier’s doch mal aus.“

Erika Modder schaute ihn skeptisch an. „Also, ich weiß nicht.“

Petrov streichelte ihre Brüste. „Vertrau mir, Baby. Du wirst schon sehen.“

„Aber“, stammelte Modder, „ich könnte mir keine Spritze setzen.“

Petrov wechselte die Injektionsnadel, zog abermals die Spritze auf. „Brauchst du auch nicht, Erika. Das kann ich doch machen. Hey, wir lassen es gleich krachen. Wir werden richtig guten Sex haben.“

Die Witwe war aufgeregt. Angst ergriff von ihr Besitz. Sie musste sie überwinden, wollte Peter nicht enttäuschen. Also stimmte sie zögerlich zu. „Na, wenn du meinst.“

Petrov lächelte. „Leg dich hin, entspann dich einfach. Gleich gehst du ab wie eine Rakete. Du wirst in deinem Gehirn orgiastische Explosionen spüren. Vertrau mir einfach.“

Sie legte sich auf den Rücken und formte unterhalb ihres Bauchnabels eine Hautfalte – so wie es Petrov kurz zuvor getan hatte. Ihr Mörder beugte sich zu ihr herunter, nahm die Spritze und stieß die Injektionsnadel in Erikas Venushügel. Blitzschnell drückte er den Spritzenstempel bis zum Anschlag durch, sodass sich die todbringende Flüssigkeit oberhalb ihrer Schamlippen im Unterhautfettgewebe verteilte. Erika Modder schrie erschrocken auf. „Autsch! Peter, was machst du denn da?“ Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Peter Petrov die Nadel in ihre Scham rammen würde.

Während der Mörder die Injektionsnadel von der Spritze abzog und sein Werkzeug sorgfältig zurück in das kleine Etui legte, setzte bei Erika Modder der Sterbeprozess ein. Ihr wurde schwindelig, sie bekam höllische Kopfschmerzen, schwitzte stark und konnte sich kaum noch artikulieren. „Du ... du ... du Pha ... Pharisäer“, presste sie mit letzter Kraft hervor. Ihre Augenlider fingen wie wild an zu zittern. Kurz darauf war sie handlungsunfähig; sie verlor zunehmend das Bewusstsein. Es war ein schleichender Tod. Peter Petrov sah der Frau, der er eben noch die große Liebe vorgespielt hatte, teilnahmslos beim Sterben zu. Er hatte kein Mitleid mit der Witwe. „Was glotzt du mich so an? Hast du etwa gedacht, ich stehe auf altes schlaffes Fleisch? Wie blöd kann man nur sein?“ Während der Tod über sie kam, verhöhnte er sein Opfer. Das Gehirn der Hamelnerin schwoll an, ein paar Minuten später stellte es seine Arbeit ein. Erst hörte Erika Modder auf zu atmen, dann blieb ihr Herz stehen.