Devin war mehr als zufrieden mit dem Anwalt, den Steve ihr für die Anhörung über das einstweilige Sorgerecht gestellt hatte. Der Mann brachte seine Punkte ebenso präzise wie eloquent vor, beschrieb Devins enge Beziehung zu Amelia. Wie sie schon bei deren Geburt anwesend gewesen war, dass Amelia bei ihr gelebt hatte, seit sie aus dem Krankenhaus gekommen war.
Er legte Aussagen von Freunden und Nachbarn vor, die bezeugten, dass Devin eine gute Mutter war, dass sie ein Kinderzimmer für Amelia eingerichtet und stets für deren Gesundheit und Wohlergehen gesorgt hatte.
Dagegen setzte er dann Lucas’ mangelnde Erfahrung in der Kindererziehung, seinen Plan, eine Nanny einzustellen, statt sich selbst um das Kind zu kümmern, sowie die Tatsache, dass er seit ihrer Geburt kaum Zeit mit Amelia verbracht hatte. Natürlich wäre die Sicherheit eines Kindes aus einer derart reichen Familie zu bedenken, gab er schließlich zu, aber es gäbe viele Möglichkeiten, für ihre Sicherheit zu sorgen.
Devin musste sich eingestehen, dass sie nie über die Gefahr einer Entführung nachgedacht hatte. Passierte so etwas überhaupt noch?
Ihrer Meinung nach hatte der Anwalt hervorragende Arbeit geleistet, sie war sicher gewesen, dass sie die Anhörung gewinnen würden. Doch dann, in der letzten Sekunde, hatte sich Lucas’ Anwalt an die Richterin gewandt.
Er räumte Devins enge Beziehung zu Amelia ein, sprach über die Seriosität ihres Berufes als Autorin von Selbsthilfebüchern, dann schlug er das vor, was er einen Kompromiss nannte: Beide, sie und Amelia, sollten vorübergehend im Anwesen der Demarcos einziehen. So könnte Amelia weiterhin in Devins Nähe bleiben und gleichzeitig die Sicherheit genießen, die nur die Demarco-Familie ihr geben konnte.
Lucas’ selbstgefälliger Gesichtsausdruck verriet Devin, dass er das alles von Anfang an geplant hatte.
Sie öffnete schon den Mund, um zu protestieren, aber sie wusste, dass es keinen Ausweg gab. Jeder Einwand, den sie vorbrächte, würde sie unvernünftig klingen lassen. Sie konnte die moralischen Vorteile, die sie Lucas gegenüber hatte, nicht aufs Spiel setzen, da dieselbe Richterin wie heute auch über die endgültige Vormundschaft entscheiden würde. Und allem Anschein nach schlug Lucas eine vernünftige Lösung vor.
„Ms Hartley?“, fragte die Richterin, während sie schon die Hand nach dem Hammer ausstreckte.
Devins Anwalt ergriff das Wort. „Wir können diese Unterbrechung von Amelias Alltagsroutine nicht akzeptieren. Sie hat bereits ihre Mutter verloren. Ms Hartleys Haus ist das einzige Heim, das sie je gekannt hat.“
Die Richterin blickte Devin an. „Sie sind Autorin? Sie arbeiten zu Hause?“
Devin hatte keine Wahl, sie musste nicken.
„Haben Sie noch weitere Kinder?“
Devin schüttelte den Kopf.
„Lehnen Sie es ab, einen Kompromiss zu schließen?“
Als nächstes würde die Richterin wissen wollen, warum sie die Gewährleistung von Amelias Sicherheit ablehnte. Devin kapitulierte und schüttelte den Kopf.
Die Richterin schlug mit dem Hammer auf ihr Pult. „Somit wird es beschlossen. Das vorläufige Sorgerecht geht an Ms Hartley, unter der Voraussetzung, dass sie und das Kind im Haus der Demarcos wohnen. Mr Demarco erhält das unbeaufsichtigte Umgangsrecht. Sir, ich gehe davon aus, dass Sie die nötigen Sicherheitsmaßnahmen veranlassen?“
„Selbstverständlich, Euer Ehren.“ Lucas nickte.
Der Anwalt beugte sich zu Devin. „Tut mir leid.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das konnten Sie unmöglich kommen sehen.“
„Lucas ist ein hervorragender Stratege.“
„Bei uns nennt man das hinterhältig“, spottete Devin.
„Bei uns auch.“ Er verstaute die Fallordner in seinem Aktenkoffer. „Aber es funktioniert.“
„Allerdings“, stimmte sie ihm zu. Und sie konnte nur sich selbst die Schuld geben. Sie hatte Lucas unterschätzt. Das würde nie wieder vorkommen.
„Devin?“ Lucas kam quer durch den Gerichtssaal zu ihr herüber, sein Schatten legte sich über sie.
„Du bist wirklich unglaublich“, sagte sie, während sie nach ihrer Tasche griff und den Stuhl zurückschob.
„Das hat man mir schon öfter gesagt.“
„Du hast mich in die Ecke gedrängt.“
„Ja, habe ich.“
„Du spielst nicht ehrlich.“
Er zwinkerte nicht einmal. „Nur wenn es wichtig ist.“
„Warum habe ich das Gefühl, dass es sehr wichtig ist?“
„Weil ich nur spiele, um zu gewinnen.“
„Das hier ist kein Spiel, Lucas.“ Es ging um die Zukunft eines kleinen Mädchens. Amelia war keine Schachfigur, die nach dem Belieben der Erwachsenen in ihrem Leben herumgeschubst werden konnte.
Er schwieg, und sein Blick wurde hart, als fände er ihre Offenheit anstößig. „Genau deswegen ist es wichtig.“ Er pochte mit den Fingerknöcheln auf die Tischplatte. „Wie lange brauchst du, um zu packen?“
Sie stand auf und wünschte sich, sie hätte sich für höhere Absätze entschieden. Er war gut über eins achtzig groß, und alles an ihm drückte Stärke und Macht aus.
„Du meinst, wie viele Tage?“, fragte sie sarkastisch und dachte eher an Wochen.
„Ich meinte, wie viele Stunden.“
Sie musterte ihn. Er scherzte nicht.
„Wenn du sagst ‚spring‘, dann fragen dich die Leute wohl nur ‚wie hoch‘?“
Er legte die Fingerspitzen aneinander. „Ich bemühe mich, ‚spring‘ nur zu sagen, wenn es absolut nötig ist.“
Sie ließ sich nicht einschüchtern. „Ich brauche eine Woche.“
„Kein Problem.“
Sie blinzelte überrascht.
„Dann nehme ich Amelia jetzt mit, und du kommst nach.“
„Mach dich nicht lächerlich.“
Lucas drehte sich zu ihrem Anwalt um, der den Austausch interessiert verfolgt hatte. „Bill? Gibt es eine Frist bis zum Inkrafttreten des Urteils?“
„Keine Frist“, sagte der mit einem bedauernden Blick zu ihr. „Das Urteil ist ab sofort rechtsgültig.“
„Wie lange brauchst du, um zu packen?“, fragte Lucas sie wieder.
Panisch suchte sie nach einer Erwiderung.
Dann ging es ihr auf, und sie entspannte erleichtert ihre Schultern. Der Mann bluffte. Anstatt seine Frage zu beantworten, fischte sie ihr Handy aus der Tasche und rief Lexi an.
Die nahm nach nur einem Klingeln ab. „Wie ist es gelaufen?“, fragte sie sofort.
„Wie geht es dir, Lexi?“
Es folgte eine verwirrte Pause. „Ähm, gut. Aber was zum Teufel ist passiert?“
„Das ist ein bisschen kompliziert.“
„Warum?“
„Kannst du Amelias Kindersitz aus dem Auto nehmen und ihre Windeltasche vorbereiten?“
„Klar.“
Devin klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr ein, wandte sich an Lucas. „Du hast doch einen Rücksitz in deinem Sportwagen, oder?“
Er starrte sie an.
„Lucas wird sie abholen.“
Lexis Stimme fiel zu einem dumpfen Grollen ab. „Wird er nicht. Sag mir, dass er das Sorgerecht nicht bekommen hat.“
„Nein.“ Devin blieb gelassenen. „Es geht nur um einen Besuch.“ Sorgsam beobachtete sie Lucas. Sie hatte seine Reaktion auf Amelias Weinen gesehen, seine Furcht und seinen Abscheu vor ihrer dreckigen Windel. Unter keinen Umständen, unter wirklichen gar keinen Umständen, würde dieser Mann sich in eine Situation bringen, in der er mit Amelia allein wäre.
Doch anstatt aufzugeben, schüttelte Lucas nur leicht den Kopf. Er gab eine Nummer in sein Handy ein. „Beauchamp Nanny Service?“ Er hielt Devins Blick fest, während er sprach. „Ich brauche innerhalb einer Stunde ein Kindermädchen.“
Devin fluchte leise.
„Wie bitte?“, fragte Lexi.
„Ich bin in einer Stunde zu Hause“, antwortete Devin.
„Was ist mit dem Kindersitz?“
„Das sage ich dir, sobald ich da bin.“ Sie beendete den Anruf.
„Ich rufe Sie gleich zurück“, sagte Lucas. Dann steckte er das Handy in seine Tasche und blickte sie erwartungsvoll an. „Also, wie lange brauchst du, um zu packen?“
Lucas beobachtete, wie zwei Hausangestellte die letzten Kisten von Devins und Amelias Besitz über die breite geschwungene Treppe hinauftrugen, die vom achteckigen Foyer des Demarco-Anwesens in die oberen Stockwerke führte.
„Hab dir gleich gesagt, dass du ihm nicht trauen darfst“, sagte Byron Phoenix und kam in das zwei Stockwerke hohe Foyer geschlendert.
„Ich habe ihm nie vertraut“, antwortete Lucas und wandte sich dem zweiten Ehemann seiner verstorbenen Mutter zu. Byron trug wie üblich Jeans und ein Westernhemd. Sein gut gepflegtes Haar war mit silbernen Strähnen durchsetzt. Er hatte einen Highball in der Hand – Cola mit irgendwas. Seine maßgefertigten Lederstiefel klickten auf dem gefliesten Boden.
„Er hat für ihre Anwälte geblecht?“ Byron blieb stehen, die Daumen in die Gürtelschlaufen gehakt, während er die Treppe hinaufblickte, dorthin, wo Devin und Amelia nebeneinanderliegende Zimmer mit einem gemeinsamen Bad bekommen hatten.
„Ich hätte es wissen müssen“, gab Lucas zu. Das immerhin erklärte, weshalb Steve nach Lake Westmire gefahren war und weshalb Devin zunächst geleugnet hatte, dass er dort gewesen war. „Wenigstens ist sie jetzt endlich zu Hause.“
„Aber auch diese Mama-Bärin Devin Hartley“, betonte Byron.
„Sie ist ein Problem“, gestand Lucas. Zwar hatte er heute gewonnen, doch Devin hatte noch nicht verloren. Er streifte Byrons Kristallglas mit einem Blick und beschloss, dass es Zeit für einen Drink war. Er ging durch den holzgetäfelten Flur in Richtung des großen offenen Wohnzimmers.
Byron heftete sich ihm an die Fersen. „Wie sieht dein nächster Schritt aus?
„Da sie mit den Anwälten jetzt gleichgezogen hat, werde ich mit ihrem größten Vorteil mir gegenüber gleichziehen.“
„Du willst also eine Perücke und eine Schürze anziehen?“
„Sehr witzig.“
Byron grinste. „Ja, dachte ich auch.“
„Amelia vergöttert sie.“ Also musste auch er Amelias Sympathie gewinnen.
Byrons amüsiertes Grinsen wurde noch breiter, während sie den sanft beleuchteten Raum betraten. „Lucas Demarco, Onkel des Jahres?“
„Wie schwierig kann das schon sein?“ Er schwieg kurz. „Ich meine, ich werde ein Kindermädchen für das unangenehme Zeug einstellen. Aber ich kann ihr Bücher vorlesen, ein Schloss mit ihr bauen oder Fangen spielen oder so was.“
„Das kleine Gör kann noch nicht mal laufen.“ Nachdenklich sah Byron ihn an. „Dir ist bewusst, dass Bernard und Botlow schon früher mit Pacific Robotics zu tun hatten, oder?“
„Ist mir klar“, sagte Lucas.
„Wenn du das anführen würdest, könnte das Gericht erklären, dass ein Interessenkonflikt besteht.“
„Oder man könnte mich als Quertreiber sehen, der versucht, Devins rechtliche Unterstützung zu untergraben.“
„Und der kleinen süßen Devin aus Mitleid Recht geben“, schlussfolgerte Byron.
„Die süße, junge Tante“, sinnierte Lucas laut vor sich hin, und Devins frische Mädchen-von-nebenan-Schönheit stand ihm klar vor Augen, während er sich zwei Fingerbreit Macallan Whiskey einschenkte. „Selbstständig und gerade eben so über die Runden kommend, in einem am Meer gelegenen Cottage, in einer ländlichen Gemeinde mit Haustieren und Picknicktischen. Bestimmt geht sie zu Bürgerversammlungen und backt Kekse für gute Zwecke. Und Amelia vergöttert sie. Nein, das letzte, was wir wollen, ist, sie zu einer noch sympathischeren armen Verwandten zu machen.“
„Eine sympathische arme Verwandte?“ Es war Devins erstaunlich scharf klingende Stimme. Aufrecht und mit selbstbewussten Schritten durchquerte sie den Raum. Sie trug ein loses T-Shirt und eng anliegende Leggins, dazu weiße Sportschuhe.
„Immerhin hast du mich nicht bedauernswert genannt“, sagte sie.
Byron fasste sich als Erster und trat vor, streckte eine Hand aus. „Byron Phoenix. Freut mich, Sie kennenzulernen, Ma’am.“
„Anwalt?“, fragte Devin und senkte misstrauisch den Blick, als sie ihm kurz die Hand schüttelte.
Byron lachte spöttisch auf. „Erweiterter Familienkreis.“
„Er war mit meiner Mutter verheiratet“, erklärte Lucas.
„Du hast einen Stiefvater?“ Devin war sichtlich überrascht.
Byron lachte herzlich.
„Ich war zweiundzwanzig, als sie geheiratet haben. Wir haben nicht Fangen gespielt.“
„Entschuldige, das wusste ich nicht“, sagte Devin.
„Ich hätte dir beibringen können, Stiere zu fangen“, bemerkte Byron.
„Ein Drink gefällig?“, fragte Lucas, sich seiner Manieren erinnernd.
„Nein danke.“ Sie spähte hinaus in den Garten. „Und ich brauche das Mitleid des Gerichts nicht. Ich werde dich in einem fairen Kampf besiegen. Gibt es da draußen irgendwo eine gute Strecke zum Joggen?“
„Hast du das gehört?“, fragte Lucas an Byron gerichtet. „Sie geht joggen. Die Frau scheint der Inbegriff aller Tugenden zu sein. Ich nehme an, du bist auch noch Vegetarierin und abstinent natürlich sowieso.“
Devin musterte ihn verächtlich. Dann schnappte sie sich sein Glas und nahm einen ordentlichen Schluck. „Ich bin kein Inbegriff von irgendwas“, sagte sie und gab ihm das Glas zurück. Ihre Stimme klang nur leicht belegt von dem unverdünnten Whiskey.
Byron konnte sein Lachen kaum zurückhalten. „Die Frau hat Feuer im Hintern. Dumm gelaufen, Lucas. Ein vertrocknetes Mauerblümchen hätte dir das Leben leichter gemacht.“
„Nach dem Joggen schlafe ich besser“, sagte Devin. „Und da ich den Luxus meines eigenen Bettes nicht habe und Amelia gewöhnlich gegen vier wach wird, würde ich gern eine kurze Runde drehen, wenn das okay für dich ist.“
„Eine der Haushälterinnen kann so lange bei Amelia bleiben“, bot Lucas an.
Devin kreuzte die Arme vor der Brust. „Ich überlasse meine Nichte doch nicht dem Personal.“
„Ich ziehe meine frühere Kritik zurück.“ Er musterte sie. „Du bist nicht der Inbegriff aller Tugenden, du bist eine Puristin.“
„Ich versuche nur zu überleben.“ Für einen Moment wirkte sie verletzlich.
Lucas spürte einen Anflug von Mitgefühl. Devins Schwester mochte das Herz seines Bruders gebrochen haben und Devin mochte Konrad für Monicas Tod verantwortlich machen, aber sie hatten beide einen schrecklichen Verlust erlitten.
Er leerte sein Glas. „Ich zeig’s dir.“
„Zeigst mir was?“
„Wo du joggen kannst.“
„Es reicht, wenn du mir die Richtung zeigst. Ich finde schon allein hin.“
Aber Lucas hatte sich entschieden. „Wir treffen uns am Pool. Unten, hinter der Küche.“
Devin wusste nicht, warum sie gewartet hatte. Auf dem Anwesen konnte sie schließlich nicht verloren gehen. Der riesige Garten war gut beleuchtet, und sie war ziemlich sicher, dass er auch eingezäunt war – und sie hatte bestimmt nicht vor, sich so weit vom Herrenhaus zu entfernen, dass sie es nicht mehr sehen konnte.
Unterwasserlichter brachten das klare Wasser im Pool zum Leuchten. Sie kam nicht umhin, die abgestuften Terrassen und Rasenflächen zu bewundern, die ihn umgaben.
„Bereit?“ Lukas’ Schritte erklangen auf den Holzstufen, die von einer Sonnenterrasse hinunter zum Pool führten. Er trug Sportschuhe, leichte schwarze Shorts und ein ärmelloses graues T-Shirt.
„Ich brauche keinen Babysitter“, stellte sie klar, während sie sich nach allen Kräften bemühte, seinen wohl definierten Bizeps und die breiten Schultern nicht anzustarren. Niemand hatte behauptet, dass die Demarco-Männer unattraktiv wären. Mit ihren dunklen Augen und den männlichen Gesichtszügen zierten Lucas und Konrad oft das Cover des Seattle Entrepreneur. Sein weltmännisch und sexy Image war es gewesen, das Monica zu Konrad hingezogen hatte.
Gerade mal fünf Minuten hatte sie gebraucht, um sich in ihn zu verlieben. Und obwohl sie später wütend auf sich selbst war, weil sie sich so leicht hatte verführen und täuschen lassen, und fuchsteufelswild auf Konrad, den Verführer, so wusste Devin doch, dass Monica nie aufgehört hatte, ihren Ehemann zu lieben.
„Wie weit willst du gehen?“, fragte Lucas.
Devin wünschte sich, sie hätte die Doppeldeutigkeit der Frage ignorieren können. Noch mehr wünschte sie sich, dass ihr Gesichtsausdruck sie nicht verraten hätte.
„Ich meine das Joggen“, sagte Lucas mit einem wissenden Grinsen.
„Ich weiß, was du gemeint hast.“
„Aber ich bin offen für andere Vorschläge …“
„Träum weiter.“
„Es sind doch deine Träume, offensichtlich.“
„Reiß dich zusammen. Drei Kilometer.“
„Mehr nicht?“
Zornig funkelte sie ihn an. „Also gut, acht.“ So würde sie zwar später ins Bett kommen, aber das war es wert, wenn sie Lucas damit bewies, dass sie kein Schwächling war.
Er zuckte nur mit den Schultern. „Hier lang.“ Er deutete auf einen Weg, der sich den Hügel hinunter nach Puget Sound schlängelte. Gleichzeitig winkte er zum Haus hinter ihm, was eine Art von Zeichen gewesen sein musste, denn sofort erstrahlten Lichter entlang des Weges. Sie erleuchteten den smaragdgrünen Rasen, volle Büsche und wohlduftende Blumenbeete.
Okay, sosehr sie die Demarcos hasste, sosehr sie es hasste, hier bleiben und um ihre Rechte für Amelia kämpfen zu müssen, sie musste doch zugeben, dass dies ein wunderschönes Anwesen war.
Devin startete in einem ruhigen Tempo.
Lucas lief ein Stückchen vor ihr, und sie beschleunigte, um aufzuholen. Er vergrößerte seine Schritte, damit er in Führung blieb, und sie verfluchte ihn leise. Der Angeber.
„Was ist das?“, fragte sie und deutete auf ein entferntes und nur spärlich beleuchtetes Gebäude auf einem Hügel. Zur Hälfte sprach Neugier aus ihr, die andere Hälfte wollte ihm schlicht beweisen, dass sie mit Leichtigkeit joggen und ein Gespräch führen konnte.
„Die Ställe“, sagte Lucas. „Reitest du?“
Sie schüttelte den Kopf. Reiten war nichts, was Mittelklassekinder lernten, die in der Stadt aufwuchsen.
„Dann probier es aus, solange du hier bist.“
„Ich hab nicht vor, so lang hier zu sein.“
Er streifte sie mit einem Blick, eine Brise vom Meer strich durch sein kurzes dunkles Haar. „Gibt es da etwas über den Gerichtstermin, was du weißt und ich nicht?“
„Ich hoffe, sie verlegen ihn vor.“
„Warum?“
Die Antwort war doch klar. „Damit Amelia und ich nach Hause können.“
„Und wenn ich gewinne?“ Seine Stimme klang sanft in der kühlen Nachtluft.
Sie warf den Kopf zurück, sie durfte nichts als Selbstvertrauen zeigen. „Das einzige, was für dich spricht, ist dein Geld.“
„Geld hilft.“
„Und es korrumpiert.“
Der Weg wand sich um eine Kurve, und sie begannen, leicht bergauf zu laufen. Devin atmete tief, entschlossen, das Tempo zu halten.
„Amelia hat jede Menge eigenes Geld“, betonte er.
„Ich vermute, das wird treuhänderisch verwaltet.“ Sie wollte nichts mit Amelias Vermögen zu tun haben.
„Stimmt. Vorläufig. Aber wer immer ihre Anteile von Pacific Robotics managen wird, bestimmt auch über ihr Geld. Und es wäre gut, wenn derjenige weiß, was er tut.“
„Ich kann einen Geschäftsführer einstellen.“
„So wie ich ein Kindermädchen anstellen kann.“
„Dir ist klar, wie die Lösung des Problems aussieht, oder?“
„Ich übernehme die Vormundschaft und stelle dich als Kindermädchen ein?“
Und Amelia wäre Lucas’ Launen und Kontrolle ausgesetzt? Niemals. „Ich übernehme die Vormundschaft und stelle dich als Geschäftsführer ein.“
„Nie im Leben.“ Lucas beschleunigte sein Tempo, als sie die Ställe erreichten. Das Bootshaus und die Anleger kamen weit unten an der Küste in Sicht.
Sie kämpfte, um Schritt zu halten.
Es gelang ihr, mit Lucas gleichzuziehen, aber er zog das Tempo weiter an. Sie holte wieder auf, und erneut beschleunigte er.
Ihr Atem ging unregelmäßig, und sie hatte längst jeden Anschein ihres üblichen Schritts aufgegeben. Alles, was sie vorwärtstrieb, waren Adrenalin und Frustration und der sinnlose Versuch, sich nicht von Lucas schlagen zu lassen.
„Du solltest vielleicht deine Kräfte schonen“, sinnierte Lucas. Der Typ klang nicht mal erschöpft.
„Mir geht’s gut“, keuchte sie.
Er drehte sich zu ihr um und joggte rückwärts weiter. Trotz der Erniedrigung, die sie fühlte, da ihm das so offensichtlich leicht fiel, war sie doch dankbar, dass sie das Tempo drosselten.
„Sei nicht dumm, Devin.“
Sie ließ ihren funkelnden Blick für sich sprechen.
„Das hier ist es nicht wert, sich umzubringen.“
„Warum … ist es … dir dann wichtig, wer gewinnt?“
Er zuckte mit den Schultern, grinste verlegen. „Es hat Spaß gemacht, dir bei dem Versuch zuzusehen.“
„Du hinterhältiger Fiesling.“
„Schuldig.“ Seine Augen verdunkelten sich. „Das solltest du im Gedächtnis behalten.“
Das Haus war jetzt nicht mehr weit. Die Poolterrasse wurde zu einer Fackel, die ihre müden Beinmuskeln anspornte.
Ihre Füße hämmerten auf den Boden ein.
Knapp hundert Meter noch.
Fünfzig.
Fünfundzwanzig.
Gott sei Dank.
Sie verlangsamte ihr Tempo bis zu einem gemächlichen Schritt, schnappte nach Luft und hielt Abstand zu Lucas in der Hoffnung, er würde nicht bemerken, wie geschafft sie war.
Er rannte noch immer, verlangsamte sein Tempo, und als er die Terrasse erreichte, spazierte er gemütlich.
Devin ließ sich Zeit, merkte erleichtert, wie ihre Lungen wieder zurück auf normal schalteten. Ihre Beine fühlten sich immer noch an wie aus Gummi, aber diese Schwäche war leichter zu verbergen.
Als sie sich Lucas näherte, warf er ihr eine Flasche mit gekühltem Wasser zu. Sie fing sie auf. Irgendwer musste sie hier draußen deponiert haben, während sie beim Joggen waren. Was dieser Mann doch für ein Leben führte.
Devin nahm einen tiefen, befriedigenden Schluck. Ihr Herzschlag beruhigte sich langsam, aber sie spürte, dass sie einen wirklich heftigen Muskelkater bekommen würde. Sie würde alles dafür geben, dass ein Wunder geschähe und Amelia bis sieben schlief.