KAPITEL 7
Das Nostro spiegelte Massimos Charakter gut wider. Zwei hochgewachsene Türsteher bewachten den Eingang mit dem roten Teppich davor. Nachdem wir eine Treppe hinuntergegangen waren, lag ein großer, düsterer Raum vor uns. Mit dunklem, schwerem Stoff waren Separees voneinander abgetrennt. Durch die schwarzen Wände und das schummrige Licht war die Atmosphäre sinnlich und erotisch. Auf zwei Podesten standen fast nackte Frauen mit Masken, die sich zur Musik von Massive Attack wanden. An der langen schwarzen, mit gestepptem Leder bezogenen Bar wurde einzig von Frauen in Bodys und hochhackigen Pumps bedient. An beiden Handgelenken trugen sie Lederschmuck in Schlangenform. Ja, Massimos Einfluss war unverkennbar.
Wir gingen an der Bar und der Menge auf der Tanzfläche vorbei. Ein großer Bodyguard bahnte uns den Weg, schob einen Vorhang zurück, und wir standen in einem hallenartigen, hohen Raum. Miteinander verschlungene Körper aus schwarzem Holz ragten vor mir auf, die Größe der Statuen war überwältigend. Auf einem Podest in der Ecke befand sich ein von halb durchsichtigem Gewebe verhängtes
Separee. Dorthin führte der Mann Domenico und mich. Es war viel größer als die in dem anderen Raum, und ich konnte mir vorstellen, was dort passierte, denn in der Mitte war eine Stange zum Tanzen montiert.
Domenico setzte sich, und noch bevor sein Hintern die satinbezogene Polsterung des Sofas berührte, brachte man uns Drinks, Snacks und ein Tablett mit silbernem Deckel. Ich wollte den Deckel anheben, aber Domenico gab mir einen Klaps aufs Handgelenk, schüttelte den Kopf und reichte mir ein Glas Champagner.
»Hör mal, Laura, wir werden Gesellschaft kriegen«, begann er zögerlich, als fürchtete er sich vor dem, was er zu sagen hatte. »Es kommen ein paar Leute, mit denen wir ein paar Dinge besprechen müssen.«
Ich nickte und wiederholte: »Ein paar Leute, ein paar Dinge. Ihr wollt ein bisschen Mafia spielen, oder?« Ich trank das Glas aus und hielt es ihm hin, damit er mir nachschenkte.
»Wir machen Geschäfte. Gewöhn dich dran.«
Plötzlich wurden seine Augen groß wie Untertassen. Er sah auf einen Punkt hinter meiner Schulter.
»So, jetzt geht’s los«, sagte er und kämmte sich mit den Fingern durchs Haar.
Ich drehte mich um und sah, wie Massimo mit mehreren Männern das Separee betrat. Als er mich sah, blieb er stehen und taxierte mich von oben bis unten mit einem eisigen, zornigen Blick. Ich schluckte laut und sah ein, dass meine Verkleidung als Hure gerade heute nicht so gut war. Seine Begleiter gingen an ihm vorbei zu Domenico, während er nur still dastand. Sein Ärger war mit Händen zu greifen
.
»Was zum Teufel hast du da an?«, knurrte er und nahm mich beim Ellenbogen.
»Ein paar tausend von deiner Kohle«, gab ich frech zurück und entzog ihm meinen Arm.
Meine Antwort brachte ihn zum Kochen. Ich meinte fast, Dampf aus seinen Ohren kommen zu sehen. Dann rief ihm einer der Männer auf Italienisch etwas zu, und er antwortete, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Ich setzte mich an den Tisch und nahm noch einen Schluck Champagner. Wenn ich schon Mäuschen spielen sollte, wollte ich wenigstens ein betrunkenes Mäuschen sein.
Der Alkohol lief heute ungewöhnlich gut in mich hinein. Gelangweilt sah ich mich in dem Separee um und versuchte, mich in Massimos Worte einzuhören. Wenn er Italienisch sprach, wirkte er sehr sinnlich. Dann riss mich Domenico aus meinen Gedanken, als er den Deckel des Tabletts hob. Ich erstarrte. Kokain. In viele dünne Lines aufgeteilt, bedeckte es das ganze Tablett, das man zu Hause in Polen eher dafür verwendet hätte, einen gebratenen Truthahn zu servieren. Seufzend stand ich auf. Aber bevor ich das Separee verlassen konnte, stand der große Bodyguard neben mir. Ich sah Massimo an, der seinerseits mich anstarrte. Ich bückte mich und tat so, als wolle ich mich am Bein kratzen, um ihm noch schnell die Länge oder vielmehr die Kürze, meines Kleids zu zeigen. Ich richtete mich wieder auf und heftete den Blick auf sein Gesicht.
»Hör auf mich zu provozieren.«
»Wieso? Hast du etwa Angst, dass ich zu gut darin bin?«, fragte ich und fuhr mir mit der Zunge über die Unterlippe.
Alkohol machte mich immer ein bisschen hemmungslos, aber in Massimos Gegenwart erwachte noch zusätzlich ein kleiner Dämon in mir.
»Alberto begleitet dich.«
»Du wechselst das Thema«, sagte ich, ging zu ihm, fasste die Schöße seines Sakkos und atmete den Duft seines Rasierwassers ein. »Mein Kleid ist so kurz, dass du’s mir nicht mal vorher ausziehen müsstest.« Ich nahm seine Hand, führte sie an meiner Taille herunter und schob sie unter mein Kleid. »Weiße Spitze, so wie du es magst. Alberto!«, rief ich und ging in Richtung des Raumes, in dem getanzt wurde.
Ich drehte mich noch einmal um und sah Massimo an, der mit den Händen in den Hosentaschen an der Stange lehnte und lächelte. Ich hatte ihn erregt.
Ich ging durch den Saal und fand mich dort wieder, wo die wummernde Musik den Rhythmus bestimmte. Die Leute tanzten, tranken, und bestimmt vögelten sie in den Separees. Das interessierte mich aber nicht besonders. Ich gab einer Kellnerin ein Zeichen, und sofort stand ein Glas Champagner Rosé vor mir. Ich war durstig, also leerte ich das Glas in einem Zug und griff nach dem nächsten, das wie durch ein Wunder schon vor mir auf der Theke stand. So beschäftigte ich mich eine Stunde, vielleicht länger, und als ich erkannte, dass ich genug angeheitert war, ging ich wieder zu den Drogenkonsumenten, die ich im Separee zurückgelassen hatte. Einigermaßen überrascht sah ich, dass die Herren nicht mehr allein waren. Frauen wuselten um sie herum und rieben sich wie Katzen an ihren Beinen, Armen und dem Schritt. Sie waren schön, und offensichtlich waren es Huren. Massimo
saß dazwischen, aber keine der aufgedonnerten Frauen saß auf seinem Schoß. Ob Zufall oder nicht, ich freute mich, dass er allein war, und mein kranker, benebelter Verstand bemerkte die Stange zum Tanzen. Oh Wunder, sie war frei.
Als ich nach Warschau gezogen war, hatte ich mich sofort für Pole-Dance-Unterricht angemeldet. Ich war davon ausgegangen, dass es sich dabei nur um ein bisschen erotische Verrenkungen drehe, doch meine Tanzlehrerin belehrte mich schnell eines Besseren und bewies mir, dass Pole Dance die ideale Möglichkeit war, einen perfekten Body zu bekommen. Es war im Grunde Gymnastik oder Fitnesstraining, nur an einer senkrechten Stange. Ich ging zum Tisch und nahm, während ich Massimo tief in die Augen sah, das Kreuz ab, das über meinem Rücken hing. Ich küsste es und legte es vor ihn auf den Tisch. Soeben begann das Placebo-Cover von Running Up That Hill
. Es war eine Einladung. Mir war bewusst, dass ich nicht alles machen konnte, was ich wollte, immerhin war das Kleid kurz, und Massimo hatte Gäste. Aber ich wusste, dass ihn sowieso der Schlag treffen würde, wenn ich zu der Stange ging. Als ich nach dem Metall griff und mich umdrehte, um seine Reaktion sehen zu können, stand er auf, und alle Männer ringsum ignorierten plötzlich ihre Frauen und sahen mich an. Jetzt hab ich dich!, dachte ich und begann meine gymnastische Vorführung. Sofort bemerkte ich, dass ich trotz der jahrelangen Pause nichts verlernt hatte und mir die Bewegungen keine Mühe bereiteten. Tanzen war für mich völlig natürlich, ich hatte es schon als Kind gelernt. Und egal, ob Pole Dance, Gesellschaftstanz oder Latino, ich liebte es, weil ich mich dabei gehenlassen konnte
.
Ich ließ mich von der Musik tragen; der Alkohol, die Atmosphäre dieses Ortes und die ganze Situation taten ein Übriges. Nach einiger Zeit sah ich in die Richtung, wo Massimo gestanden hatte. Dort war niemand, dafür hafteten die Blicke aller anwesenden Männer an mir, auch der des auf dem Sofa lümmelnden Domenico. Ich drehte mich noch einmal um und erstarrte. Ein wilder, animalischer Blick spießte mich förmlich auf; Massimo stand direkt neben mir. Ich wickelte ein Bein um ihn, vergrub meine Finger in seinen Haaren und drückte ihn gegen die Stange.
»Interessante Musikwahl«, sagte ich.
»Du hast ja sicher bemerkt, dass das ein Club ist und keine Disco.«
Ich vollführte eine Drehung, drückte meinen Hintern gegen seinen Schritt und bewegte ihn etwas. Massimo nahm mich beim Hals und drückte meinen Kopf gegen seine Schulter.
»Du wirst mir gehören, das garantiere ich dir. Und dann mache ich mit dir, was ich will und wann ich will«, raunte er.
Ich lachte kokett, trat von der Stange weg und ging zum Tisch, doch da stand einer der Männer auf und packte mein Handgelenk. Er zog mich zu sich, ich verlor das Gleichgewicht und landete auf der Couch. Der Typ hob mein Kleid an und fasste mir an den Hintern. Er schlug ein paarmal zu und rief etwas auf Italienisch. Ich wollte aufstehen, um ihm mit einer Flasche eins überzuziehen, da legte sich eine Hand auf meine Schulter, und als ich den Kopf drehte, erblickte ich Domenico. Neben ihm sah ich Massimo, wie er den Mann, der mich gerade begrapscht hatte, an der Kehle packte. In der
anderen Hand hielt er eine Pistole und zielte damit auf meinen Verehrer. Ich sprang auf und trat zu Massimo.
»Er wusste nicht, wer ich bin«, sagte ich.
Massimo knurrte etwas, und Domenico hielt mich fest. Massimo nickte einem Mann zu, der neben dem Sofa stand, und dann verließen alle Frauen das Separee. Als wir allein waren, zwang er den Mann, den er immer noch am Hals hielt, auf die Knie und setzte ihm die Pistole an den Kopf. Mein Herz raste. Vor meinen Augen sah ich wieder die Szene von der Einfahrt, die für mich so ein unbeschreiblicher Albtraum gewesen war. Ich drehte mich zu Domenico um und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter.
»Er kann ihn nicht töten, nicht hier«, sagte ich, immerhin war dies ein öffentlicher Ort.
»Kann er schon«, antwortete Domenico und drückte mich an sich. »Und er wird.«
Ich wurde blass, in meinen Ohren rauschte es. Meine Beine waren wie Watte, und ich rutschte langsam an Domenico hinab. Er hielt mich und rief etwas, dann spürte ich, wie er mich aufhob und irgendwo hintrug. Die Musik verstummte, und ich fiel auf weiche Kissen.
»Du hast ein Talent für pompöse Abgänge«, sagte Domenico und schob mir eine Tablette unter die Zunge. »Schon gut, Laura, ganz ruhig.«
Mein Herz war gerade zu seinem normalen Rhythmus zurückgekehrt, als Massimo mit der Pistole im Gürtel ins Separee stürmte. Er kniete sich neben mich auf den Boden und sah mich erschrocken an
.
»Hast du ihn umgebracht?«, flüsterte ich.
»Nein.«
Ich seufzte erleichtert und drehte mich auf den Rücken.
»Ich habe ihm nur in die Hände geschossen, mit denen er gewagt hat, dich anzufassen«, spie er aus, stand auf und gab die Waffe Domenico.
»Ich will ins Hotel zurück. Geht das?«, fragte ich und wollte aufstehen, aber die Mischung aus Herztabletten und Alkohol machte, dass sich der Raum um mich herum drehte. Ich schwankte und fiel in die Kissen zurück.
Massimo hob mich hoch, drückte mich an sich und trug mich, von Domenico flankiert, durch ein Hinterzimmer, dann durch die Küche und schließlich durch den Hinterausgang des Clubs. Dort wartete die Limousine. Massimo stieg ein, ohne mich runterzulassen. Er setzte sich mit mir auf dem Schoß auf einen Sitz und deckte mich mit seinem Sakko zu. Ich schlief ein, an seinen starken Körper gekuschelt.
Im Hotel wachte ich auf, weil er vor sich hin fluchte, als er mir die Stiefel ausziehen wollte.
»Hinten ist ein Reißverschluss«, murmelte ich mit halb geschlossenen Augen. »Du glaubst doch nicht, dass man die jedes Mal zuschnüren muss.«
Er hob den Blick und sah mich zornig an. Dann zog er mir die Stiefel von den Füßen. »Welcher Teufel hat dich geritten, dich wie eine … so … anzuziehen?«
»Sag’s ruhig!«, fuhr ich ihn an.
»Wie eine Hure. Wolltest du das sagen?«
Massimo ballte die Hände zu Fäusten, seine Kiefer mahlten
.
»Du magst doch Huren, und vor allem solche wie Veronica, oder?«
Sein Blick wurde leer. Er sagte nichts, aber seine Fingerknöchel wurden weiß. Plötzlich sprang er auf, setzte sich auf mich und hielt meine Hüften zwischen seinen Knien. Er nahm meine Handgelenke und drückte sie über meinem Kopf auf die Matratze. Mein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, als sein Gesicht dem meinen näher kam, und dann schob er mir brutal die Zunge in den Mund. Ich stöhnte und wand mich unter ihm, aber ich kämpfte nicht. Ich wollte nicht mehr kämpfen.
»Als ich heute gesehen habe, wie du tanzt …«, flüsterte er und drückte sein Gesicht an meinen Hals. »Warum machst du das, Laura? Willst du mir etwas beweisen? Willst du ausprobieren, wo die Grenze ist? Ich bestimme das, nicht du. Und wenn ich mir nehme, was ich will, brauche ich dafür nicht dein Einverständnis.«
»Ich habe Spaß gehabt. Darf ich das etwa nicht? Und jetzt geh von mir runter. Ich will etwas trinken.«
Er hob den Kopf und sah mich erstaunt an. »Was willst du?«
»Mich betrinken«, sagte ich und robbte unter ihm hervor, sobald er den Druck lockerte und sich seitwärts aufs Bett fallen ließ. »Du widerst mich an, Massimo«, murmelte ich und ging zum Tisch, um mir von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit aus der Karaffe einzuschenken.
»Laura, du trinkst jetzt keinen starken Alkohol. Nach den Tabletten und dem ganzen Champagner, den du heute schon getrunken hast, ist das keine gute Idee.
«
»Ich soll nicht trinken?«, fragte ich und hob das Glas an die Lippen. »Wart’s ab.«
Ich kippte es auf ex. Gott, ist das eklig, dachte ich und schüttelte mich. Diese Reaktion meines Körpers hinderte mich aber nicht daran, mir ein zweites Glas einzuschenken und damit zur Terrasse zu gehen. Ich drehte mich um und sah, wie Massimo, den Kopf auf seine Hand gestützt, meine Darbietung beobachtete.
»Das wirst du bereuen, Kleines«, rief er, als ich durch die Tür nach draußen verschwand.
Der Abend war schön. Die Hitze hatte nachgelassen, und die Luft erschien mir erstaunlich frisch, obwohl wir uns im Zentrum Roms befanden. Ich setzte mich auf eine ausladende Couch und nahm noch einen großen Schluck. Nach einer Viertelstunde, als ich das Glas geleert hatte, wurde ich schläfrig, und in meinem Kopf begann, sich alles zu drehen. Tatsächlich trank ich eigentlich nie stärkeren Alkohol, und jetzt wusste ich auch, warum. Der Hubschrauber in meinem Kopf machte das Laufen nicht einfacher, die Tür sah ich doppelt. Also kniff ich ein Auge zu und konzentrierte mich darauf, mit dem letzten Rest Stil, den ich aufbieten konnte, ins Bett zu kommen. So anmutig wie möglich ging ich zur Terrassentür und stützte mich am Türrahmen ab, mir dessen bewusst, dass Massimo mich vielleicht beobachtete. Ich täuschte mich nicht – er lag auf dem Bett, mit einem Laptop auf den Beinen und, bis auf die CK
-Boxershorts, nackt. Lieber Gott, wie schön er ist, dachte ich, als er mich über den Bildschirm hinweg ansah. Mein betrunkenes Hirn schob mir wieder einen teuflischen Plan unter: mich langsam vor ihm zu
entblößen. Ich schritt vorwärts, griff die Träger des Kleides und zog es mir von den Schultern. Der Stoff fiel zu Boden. Ich wollte graziös die Knie heben und im Bad verschwinden, aber in diesem Moment verweigerten mir meine Beine den Dienst. Mein rechter Fuß verhedderte sich in dem Kleid, mit dem linken trat ich drauf. Mit einem Stöhnen sackte ich auf den Teppich, dann brach ich in nervöses Lachen aus.
Massimo stand plötzlich über mir, nahm mich auf den Arm, trug mich zum Bett und setzte sich neben mich. Als mein hysterisches Gekicher verebbte, sah er mich besorgt an.
»Ist alles in Ordnung?«
»Nimm mich«, flüsterte ich und zog mir die letzten Reste der Kleidung vom Leib. Als der weiße Spitzentanga bei den Knöcheln angekommen war, zog ich die Beine an. »Komm in mich rein, Massimo.« Ich verschränkte die Hände hinter meinem Kopf und spreizte die Beine.
Massimo saß nur da und sah mich an. Über sein Gesicht flackerte ein Lächeln. Er beugte sich über mich und küsste mich leicht auf den Mund, dann deckte er meinen nackten Körper mit der Bettdecke zu.
»Ich hab dir gesagt, dass es keine gute Idee ist zu trinken. Gute Nacht.«
Seine Reaktion machte mich wütend. Ich holte noch einmal aus, um ihn zu ohrfeigen, aber entweder war ich zu langsam, oder er zu schnell, jedenfalls packte er mein Handgelenk und kettete es mit den Handschellen, die ich schon von Veronicas Auftritt kannte, an den Bettpfosten. Wieder lag ich zwischen die zwei Pfosten gebunden da und zappelte wie ein Fisch an der Angel
.
»Binde mich los!«, wütete ich.
»Gute Nacht«, sagte er, machte das Licht aus und verließ den Raum.
Die Augustsonne, die ins Zimmer fiel, weckte mich. Ich hatte Kopfschmerzen, aber das war nicht das größte Problem. Ich spürte meine Hände nicht. Ich war drauf und dran, in Panik zu verfallen, da sah ich meine angeketteten Handgelenke. Ich zog daran, und das Schaben von Metall auf Holz zerriss mir das Hirn. Ich stöhnte leise und sah mich im Zimmer um. Ich war allein. Fiebrig versuchte ich, mich zu erinnern, was gestern passiert war, aber das Einzige, das ich noch wusste, war mein Auftritt an der Stange. Ich stöhnte auf bei dem Gedanken an das, was nach unserer Rückkehr passiert sein musste. Sicher hatte sich Massimo genommen, was er wollte, und jetzt hatte ich diesen Kater und diese Schuldgefühle. Nachdem ich mich ein paar Minuten selbst bemitleidet hatte, schaltete ich auf logisches Denken um. Ich kratzte mit den Fingernägeln an dem Schloss, aber wer auch immer die Handschellen konstruiert hatte, wusste, was er tat: Selbst befreien konnte ich mich nicht.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, schrie ich, doch dann klopfte es an der Tür. Als ich Domenico erblickte, war ich unendlich erfreut. Eine ganze Weile sah er mich belustigt an. Ich senkte den Kopf, um festzustellen, ob nicht zufällig eine Brust herausschaute, aber ich war züchtig zugedeckt.
»Kannst du mir mal helfen, anstatt zu lachen?«, knurrte ich.
Domenico kam zu mir und machte meine Hände los
.
»Ich sehe, der Abend war erfolgreich«, meinte er und hob amüsiert die Augenbrauen.
»Blödsinn.« Ich zog mir die Decke über den Kopf und wollte nur noch sterben.
Dann ließ ich meine Hände unter der Decke umherwandern und bemerkte, dass ich nackt war.
»Nein«, wimmerte ich.
»Massimo ist weggefahren, er hat zu arbeiten, also musst du dich mit mir begnügen. Ich warte im Salon, wir frühstücken zusammen.«
Nach einer halben Stunde, einer Dusche und einer Packung Paracetamol saß ich am Tisch und nahm einen Schluck Tee mit Milch.
»Hast du Spaß gehabt gestern?«, fragte Domenico und legte die Zeitung weg.
»Soweit ich mich erinnere, nur mittelprächtig, und später, nach dem zu urteilen, wie du mich vorgefunden hast, sicher mehr, aber das weiß ich zum Glück nicht mehr.«
Domenico brach in Gelächter aus und verschluckte sich fast an seinem Croissant.
»Woran erinnerst du dich denn?«
»Ich habe an der Stange getanzt, und ab da ist mein Hirn ein Schwarzes Loch.«
Er nickte. »An das Tanzen erinnere ich mich auch – du bist sehr beweglich.« Er grinste breit.
»Erschieß mich bitte, ich flehe dich an«, sagte ich und legte meine Stirn auf die Tischplatte. »Oder sag mir, was dann war.«
Domenico hob eine Braue und trank seinen Espresso.
»Don Massimo hat dich ins Zimmer gebracht und …
«
»Hat es gemacht«, vollendete ich für ihn.
»Das bezweifle ich, aber ich war ja nicht dabei. Ich habe ihn gesehen, als wir angekommen sind, und später habe ich gesehen, wie er herausgekommen ist und sich in einem anderen Schlafzimmer hingelegt hat. Ich kenne ihn schon ein Weilchen, und er sah nicht so aus, als ob …«, er suchte nach dem passenden Wort. »… er befriedigt wäre, und das wäre er nach einer Nacht mit dir ja sicher.«
»Mein Gott, Domenico, warum quälst du mich so? Du weißt doch, was passiert ist, kannst du es mir nicht einfach sagen?«
»Kann ich schon, aber dann macht es weniger Spaß.« Mein Gesichtsausdruck verriet ihm wohl, dass mir heute nicht zum Scherzen zumute war. »Okay, okay, du hast zu viel getrunken und ein bisschen Ärger gemacht, also hat er dich ans Bett gebunden und ist schlafen gegangen.«
Ich atmete erleichtert auf, überlegte aber gleichzeitig, was wirklich passiert war.
»Hör auf, dich zu sorgen, und iss. Wir haben einen straffen Zeitplan.«
Wir waren nur drei Tage in Rom, und in diesen drei Tagen sah ich Massimo überhaupt nicht. Nach der unglücklichen Nacht im Club war er einfach verschwunden, und Domenico schwieg sich aus.
Ich verbrachte die drei Tage mit Domenico, er zeigte mir die Ewige Stadt. Er aß mit mir, kaufte mit mir ein, ging mit mir ins Spa. Ich überlegte, ob unsere ganze Reise so aussehen würde.
Als wir am zweiten Tag in einem zauberhaften Restaurant
mit Blick auf die Spanische Treppe unseren Lunch nahmen, fragte ich ihn: »Darf ich irgendwann wieder arbeiten? Ich kann nicht nur auf ihn warten und nichts tun.«
Domenico schwieg lange, bevor er antwortete. »Ich kann mich nicht zu Don Massimo äußern, zu dem, was er will, macht oder denkt. Frag mich bitte nicht nach diesen Sachen, Laura. Du weißt doch, wie er ist. Je weniger du fragst, desto besser ist es für dich.«
»Verdammt nochmal, ich habe das Recht zu wissen, was er macht, warum er nicht anruft und ob er überhaupt noch lebt«, knurrte ich und schmiss das Besteck auf den Teller.
»Er lebt«, antwortete Domenico schroff.
Doch das beantwortete nur eine meiner Fragen.
Mürrisch aß ich weiter. Einerseits gefiel mir das Leben, das ich seit einiger Zeit führte, und andererseits war ich nicht die Frau, die nur für einen Mann lebte. Und schon gar nicht für einen Mann wie Massimo.
Am dritten Tag beim Frühstück klingelte Domenicos Handy, und er entschuldigte sich und stand auf. Er telefonierte lange, dann kam er zurück.
»Laura, du verlässt heute Rom.«
Ich sah ihn verwundert an. »Wir sind doch gerade erst angekommen.«
Domenico lächelte entschuldigend und ging zu meinem Umkleidezimmer. Ich trank meinen Tee aus und folgte ihm.
Ich machte mir einen Pferdeschwanz und tuschte die Wimpern. Meine Haut wurde immer brauner, deshalb benötigte ich immer weniger Make-up. Draußen war es jeden Tag um die dreißig Grad heiß. Weil ich nicht wusste, wohin es gehen
sollte, zog ich dunkelblaue Jeansshorts an und ein knappes weißes Top, das kaum meinen bescheidenen Busen bedeckte. Die heutige Kleidung betrachtete ich als Statement – ich zog keine Unterwäsche an. Ich werde nicht elegant sein, dachte ich und schlüpfte in meine sportlichen Schuhe mit Keilabsatz von Isabel Marant. Als ich die Sonnenbrille aufsetzte und die Handtasche nahm, kam Domenico um die Ecke. Er blieb wie angewurzelt stehen und taxierte mich.
»Bist du sicher, dass du so fahren willst?«, fragte er peinlich berührt. »Don Massimo wird nicht zufrieden sein, wenn er dich so sieht.«
Ich wandte mich nonchalant um, schob meine Brille auf die Nasenspitze und warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
»Weißt du, wie scheißegal mir das nach drei Tagen seiner Abwesenheit ist?« Ich wandte mich ab und ging zum Fahrstuhl.
Meine absurd teure Uhr sagte mir, dass es elf war, als ich ins Auto stieg.
»Fährst du nicht mit?«, fragte ich und schob trotzig die Unterlippe vor.
»Ich kann nicht, aber Claudio wird sich während der Fahrt um dich kümmern.« Er schlug die Tür zu, der Wagen fuhr los. Ich war allein und traurig. War es möglich, dass ich Massimo vermisste?
Claudio, mein Fahrer und heutiger Bewacher, war nicht besonders gesprächig.
Ich nahm mein Handy heraus und rief meine Mutter an. Sie war beruhigt, aber nur mäßig begeistert, als ich ihr sagte, dass ich diese Woche nicht zu ihr kommen würde
.
Als ich das ziemlich lange Telefonat beendete, fuhr der Wagen gerade von der Autobahn ab, und kurz darauf erreichten wir die Ortschaft Fiumicino. Claudio lenkte den großen SUV
gekonnt durch die engen Gassen. Dann hielt er, und vor meinen Augen lag ein Hafen mit eleganten, schnittigen Yachten.
Ein älterer Herr in Weiß öffnete mir die Tür. Ich sah den Fahrer fragend an, der nickte mir zu und erlaubte mir damit auszusteigen.
»Willkommen in Porto di Fiumicino, Signorina Laura. Ich bin Fabio und werde Sie auf das Schiff bringen. Bitte sehr.« Er wies mir mit der Hand den Weg.
Als wir nach einigen Schritten anhielten, um an Deck zu gehen, hob ich den Kopf und blieb wie angewurzelt stehen. Ich erblickte die Titan
. Das Schiff war größtenteils schneeweiß, die dunkel verglasten Fenster blickten mir kalt entgegen.
»Die Yacht ist neunzig Meter lang. Es gibt zwanzig Kajüten für Gäste, einen Jacuzzi, ein Kino, ein Spa, ein Fitnessstudio und natürlich ein großes Schwimmbecken und einen Hubschrauberlandeplatz.«
»Das ist ja recht bescheiden«, sagte ich mit vor Staunen offenem Mund. Als wir das erste von sechs Decks betraten, erblickte ich einen großen Salon, der nur teilweise überdacht war und einen gläsernen Fußboden hatte. Der Salon war spärlich eingerichtet und wirkte steril. Fast alle Möbel waren weiß und mit Stahl abgesetzt. Dahinter lag ein Speiseraum, außerdem die Treppe zum Jacuzzi vorn im Bug. Auf den Tischen standen Vasen mit weißen Rosen, aber meine
Aufmerksamkeit wurde von einem Tisch gefesselt, auf dem keine Blumen standen. Stattdessen war ein großer Behälter mit Eis dort platziert, darin einige Flaschen Moët Rosé.
Bevor ich das Deck fertig inspiziert hatte, erschien Fabio mit einem gefüllten Glas. Dachten die alle, ich sei Alkoholikerin, und mein einziger Zeitvertreib sei Trinken?
»Was würden Sie gerne machen, bevor wir abfahren? Das Schiff besichtigen? Sich ein wenig sonnen oder lieber den Lunch nehmen?«
»Ich wäre gerne ein bisschen allein, wenn das möglich ist.« Ich legte die Handtasche ab und ging nach vorne zum Bug. Fabio nickte und verschwand. Ich sah aufs Meer, trank ein Glas, dann ein zweites und drittes, bis die Flasche leer war. Der Kater, der mich noch immer quälte, wurde schwächer, weil ich schon wieder betrunken war.
Die Titan
verließ den Hafen. Als die Küste am Horizont verschwand, dachte ich daran, wie schön mein Leben wäre, wenn ich Sizilien nie gesehen hätte. Wenn ich Massimo nie getroffen hätte und er mich nie in seinen Visionen erblickt hätte. Ich könnte weiterhin ruhig leben, in meiner normalen Welt und nicht gefangen in einem goldenen Käfig.
»Was hast du da an, verdammt nochmal!«, hörte ich eine vertraute Stimme. »Du siehst aus wie …«
Ich drehte mich um und stieß fast mit Massimo zusammen, der plötzlich wie aus dem Boden gestampft hinter mir stand, wie damals, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Ich war schon ziemlich beschwipst, deshalb wandte ich mich wortlos ab und ließ mich auf ein Sofa fallen.
»Ich sehe aus, wie ich will, und das war’s«, lallte ich. »Du
hast mich allein gelassen, ohne ein Wort, und behandelst mich wie eine Puppe, mit der du spielst, wenn du gerade Lust hast. Heute hat die Puppe aber Lust, allein zu spielen.« Ich stand ungeschickt auf, nahm mir eine weitere Flasche und ging schwankend Richtung Heck. Die Schuhe mit dem Keilabsatz machten mir das nicht gerade leicht, ich wusste, wie jämmerlich ich aussah, und zog sie frustriert aus.
Massimo kam mir hinterher und rief etwas, aber seine Stimme drang nicht durch das Rauschen in meinem Kopf durch. Ich kannte das Schiff nicht, aber notgedrungen floh ich die Treppe hinunter und … das war das Letzte, woran ich mich erinnerte.