KAPITEL 13
Am nächsten Morgen ging es mir besser als erwartet. Wir standen spät auf und ließen uns Zeit. Nach einem ausgiebigen Frühstück durchwühlten wir die Schränke und unsere gestrigen Einkäufe auf der Suche nach dem besten Outfit für den kommenden Abend. Vor dem Spiegel stehend, sagte ich mir immer wieder, dass ich mein Leben weiterleben musste, dass ich ganz von vorn beginnen und die Wochen, die ich in Italien verbracht hatte, am besten einfach vergessen sollte.
»Weißt du was, Olga? Ich will irgendwas richtig Verrücktes machen«, sagte ich, als wir um drei Uhr nachmittags losfuhren zum Spa. »Haben wir heute eigentlich auch einen Termin beim Friseur?«
Entgeistert schaute Olga mich an und erwiderte dann lachend: »Natürlich! Oder meinst du vielleicht, ich schneide mir selber die Haare?«
Unsere Spa-Besuche waren ein Ritual mit Tradition: Erst Peeling und Massage, dann eine Gesichtsbehandlung, der obligatorische Friseurbesuch und am Ende zur Visagistin. Als ich in einem schwarzen Umhang auf dem Friseurstuhl saß, strich meine Friseurin Magda mir prüfend über die Haare .
»Und was soll ich jetzt machen, Laura?«
»Blond.« Olga neben mir fiel fast vom Stuhl. »Und dazu ein Bob, hinten kürzer und vorne länger.«
»Was?« Olga quietschte so laut, dass sich alle anderen Frauen im Raum zu uns umdrehten. »Hast du den Verstand verloren, Laura? Ich glaube, ich muss dich für unzurechnungsfähig erklären lassen.«
Magda lachte, dann wandte sie sich wieder meinen Haaren zu. »Kaputt sind die nicht, die überstehen auch eine Blondierung. Aber bist du sicher?«
Ich nickte entschlossen. Olga sank in ihrem Stuhl zusammen und kam aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus.
»Fertig!« Nach über zwei Stunden betrachtete Magda zufrieden die Früchte ihrer Arbeit im Spiegel.
Die Wirkung war phänomenal. Das Weißblond passte wunderbar zu meiner sonnengebräunten Haut und meinen schwarzen Augen. Ich sah jung, frisch und sexy aus. Mit weit aufgerissenen Augen stand Olga hinter mir, schließlich zog sie eine Augenbraue hoch.
»Nun gut, ich hatte unrecht, du siehst umwerfend aus. Und jetzt komm, wir wollen endlich feiern gehen.« Sie fasste mich an der Hand, und wir liefen zum Auto.
Zu Hause parkte ich, dann fuhren wir mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um.
»Komisch, mir war, als hätte ich nur einmal abgeschlossen«, sagte ich kopfschüttelnd. Nachdem wir unsere bequemen Jogginganzüge gegen partytaugliche Kleider getauscht und gemeinsam eine Flasche Wein geleert hatten, waren wir zu allen Schandtaten bereit.
Zur Feier des Tages hatte ich mich für sinnliches Rot entschieden. Das eng anliegende ärmellose Kleid mit breiten Trägern ließ den ganzen Rücken frei, dazu trug ich schwarze Plateau-Stilettos mit runder Spitze und eine zarte schwarze Handtasche. Olga setzte wie gewohnt auf den Reiz ihrer Rundungen. In einem extrem kurzen langärmligen Schlauchkleid mit Rollkragen und Drachenmuster kamen ihr Busen und ihre Hüften perfekt zur Geltung. Die Hochfrontpumps und die schwarze Krokoleder-Clutch bildeten dazu einen fabelhaften Kontrast.
»Diese Nacht gehört uns!«, rief Olga euphorisch. »Aber pass auf mich auf, ich würde nämlich gerne mit dir zusammen nach Hause gehen.«
Ich lachte und schob sie sanft durch die Tür.
Ein unbestrittener Pluspunkt an Olgas Lebensstil waren ihre Kontakte. In jedem Club kannte sie mindestens einen der Türsteher, meistens auch den Manager oder den Inhaber.
Wir stiegen ins Taxi und fuhren zu unserer Lieblingsbar im Zentrum. Ins Ritual gingen wir regelmäßig, um zu essen, zu trinken und Typen aufzureißen. Letzteres war allerdings eher Olgas Lieblingsbeschäftigung.
Vor dem Eingang zum Club standen bestimmt an die hundert Menschen, aber Olga ging vollkommen unbeeindruckt an der Schlange vorbei und begrüßte den Türsteher mit einem Küsschen auf jede Wange.
Er öffnete das Absperrband, und Nikola, die Eigentümerin des Ritual, hieß uns willkommen und legte VIP -Armbändchen um unsere Handgelenke.
»Du siehst wie immer aus wie das blühende Leben«, schwärmte Olga, aber Nikola winkte nur ab.
»Das sagst du jedes Mal!« Sie schüttelte lachend den Kopf. »Und heute kommst du nicht drum herum, einen mit mir zu trinken.« Nikola nickte uns zu, ihr zu folgen, und führte uns die Treppe hinunter zu unserem Tisch. Dann gab sie der Kellnerin ein paar Anweisungen, winkte uns nochmal zu und verschwand.
»Heute zahle ich!«, schrie ich Olga über die Musik hinweg zu und zog die Kreditkarte, die ich von Domenico bekommen hatte, aus der Handtasche.
Es war höchste Zeit, sie endlich zu benutzen. Das wollte ich aber nur ein einziges Mal tun, und es gab nur eine einzige Sache, die ich damit kaufen wollte.
Ich gab meine Bestellung auf, und kurz darauf brachte die Kellnerin eine Flasche Moët Rosé in einem Kühler voller Eiswürfel an unseren Tisch. Bei diesem Anblick hielt es Olga nicht auf ihrem Stuhl.
»Nobel, nobel!«, sagte sie begeistert und griff nach ihrem Glas. »Worauf trinken wir?«
»Auf uns«, sagte ich und nahm einen ersten Schluck.
Aber ich trank weder auf mich noch auf Olga, sondern auf Massimo und die 365 Tage, die ich nicht mit ihm erlebt hatte. Immer noch spürte ich eine tiefe Trauer, aber auch Gelassenheit, als hätte ich mich schon ein wenig mit der Situation abgefunden. Wir leerten die halbe Flasche, dann zog es uns auf die Tanzfläche. Wir ließen uns von der Musik mitreißen, alberten herum und hatten wahnsinnig viel Spaß. Allerdings waren meine wunderbaren Stilettos nur bedingt tanztauglich, und nach einer Stunde brauchte ich dringend eine Pause. Als ich gerade auf dem Weg zu unserem Tisch war, griff plötzlich jemand nach meiner Hand.
»Hey!«, sagte ich, drehte mich um und stand Martin gegenüber. Sofort entriss ich ihm meine Hand und musterte ihn von oben bis unten.
»Wo warst du denn die ganze Zeit?«, fragte er. »Können wir reden?«
Ich musste an die Fotos denken, die Massimo mir gezeigt hatte. Damals hatte ich Martin in Stücke reißen wollen, aber inzwischen hatte sich der Aufruhr in meinem Innern gelegt, und Martin war mir vollkommen gleichgültig.
»Ich habe dir nichts zu sagen«, entgegnete ich, ließ ihn stehen und ging weiter.
Aber so leicht ließ sich Martin nicht abschütteln, im nächsten Augenblick war er wieder an meiner Seite.
»Laura, bitte. Gib mir nur einen Moment.«
Ich setzte mich an unserem Tisch auf das Sofa, trank einen Schluck Champagner und schaute ihn emotionslos an. »Du kannst mir nichts erzählen, was ich nicht schon weiß oder gesehen habe.«
»Ich habe mit Michał gesprochen. Lass es mich doch wenigstens erklären, danach bin ich weg, versprochen.«
Der Hass und der Ekel, die ich beim Anblick der Aufnahmen gespürt hatte, waren nicht verflogen, aber Martin hatte zumindest die Gelegenheit verdient, mir seine Version der Geschichte zu erzählen .
»Gut, aber nicht hier. Warte kurz.«
Ich ging zu Olga und erklärte ihr die Lage. Sie war weder verwundert noch verärgert, sie hatte in der Zwischenzeit ohnehin einen würdigen Ersatz für mich in Gestalt eines gut aussehend blonden Mannes gefunden.
»Geh nur!«, rief sie mir zu. »Und warte nicht auf mich, ich komme heute eher nicht nach Hause.«
Ich kehrte zu Martin zurück und gab ihm durch ein Nicken zu verstehen, dass wir gehen konnten.
Auf der Straße führte Martin mich Richtung Parkplatz und öffnete die Beifahrertür seines weißen Jaguar XKR .
»Wie ich sehe, bist du nicht hergekommen, um zu feiern«, sagte ich und stieg ein.
»Ich bin hergekommen, um dich zu sehen«, erwiderte Martin und schloss die Tür hinter mir.
Wir fuhren durch das nächtliche Warschau; ich kannte den Weg von früher, es war der Weg zu Martins Wohnung.
»Laura, diese neue Frisur steht dir wunderbar«, Martin schaute mich von der Seite an.
Ich ging nicht darauf ein, sondern schaute weiter aus dem Fenster. Was Martin dachte oder fand, war mir vollkommen egal.
Martin parkte den Wagen in der Tiefgarage, und wir stiegen die Treppe hinauf. Vor der Wohnungstür wurde mir plötzlich mulmig. Selbst diese Wohnung ließ mich an Massimo denken, dabei war er nie in Warschau gewesen und hatte sie nie gesehen.
»Willst du was trinken?«, fragte Martin und öffnete den Kühlschrank .
Ich setzte mich aufs Sofa und fühlte mich fehl am Platz. Ich wurde das Gefühl nicht los, in diesem Moment gegen Massimos Willen zu handeln, verstieß ich doch gegen das Kontaktverbot, das er ausgesprochen hatte. Hätte Massimo mich jetzt sehen können, wüsste er, wo ich gerade war, er hätte Martin getötet.
»Wasser ist vermutlich am besten«, entschied Martin und stellte ein Glas vor mir ab. »Ich erzähle dir alles, und dann kannst du damit machen, was du willst.«
Ich setzte mich aufrecht hin und wedelte genervt mit der Hand, er solle endlich anfangen.
»Als du weggelaufen bist, am Pool, fing ich an nachzudenken. Mir wurde klar, wie schlecht ich dich behandelt habe. Ich bin dir noch nachgelaufen, aber an der Rezeption hat mich ein Angestellter vom Service aufgehalten, ich müsste sofort mit ihm aufs Zimmer gehen, es gäbe da einen Vorfall. Es war dann aber nur ein Fehler im System, im Zimmer war alles in Ordnung. Ich habe den ganzen Ort nach dir abgesucht, bis es dunkel wurde, aber du bliebst verschwunden. Ich dachte, du wärst bestimmt ganz in der Nähe, bräuchtest nur eine Auszeit. Als ich ins Hotel zurückkam, habe ich deinen Brief gefunden. Du hattest recht, ich hab’s einfach total verkackt.« Martin hob den Blick und schaute mir tief in die Augen. »Und dann wollte ich mich nur noch besaufen. Ich habe mir mit Michał die Kante gegeben und hatte einen totalen Blackout. Ob du mir glaubst oder nicht, ich kann mich an nichts mehr erinnern. Am nächsten Tag hat mir Karolina erzählt, was passiert ist.« Martin seufzte und senkte den Kopf. »Und als ich dachte, dass es jetzt wirklich nicht mehr schlimmer kommen kann, teilte uns die Hotelleitung mit, wir müssten sofort abreisen, unsere Kreditkarten wären nicht gedeckt. Also flogen wir zurück nach Warschau. Dieser ganze Urlaub war einfach wie verhext, als wäre alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte.«
Schwer atmend vergrub ich das Gesicht in den Händen. Was Martin gesagt hatte, klang zwar zunächst wenig glaubwürdig. Wenn man aber in Betracht zog, dass Massimo seine Finger im Spiel gehabt hatte, musste man davon ausgehen, dass Martins Bericht mehr oder weniger der Wahrheit entsprach. Ich wusste nicht einmal, auf wen ich wütender war: auf Massimo, der dieses abgekartete Spiel angezettelt hatte, oder auf Martin, der blind in die Falle gelaufen war.
»Aber das ändert nichts«, sagte ich schließlich. »Du hast mit einer anderen Frau geschlafen, ob du dich nun daran erinnern kannst oder nicht. Und außerdem – du und ich, wir leben in zwei verschiedenen Welten. Und in deiner ist doch überhaupt gar kein Platz für eine Frau.«
Martin rutschte vom Sofa und kniete vor mir nieder.
»Du hast ja recht. Ja, so war ich, aber ich habe mich geändert. Laura, mir ist mittlerweile klar geworden, dass ich … Ich liebe dich sehr, wirklich! Und ich will dich nicht verlieren. Ich werde alles tun, um dir zu beweisen, dass ich ein anderer Mensch geworden bin.«
Benommen schaute ich ihn an. Mein Magen rebellierte, und der Champagner stieg mir die Kehle hoch.
»Ich glaub, ich kotz gleich«, schaffte ich gerade noch zu sagen, sprang vom Sofa auf und rannte ins Bad.
Ich übergab mich, bis mein Magen vollkommen leer war. Aus dem Badezimmer kommend, griff ich nach meinen im Flur liegenden Stilettos.
»Ich fahre nach Hause«, presste ich durch die Zähne hervor, während ich in die Pumps schlüpfte.
»Du fährst nirgendwohin, in diesem Zustand lass ich dich nicht vor die Tür«, erwiderte Martin und nahm mir meine Handtasche ab.
»Martin, bitte!«, rief ich ungeduldig. »Ich will nach Hause, sofort!«
»Gut, aber ich fahre dich.« Ohne meine Antwort abzuwarten, griff Martin nach den Autoschlüsseln.
Im Auto schaute Martin mich fragend an. Natürlich, er kannte ja meine neue Adresse noch gar nicht.
»Dort vorne rechts«, mit einer Handbewegung dirigierte ich ihn in die richtige Spur. »An der nächsten Kreuzung links und dann geradeaus.«
Nach zehn Minuten hielten wir vor meinem Haus.
»Danke«, sagte ich und wollte aussteigen, aber die Tür blieb verschlossen.
»Ich bring dich noch nach oben, ich will sicher sein, dass du gut angekommen bist.«
Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in den vierten Stock.
»Hier ist es«, sagte ich vor meiner Wohnungstür und steckte den Schlüssel ins Schloss. »Danke fürs Herfahren. Ich komme zurecht.«
Ich wollte jetzt um jeden Preis allein sein. Aber Martin blieb stur. Als ich die Tür öffnete, versuchte er, sich hinter mir in die Wohnung zu drängen.
»Was soll das, Martin? Ich hab dir gesagt, ich will dich nicht mehr sehen, kapier das doch endlich!«, schimpfte ich. »Du bist losgeworden, was du mir sagen wolltest, und ich habe dir zugehört. Und jetzt ist Schluss!«
»Aber du fehlst mir, Laura. Lass mich rein!« Martin gab sich noch immer nicht geschlagen.
Ich versuchte, die Tür von innen zuzudrücken, doch er war stärker als ich. Schließlich gab ich auf, ließ die Tür los und schaltete das Licht ein.
»Wenn du in fünf Sekunden nicht von der Bildfläche verschwunden bist, hole ich den Wachschutz!«, brüllte ich.
Ohne die Wohnung zu betreten, blieb Martin im Türrahmen stehen und schaute starr auf etwas hinter mir. Ich folgte seinem Blick, und als ich mich umdrehte, blieb mir fast das Herz stehen. Langsam erhob sich Massimo von der Couch und kam gemessenen Schrittes zur Tür.
»Ich verstehe zwar nicht, worum es gerade geht, aber offensichtlich will sie, dass Sie verschwinden«, sagte er auf Englisch. »Muss ich Ihnen das nochmal erklären?« Nur wenige Zentimeter vor Martin blieb Massimo stehen. »Oder haben Sie es jetzt verstanden?«
Ohne den Blick von Massimo zu wenden, erwiderte Martin tonlos: »Mach’s gut, Laura. Wir sehen uns.« Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zum Fahrstuhl.
Massimo schloss die Tür hinter Martin und drehte sich zu mir um. Ich konnte nicht glauben, dass das alles wirklich passierte. Er war hier, er lebte, es ging ihm gut! Angst, Entsetzen und Wut mischten sich mit Erleichterung und Freude. Mehrere Minuten standen wir einander gegenüber und schauten uns schweigend an. Schließlich wurde die Spannung unerträglich .
»Wo bist du gewesen?«, schrie ich und schlug ihm ins Gesicht. Tränen liefen mir über die Wangen. »Ist dir eigentlich klar, was ich durchgemacht habe, du mieser Egoist? Wie konntest du nur? Wie konntest du mir das antun? Mich einfach so zurücklassen? Himmel! Ich dachte, du wärst tot.« Erschöpft rutschte ich an der Wand hinunter auf den Fußboden.
»Du siehst toll aus, Baby!« Massimo versuchte, mich zu umarmen. »Und deine Haare …«
»Rühr mich nicht an!«, keifte ich. »Du wirst mich nie wieder anfassen, wenn du mir nicht augenblicklich erklärst, was passiert ist.«
Meine Stimme war mindestens drei Tonlagen zu hoch. Massimo richtete sich auf. Er war noch schöner, als ich ihn in Erinnerung hatte. Die dunkle Hose und das dunkle langärmlige Hemd betonten seine muskulöse Silhouette. Er sah einfach unverschämt gut aus, und obwohl ich wahnsinnig wütend auf ihn war, fand ich ihn wahnsinnig attraktiv. Und jetzt lauerte er wie ein Raubtier, das im nächsten Moment angreifen würde.
Ich täuschte mich nicht. Massimo beugte sich vor, ergriff mich bei den Armen und stellte mich auf die Füße, dann hob er mich hoch und warf mich über seine Schulter, so dass mein Kopf an seinem Rücken nach unten hing.
Widerstand war zwecklos, das wusste ich inzwischen und wehrte mich nicht, sondern wartete ab, was weiter passieren würde. Massimo trug mich ins Schlafzimmer, warf mich aufs Bett und legte sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf mich, so dass ich mich nicht bewegen konnte .
»Ich hatte dir jeden Kontakt mit Martin verboten, aber du hast ihn trotzdem getroffen. Du weißt, dass ich ihn töten werde, wenn es sein muss, damit du ihn nicht mehr siehst, richtig?«
Wenn ich einmal anfinge zu reden, würde ich so schnell nicht aufhören können, ihn mit Vorwürfen und Beschimpfungen zu überschütten, also schwieg ich. Es war spät, ich war müde und hungrig und mit der ganzen Situation vollkommen überfordert.
»Laura, ich rede mit dir.«
»Aber ich will jetzt nicht mit dir reden«, antwortete ich leise.
»Umso besser! Das Letzte, worauf ich jetzt Lust habe, sind komplizierte Gespräche«, stellte Massimo fest und schob seine Zunge mit brutaler Gewalt zwischen meine Lippen.
Ich wollte ihn fortstoßen, aber sobald ich ihn fühlte, ihn roch und schmeckte, zogen vor meinem inneren Auge all die endlosen Tage ohne ihn vorbei. An die Leere und die Trauer in mir konnte ich mich noch genau erinnern.
»Sechzehn«, flüsterte ich zwischen zwei Küssen.
Massimo hob den Kopf und schaute mich fragend an.
»Sechzehn«, wiederholte ich. »So viele Tage schuldest du mir, Don Massimo.«
Er lächelte und zog mit einer einzigen Bewegung sein schwarzes Hemd aus. Im gedämpften Licht aus dem Wohnzimmer sah ich auf seinem Oberkörper frische Wunden, manche noch mit Mullverbänden.
»Herrgott, Massimo!« Ich richtete mich auf und stützte mich auf die Ellenbogen. »Was ist passiert? «
Vorsichtig und zärtlich berührte ich seinen Körper, als könnte ich seine Wunden mit meinen Händen heilen.
»Ich erzähle dir alles, versprochen, aber nicht heute, okay? Ich will, dass du ausgeschlafen, satt und vor allem nüchtern bist. Laura, du bist viel zu dünn«, seine Hände fuhren über meine Rippenbögen. »Außerdem habe ich den Eindruck, dass diese Klamotten ziemlich unbequem sind«, fuhr er fort. Er stand auf und schob mir langsam die Träger des Kleides von den Schultern, zog es mir über die Hüften und die Beine und ließ es auf den Fußboden fallen. Nur mit Spitzenunterwäsche bekleidet lag ich vor ihm. Er betrachtete mich, während er den Gürtel seiner Hose löste, und ich musste an die drastische Szene bei unserem ersten gemeinsamen Flug denken.
»Diese Unterwäsche kenne ich gar nicht«, bemerkte Massimo und streifte Hose und Boxershorts gleichzeitig ab. »Und sie gefällt mir nicht, ich finde, du solltest sie ausziehen.«
Zum ersten Mal sah ich seinen wunderbaren Penis, wenn er nicht hart war. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, löste ich den Verschluss des BH s und streifte mein Höschen ab. Während ich meine Unterwäsche auszog, richtete sich sein dicker, schwerer Schwanz nach und nach auf, und alles, woran ich denken konnte, war, ihn in mir zu spüren.
Nackt lag ich auf dem Bett und hob die Arme als Zeichen meiner Unterwerfung über den Kopf.
»Komm zu mir«, sagte ich und spreizte die Beine.
Massimo ergriff meinen Fuß und hob ihn an seinen Mund, nacheinander küsste er alle meine Zehen und ließ sich dabei auf die Matratze sinken. Langsam wanderte seine Zunge die Innenseite meiner Schenkel hinauf. Bei meinem Schoß angekommen, hob er den Blick und schaute mich an, seine Augen waren von Verlangen verschleiert. Das würde keine romantische Nacht werden, das sah ich sofort.
»Du gehörst mir«, stöhnte er und versenkte seine Zunge in mir.
Gierig leckte er die empfindlichsten Stellen meines Körpers. Ich wand mich unter ihm, ich würde nicht lange brauchen, bis ich kam.
»Nicht so«, sagte ich und griff nach seinem Kopf. »Komm zu mir, ich will dich in mir spüren.«
Ohne eine Sekunde zu zögern, kam Massimo meiner Aufforderung nach. Tief und brutal drang er in mich ein und trieb unsere Körper in einen wilden Galopp. Mein Herz raste, Massimo schlang seine Arme fest um meinen Leib, stieß wieder und wieder in mich und küsste mich, dass mir der Atem verging. Plötzlich durchlief eine Welle der Wonne meinen Körper, ich schlug meine Fingernägel in seinen Rücken und zog sie bis zu seinem Hintern hinunter. Im nächsten Moment ergoss sich sein heißer Saft in mich. Wir kamen nahezu gleichzeitig. Unkontrolliert liefen mir die Tränen über die Wangen, eine unbeschreibliche Erleichterung machte sich in mir breit. Das alles passiert wirklich, sagte ich mir wieder und wieder und verbarg mein Gesicht an seiner Schulter.
»Kleines, was ist los?«, fragte Massimo und zog sich behutsam aus mir zurück.
Aber ich wollte nicht reden, nicht jetzt. Ich wollte nur, dass er mich festhielt. Er strich mir über die Haare und küsste mir sanft die Tränen von den Wangen, bis ich einschlief .
Am nächsten Morgen weckten mich die Sonnenstrahlen, die durch die Jalousie hereinfielen. Mit halb geschlossenen Lidern streckte ich die Hand aus und fuhr suchend über die andere Betthälfte, bis ich Massimo ertastete. Ich öffnete die Augen und schrie entsetzt auf. Das Laken war blutbeschmiert, und Massimo rührte sich nicht.
»Massimo!«, rief ich. »Massimo!« Ich drehte ihn auf den Rücken und rüttelte ihn, und er öffnete verschlafen die Augen. Erleichtert ließ ich mich auf die Matratze fallen. Massimo schaute sich um und strich mit der Hand über seine blutbeschmierte Brust.
»Alles gut, Kleines, die Nähte sind aufgegangen«, sagte er dann mit einem Lächeln und richtete sich auf. »In der Nacht habe ich das nicht bemerkt. Aber wir sollten duschen, wir sehen ja aus wie nach einem Schlachtfest.« Grinsend fuhr er sich mit der sauberen Hand durch die Haare.
»Das ist nicht lustig«, entgegnete ich nur und ging mit zitternden Knien ins Bad.
Es dauerte nicht lange, bis Massimo mir folgte. Diesmal wusch ich ihn. Vorsichtig löste ich die blutgetränkten Pflaster von seiner Brust, dann holte ich den Verbandskasten aus dem Badezimmerschrank und versorgte seine Wunden.
»Wir müssen zum Arzt«, erklärte ich entschieden.
Massimo warf mir einen betont unterwürfigen Blick zu. »Aber nur unter einer Bedingung: Erst musst du frühstücken. Deine Fastenzeit ist seit gestern zu Ende.« Er stieg aus der Wanne und küsste mich auf die Stirn.
Der Blick in den Kühlschrank offenbarte gähnende Leere. In den Fächern lagen nur Wein-, Wasser- und Saftflaschen. Massimo umarmte mich von hinten, legte seinen Kopf auf meine Schulter und betrachtete gemeinsam mit mir das traurige Bild.
»Wie ich sehe, ist das Angebot ziemlich überschaubar.«
»Irgendwie hatte ich die letzten Tage keinen Appetit. Aber unten vorm Haus ist ein Laden, also verhalt dich doch mal wie ein ganz normaler Mensch und geh einkaufen. Ich schreibe dir einen Zettel, und nachher mach ich uns Frühstück«, sagte ich und schloss die Kühlschranktür.
Bei meinen Worten trat Massimo drei Schritte zurück und stützte sich auf den kleinen Küchentisch.
»Einkaufen?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
»Ja, Don Massimo, einkaufen. Butter plus Brötchen plus Schinken plus Eier gleich Frühstück.«
Mit unverhohlener Belustigung verließ Massimo die Küche. »Ja, ja, schreib mir alles auf«, warf er mir über die Schulter zu.
Nachdem ich ihm den Weg zum Laden erklärt hatte, der sich im selben Gebäude vielleicht fünf Meter neben der Haustür befand, schaute ich ihm nach, wie er mit dem Einkaufszettel bewaffnet in den Fahrstuhl stieg.
Zwar würde er länger brauchen als eigentlich nötig, aber trotzdem blieb mir nicht genug Zeit, um mich ordentlich zurechtzumachen. Also rannte ich ins Bad, kämmte mir die Haare, trug ein eiliges »Out of Bed«-Make-up auf, schlüpfte in einen rosa Jogginganzug und drapierte mich aufs Sofa.
Schneller als erwartet stand Massimo wieder in der Wohnung; er hatte nicht geklingelt.
»Seit wann bist du in Polen?«, fragte ich, kaum dass er die Tür geschlossen hatte .
Massimo zögerte und schaute mich an. »Erst essen, dann reden, Laura.« Er stellte die Einkaufstüten auf dem Küchentisch ab und kam zu mir. »Du machst jetzt Frühstück, Kleines, und in der Zeit setze ich mich mal kurz an deinen Computer. Von Kochen habe ich nämlich keine Ahnung.«
Ich stand auf und ging in die Küche. »Hast du ein Glück, dass ich gerne koche, und auch noch ganz vernünftig«, rief ich ihm zu und machte mich an die Arbeit.
Eine halbe Stunde später saßen wir auf dem weichen Teppich im Wohnzimmer über einem amerikanischen Frühstück.
»Also gut, Massimo, jetzt habe ich mich lange genug in Geduld geübt. Sprich!«, befahl ich und legte das Besteck auf meinem Teller ab.
»Frag!«, Massimo schenkte mir seinen eisigsten Blick.
»Wie lange bist du schon in Polen?«, begann ich.
»Seit gestern Morgen.«
»Warst du hier in der Wohnung, als ich nicht da war?«
»Ja, nachdem ihr gestern um drei ins Spa gegangen seid.«
»Woher kennst du den Code für die Schließanlage, und wie viele Schlüssel gibt es?«
»Den Code habe ich selbst festgelegt, das ist mein Geburtsjahr, und Schlüssel für die Wohnung haben nur du und ich.«
1986, er ist also erst zweiunddreißig Jahre alt, schoss mir durch den Kopf, dann konzentrierte ich mich wieder auf das Gespräch, das mich im Moment mehr interessierte als Massimos Alter.
»Wissen deine Leute, dass ich wieder in Warschau bin?«
Massimo lächelte treuherzig und faltete die Hände vor der Brust. »Natürlich. Du glaubst doch nicht etwa, ich lasse dich hier völlig ohne Aufsicht?«
Im Grunde hätte ich die Frage gar nicht stellen müssen, ich kannte die Antwort ja schon. Mein Gefühl, ständig beobachtet zu werden, war also keinesfalls aus der Luft gegriffen gewesen.
»Und gestern? Hast du mir da auch deine Männer hinterhergeschickt?«
»Nein, Laura, gestern bin ich selbst dir den ganzen Tag gefolgt. Ich war fast überall dort, wo du warst, auch bei der Wohnung deines Ex-Freundes, falls du danach gefragt hast. Und ich schwöre dir, als du vor dem Club in sein Auto gestiegen bist, hat nicht viel gefehlt, und ich hätte meine Waffe gezogen.« Sein Blick war ernst und eisig. »Eine Sache müssen wir klarstellen, Kleines: Entweder du brichst endgültig den Kontakt zu diesem Typen ab, oder ich sorge dafür, dass er verschwindet.«
Mit Massimo diskutieren zu wollen, war sinnlos, das wusste ich längst, aber ich hatte nicht umsonst mehrere Schulungen in manipulativen Verhandlungstechniken absolviert – inzwischen wusste ich, wie ich die Sache angehen musste.
»Es wundert mich, dass du in Martin einen Rivalen siehst«, begann ich betont emotionslos. »Denn nach allem, was du auf den Bildern sehen konntest, stellt Martin nun wirklich keine Konkurrenz dar. Eifersucht ist eine Schwäche.« Ich wandte mich Massimo zu und küsste ihn zärtlich. »Ich hätte nicht gedacht, dass du Schwächen hast, dass du unsicher sein kannst.«
Schweigend saß Massimo neben mir und spielte mit seiner Teetasse .
»Du hast recht, Laura«, entgegnete er schließlich. »Rationalen Argumenten werde ich mich nicht verschließen. Was also schlägst du vor?«
»Was ich vorschlage?«, wiederholte ich. »Ich schlage gar nichts vor. Diese Phase meines Lebens betrachte ich als abgeschlossen, und wenn Martin das anders sieht, ist das allein seine Sache. Soll er sich doch weiter quälen, was geht mich das an? Außerdem solltest du wissen, dass ich Verrat genauso wenig verzeihen kann wie du. Und wo wir schon dabei sind, was habt ihr ihm eigentlich an meinem Geburtstag in den Drink gemischt?«
Massimo stellte seine Teetasse ab und schaute mich entgeistert an.
»Hast du etwa gedacht, dass ich nicht dahinterkomme? Hast du mir deshalb verboten, mit ihm zu reden, damit ich die Wahrheit nicht herausfinde?«
»Es waren keine K.-o.-Tropfen, auch kein MDMA , nur ein Mittel, das die Wirkung von Alkohol verstärkt. Er sollte schneller betrunken werden als normalerweise, darum ging es. Ich streite auch gar nicht ab, dass ich meine Finger im Spiel hatte und dafür gesorgt habe, dass er dir nicht sofort gefolgt ist, als du aus dem Hotel gelaufen bist. Natürlich habe ich ihn vorsätzlich aufgehalten. Aber betrogen hat er dich trotzdem, schließlich vögelt nicht jeder unter dem Einfluss dieses Mittels mal eben eine Nachtclub-Tänzerin. Und bitte stell dir ganz kurz die Frage, ob das irgendetwas ändert und ob es dir lieber wäre, die ganze Sache wäre anders gelaufen.«
Massimo erhob sich vom Teppich und setzte sich aufs Sofa .
»Manchmal habe ich den Eindruck, du vergisst, wer ich bin. Vielleicht kann ich für dich ein anderer Mensch werden, aber ganz bestimmt nicht gegenüber der Welt da draußen. Und wenn ich etwas will, dann kriege ich das. Wenn ich dich nicht an deinem Geburtstag entführt hätte, dann eben an einem anderen Tag, das war nur eine Frage des Termins und der Methoden.«
Was er sagte, brachte mich zur Weißglut. Natürlich hatte ich mehr oder weniger gewusst, dass Massimo ohnehin gemacht hätte, was er wollte, aber dass überhaupt nichts von mir abhing, machte mich rasend.
»Willst du wirklich die ganze Vergangenheit wieder hochholen, an der wir beide nichts mehr ändern können?«, fragte Massimo, beugte sich zu mir herunter und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Du hast ja recht«, seufzte ich resigniert. »Und Neapel?«, fügte ich dann hinzu und schloss die Augen bei der Erinnerung an die TV -Nachrichten. »Im Fernsehen wurde berichtet, du wärst tot.«
Massimo schaute mich prüfend an, als fragte er sich, wie viel er mir zumuten könne. Schließlich begann er zu erzählen.
»Ich wollte dir Zeit geben, damit du in Ruhe deine Entscheidung treffen kannst. Also verließ ich das Zimmer und fuhr mit dem Fahrstuhl in die Lobby. Vor dem Hotel sah ich Anna in das Auto ihres Stiefbruders steigen. Da wusste ich, Don Emilio war in Venedig, also braute sich etwas zusammen.«
»Wie: Don?«, unterbrach ich ihn .
»Emilio ist das Oberhaupt einer neapolitanischen Familie, die seit Jahrhunderten über Westitalien herrscht. Ich kenne Anna gut, und nach ihrer Drohung auf dem Ball in Venedig wusste ich, dass sie etwas ausheckte. Ich musste dich zurücklassen, denn dass ich das tun würde, hätte Anna niemals in Betracht gezogen. Und da sie mich beschattete, um an dich heranzukommen, musste ich ihre Pläne durchkreuzen. Also kehrte ich aufs Schiff zurück, bevor ich nach Sizilien flog. Um Anna zu täuschen, hat mich eine Frau von der Besatzung der Yacht begleitet, die dir ähnlich sieht. Sie kam mit mir in das Castello zurück, dann flogen wir von Catania nach Neapel. Emilio und ich sind Geschäftspartner, das Treffen in Neapel hatten wir schon vor Wochen vereinbart.«
»Moment«, unterbrach ich ihn erneut, »du warst mit der Schwester eines anderen Don zusammen? Ist das überhaupt erlaubt?«
Massimo lachte und trank einen Schluck Tee. »Warum sollte es verboten sein? Außerdem hielt ich es zu dem Zeitpunkt für einen genialen Schachzug. Der Zusammenschluss beider Familien hätte uns eine Monopolstellung gesichert und den Süden Italiens für Jahre befriedet. Siehst du, Laura, du hast ein völlig falsches Bild von der Mafia. Sie ist ein Unternehmen, ein Firmenkonsortium, und wie in jedem anderen Wirtschaftszweig auch gibt es Fusionen und Übernahmen. Ich habe eine solide betriebswirtschaftliche Ausbildung erhalten und wurde jahrelang darauf vorbereitet, die Firma eines Tages zu übernehmen und zu leiten. Zudem habe ich alle Kniffe diplomatischer Verhandlungsführung gelernt, Gewalt ist für mich immer nur der letzte Ausweg. Auch deshalb ist meine Familie eine der stärksten und reichsten italienischen Mafiafamilien weltweit.«
»Weltweit?«, fragte ich verwirrt.
»Ich bin unter anderem in Russland, Großbritannien und den USA aktiv – vermutlich ist es einfacher zu sagen, in welchen Ländern ich keine Geschäfte mache.«
»Okay, aber jetzt erzähl mir, was in Neapel passiert ist«, erinnerte ich ihn.
»Anna wusste, dass ich ihren Bruder treffen würde, sie selbst hatte mir ja im Frühjahr ein solches Treffen nahegelegt. Also fand ich mich zum verabredeten Zeitpunkt am vereinbarten Ort ein, wie üblich in Begleitung Marios und ein paar weiterer Männer, die in den Wagen blieben. Aber die Gespräche verliefen anders als geplant, wir konnten keine Einigung erzielen, und so endete das Treffen ergebnislos. Als wir das Gebäude verließen, folgte Emilio mir unter wüsten Beschimpfungen, er warf mir vor, ich hätte seine Schwester wie Dreck behandelt, sie entehrt und zu einer Abtreibung gezwungen. Und dann fiel das Wort, das niemand in der Mafia hören will, das wir alle hassen, denn jeder, der auch nur einen Funken Verstand hat, weiß, dass es zu nichts Gutem führt, sondern alle ins Verderben stürzt: Vendetta, blutige Rache.«
»Was?«, schrie ich erschrocken auf. »Ich dachte, das gibt es nur im Kino!«
»Leider nicht, das gibt es auch in der Cosa Nostra. Wenn du ein Mitglied einer anderen Familie tötest oder verrätst, dann ist sofort die ganze Organisation hinter dir her. Nachdem dieses Wort gefallen war, waren alle Erklärungsversuche und weiteren Gespräche sinnlos. Wir brachen auf. Auf dem Rückweg zum Flughafen blockierten plötzlich zwei Range Rover die Straße vor uns. Emilio und seine Männer stiegen aus, und es kam zu einer Schießerei, bei der Emilio getötet wurde – vermutlich habe ich ihn erschossen. Natürlich war kurz darauf die Polizei zur Stelle, deshalb mussten Mario und ich für einige Zeit untertauchen. Die Autos, die am Ort des Geschehens zurückblieben, waren auf eine meiner Firmen zugelassen. Und deshalb wurde in den Medien berichtet, ich und nicht Emilio wäre bei der Schießerei ums Leben gekommen.«
Schwer atmend starrte ich Massimo an – ich kam mir vor wie in einem Mafia-Thriller. Ich hatte ernsthafte Zweifel, ob ich und mein krankes Herz für diese Welt gemacht waren, aber eines wusste ich ganz sicher – ich war bis über beide Ohren in den Mann verliebt, der vor mir saß.
»Damit eins klar ist, Laura«, unterbrach Massimo meine Gedanken. »Anna war nie schwanger. In diesen Dingen bin ich sehr vorsichtig.«
Ich erstarrte. Plötzlich fiel mir wieder ein, was Domenico zu mir gesagt hatte, bevor ich die Insel verließ.
»Hast du dir einen Ortungschip implantieren lassen?«, fragte ich so ruhig wie möglich.
Massimo setzte sich aufrecht hin, vermutlich wusste er schon, worauf ich hinauswollte.
»Ja«, erwiderte er zerknirscht und biss sich auf die Unterlippe.
»Kannst du ihn mir zeigen?«, fragte ich.
Massimo zog seinen Pullover aus und streckte den linken Arm aus. Mit der rechten Hand führte er meine Hand zu seinem linken Oberarm, an dessen Innenseite ein dünnes Röhrchen zu ertasten war. Ich zog meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt, und dann berührte ich das dünne Röhrchen an meinem linken Oberarm
»Laura, bevor du hysterisch wirst«, begann Massimo und zog seinen Pullover wieder an. »In jener Nacht habe ich …«
Aber ich ließ ihn nicht ausreden.
»Ich bring dich um, Massimo!«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor. »Wie konntest du mich so anlügen? Bei etwas so Wichtigem!« Ich schaute ihn an und wartete darauf, dass er etwas Schlaues sagte, meine Vorwürfe entkräftete, und währenddessen flogen mir tausend Fragen durch den Kopf: Was wäre, wenn …
»Es tut mir leid. In dem Moment war ich der Meinung, ein Kind wäre der einfachste Weg, dich zu halten.«
Schlau war das nun wirklich nicht, aber ich spürte, er sagte die Wahrheit.
Ich stand auf, schnappte mir meine Handtasche und lief zu Tür. Massimo folgte mir, aber ich bedeutete ihm, sitzen zu bleiben, und verließ die Wohnung. Mit dem Auto fuhr ich ins Einkaufszentrum um die Ecke, kaufte in der Apotheke einen Test und fuhr wieder nach Hause. Als ich die Wohnung betrat, saß Massimo immer noch in derselben Position auf dem Sofa, in der ich ihn verlassen hatte.
Ich legte den Test auf den Tisch und sagte streng: »Du hast mein Leben komplett auf den Kopf gestellt, du hast mich entführt und ein Jahr meines Lebens gefordert, du hast mich erpresst und meine Familie bedroht, aber das war dir noch zu wenig? Also musstest du alles so richtig in die Scheiße reiten, indem du alleine darüber entscheidest, ob wir Eltern werden oder nicht. Also, Don Massimo, ich sage dir jetzt, wie das läuft«, meine Stimme wurde immer schriller. »Wenn der Test gleich positiv ist, dann gehst du aus dieser Wohnung, und ich werde niemals dir gehören.«
Bei diesen Worten stand Massimo auf und sog geräuschvoll die Luft ein.
Aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich bin noch nicht fertig«, fuhr ich fort und trat ans Fenster. »Du darfst das Kind sehen, aber nur ohne mich, es wird niemals auf Sizilien leben und als dein Nachfolger die Familiengeschäfte übernehmen, verstanden? Ich werde es auf die Welt bringen und allein großziehen, auch wenn ich eigentlich der Meinung bin, dass eine Familie aus mindestens drei Menschen bestehen sollte. Aber ich werde nicht zulassen, dass deine Launen und deine Rücksichtslosigkeit einem Wesen das Leben verderben, das gar nicht darum gebeten hat, auf die Welt zu kommen. Ist das klar?«
»Und wenn du nicht schwanger bist?« Massimo stand direkt vor mir.
»Dann wirst du sehr lange büßen müssen«, erwiderte ich, nahm den Schwangerschaftstest vom Tisch und ging auf watteweichen Beinen ins Badezimmer.
Ich schloss die Tür ab und folgte den Anweisungen auf der Verpackung. Den Test legte ich auf dem Waschbecken ab, setzte mich auf den Fußboden und lehnte mich an die Wand. Mein Herz hämmerte heftig, mein Puls pochte in meinen Schläfen. Ich hatte Angst, und mir war schlecht. Die Zeit, bis das Testergebnis angezeigt wurde, war längst abgelaufen .
»Laura?« Massimo klopfte an die Tür. »Alles in Ordnung?«
»Moment«, rief ich zur Tür, dann stand ich auf und schaute auf den Test. »Jesus«, entfuhr es mir …