KAPITEL 17
Die folgenden zwei Tage verliefen geruhsam. Ich traf mich mit Olga, während Massimo mit Karlo unterwegs war. Wir frühstückten zusammen und sahen vor dem Schlafengehen fern.
Am Samstag war ich schon früh um sechs wach, weil der Gedanke, Massimo zu meinen Eltern mitzunehmen, mich in Panik versetzte. Noch vor ein paar Wochen hatte ich geglaubt, er würde sie umbringen, und jetzt sollte er mit ihnen am Kaffeetisch sitzen.
Als er aufwachte, konnte ich mich endlich fertig machen und dabei so tun, als sei alles in Ordnung. Ich durchsuchte den begehbaren Schrank nach etwas Passendem zum Anziehen. Leider hatte ich vergessen, dass meine besten Kleider auf Sizilien geblieben waren. Enttäuscht ließ ich mich auf den Teppich fallen, blickte hoch zu den Kleiderbügeln und vergrub das Gesicht in den Händen.
»Ist alles okay?«, fragte Massimo, der mit einer Tasse Kaffee an den Türrahmen gelehnt dastand.
»Das ganz normale Dilemma der Hälfte aller Frauen: Ich habe nichts zum Anziehen«, sagte ich.
»Ich habe etwas für dich«, sagte er und ging zu seinem Schrank. »Ist am Freitag gekommen. Domenico hat es ausgewählt, also hoffe ich, dass es dir gefällt.«
Er griff in den Schrank und holte eine Kleiderschutzhülle mit dem Logo von Chanel heraus. Entzückt sprang ich auf und ging zu ihm. Gespannt öffnete ich die Hülle und schnappte nach Luft, als ich den Inhalt sah: ein kurzes Seidenkleid in Beige, mit langen Ärmeln und einem sehr tiefen, effektvoll gefältelten Ausschnitt. Es war ideal: dezent und gleichzeitig sexy und … Chanel eben.
»Danke«, sagte ich und küsste ihn auf die Wange. »Wie kann ich mich dafür revanchieren?«, fragte ich und ging aufreizend langsam in die Hocke, bis sich mein Mund in Höhe seines Hosenschlitzes befand. »Ich würde dir gerne zeigen, wie erfreut ich bin.«
Massimo lehnte sich an den Schrank und legte seine Hände um meinen Kopf. Ich zog seine Hose herunter und öffnete den Mund so, dass er entscheiden konnte, wie er es wollte. Massimo sah mich voller Verlangen an, rührte sich aber nicht. Ungeduldig wollte ich ihn in den Mund nehmen, doch die Hände an meinem Kopf hielten mich zurück.
»Zieh deine Bluse aus«, sagte er, ohne mich loszulassen. »Und dann mach den Mund weiter auf.«
Er drang langsam in mich ein, damit ich wirklich jeden Zentimeter spüren konnte. Ich stöhnte und begann zu saugen. Mir machte das Spaß, ich mochte, wie er schmeckte, wie sein Körper auf mich reagierte.
»Es reicht«, sagte er nach einer Weile und zog sich die Hose hoch. »Du kannst nicht immer das bekommen, was du willst, Kleines, außerdem kommst du zu spät zum Friseur. «
Erregt und frustriert blieb ich da hocken, sah ihm nach. Ich wusste, dass er nicht einfach so auf das Vergnügen verzichtete, sondern sein Verhalten etwas bedeutete. Dann sah ich auf die Uhr und entdeckte, dass ich tatsächlich spät dran war. Ich riss mich zusammen, ging in die Küche, trank einen Schluck Tee und nahm mir ein süßes Teilchen. Als ich schluckte, wurde mir schlagartig übel. In letzter Sekunde schaffte ich es zur Toilette, wobei ich fast Massimo überrannte. Nach einer Weile klopfte es an der Badezimmertür. Ich stand auf, spülte mir den Mund aus und ging hinaus.
»Ist alles in Ordnung?« Massimo musterte mich fürsorglich.
Ich lehnte meine Stirn an seine Brust. »Das sind die Nerven. Der Gedanke, dass du meine Eltern triffst, macht mir Angst. Ich weiß gar nicht, warum ich gesagt habe, dass wir hinfahren«, stieß ich hervor. »Ich bin angespannt, aufgeregt und würde am liebsten hierbleiben.«
Massimo sah amüsiert auf mich herunter. »Und wenn ich dich ficke, bis du nicht mehr sitzen kannst, wirst du dann ruhiger sein und diesen Tag besser ertragen?«, fragte er betont ernst.
Ich überlegte einen Moment lang, ob mir immer noch schlecht war, oder ob es mir schon viel besser ging, und kam zu dem Ergebnis, dass ein bisschen Sex tatsächlich Wunder wirken und mich komplett entspannen würde.
Massimo sah auf die Uhr und griff nach meiner Hand. Er zog mich ins Wohnzimmer, drückte meinen Oberkörper auf den Glastisch und riss mir die Hose herunter.
»Streck mir deinen Hintern entgegen«, sagte er und zog sich ein Kondom über. »Ich mache es schnell und hart. «
Und so war es. Kurze Zeit später fuhr ich entspannt und viel ruhiger zum Friseur.
Nach über einer Stunde kam ich zurück, aber Massimo war nicht da. Ich rief ihn an, doch er ging nicht ran. Er hatte mir nichts von einem Termin gesagt, deshalb war ich etwas beunruhigt. Aber er war schließlich erwachsen, also ging ich mich schminken. Zwei Stunden und etwa dreißig Anrufe später war ich wirklich besorgt. Ich ging nach nebenan, um von seinen Männern etwas zu erfahren, aber niemand öffnete. Dann sah ich auf die Uhr und fluchte. Wir sollten schon unterwegs sein. In meinem engen, kurzen Kleid und den Pumps mit den hohen Absätzen setzte ich mich aufs Sofa und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Ich wollte nicht allein fahren, aber meiner Mutter sagen, dass ich nicht käme, konnte ich auch nicht. Also nahm ich meine Handtasche und die Schlüssel des BMW und ging zur Garage.
Unterwegs überlegte ich fieberhaft, wie ich Massimos Abwesenheit erklären sollte, und beschloss zu sagen, er sei krank. Als ich noch etwa zwanzig Kilometer von meinem Ziel entfernt war, sah ich im Rückspiegel, dass ein Auto sehr schnell herankam. Es überholte mich und versperrte mir den Weg. Ich hielt an. Aus dem schwarzen Ferrari stieg Massimo aus und kam auf mich zu. Er trug einen eleganten grauen Anzug, der seine durchtrainierte Figur betonte. Er öffnete meine Tür und reichte mir die Hand, um mir beim Aussteigen behilflich zu sein.
»Geschäfte«, stieß er hervor und zuckte die Schultern. »Komm. «
Ich blieb mit den Händen am Steuer sitzen und sah stur geradeaus. Dieses Gefühl von Machtlosigkeit, das ich so oft wegen seiner geheimen Geschäfte hatte, machte mich wahnsinnig. Ich wusste, dass ich nicht fragen durfte, und wenn ich es täte, würde er sowieso nicht antworten, und ich wäre noch wütender.
Hinter meinem Auto hielt ein schwarzer SUV , und Massimo rief: »Laura, wenn du jetzt nicht aussteigst, hole ich dich raus, zerknittere dir das Kleid und ruiniere deine Frisur.«
Schmollend nahm ich seine Hand und setzte mich in den Ferrari. Massimo stieg auf der Fahrerseite ein und legte die Hand auf meinen Schenkel, als wäre nichts geschehen.
»Du siehst schön aus«, sagte er und streichelte meinen Arm. »Aber etwas fehlt.«
Er lehnte sich zu mir herüber und zog eine kleine Schachtel von Tiffany & Co. aus dem Handschuhfach.
»Du kannst mich nicht mit einer Halskette bestechen«, sagte ich kalt, als er die Schachtel öffnete und mir eine funkelnde Kette mit kleinen Steinen zeigte.
»Ich hätte sie dir sowieso zu dem Kleid geschenkt«, sagte er und fuhr an. »Diese nette Kette ist aus Platin und mit Diamanten besetzt, also tut es mir leid, wenn sie deine Erwartungen nicht erfüllt.«
Ich liebte dieses schelmische Lächeln, wenn er sich mir überlegen fühlte. Damit machte er mich wahnsinnig.
»Wo ist dein Ring, Laura?«, fragte er und überholte ein weiteres Auto. »Du weißt schon, dass du ihnen sowieso sagen musst, dass du mich heiratest.«
»Aber nicht heute, oder?«, sagte ich gereizt. »Außerdem, was soll ich ihnen sagen? Vielleicht das: Also, ich habe einen Typen kennengelernt, weil er mich entführt und eingesperrt hat und mich erpresst, indem er sagte, er will euch töten, aber irgendwann habe ich mich in ihn verliebt, und jetzt will ich ihn heiraten. Meinst du, das käme gut an?«
Massimo sah starr auf die Straße, sagte aber nichts.
»Ich sag dir jetzt, wie wir es machen: In ein paar Wochen sage ich meiner Mutter, dass ich mich verliebt habe. Dann, in ein paar Monaten, dass wir uns verlobt haben. Auf diese Weise sieht das alles nämlich ganz natürlich und viel weniger verdächtig aus.«
Massimo sah immer noch nach vorne. »Du heiratest mich nächste Woche, Laura. Nicht in ein paar Monaten oder Jahren, sondern in sieben Tagen.«
Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, mein Herz klopfte wie verrückt. Ich hatte nicht gewusst, dass er es so eilig hatte. Mein Plan sah vor, dass das frühestens Anfang des Jahres passieren würde, und sicher nicht in einer Woche. Ganz unterschiedliche Gedanken rasten durch meinen Kopf, darunter die grundlegende Frage, wozu ich eigentlich Ja gesagt hatte.
Massimo hielt vor meinem Elternhaus.
»So, Kleines, jetzt sage ich dir, wie wir es machen«, sagte er und wandte sich mir zu. »Nächsten Samstag wirst du meine Frau, und in ein paar Monaten heiratest du mich nochmal, und dazu laden wir deine Eltern ein.« Dann küsste er mich zärtlich auf die Stirn. »Ich liebe dich, und dich zu heiraten ist die vorletzte Sache, die ich in meinem Leben unbedingt machen will. «
»Die vorletzte?«, fragte ich verwundert.
»Die letzte ist, einen Sohn zu zeugen«, sagte er und öffnete die Tür.
Ich blieb sitzen und schnappte nach Luft. Noch immer konnte ich nicht glauben, was ich da tat und wie schnell sich mein Leben innerhalb von zwei Monaten verändert hatte. Reiß dich zusammen, sagte ich zu mir und stieg aus. Ich strich das Kleid glatt und holte tief Luft. Die Haustür öffnete sich, mein Vater erschien.
»Bringen wir es hinter uns«, zischte ich. »Ich hoffe, du weißt noch, was wir sagen.«
Massimo lachte und streckte meinem Vater, der auf uns zukam, die Hand entgegen.
Sie wechselten einige Worte auf Deutsch, dann wandte sich mein Vater an mich.
»Mein Mädchen, du siehst so schön aus. Die blonden Haare stehen dir wirklich. Und, ich weiß nicht, ob das das Verdienst des Mannes neben dir ist, oder die Frisur, aber du siehst aus wie das blühende Leben.«
»Wahrscheinlich beides«, sagte ich, küsste meinen Vater auf die Wange und schmiegte mich in seine Arme.
Wir gingen auf die Terrasse und setzten uns in die weichen Sessel, die um einen großen Tisch herumstanden. Massimo hielt Abstand, so, wie wir es vereinbart hatten. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er sah auf einen Punkt hinter mir. Neugierig drehte ich mich um – meine Mutter kam auf uns zu. Sie trug ein wunderschönes cremefarbenes Kleid, das bis zum Boden reichte, und schenkte Massimo ein strahlendes Lächeln. Ich stand auf und küsste sie auf die Wange .
»Massimo, das ist meine Mutter, Klara Biel.«
Massimo stand auf, immer noch verzaubert. Dann riss er sich zusammen, küsste meiner Mutter die Hand und begrüßte sie auf Russisch.
Meine Mutter flirtete ein wenig mit ihm, dann sah sie mich an.
»Liebling, kommst du mit mir in die Küche? Ich brauche Hilfe«, sagte sie mit einem heiteren Lachen, das nichts Gutes verhieß.
Sie wandte sich ab und ließ die ins Gespräch vertieften Männer zurück; ich ging ihr hinterher.
Als wir ins Haus kamen, baute sie sich mit verschränkten Armen vor mir auf.
»Laura, was ist da los?«, fragte sie. »Du hast einen neuen Arbeitsplatz, ziehst um, veränderst dein Aussehen radikal, und jetzt bringst du uns einen Italiener ins Haus. Erzähl mir, was los ist, ich sehe doch, dass du mir etwas verschweigst.«
Ihr Sensor funktionierte wie immer reibungslos, ich wusste, dass es nicht einfach sein würde, ihr irgendeinen Blödsinn unterzujubeln.
»Mama, das sind doch nur die Haare. Ich habe eine Veränderung gebraucht. Warum ich weggegangen bin, haben wir doch schon besprochen, und Massimo ist ein Arbeitskollege, er gefällt mir, und er bringt mir viel bei. Ich weiß nicht, was ich dir noch über ihn sagen soll, außerdem kenne ich ihn erst seit ein paar Wochen.«
Ich wusste, je weniger ich ihr sagte, desto besser.
Sie kniff die Augen zusammen und sah mich an.
»Ich habe keine Ahnung, warum du mich anlügst, aber wenn es sein muss, bitte schön. Du weißt schon, dass ich viel sehe und eine gewisse Lebenserfahrung habe. Ich weiß ganz genau, wie viel das Auto vor dem Haus kostet. Und ich glaube nicht, dass sich ein Hotelangestellter so etwas leisten kann.«
Ich fluchte innerlich. Geplant war ein weniger protziger Wagen gewesen.
»Außerdem weiß ich, wie Diamanten aussehen«, fuhr sie fort und strich mit dem Finger über meine Halskette. »Und ich kenne auch die Kleider aus der letzten Kollektion von Chanel. Vergiss nicht, dass ich dir gezeigt habe, was Mode ist.«
Als sie fertig war, setzte sie sich auf einen Stuhl und wartete auf eine Erklärung. Wie ein Schulmädchen stand ich vor ihr und wusste nicht, was ich sagen sollte. Resigniert ließ ich mich ihr gegenüber auf einen Stuhl fallen.
»Und jetzt? Soll ich damit anfangen, dass er ein furchtbar reicher Hotelbesitzer ist? Er stammt aus einer wohlhabenden Familie und investiert ziemlich viel, wir haben uns kennengelernt, und ich hätte gerne, dass etwas Ernsthaftes daraus wird. Und auf das, was er mir schenkt und wie viel das kostet, habe ich keinen Einfluss.«
Sie sah mich forschend an, ihr Blick wurde sanfter.
»Er spricht gut Russisch, man sieht, dass er gebildet ist und gut erzogen. Und außerdem hat er einen vorzüglichen Geschmack, was Frauen und Schmuck angeht.« Sie stand auf. »Na gut, gehen wir raus, bevor Tomasz ihn zu Tode gelangweilt hat.«
Ich rieb mir die Augen. Dieser Stimmungswechsel war unglaublich. Ich wusste zwar, dass meine Eltern immer wollten, dass ich einen reichen Mann heiratete, aber ihre Reaktion zerschlug mich in tausend kleine Stücke. Ich stand wie betäubt auf, schüttelte ungläubig den Kopf und lief ihr hinterher.
Draußen wurde eine erbitterte Diskussion geführt. Ich wusste nicht, worüber, weil ich kein Deutsch konnte, aber ich wusste, dass ich mit Massimo sprechen musste, um ihm die neue Version unserer Geschichte zu erzählen. Leider konnte mein Vater zwar nicht Englisch sprechen, aber verstand ziemlich viel.
»Massimo, ich zeige dir jetzt das Zimmer, in dem du schlafen wirst«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Außerdem müssen wir gleich los, also mach dich fertig, Papa«, fügte ich hinzu.
»Oh, schon so spät«, stieß mein Vater hervor und sprang auf.
Wir gingen die Treppe hinauf, ins ehemalige Zimmer meines Bruders.
»Hier schläfst du, aber darüber wollte ich nicht reden«, flüsterte ich und erzählte ihm, was ich meiner Mutter gesagt hatte.
Als ich fertig war, sah er sich amüsiert im Zimmer um.
»Ich fühle mich wie ein Teenager«, sagte er lachend. »Und wo ist dein Zimmer, Kleines? Du glaubst hoffentlich nicht, dass ich hierbleibe.«
»Mein Zimmer ist nebenan. Und natürlich bleibst du hier. Meine Eltern denken, dass zumindest bis jetzt nichts zwischen uns läuft, und dabei sollte es bleiben.«
»Zeig mir dein Zimmer, Kleines«, sagte er und gab sich alle Mühe, ernst zu bleiben .
Ich nahm ihn bei der Hand und führte ihn in mein früheres Kinderzimmer. Es war um einiges kleiner als das Zimmer, in dem er mich auf Sizilien untergebracht hatte, aber ich hatte gute Erinnerungen daran und brauchte auch nicht viel. Ein Bett, ein Fernseher, ein Frisiertisch und Hunderte Fotos erinnerten mich an meine sorglose Jugendzeit.
»Hattest du einen Freund, als du noch bei deinen Eltern gelebt hast?«, fragte er, während er lächelnd die Fotografien betrachtete.
»Natürlich. Warum fragst du?«
»Hast du ihm in diesem Zimmer einen geblasen?«
Ich riss die Augen auf und sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wie bitte?«
»Die Tür lässt sich nicht abschließen, also frage ich mich, wie und wo du das gemacht hast. Schließlich konnten deine Eltern jederzeit hier hereinkommen.«
»Er hat sich gegen die Tür gelehnt, und ich habe vor ihm gekniet«, sagte ich, während ich ihm die Hände auf die Brust legte und ihn Richtung Türrahmen schob.
Massimo stand genau so, wie vor zehn Jahren mein damaliger Freund. Lüstern blickte er mir in die Augen. Ich fand Gefallen an der Idee und zog seinen Reißverschluss auf. Dann kniete ich mich vor ihn und drückte ihn gegen die Tür.
»Nicht bewegen, Don Massimo. Und sei still, das Haus ist wahnsinnig hellhörig.«
Ich blies ihm einen, schnell und hart. Nach ein paar Minuten spürte ich, wie sich sein Saft in meine Kehle ergoss. Ich schluckte alles, stand auf und wischte mir mit den Fingern den Mund ab .
Massimo konnte kaum stehen, er lehnte mit geschlossenen Augen an der Tür.
»Ich mag das, wenn du dich wie eine Hure benimmst«, sagte er und zog den Reißverschluss hoch.
»Tatsächlich?«, fragte ich spöttisch.
Wir umarmten uns, gingen nach unten und fuhren zur Kirche.
Lublin war um einiges kleiner als Warschau, und es gab auch weniger Autos in der Klasse, in der unseres rangierte. Als wir zur Kirche kamen, zog der schwarze Ferrari die Blicke aller Gäste auf sich.
»Super«, murmelte ich, entzückt von der Sensation, die wir verursachten.
Massimo stieg elegant aus dem Wagen, rückte sein Jackett zurecht und kam zur Beifahrertür. Auf seinen Arm gestützt stieg ich aus, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Die Menge wurde still, und ich griff Massimos Hand. Das ist nur deine Familie, wiederholte ich im Geiste wie ein Mantra und setzte ein künstliches Lächeln auf.
Die Stimme meines Bruders riss mich aus dieser Beschwörung.
»Schwesterchen, ich sehe, dass Mutters Geschichten über deinen märchenhaften Arbeitsplatz wahr sind«, sagte er, kam zu mir und nahm mich bei den Schultern. »Du siehst toll aus und fährst in Italien herum.«
Ich drückte ihn, so fest ich konnte. Wegen der Entfernung sahen wir uns nur selten. Er war mein geliebter Freund, ein unerreichbares Ideal und der klügste Mann, den ich kannte. Außerdem war er ein Mathematikgenie und sah echt gut aus. Als wir noch zu Hause wohnten, stieg er mit allen meinen Freundinnen ins Bett – zu deren großer Freude. Wir unterschieden uns in puncto Charakter und Aussehen sehr. Ich war klein, hatte braune Haare und fast schwarze Augen, er war hochgewachsen und blond, mit grünen Augen. Als er noch klein war, sah er mit seinen blonden Locken aus wie ein Engel.
»Jakub, mein Brüderchen, ich freue mich so, dich zu sehen. Darf ich vorstellen«, sagte ich und wechselte ins Englische. »Mein … Massimo Torricelli, mein Arbeitskollege.«
Die beiden wechselten einen Blick und gaben sich die Hand, aber es sah eher nach Kräftemessen aus und nicht wie eine Begrüßung.
»Ferrari Italia, viereinhalb Liter, fünfhundertachtundsiebzig PS . Ein Monster«, sagte Jakub und nickte anerkennend.
»Die Schlüssel lagen so herum«, sagte Massimo und setzte die Sonnenbrille auf.
Seine Lässigkeit war entwaffnend, auf meinen Bruder wirkte sie aber nicht. Er sah Massimo forschend an, als wollte er in seine Gedanken vordringen.
Die Messe war langweilig und viel zu lang, und meine ganze Familie starrte den gut aussehenden Italiener an meiner Seite an. Ich betete, dass die Trauung bald beginnen und die Gäste ihre Aufmerksamkeit dem Brautpaar schenken würden.
Während sie sich versprachen, sich immer zu lieben und zu ehren, fiel mir ein, was Massimo vor dem Tor meines Elternhauses zu mir gesagt hatte: In einer Woche stünden wir vor dem Altar wie diese beiden. Die Frage war nur, ob ich das wollte. Wollte ich einen Mann heiraten, der mich abwechselnd maßlos erschreckte und ärgerte? Außerdem, welche Frau wollte sich an einen Mann binden, bei dem sie absolut nichts zu sagen hatte? An jemanden, der jedes Mal auf seiner Meinung bestand und mir viele Dinge, die ich gerne tat, verbot, weil er dachte, er würde mich damit schützen und ich bräuchte das. Die traurige Wahrheit war leider, dass ich mich wahnsinnig in ihn verliebt hatte und überhaupt nicht mehr klar denken konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, Massimo noch einmal zu verlieren.
»Ist alles in Ordnung?«, flüsterte er, als sich die Zeremonie ihrem Ende zuneigte. »Du bist ganz blass.«
Tatsächlich fühlte ich mich seit einigen Tagen nicht besonders, ich war müde und hatte keinen Appetit. Das war aber auch kein Wunder bei dem vielen Stress.
»Ich fühle mich ein bisschen schwach, aber das sind sicher die Nerven. Gleich ist es zu Ende.«
Die Feier fand auf einem malerischen Gut etwa dreißig Kilometer von Lublin entfernt statt. Auf dem Gelände befanden sich mehrere Gebäude, ein Hotel, ein Stall und ein Saal, in dem alles für den Empfang vorbereitet worden war. Wir kamen als Letzte, weil ich darauf bestand, nicht schon wieder Aufsehen zu erregen, und ausnahmsweise hörte Massimo auf mich. Fast unbemerkt gingen wir durch den Saal zu dem runden Tisch, an dem man uns Plätze zugewiesen hatte. Ich atmete erleichtert auf, als ich sah, dass auch Jakub dort saß. Mein Bruder ging für gewöhnlich allein zu solchen Veranstaltungen, um zu jagen. Er mochte es, wenn ihn die Frauen anhimmelten, ihm unterlagen und schließlich mit ihm ins Bett gingen. Bei mir war das mit den Männern immer komplizierter gewesen und mit jeder Menge Leid verbunden. Das Einzige, worunter mein Bruder je litt, war, wenn er zurückgewiesen wurde, und auch dann litt er nur, weil es ihm die Statistik verdarb.
Als wir uns gesetzt hatten, war ein Platz noch leer. Ich sah mir die Gesichter am Tisch ringsum an und versuchte herauszufinden, wer noch fehlte. Ich kam nicht drauf. Als die Vorspeise gebracht wurde, begann ich gierig zu essen – seit gestern hatte ich nichts mehr hinunterbekommen.
»Guten Appetit«, hörte ich eine bekannte Stimme und sah vom Teller auf.
Fast spuckte ich das Essen wieder aus: Ein Ex-Freund und ehemaliger Tanzpartner zog den freien Stuhl mir gegenüber zurück. Kann es noch schlimmer kommen?, dachte ich und starrte ihn an.
Mein Bruder beobachtete mich, ironisch lächelnd, über seinen Teller hinweg, offensichtlich erfreut über diese Situation. Massimo bemerkte zum Glück nicht, was vor sich ging, zumindest schien es mir so.
Piotr nahm Platz und begann zu essen, ohne mich aus den Augen zu lassen. Mir verging der Appetit. Angeekelt schob ich die Kürbissuppe von mir und legte meine Hand unter dem Tisch auf Massimos Schenkel. Er strich mir über die Hand und sah mich fragend an; er konnte mich wie ein offenes Buch lesen, deshalb musste ich ihm den Mann aus meiner Vergangenheit früher oder später vorstellen.
Piotr war der Teil meines Lebens, den ich gerne vergessen hätte. Wir hatten uns kennengelernt, als ich sechzehn Jahre alt war. Es begann mit dem Tanzen und endete, wie so oft, mit einer Beziehung. Zuerst war er mein Lehrer, später mein Partner, und schließlich brach er mir das Herz. Er war damals fünfundzwanzig Jahre alt, und alle Frauen fuhren auf ihn ab. Immerhin war er charmant, gut aussehend, sportlich und dazu noch Tänzer. Leider hatte er auch seine Schattenseiten, die schlimmste war das Kokain. Zu Beginn störte mich das nicht, aber mit der Zeit bekam ich seine Sucht auf unangenehme Weise zu spüren. Wenn er high war, interessierte ihn nicht mehr, was ich fühlte, was ich dachte und was ich wollte. Nur er war wichtig. Ich war siebzehn und verknallt und wusste nicht, worauf es bei einer Beziehung ankam und was mir an Liebe und Zuwendung zustand. Natürlich waren die fünf Jahre nicht durchweg schlecht. Wenn er normal war, holte er mir die Sterne vom Himmel und entschuldigte sich überschwänglich für sein Verhalten. Wegen ihm war ich schließlich nach Warschau geflüchtet. Ich wusste, dass ich mich anders nicht hätte befreien können. Seine Stimme riss mich aus diesen unschönen Erinnerungen.
»Roten, wenn ich mich recht erinnere?«, fragte Piotr und lehnte sich mit einer Flasche Wein über den Tisch.
Seine grünen hypnotischen Augen hielten meinen Blick fest, sein großer Mund verzog sich zu einem feinen Lächeln. Er hatte nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Die stark ausgeprägte Kieferpartie und die Glatze passten nicht zum Bild eines Tänzers, aber dadurch wirkte er noch interessanter. Man sah, dass er weniger trainierte als früher, er setzte langsam Fett an .
Ich trank einen Schluck Wein und runzelte die Stirn.
»Was hat dich denn hierher verschlagen?«, fragte ich betont freundlich, damit die übrigen Gäste nichts bemerkten.
»Maria hat mich eingeladen, oder besser gesagt, ihr Mann. Ich habe das letzte halbe Jahr mit ihnen den ersten Tanz eingeübt, und wir haben uns angefreundet. Außerdem habe ich sie irgendwann bei einem Hochzeitstag deiner Eltern kennengelernt, falls du dich noch erinnerst.«
Ich kochte vor Zorn, und ich überlegte, warum meine Cousine mir das angetan hatte, als ich plötzlich Massimos Hand auf meinem Rücken spürte.
»Kannst du bitte Englisch sprechen?«, fragte er.
Ich verzog das Gesicht und schloss die Augen. Am liebsten wäre ich gestorben.
»Mir ist schlecht, gehen wir an die Luft«, stieß ich hervor und stand auf. Massimo folgte mir. Wir gingen durch den Garten, zum Stall hinüber.
»Kannst du reiten?«, fragte ich, um ihn von meiner Verfassung abzulenken.
»Wer ist dieser Mann, Laura? Seit er gekommen ist, bist du ganz komisch.« Er blieb stehen und sah mich, die Hände in den Hosentaschen, an.
»Mein früherer Tanzpartner. Du hast mir noch nicht gesagt, ob du reiten kannst«, fuhr ich fort, ohne anzuhalten.
»Nur ein Tanzpartner?«
»Herrgott, Massimo, ist das so wichtig? Nein, nicht nur ein Tanzpartner, und ich will nicht darüber reden. Ich frage auch nicht nach deinen Ex-Freundinnen.«
»Also wart ihr zusammen. Lange? «
Ich holte tief Luft und versuchte, meiner Nervosität Herr zu werden.
»Einige Jahre. Ich darf dich daran erinnern, dass ich nicht Jungfrau war, als ich dich getroffen habe, und egal, wie sehr du dich bemühst, daran kannst du nichts ändern. Du hast keine Zeitmaschine, also lass es einfach sein und zwing mich nicht, darüber zu sprechen.«
Wütend kehrte ich in den Saal zurück. Der erste Tanz war schon vorbei, und die Gäste alberten auf der Tanzfläche herum. Als ich durch die Tür kam, trat meine Cousine von der Tanzfläche und nahm das Mikrofon.
»Dieser erste Tanz ist das Verdienst unseres fantastischen Tanzlehrers, der heute auch anwesend ist. Piotr, komm bitte. Und zufälligerweise ist heute auch seine langjährige Tanzpartnerin hier, meine Cousine Laura.«
Als ich das hörte, war ich der Ohnmacht nahe. Was tat sie da?
»Macht uns doch die Freude und zeigt uns, wie man richtig tanzt.«
Im Saal erhob sich Applaus, und Piotr nahm meine Hand und zog mich aufs Parkett. Gleich muss ich kotzen, dachte ich, während ich ihm folgte.
»Enrique Iglesias, Bailamos , bitte«, rief er dem DJ zu. »Salsa, Süße …«, flüsterte er und ließ sein Jackett auf einen Stuhl fallen.
Ich stand stocksteif neben ihm und dankte Gott, dass er keinen Tango gewählt hatte. Als wir noch zusammen waren, endeten unsere Tangos normalerweise im Bett.
Die ersten Gitarrenklänge kamen aus den Lautsprechern, und ich sah zur Tür hin, wo Massimo an den Rahmen gelehnt dastand. Sein Blick loderte vor Zorn. Neben ihm entdeckte ich meinen Bruder, der sich zu ihm neigte und mit ihm sprach. Ich hatte keine Ahnung, ob er ihm erzählte, warum ich plötzlich auf der Tanzfläche stand, oder ob sie sich einfach nur unterhielten, aber Massimos Blick blieb zornig. Ich riss mich von Piotr los, rannte zu Massimo und küsste ihn, so heftig ich konnte. Er sollte wissen, dass ich nur ihm gehörte. Dann kehrte ich mit einem Lächeln auf die Tanzfläche zurück. Der DJ spielte Bailamos von vorne, und ich nahm meine Position ein. Es waren die längsten drei Minuten meines Lebens, und noch nie hatte ich so viel Kraft für einen Tanz gebraucht. Als ich mich schließlich verbeugte, brandete Applaus auf. Maria kam zu mir und küsste und umarmte uns beide, meine Mutter nahm von einigen Gästen Glückwünsche entgegen. Langsam ging ich zu Massimo.
Er stand weiterhin mit versteinertem Gesicht da.
»Ich konnte nicht Nein sagen, das ist doch meine Familie«, murmelte ich. »Außerdem war das nur ein Tanz.«
Massimo erwiderte nichts, sondern wandte sich ab und ging hinaus.
Ich wollte ihm nachgehen, hörte aber die Stimme meiner Mutter: »Laura, mein Schatz, ich sehe, der ganze Unterricht war nicht umsonst. Du bist immer noch wirklich genial.«
Ich drehte mich um, und sie fiel mir um den Hals, küsste mich auf beide Wangen und sah mich mit tränenverschleiertem Blick an.
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte sie.
»Ach, Mama, das habe ich doch dir zu verdanken. «
Eine Weile standen wir so da und nahmen noch einige Glückwünsche entgegen. Dann erinnerte ich mich an Massimo.
»Ist etwas passiert, Schatz?«, fragte sie, als sie meine Unruhe bemerkte.
»Massimo ist ziemlich eifersüchtig«, flüsterte ich. »Er ist also nicht sonderlich begeistert, dass ich mit meinem Ex getanzt habe.«
»Laura, du weißt, dass du ihm nicht erlauben darfst, dich so zu behandeln. Außerdem muss er verstehen, dass du ihm nicht gehörst.«
Wie sehr sie sich irrte. Ich gehörte ihm, absolut und grenzenlos, und es ging hier nicht darum, ob er mir etwas erlaubte oder nicht, ich wollte einfach nicht, dass er sich schlecht fühlte. Ich wusste, dass sein autoritäres Verhalten von seiner Erziehung und seinen Lebensumständen herrührte, und nicht daher, dass er mich unterdrücken wollte.
Ich ging hinaus und suchte das ganze Gelände nach ihm ab, aber er war nicht da. Immerhin stand der schwarze Ferrari noch auf dem Parkplatz, also war Massimo nicht weggefahren. Dann hörte ich Stimmen durch ein offenes Fenster. Die Unterhaltung wurde auf Englisch geführt, und ich erkannte die Stimme meines Bruders. Ich betrat das Gebäude.
»Guten Abend«, sagte ich zu der Frau an der Rezeption. »Ich suche meinen Verlobten, einen gut aussehenden, großen Italiener.«
Die junge Frau lächelte und sah im Computer nach.
»Apartment elf«, verkündete sie und zeigte mir die Treppe.
Ich ging nach oben und klopfte an die Tür, die kurz darauf von meinem amüsiert dreinblickenden Bruder geöffnet wurde.
»Schwesterchen, was machst denn du hier? Ist Piotr das Tanzen zu langweilig geworden?«, witzelte er.
Ich ignorierte ihn und ging durch den Flur in den großen Salon. Auf einem Ledersofa neben einer großen Bank saß Massimo und drehte eine Kreditkarte in den Händen.
»Amüsierst du dich gut, Kleines?«, fragte er.
Auf dem Tisch vor ihm entdeckte ich weißes Pulver, das Massimo in kurze Streifen unterteilt hatte. Ich starrte ihn an, dann kam mein Bruder mit einer Flasche Chivas zurück.
»Dein Typ ist echt cool«, sagte er, stieß mich mit dem Ellenbogen beiseite und setzte sich neben Massimo. »Er weiß, was Spaß ist.«
Don Massimo beugte sich über den Tisch und sog eine der Lines durch ein Röhrchen in die Nase.
»Massimo, können wir reden?«
»Wenn du wissen willst, ob du dich uns anschließen darfst, lautet die Antwort: nein.«
Mein Bruder brach in Gelächter aus. »Meine Schwester und Koks, das wäre eine tödliche Mischung.«
Ich hatte noch nie im Leben Drogen genommen, nicht, weil ich nicht wollte, sondern aus Angst. Ich wusste, was sie mit den Menschen machten und wie abhängig man davon wurde. Massimos Anblick rief schlimme Erinnerungen in mir wach.
»Jakub, kannst du uns allein lassen?«, fragte ich meinen Bruder.
Als er meinen Gesichtsausdruck sah, stand er auf und zog sein Jackett an. »Ich wollte sowieso gehen. Die Blondine an Tisch drei lässt mir keine Ruhe.«
Beim Hinausgehen sagte er zu Massimo: »Ich komme wieder.«
Ich sah zu, wie Massimo eine weitere Line einsog und einen Schluck Whisky trank. Dann setzte ich mich neben ihn.
»Willst du so den Abend verbringen?«, fragte ich.
»Dein Bruder ist echt in Ordnung«, sagte er, als hätte er meine Frage nicht gehört. »Intelligent, und er kennt sich sehr gut mit Finanzen aus. Uns fehlt ein kreativer Buchhalter in der Familie.«
Der Gedanke, dass Jakub der Mafia beitreten könnte, bereitete mir Übelkeit. »Was fantasierst du dir da zusammen, Massimo? Er wird niemals zu deiner Familie gehören.«
Massimo lachte und nahm noch einen Schluck. »Das entscheidest nicht du, Kleines. Wenn er will, mache ich einen sehr reichen, glücklichen Menschen aus ihm.«
Ein Fehler meines Bruders, neben seiner Liebe zu Frauen, war die ungezügelte Liebe zu Geld.
»Wird meine Meinung auch einmal berücksichtigt, egal, in welcher Frage? Denn wenn nicht, dann scheiße ich auf ein solches Leben!«, knurrte ich und stand auf. »Ich habe genug davon, dass immer du alles bestimmst, und davon, dass ich seit einigen Monaten keine Macht mehr über mein Leben habe.«
Wütend ging ich hinaus, warf die Tür hinter mir zu, ging die Treppe hinunter und setzte mich in eine Gartenlaube .
»Ärger im Paradies?«, fragte Piotr und setzte sich mit einer Flasche Wein neben mich. »Hat dich dein Freund genervt?« Er nahm einen Schluck direkt aus der Flasche.
Ich sah ihn einen Moment lang an und wollte schon aufstehen, als ich es mir anders überlegte. Ich streckte die Hand nach der Weinflasche aus und ließ mir das Getränk in die Kehle rinnen.
»Langsam, Lari, du willst doch nicht hier zusammenklappen.«
»Ich weiß gar nicht mehr, was ich will. Und jetzt bist auch noch du hier. Warum bist du gekommen?«
»Ich wusste, dass du hier sein würdest. Wie lange ist es her? Sechs Jahre?«
»Sieben.«
»Du hast dich nie bei mir gemeldet, hast nie auf E-Mails geantwortet und bist nicht ans Telefon gegangen. Ich konnte mich nicht entschuldigen und nichts erklären.«
Ich schaute ihn irritiert an und nahm ihm wieder die Flasche aus der Hand. »Was wolltest du erklären? Du hast versucht, dich zu ruinieren, und zwar vor meinen Augen.«
Er ließ den Kopf hängen.
»Stimmt, ich war ein Idiot. Danach habe ich eine Therapie gemacht, und seitdem bin ich clean. Ich weiß nicht, was ich gedacht habe, als ich hergekommen bin. Vielleicht habe ich mir vorgestellt, du wärst allein, und vielleicht …«
Ich hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Piotr, du bist für mich Vergangenheit, diese Stadt ist Vergangenheit, mein Leben sieht jetzt anders aus, und ich will dich darin nicht haben. «
Er stützte sich auf die Armlehne des Sofas. »Ich weiß. Aber das ändert nichts daran, dass ich es genieße, hier mit dir zu sitzen, vor allem weil du von Jahr zu Jahr schöner wirst.«
Wir saßen noch eine Weile zusammen da und redeten über die vergangenen Jahre, über meine Anfänge in Warschau und seine Tanzschule. Wir tranken eine Flasche Wein, dann noch eine und eine dritte.