Kapitel 8

Eban hatte die obligatorische Happy Hour mit seinem Vater und Onkel Sid über sich ergehen lassen, aber währenddessen heimlich die Sekunden gezählt, bis er ihnen endlich entkommen konnte.

Er hatte geschwindelt. Nicht seine Freunde hatten dieses Abendessen geplant, sondern er selbst. Und er hatte darauf bestanden, dass Cal und Theo ihm Gesellschaft leisteten. »Ich will keine Ausreden hören«, hatte er gedroht.

Zur Feier des Tages hatte er ein Restaurant ausgesucht, das früher eins ihrer Stammlokale gewesen war. Es lag im Herzen von Buckhead, war exklusiv, teuer und hip, ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden.

Als er in seinem neuen Wagen vorfuhr, winkten ihn die Jungs vom Parkservice ehrfürchtig auf den VIP -Stellplatz direkt neben der Überdachung am Eingang. Gott, er liebte es, wenn vor ihm gekatzbuckelt wurde. Wie hatte er das vermisst! Da das angebliche »Opfer« seines »Verbrechens« die Ex-Frau von Zach Bridger gewesen war, hatten ihm die Bridger-Fans in Reidsville wenig Ehrerbietung entgegengebracht. Und dort war so ziemlich jeder ein Bridger-Fan gewesen, unter den Wachleuten wie unter den Insassen.

Aber jetzt war Eban Clarke frei und wieder unterwegs, und die ganze Welt sollte das erfahren.

Doch als er das Restaurant betrat, spürte er einen dumpfen Schlag in die Magengrube. Während seiner Abwesenheit hatte das Lokal eine Metamorphose durchgemacht. Auch wenn er nicht den Finger darauflegen konnte, warum inzwischen andere Vibes in der Luft lagen.

Nein, eigentlich konnte er das sehr wohl. Der Laden hatte überhaupt keine Vibes mehr. Er hatte kaum noch einen Puls.

Am Empfang stand eine brünette Hammerbraut in einem kurzen, eng anliegenden schwarzen Kleid, das einen tiefen Einblick gewährte. Aber ihre Augen leuchteten nicht erkennend auf, als er auf sie zugeschlendert kam. Stattdessen fragte sie nach seinem Namen und setzte ihn auf eine Liste. Eine Liste !

Der frühere Barkeeper, der einen perfekten Dirty Martini gemixt hatte und genauso schmutzige Witze erzählen konnte, war durch einen gesichtslosen Roboter ersetzt worden. Er hatte nichts zu erzählen, und seinem Martini fehlte der Biss.

Ebans Laune verdüsterte sich zusehends.

Dann erschienen Cal und Theo am Eingang. Das Mädchen am Empfang deutete träge zur Bar. Eban rutschte von seinem Barhocker und breitete die Arme aus. »Endlich! Wieso habt ihr so lange gebraucht?«

Er packte Theo und drückte ihn an seine Brust, klopfte ihm mehrmals auf den Rücken und hielt ihn dann auf Armeslänge vor sich hin. »Wo sind deine Haare geblieben?«

»Fick dich.«

Eban lachte und wandte sich an Cal. »Komm her, alter Wichser.« Er drückte auch Cal an sich. Als er ihn wieder freigegeben hatte, fragte er: »Sag, dass das nicht wahr ist. Du hast geheiratet? Geheiratet? «

»Stimmt.«

»Absichtlich oder aus Versehen?«

»Ich hatte Angst, dass sie nie Ja sagen würde.«

»Und wie ist das Eheleben so?«

»Ich bin glücklicher als je zuvor.«

Eban wandte sich an Theo und bemerkte aus dem Mundwinkel: »Was soll er sonst schon sagen?«

Theo lachte leise, und Cal lächelte, aber Ebans Bemerkung löste nicht das Pingpong von gutmütigen Frotzeleien aus, das Eban erwartet hatte.

Das Mädchen vom Empfang kam zu ihnen und sagte: »Ihr Tisch wäre jetzt bereit, Sir.«

Sir? Für wie alt hielt sie ihn?

Sie platzierte die drei in einer halbrunden Nische mit Eban in der Mitte, wo sie mit einer Runde Drinks auf seine vorzeitige Entlassung anstießen. Aber bis sie den Teller mit frischen Austern vertilgt hatten, fragte sich Eban, wohin seine Freunde verschwunden waren und wer die beiden trübseligen Gestalten waren, die sie ersetzt hatten.

Vor allem Cal hatte sich zur Spaßbremse entwickelt. Wer nach Argumenten gegen den Ehestand und die Monogamie suchte, brauchte nur den alten Cal mit dieser humorlosen und verkniffenen Gestalt zu vergleichen. Die Ehe hatte ihm jede Lebenslust und jeden Humor geraubt.

Der alte Cal Parsons war für jeden Spaß zu haben gewesen; er hatte alles und vor allem jede ausprobiert. Groß, blond und schlaksig, hatte er den Frauen nur ein laszives Lächeln schenken müssen, und schon waren sie aus dem Höschen gehüpft. Mit seinen Erfolgen beim anderen Geschlecht hatte er in sämtlichen Verbindungen an der University of Georgia Neid erweckt.

Vor allem bei Eban Clarke.

Seine Frau, wie sie auch heißen mochte, hatte ihn ruiniert. Er war zum humorlosen Spießer mutiert.

Theo Simpson war von Natur aus zurückhaltend und fleißig. Er war nie ein Draufgänger gewesen, und nur Ebans und Cals schlechter Einfluss hatte ihn davor bewahrt, als hoffnungsloser Bücherwurm zu enden. Unter ihrer Anleitung und ihrem Antrieb hatte er seine Schüchternheit wenigstens teilweise abgelegt, aber jetzt fragte sich Eban, ob er sich womöglich in das ehemals kontaktscheue Wesen zurückverwandelt hatte.

Mit dem für ihn typischen schiefen Grinsen lauschte er aufmerksam Ebans Gangstergeschichten über seine Zeit im »Zoo« und über die »Halbmenschen«, denen er dort begegnet war.

Theo lachte zwar an den richtigen Stellen, aber unter seinem Lachen war seine irritierende angeborene Zurückhaltung zu spüren. Immer wieder sah er zu Cal hin, als suchte er dessen Zustimmung. Sein Verhalten begann, Eban zu wurmen, denn seit sie während ihrer ersten Woche an der UGA Freundschaft geschlossen hatten, war er der unangefochtene Anführer in ihrem Trio gewesen.

Natürlich hatte er auch immer sämtliche Rechnungen bezahlt, weshalb seine Anführerschaft nie infrage gestellt worden war.

Sie verspeisten ihre Surf-and-Turf-Steaks und bestellten Desserts. »Wie wär’s mit einer Runde Louis XIII , um die Mousse au Chocolat runterzuspülen?«

»Für mich nicht«, sagte Cal.

»Komm schon. Der geht auf mich.«

Cal schüttelte den Kopf. »Danke, Eban, aber ich muss noch fahren.«

Eban lachte auf. »Du fährst betrunken besser als nüchtern.«

Cal lächelte angestrengt. »Ich bin aus der Übung.«

Eban verdrehte die Augen. »Jesus.« Er wandte sich an Theo. »Aber du bist doch dabei?«

»Ich setze auch aus, aber bestell dir ruhig einen.«

Nur weil er es sich leisten konnte und weil er sich gegenüber dem Roboter hinter der Bar als Mann von Welt präsentieren wollte, bestellte Eban einen Cognac für sich.

Die Kellnerin trug das Glas feierlich auf einem Silbertablett an ihren Tisch. »Für Sie, Mr. Clarke?«

»Genau. Aber nenn mich ruhig Eban.«

Lächelnd setzte sie den Cognacschwenker vor ihm ab. »Genießen Sie Ihren Cognac.«

Während sie wegging, sagte er: »Genießen würde ich es vor allem, wenn sie vor mir auf die Knie geht. Was meint ihr, Jungs? Ob sie mir für einen Hunderter einen blasen würde?«

»Psst, Eban. Bitte.«

Das kam von Theo, der sich dabei ängstlich umsah. Cal sagte nichts, sondern starrte auf die Tischdecke, auf der er mit der Fingerspitze das Webmuster nachfuhr.

Eban drückte sich in die Polster. »Was ist eigentlich los mit euch?« Er sah zuerst Theo an, dessen Knie unter dem Tisch hektisch auf und ab wippte. »Also?«

»Nach allem, was passiert ist, würde es nicht gut aussehen und sich erst recht nicht gut anhören, wenn jemand dich so reden hört«, erklärte Theo.

»Ach, fick dich.«

Cal hob den Blick von der Tischdecke, die er so ausgiebig studiert hatte, und sah ihn finster an. »Nein, Eban, fick dich . Du bist ein freier Mann. Aber Theo und ich sind noch ein weiteres Jahr auf Bewährung.«

Eban sah sie nacheinander an. »Ach, schon kapiert. Ihr seid neidisch, weil ich das System ausgetrickst habe.«

Cal blieb mehrere Sekunden reglos sitzen, dann nahm er bedächtig die Serviette von seinem Schoß und legte sie auf den Tisch. »Du hast das System nicht ausgetrickst, Eban. Du hast es gekauft .« Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Danke für das Essen.«

Und damit ließ er sie sitzen.

Eban merkte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, aber nicht, weil es ihm peinlich war, so sitzen gelassen zu werden, sondern vor Zorn. Er kippte den Cognac hinunter, als wäre er der letzte Fusel.

Dann knallte er den Schwenker auf den Tisch und tobte: »Ich kann mich nicht erinnern, dass er sich beschwert hätte, als ich unsere wochenlangen Partys in Cancún gesponsert habe. Da habe ich das Dope gekauft, das er geraucht hat, den Alk, den er gesoffen hat, und die Mädchen, die er gefickt hat.«

»Er meint das nicht …«

»Und ob. Und hör endlich mit dem verfluchten Gezappel auf. Das macht mich wahnsinnig.«

Theos Bein kam unter dem Tisch zur Ruhe. Er nagte an seiner Unterlippe, zwirbelte den Stängel der Erdbeere, die seine Mousse au Chocolat verziert hatte, und sammelte mühsam Mut, so wie immer, bevor er auch nur den leisesten Widerspruch äußerte, etwa dass Hotdogs mit Chili besser seien als mit Krautsalat.

»Die Sache ist die, Eban …«

Eban hob die Hände und richtete sie flehend zur Decke. »Halleluja! Dann lass mal hören, was die Sache ist.«

Theo wägte seine Worte so lange ab, dass Eban ihn am liebsten geohrfeigt hätte, nur um festzustellen, ob er überhaupt noch bei Bewusstsein war. Nach einer Ewigkeit meinte er: »Die Sache ist die, wir können nicht so weitermachen, als wäre nie was passiert. Wir haben es wirklich wild getrieben, aber irgendwann ist die Sache aus dem Ruder gelaufen, und dann … dann hat es uns erwischt. Und zwar heftig. Diese Sache damals war ein Weckruf.«

»Es ist lange her. Wir hatten eine Auszeit.«

Theo schüttelte den Kopf. »Es hat alles verändert.«

»Mich nicht.«

»Aber Cal und mich. Vor allem ihn, denn ich war nie so feierwütig wie ihr beide. Er hat wesentlich mehr aufzuarbeiten.« Er sah zu der Kellnerin hin, die wieder auf ihren Posten am Empfang zurückgekehrt war. »Er ist nicht mehr auf der Suche nach einem schnellen Fick.«

Eban bildete mit beiden Händen ein Herz. »Weil er jetzt ein verheirateter Mann ist.«

»Ja, das ist er, und zwar mit Herz und Seele. Er liebt Melinda, und sie betet ihn an.«

»Kannst du mir eine Frau nennen, die das nicht getan hat?«

»Nein«, bestätigte Theo mit einem spröden Lächeln. »Aber als er Melinda kennenlernte und es ernst wurde, breitete er seine ganze Vergangenheit vor ihr aus. Er hat ihr alles erzählt, was wir damals angestellt haben, und sie liebt ihn trotzdem.« Leise ergänzte er: »Sie liebt ihn sogar trotz der Sache mit Rebecca Pratt. Und so was muss für eine Frau verflucht schwer zu akzeptieren und noch schwerer zu verzeihen sein.«

Theo nahm wieder den Erdbeerstängel, sah ihn an, als wüsste er nicht, wie er in seine Hand gelangt war, und legte ihn auf den Teller zurück. »Selbst wenn Cal seine Frau nicht über alles lieben würde, darf er sich noch ein Jahr lang absolut nichts zuschulden kommen lassen, Eban, sonst landet er im Knast. Und das Gleiche gilt für mich.«

Eban pochte mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte, als wollte er einen Nagel ins Holz rammen. »Vergiss nicht, dass ich als Einziger wirklich in den Knast musste.«

Mit untypischer Offenheit erklärte Theo: »Was nur fair war. Denn immerhin hast du die Tat begangen.«