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Vor zwei Jahren hatte es angefangen.

Damals befand er sich auf Capri, wo er an einer wichtigen Konferenz der Kreditinstitute teilnahm. Viel Geschwätz und heiße Luft gehörten dazu, aber das war nicht anders üblich: Fortbildungsseminare für junge Abteilungsleiter und andere Führungskräfte, Reden prominenter Fachleute über Positionierung auf neuen und alten Märkten, neue und altbekannte Strategien.

Und erst am letzten Tag fand das Treffen hochrangiger europäischer Manager statt, eine dieser höchst vertraulichen Besprechungen hinter verschlossenen Türen, von denen die Öffentlichkeit nichts ahnt, die aber das Wohl und Wehe ganzer Wirtschaftszweige bestimmen, über Liquiditätsprobleme und Finanzierungskosten.

Savelli war aufgrund seiner Beförderung eingeladen worden; eine erste verantwortungsvolle Mission, sein offizielles Debüt auf dem internationalen Parkett der Weltwirtschaft. Im Anschluss daran fand die babylonische Versammlung mit Essen und Trinken eine gemeinsame Sprache; zum Ausklang der Konferenz versammelte man sich zum traditionellen Empfang in einem der vornehmsten Hotels der Insel. Das Fünf-Sterne-Kongresszentrum bot Platz genug für alle Teilnehmer und hatte einen märchenhaften Seeblick. Und doch war kein Raum so luxuriös, dass er vergessen hätte, nur in einem Hotelzimmer zu sein.

Und dass er es mit niemandem teilte.

Mario Savelli verließ das Foyer. Bei allem, was seinen Beruf anging, war er voll bei der Sache, aber gegen erzwungenen Frohsinn, das »Silvestersyndrom«, wie er diese Art pflichtgemäßes Feiern nannte, hegte er seit jeher eine unüberwindliche Abneigung.

Er wanderte am Pool entlang und blieb am Geländer der Aussichtsterrasse stehen, wie immer fasziniert vom Anblick des Vollmonds über dem Meer.

Dann hörte er, wie jemand ein Streichholz entzündete, und sah Zigarettenrauch aufsteigen. Offenbar war er nicht allein. Der Mann lehnte ein paar Meter weiter über der Brüstung, und die ab und zu aufleuchtende Glut seiner Zigarette war das einzige Licht neben dem silbrigen Schimmer auf den Wellen.

Sie standen eine ganze Weile schweigend nebeneinander, wie gebannt von der Aussicht.

Dann brach der andere Mann das Schweigen, sprach aber sehr leise, als wolle er die Magie des Augenblicks nicht mit lauter Stimme stören.

»Schön hier draußen, oder?«

»Wunderschön.«

Der Mann näherte sich und reichte ihm die Hand. Da er mit dem Rücken zur Brüstung stand, war sein Gesicht überschattet.

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bin Alberto Medori.«

Savelli erwiderte den Gruß.

»Ganz meinerseits, mein Name ist –«

»Mario Savelli«, fiel ihm der andere ins Wort. »Ich weiß, wer Sie sind. Ich weiß alles über Sie.«

Er wandte sich wieder dem Meer zu, und im silbrigen Licht zeichnete sich sein Profil ab.

»Und ich schätze nicht nur Ihre berufliche Kompetenz. Letztendlich ist das hier bloß ein kleiner Kreis. Erfolge sprechen sich herum, ebenso wie Misserfolge. Und von denen hatten Sie nicht allzu viele, wie es scheint.«

Savelli sah sich den Mann genauer an: Medori war kräftig gebaut, fast einen Kopf größer als er, mit groben Gesichtszügen, die vom Mondlicht wie mit Pastellkreisen leicht betont wurden.

»Wir beide haben beide eine tragische Geschichte hinter uns, Savelli. Ebenso tragisch ist, dass uns beiden die Hände gebunden sind. Aber wenn Sie wollen, könnten wir uns gegenseitig aus dieser Fessel befreien und unseren Frieden wiederfinden. Wenn Sie mir ein paar Minuten zuhören, erkläre ich Ihnen, wie ich das meine …«