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16. Kapitel

Lily Morton beugte sich über den Waschtrog und schrubbte die letzten Reste von Heu und Schmutz aus den Arbeitskleidern. Zwar hatte sie ihr langes blondes Haar zu einem Zopf geflochten, der ihr zwischen den Schulterblättern hing, aber daraus hatten sich viele Strähnen gelöst, die wild von ihrem Kopf abstanden. Sie rieb sich die juckende Nase an ihrer Schulter, wuchtete die tropfnassen Sachen aus der Wanne, packte sie in den Wringer und hängte sie danach zum Trocknen an die Leine. Die Hosen ihres Schwagers tropften neben den Kleidern von ihr und ihrer Schwester. Finster zog Lily die Männerunterwäsche aus dem seifigen Wasser, wrang sie aus, als würde sie einen Hals umdrehen, und warf sie über die Leine, wobei sie angeekelt die Zunge herausstreckte.

Vom Stall her hörte sie Schritte kommen. Ihre Schwester mühte sich mit zwei vollen Milchkannen ab, deren kostbarer Inhalt über den Rand schwappte. Lily rannte zu ihr und nahm sie ihr ab. Die Metallgriffe hatten rote Striemen in ihren Händen hinterlassen.

»Claire, das ist viel zu schwer, das weißt du doch«, schalt sie. »Siehst du, jetzt hast du die Hälfte verschüttet. Du sollst doch nicht so viel auf einmal tragen.«

Ihre Schwester rieb sich die wunden Hände, heftiger als nötig, wieder und wieder, als wollte sie Teig rollen. »Ich dachte, es geht. Ich wollte die Kannen nicht auf der Weide lassen, damit sie nicht umkippen«, stotterte sie.

Lily berührte ihre Schwester tröstend am Arm. Es tat ihr schon leid, dass sie sie gescholten hatte. Zwar war sie fast vierzehn Jahre älter als Lily, oft aber viel kindlicher als sie. Der Arzt hatte gesagt, das käme von dem Eselstritt, den sie als junges Mädchen abbekommen hatte. Eine Schande, hatten die Nachbarn gemeint. So ein schönes Mädchen. Eine Schande, dass ein verdammter Esel an ihrem Stottern schuld ist. Aber Lily kannte die Wahrheit. Der einzige verdammte Esel, der Claire je getreten hatte, war ihr Vater.

»Du hast nichts falsch gemacht.« Lily legte ihre Hände auf die ihrer Schwester. »Von nun an bringe ich die Milch rein, in Ordnung?« Sie drückte Claires Hände, bis sie ruhiger wurden, und ihre Schwester nickte.

»Ist gut«, sagte sie mit zuckendem Mund. »Tut mir leid, dass ich dich wütend gemacht habe.«

»Ich bin doch nicht wütend. Jedenfalls nicht auf dich.« Sie warf einen Blick auf die tropfende lange Unterhose und streckte erneut die Zunge heraus. »Kannst du Frank nicht dazu bringen, sich den Hintern abzuwischen? Seine Unterhose sah furchtbar aus.«

Claire brach in lautes Gelächter aus und hielt sich rasch den Mund zu. Lily freute sich, ihre Schwester glücklich zu sehen. »Du könntest ihm eine Windel anlegen, wenn er schläft.«

Vor lauter Lachen kamen Claire die Tränen. »Hör auf! Er könnte dich hören«, warnte sie, kicherte aber haltlos weiter.

»Der hört gar nichts.« Lily legte ihr den Arm um die schmalen Schultern. Ausgelassen steckten sie die Köpfe zusammen.

Claire hatte Lily aufgezogen, obwohl sie selbst fast noch ein Kind gewesen war. Lilys Vater hatte sich nicht um sie gekümmert. Er roch ständig nach Alkohol. Als Kind wusste Lily nicht, dass das Whisky war, sie dachte nur, das wäre der typische Männergeruch – alle Väter würden so riechen. Erst später, als sie Männern begegnete, die gerade aus dem Saloon kamen, erkannte sie die Wahrheit und wurde traurig. Aber sie hatte ja immer noch ihre Schwester. Es war Claire, die ihr Essen und Kleider gab, die sie in den Schlaf wiegte und mit ihr in einem Bett schlief. Es war Claire, die die Schläge ihres Vaters auf sich nahm, wenn der mal wieder seine tote Frau vermisste und sein Leben verfluchte. Doch die Schläge während all der Jahre hatten Claire zugesetzt, und sie zuckte häufig zusammen, wenn sich irgendwo etwas nur bewegte.

Lily warf einen Blick zu der Stelle, nicht weit von der Wäscheleine entfernt, wo sie ihren Vater das letzte Mal gesehen hatte – mit einer Schusswunde im Rücken und verblutend im Schlamm. Sie wandte den Blick wieder ab und konzentrierte sich auf die Milchkannen. Sie hob sie an, brachte sie vorsichtig zum Haus und stellte sie neben der Eingangstür ab, so dass sie nach dem Abendessen die Sahne abschöpfen konnte.

Frank Morton stopfte sich den Rest seiner Rühreier in den Mund und wischte sich mit der Serviette über das Kinn. Er trug neue Stiefel mit Silberspitzen und seinen braunen Stetson. Damit sah er wie ein Lackaffe aus, fand Lily. Frank betrachtete sich als Cowboy, obwohl sie ziemlich sicher war, dass er in seinem ganzen Leben noch nie auf einem Pferd gesessen hatte. Frauen fanden ihn anziehend – das wusste sie –, nur war ihr der Grund nicht ersichtlich. Aber sie bemerkte, wie die Damen im Laden ihn anstarrten, wie die Ehefrauen seiner Klienten an seinen Lippen hingen und seinen peinlich wiegenden Gang bewunderten.

Claire holte einen weiteren Kuchen aus dem Ofen und stellte die Form zu den anderen aufs Fenstersims.

»Wie viele Kuchen machst du?«, erkundigte sich Frank.

»Sieben.« Sie nahm einen der abgekühlten und fing an, ihn in Stücke zu schneiden. »Ich dachte, du könntest einen davon zu den neuen Nachbarn bringen.«

»Mach ich«, sagte Frank.

Lily nahm seinen Teller und seine Gabel und legte sie in die Spüle. »Was wollen die überhaupt auf der alten Anderson-Farm?«, fragte sie mürrisch.

»Keine Ahnung.« Frank lehnte sich zurück und rieb sich über den Bauch. Er war Mitte dreißig. »Die haben sie gegen ein Haus in Troy Hill eingetauscht, ohne sich die Farm vorher anzusehen.«

Lily goss heißes Wasser über das Geschirr. Claire schnitt ein Stück von dem frischen Kuchen ab, legte es auf einen Teller und reichte ihn ihrem Mann. »Du hast ihnen doch von der Farm erzählt, oder?«, fragte sie zaghaft. »Ich meine, in welchem Zustand sie ist?«

»Ich fasse es nicht.« Frank pfiff laut durch seine Zähne. »Meine eigene Frau glaubt, ich würde versuchen, Leute übers Ohr zu hauen.«

Claire schoss das Blut ins Gesicht. »Tut mir leid. So meinte ich das nicht.«

»Klar hab ich ihnen das gesagt.« Frank stach seine Gabel in den warmen Kuchen und blies auf das dampfende Beerenkompott. »Aber selbst wenn ich ihm erzählt hätte, dass ich ihm eine Schlangengrube verkaufe, hätte das wohl nichts geändert. Ich hab noch nie einen Mann gesehen, der so dringend aus der Stadt wegwollte.«

Er kaute vorsichtig. »Ich hab im Ort gehört, es gab einen Zwischenfall in seinem Job bei der Eisenbahn. Es heißt, es hätte was damit zu tun, dass er Deutscher ist. Die Spione sind überall. Was wir jetzt auf gar keinen Fall brauchen können, sind Deutsche, die sich bei der Eisenbahn einschleichen und Sabotage betreiben, so wie in Frankreich. Ihr habt doch von der Explosion auf der Black-Tom-Insel in New Jersey gehört. Da haben deutsche Agenten die ganze Munition für die Alliierten zerstört. Das Gleiche könnte auch bei der Eisenbahn in Pittsburgh passieren. Schwächt unsere Heimatfront.«

Frank aß seinen Kuchen auf. »Ich glaub’s einfach nicht, dass wir noch einen gottverdammten Deutschen kriegen. Und ausgerechnet einen Kiser!« Er schüttelte den Kopf. »Wie kommt es eigentlich, dass hier so viele Deutsche landen?«

»Aber sonst gibt es doch nur noch die Muellers«, warf Claire ein.

»Hier wird’s überall nach Sauerkraut stinken.«

»Ich mag Sauerkraut«, sagte Claire.

Frank brummte leise: »Du musst nicht immer alles so wörtlich nehmen.« Er stand auf und rückte seine Gürtelschnalle zurecht. Dann leckte er über seinen Finger, wischte sich über die Silberspitzen seiner Stiefel und bewunderte erst die eine und dann die andere. »Also gut. Dann will ich mal die neuen Nachbarn aufsuchen. Claire, gib mir einen von deinen Kuchen.«