flower_h2

19. Kapitel

Frank Morton kam am nächsten Morgen mit einem großen Zweispänner. Wilhelm setzte sich vorn auf den Kutschbock. »Bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?«, fragte er seinen Neffen.

»Ich bleibe besser hier«, antwortete Andrew. »Und versuche, Tante Eveline dazu zu bringen, sich auszuruhen.« Er sah, wie Frank immer wieder zu seiner Schulter schaute, und war noch nicht bereit, sich der Blicke der Leute im Ort zu stellen.

Andrew wuschelte durch die Haare seiner Cousins. »Wenn ihr zurückkommt, fangen wir Kaulquappen im Bach, wie abgemacht.«

»Fang nicht ohne uns an«, erwiderte Wilhelm, als ob Andrew schon ins flache Wasser waten würde. »Versprochen?«

Andrew legte sich die Hand aufs Herz. »Keinen Fisch und keine Kaulquappe, bis ihr wieder da seid. Versprochen.« Erleichtert nahmen die Jungen auf dem knarzenden Wagen Platz und winkten, während sie davonfuhren.

Im Haus fand er Eveline im Wohnzimmer. Sie lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa, schlief aber nicht. Ihr Gesicht wirkte angespannt, fast schon angestrengt.

»Tante Eveline?«

Als sie seine Stimme hörte, öffnete sie die Augen, und ihr Blick huschte durchs Zimmer. »Ich habe dich gar nicht hereinkommen hören, Andrew. Du hast mich erschreckt.« Sie lachte kurz auf und versuchte, sich hinzusetzen, sank aber sofort wieder in die Polster zurück. »Mir ist ein bisschen schwindelig heute Morgen. Liegt wohl an der Hitze.«

Unter dem Stoff ihres Kleides wirkte ihr großer Bauch hart. Er sah sie fragend an.

»Nein«, sagte sie, »ich glaube nicht, dass es schon so weit ist.«

»Ich kann noch versuchen, Wilhelm zu erwischen, bevor sie in den Ort fahren.«

»Nein, nicht nötig.« Sie lachte gezwungen. »Er hält mich für hysterisch.« Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf ihrer Stirn. »Es ist nur die Hitze. Ich sollte es nicht übertreiben, sondern mich ausruhen, solange hier ein Lüftchen weht.«

Die feinen, von der Sonne ausgeblichenen Spitzengardinen wehten hin und her, blähten sich in den Raum und klebten dann wieder am Fensterrahmen. »Ich bin froh, dass du da bist, Andrew«, sagte sie mit Nachdruck. »Mir ist klar, dass es bestimmt nicht leicht für dich ist. Du hast in sehr kurzer Zeit viele Veränderungen erdulden müssen. Aber Wilhelm nimmt dich doch nicht zu hart ran, oder?«

»Nein.« Andrew streckte die Hand aus und ballte sie zur Faust. »Es fühlt sich gut an zu arbeiten. Hält mich davon ab, mich in Selbstmitleid zu suhlen«, fügte er ironisch hinzu.

»Tja, die Jungs lieben dich abgöttisch. Falls dir das noch nicht aufgefallen ist.«

»Das beruht auf Gegenseitigkeit.« Das meinte er ernst. Die beiden Kinder waren für ihn wie ein Licht in der Dunkelheit.

Sie betrachtete ihn forschend. »Du machst dir Sorgen um deine Mutter, nicht wahr?«

Er nickte. »Mittlerweile müsste ich doch was von ihr gehört haben.«

Eveline drückte ihr Kissen zusammen und setzte sich auf. »Das wirst du bestimmt bald. Schon in Pittsburgh hat der Krieg alles verlangsamt. Wer weiß, wie lange wir hier auf Neuigkeiten warten müssen.«

Andrew lächelte ihr zu und bemerkte, wie ihr riesiger Bauch ihre schmale Gestalt dominierte. »Du bist meiner Mutter sehr ähnlich, weißt du das? Du bist nur fröhlicher.«

»Carolin hatte ein sehr schweres Leben. Ihr beide hattet das.« Sie runzelte die Stirn, als sie darüber nachdachte. »Ich war so wütend, als sie mit deinem Vater durchbrannte. Aber jetzt kommt mir mein Groll richtig albern vor.« Sie verzog bedauernd das Gesicht, musste dann aber lachen. »Sie und Frederick hätten keinen besseren Sohn als dich haben können.«

Von ihren Worten wurde ihm warm.

»Aber jetzt raus mit dir. Ich ruhe mich noch ein wenig aus.«

Draußen drang ihm die alles beherrschende Hitze unter die Kleider und in die Haare. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, weil die Sonne so grell war. Als er sie wieder öffnete, wirkte der Himmel hinter den grünen Baumwipfeln türkis, und Pünktchen tanzten vor seinen Augen. Er betrachtete die Umgebung. Die sanften Hügel und Täler mit den brach liegenden Feldern; den Bach, der sich zwischen Büscheln von Rohrkolben hindurchschlängelte; die rostfarbene Scheune, die leicht nach hinten geneigt war, als hockte sie auf den Fersen.

Neben dem Haus war der Garten noch ungepflegt, überall wucherte Unkraut, und alte Gemüsepflanzen schossen in die Höhe. Aber er war groß genug, um sogar zwei Familien zu ernähren. Im Frühjahr würden sie die Beete anlegen. Sie würden die Büsche auslichten, beschneiden und hochbinden, um frische Beeren für Marmeladen jeder Geschmacksrichtung zu pflanzen.

Hoch in dem riesigen Apfelbaum knackte ein Ast. Mehrere Äpfel fielen herunter und prallten vom harten Boden ab. Andrew ging hinüber zum Baum, spähte in das dichte Geäst und sah die Beine einer herunterkletternden Frau und ihr hochgerutschtes Kleid.

Er wandte sich mit rotem Gesicht ab, bevor ihm klarwurde, dass die Frau ein Eindringling war. Also drehte er sich wieder zum Baum, schob die Hand in die Hosentasche und wartete.

Er hörte ein Geräusch, als würde Stoff reißen, und dann: »Aua!« Die Zweige wackelten, als würde ein Bär den Stamm schütteln. Leises Fluchen und knackendes Holz.

Andrew zog eine Augenbraue hoch. »Brauchen Sie Hilfe?«, rief er laut.

Da wurde es still im Apfelbaum.

Grinsend trat er ein Stück näher heran. »Ich weiß, dass Sie da oben sind.«

Mucksmäuschenstille.

Verwirrt und gleichzeitig amüsiert kratzte sich Andrew am Kopf. »Dann muss ich wohl zu Ihnen hochkommen.«

Plötzlich schoss ein Apfel an seinem Kopf vorbei.

»Hey!«, rief er, als er einem zweiten und einem dritten auswich. Dann sprang eine junge Frau vom Baum. Sie hatte die Arme voller Äpfel, und mit einem davon zielte sie auf ihn.

»Wer sind Sie?«, rief sie laut.

Andrew klappte der Mund auf. »Wer ich bin?«

Sie umfasste den Apfel fester und zog den Arm noch weiter zurück. »Ich fragte, wer Sie sind.«

Als er mutig einen Schritt auf sie zu trat, warf sie den Apfel, aber er fing ihn mühelos mit der rechten Hand auf. Das brachte sie aus dem Konzept.

»Da dies mein Grundstück ist«, sagte er streng, »müssten wohl Sie mir sagen, wer Sie sind.«

»Sie wohnen hier?«, stieß sie hervor und hob überrascht die Augenbrauen. »Ich dachte, Sie wären alle in den Ort gefahren. Ich dachte, hier wäre niemand.« Die junge Frau legte die Äpfel in einem Haufen am Fuß des Baums ab. Dabei fielen ihr die langen Haare über die Schlüsselbeine und reichten bis zu den Ellbogen. Sie trug Männerstiefel und ein hellgrünes Kleid, das an der Schulter eingerissen war.

»Dann bin ich wohl mal weg«, sagte sie rasch, drehte sich um und rannte über den Steinweg.

»Halt!« Er musste sich anstrengen, um sie einzuholen. »Ihr Ärmel ist doch gerissen. Haben Sie sich am Arm verletzt?«

Sie drehte den Kopf zur Seite und untersuchte Kleid und Schulter. »Ist nur ein Kratzer.«

»Nein, das glaube ich nicht.« Als Andrew vor sie trat, spannte sich ihr ganzer Körper an, als wollte sie jeden Moment die Flucht ergreifen. Sanft nahm er den Stoff zwischen die Finger und spürte, wie sie erstarrte. Ein Rinnsal Blut lief über ihre Haut.

Ruckartig entzog sie sich ihm. »Ist nur ein Kratzer, sagte ich.«

»Schon gut, schon gut.« Beruhigend hob er die Hand. Plötzlich verschoben sich die Wolken ein Stück, und ein Sonnenstrahl fiel auf ihre smaragdgrünen Augen, die ihn trotzig anstarrten. Als er mühsam schluckte, runzelte sie die Stirn und sah ihn unentwegt an. »Was ist?«

»Nichts«, sagte er leise. Seine Stimme kam ihm seltsam und unnatürlich vor. Ihm setzte die Hitze zu, ein Schwindelgefühl überkam ihn. Er sah sie wieder direkt an. »Wie ist Ihr Name?«, fragte er sanft.

»Lily.« Sie senkte die Augen. »Lily Morton.«

Das traf ihn wie ein Schlag. »Sie sind Frank Mortons Frau?«

»Nein!« Ihr Gesicht verzog sich angewidert. »Wie kommen Sie denn darauf ?«

»Ich dachte nur …« Dann entfuhr ihm ein Lachen, weil das Gespräch so eigenartig war und weil diese fremde Frau sich in seinem Apfelbaum versteckte und ihn mit Äpfeln bewarf.

Lily runzelte die Stirn. »Was ist denn so komisch?«, fragte sie hitzig.

Darauf fiel ihm keine Antwort ein. Er stand nur da und grinste dämlich. Ihre Augen fingen seinen Blick ein. Sie verschränkte die Arme. »Was starren Sie mich denn so an?«, fragte sie wütend. »Sie lachen doch über mein Kleid, oder? Oder meine großen, dreckigen Stiefel? Tja, dann lachen Sie nur, denn mir gefallen sie, auch wenn sie kein hübscher Anblick sind.«

Andrew hörte auf zu lachen und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können.

Vor Scham verzog sie das Gesicht. »Ich weiß, wir sind nicht so reich wie Sie, aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, über mich zu lachen«, fauchte sie.

Er schämte sich bis auf die Knochen. »Ich hab nicht wegen Ihrer Kleider gelacht. Ich schwöre es.« Hastig suchte er nach einer Entschuldigung. »Es tut mir leid … Ich finde Ihr Kleid schön. Ehrlich.«

»Mein Kleid ist nicht schön, und das wissen Sie genau.«

»Ganz im Ernst.« Er trat näher zu ihr und beugte sich über sie, so dass sie den Blick heben musste. »Ich habe weder über Ihr Kleid noch über Ihre Stiefel gelacht.« Er lächelte freundlich. »Ich habe nur daran gedacht, dass Sie mich mit Äpfeln beworfen haben und fast am Kopf getroffen hätten. Sie haben einen guten Wurf.« Er schnalzte mit der Zunge. »Zumindest für ein Mädchen.«

Argwöhnisch kniff sie die Augen zusammen und musterte ihn, um zu sehen, ob er sie aufzog oder gemein war. Dann entspannte sie sich und presste hervor: »Tut mir leid, dass ich Sie mit Äpfeln beworfen habe.«

»Ich sag Ihnen was: Wir fangen noch mal ganz von vorne an.« Er streckte ihr die Hand hin. »Andrew.«

Da ertönte aus dem Haus ein qualvoller, lang gezogener Schrei. Und dann noch einer.

Andrew drehte sich um, rannte über die Veranda ins Wohnzimmer und sah, dass seine Tante vornübergebeugt vor dem Schaukelstuhl hockte und mit den Händen die Lehnen umklammerte. Ihre Haare standen ihr zerzaust vom Kopf ab, und ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Andrew legte seinen Arm um ihre Taille.

»Komm zum Sofa«, sagte er.

»Nein«, keuchte sie und atmete stoßweise. »Es ist so weit.«

»Ich sattle mir ein Pferd und reite in den Ort, um den Arzt zu holen.« Er ließ sie los, aber sie packte ihn fest am Handgelenk.

»Dazu ist keine Zeit.« Sie presste die Lippen aufeinander, krümmte sich und heulte laut auf. Wieder keuchte sie stoßweise und wand sich vor Angst und Schmerzen.

»Sie kommen!« Ihr ganzer Körper zuckte. »Oh Gott!«

»Mrs. Kiser?« Plötzlich tauchte die junge Frau in dem zerrissenen grünen Kleid neben ihm auf. »Wir müssen Sie bewegen«, drängte sie mit ruhiger Stimme. Sie löste einen von Evelines Armen von den Lehnen und legte ihn sich um die Schulter. Dann bedeutete sie Andrew mit dem Kopf, es mit dem anderen Arm genauso zu machen. Gemeinsam hievten sie Eveline hoch und gingen langsam mit ihr im Kreis.

»Wer sind Sie?«, keuchte Eveline, während die nächste Wehe nahte.

»Lily Morton. Ich wohne da drüben.« Sie knickste kurz unter dem Gewicht der schwangeren Frau. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Eveline lachte kurz auf, sackte dann aber wieder vor Schmerzen zusammen. »Bitte nicht«, schrie sie. »Nicht jetzt.«

»Zum Sofa mit ihr«, befahl Lily und ging voran. Eveline legte sich hin, wölbte den Rücken und umklammerte ihren Bauch.

»Andrew«, wies Lily ihn ruhig und beherrscht an, »du musst einen großen Topf Wasser kochen, verstanden? Außerdem brauche ich einen Stapel sauberer Laken und ein paar Handtücher.« Sie schluckte und senkte die Stimme. »Und koche ein Messer ab. Nur für alle Fälle.«

Andrew wurde blass, ging aber in die Küche. Er nahm den Topf, ließ ihn jedoch vor lauter Nervosität scheppernd auf den Boden fallen. Ganz ruhig. Er zündete den Herd an und starrte eine Weile auf den Topf, bis ihm aufging, dass kein Wasser darin war. Daraufhin rannte er zum Brunnen, füllte einen Eimer und brachte ihn schnell ins Haus, verschüttete dabei aber vor lauter Eile die Hälfte und rutschte beinahe auf der Pfütze aus.

Drei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die Treppe hinauf. Aus dem Wohnzimmer hörte er Evelines Schreie. Sie trafen ihn bis ins Mark. Er schnappte sich die sauberen Laken und brachte sie nach unten. Eveline hatte ihr Kleid über die Knie hochgeschoben, während Lily nachschaute, wie weit die Geburt vorangeschritten war.

Hastig nahm sie Andrew die Laken ab und breitete eines, zusammen mit ein paar Handtüchern, unter Eveline aus. »Ich muss mir kurz die Hände waschen, Mrs. Kiser. Andrew wird eine Minute bei Ihnen bleiben.« Sie tätschelte ihr das Knie. »Es wird alles gutgehen, hören Sie? Einfach so weiteratmen. Einatmen, ausatmen, wenn der Schmerz kommt.« Mit weit aufgerissenen Augen machte sie es ihr vor. »Es wird nicht mehr lange dauern.«

Andrew setzte sich neben seine Tante und hielt ihr die Hand. Sie umklammerte seine Finger so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Vor Entsetzen und Schmerzen riss sie die Augen auf.

»Ich habe solche Angst.«

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Jedes Mal, wenn er den Mund öffnete, kam nichts heraus. Also saß er einfach nur da, schweigend, und ließ sich von ihr die Hand zerquetschen. Als sie wieder anfing zu schreien, kniff er die Augen zusammen, weil er es fast unerträglich fand, solchen Schmerz zu sehen und nichts dagegen tun zu können.

Als Lily zurückkehrte, hatte sie die Ärmel hochgerollt. »Du gehst jetzt besser«, erklärte sie. »Aber bleib in der Nähe.«

Andrew wich rückwärts aus dem Raum, ging auf die Veranda und lehnte sich an die Hauswand. Das Schreien ertönte immer öfter, dauerte länger und verstummte dann, nur um von Neuem zu beginnen, wieder und wieder, endlos, bis das ganze Haus ein einziger qualvoller Schrei war. Da glitt er zu Boden, drückte die Knie an die Brust, senkte den Kopf und betete, dass ihre Qual endlich aufhören möge.

Lily schnitt mit dem Messer die Nabelschnüre durch und legte erst den einen kleinen Jungen an Evelines Brust und dann den anderen. Ungläubig starrte Eveline ihre Söhne an. Lily raffte die blutigen Laken und Handtücher zusammen und ersetzte sie durch neue. Die roten, runzligen Babys waren winzig, zu früh geboren, atmeten aber kräftig und waren gesund. Als Lily sich endlich entspannte, merkte sie, wie ihre Muskeln von der Anstrengung der letzten Stunden schwach und zittrig waren. Zufrieden betrachtete sie die Mutter mit ihren neugeborenen Söhnen. Mrs. Kiser war vollkommen bezaubert von den Babys in ihren Armen, und Lily verspürte dabei einen sehnsüchtigen Stich. »Wie wollen Sie sie denn nennen?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht«, antwortete Eveline lächelnd. Sie war eine wunderschöne Frau, von der eine besondere Wärme ausging. »Eigentlich dachte ich, es werden Mädchen. Daher habe ich mir keine Jungennamen überlegt.«

»Sie finden bestimmt schnell welche.« Lily stand auf und nahm die schmutzigen Laken mit. Auf der Schwelle zur Veranda blieb sie stehen und betrachtete den jungen Mann, der unruhig hin und her tigerte, von einem Ende der Veranda zum anderen. »Es sind zwei Jungen«, verkündete sie leise.

Da klappte ihm der Mund auf, und er rieb sich mit den Händen übers Gesicht, als wäre er aus einem schlimmen Alptraum erwacht. »Geht es ihnen gut? Geht es Eveline gut?«

Lily nickte und winkte ihm mit dem Finger, damit er ihr folgte. Im Wohnzimmer empfing Eveline ihn strahlend mit den Babys im Arm. »Komm, ich will dir deine neuen Cousins vorstellen.«

Andrew blieb wie angewurzelt stehen und staunte über die winzigen Babys, die wie aus dem Nichts erschienen waren. Als Lily ihn leicht anstieß, wischte er sich die Hände an der Hose ab. So vorsichtig, als könnten seine Schritte die Babys stören, setzte er sich in Bewegung und wirkte vollkommen unbeholfen. Unwillkürlich legte sich Lily eine Hand auf die Brust, als sie sah, wie der stolz wirkende Mann vor dem Sofa in die Knie ging.

Eveline lächelte ihrem Neffen zu. »Los, nimm ihn mal.«

Andrew stand auf. »Lieber nicht.«

»Er wird schon nicht zerbrechen«, drängte sie. »Sie sind robuster, als du denkst.«

Andrew senkte das Kinn und schüttelte kurz den Kopf, wobei sein Blick zu seinem fehlenden Arm ging. »Besser nicht.«

»Setz dich«, befahl Eveline daraufhin mit ruhiger Stimme.

Andrew gehorchte, ging wieder auf die Knie und ließ zu, dass Eveline ihm einen der kleinen Jungen in die Armbeuge legte. Seine ängstliche Miene schwand. Ein entzücktes Staunen breitete sich über sein Gesicht. »Ich hab noch nie zuvor ein Baby im Arm gehalten«, gestand er mit ehrfürchtiger Stimme. »Wie hast du  …« Er konnte seine Gefühle nicht in Worte fassen. »Es ist wie ein Wunder.«

Lily entfernte sich leise aus dem Zimmer, so sehr bewegte sie die Rührung des jungen Mannes. In der Küche warf sie die schmutzigen Laken und Handtücher weg und schrubbte sich die blutigen Hände. Einen Augenblick lang erschien ihr die Küche, die sie in den Wintermonaten so oft erkundet hatte, fremd. Die Vorhänge und Blumen, die sauberen Arbeitsflächen und der brennende Ofen kamen ihr wie die ersten Lebenszeichen nach einer lang andauernden Kälte vor. Obwohl die Kisers erst ein paar Tage da waren, roch es nicht mehr nach Schimmel und Verfall, sondern nach Kaffee, Sommerluft und brennendem Holz. Sie trocknete sich die Hände an einem sauberen Handtuch ab und spürte, wie ein Gefühl der Sehnsucht sich in ihr ausbreitete. Jetzt gab es hier Leben, neues Leben und Wachstum. Sie berührte die kleine Vase mit den weißen Wildrosen und atmete tief ihren Duft ein.

»Um das mal klarzustellen«, ertönte eine Stimme hinter ihr, »du darfst mich mit Äpfeln bewerfen, so oft du willst.«

Sie faltete das Handtuch und lächelte den jungen Mann an, der ihr plötzlich noch größer und kräftiger erschien als zuvor. Als er auf sie zukam, fielen ihr zum ersten Mal seine strahlend blauen Augen auf. Ein Ruck ging ihr durchs Herz, und sie räusperte sich, um das Gefühl abzuschütteln.

»Woher wusstest du, was zu tun ist?«, erkundigte er sich. Im hellen Licht, das durch das Fenster drang, wirkten seine Augen fast saphirblau.

Wieder spürte sie diesen Schmerz im Inneren. Auf gar keinen Fall würde sie ihm sagen, dass sie erst sieben Jahre alt gewesen war, als sie ihrer Schwester half, ein totes Baby auf die Welt zu bringen. »Ach, das kriegt man irgendwie mit. Als Frau, meine ich.«

Eine ganze Weile starrte er mit leerem Blick verloren auf einen Punkt hinter ihr. »Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.« Dann musterte er sie erneut, eindringlich. Ihr wurde unter seinem Blick unbehaglich zumute.

Die Anstrengung des Tages lastete ihr plötzlich so schwer auf den Schultern wie die drückende Hitze im Haus. Schmerzliche Erinnerungen setzten ihr immer wieder zu, und je stärker die Gefühle wurden, desto unsicherer fühlte sie sich. Sie versuchte, sie zu unterdrücken, aber vergeblich, und ihr wurden die Knie weich.

»Ich muss jetzt nach Hause«, sagte sie unvermittelt. Sie wusste, dass sie panisch klang und hörte das Zittern in ihrer eigenen Stimme.

Sie goss ein Glas Wasser aus dem Krug ein, brachte es ins Wohnzimmer und stellte es auf den Tisch. »Ich muss jetzt los, Mrs. Kiser.«

»Willst du nicht bleiben?«, fragte Eveline. »Mein Mann kommt bestimmt bald aus dem Ort zurück.«

»Ich wünschte, ich könnte.« Angestrengt suchte sie nach einer Erklärung. »Aber meine Schwester wird sich Sorgen machen. Sie ist immer nervös, wenn ich unterwegs bin.« Die Vorstellung, die anderen Kisers kennenzulernen, zu sehen, wie sie auf die Ankunft der Babys reagierten, während sie danebenstand, würde ihr nur noch schmerzlicher bewusst machen, dass sie all das nicht hatte.

»Dürfte ich vielleicht morgen wiederkommen?« Sie verspürte den Drang zu weinen, und ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie wurde rot, weil sie ihre Gefühle nicht besser verstecken konnte, und wünschte, sie wäre wenigstens einmal im Leben normal. »Ich könnte auch meine Schwester Claire mitbringen. Wäre das in Ordnung?« Langsam wich sie vom Sofa zurück.

Eveline, der nun allmählich die Erschöpfung von der Geburt anzusehen war und die kaum noch die Augen offen halten konnte, schien Lilys Nervosität nicht zu bemerken. »Das würde mich freuen.«

Als Lily sich umdrehte, rief Eveline sie noch mal zu sich. »Lily«, sagte sie und rückte die Babys in ihren Armen zurecht, »ich weiß nicht, wie ich dir jemals danken kann.«

Lilys Stimme brach, als sie erwiderte: »Ich – es sind hinreißende Babys, Mrs. Kiser.« Dann drängte sie sich an Andrew vorbei, nestelte fahrig an ihrem zerrissenen Ärmel herum und bemühte sich, nicht einfach loszurennen.

»Hey.« Andrew holte sie ein. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

Sie ignorierte ihn und hoffte, er würde sich einfach zurückfallen lassen  – oder sie würde sich in Luft auflösen. Aber er hielt sie auf und musterte besorgt ihr Gesicht.

»Ich fühle mich nicht so wohl.« Und das stimmte sogar. Sie legte sich die Hand auf die Stirn.

Da berührte er sanft ihren Rücken, nur ganz kurz. »Setz dich doch. Es besteht doch kein Grund zur Eile.«

Abrupt wich sie vor ihm zurück. »Fass mich nicht an!«

Er schrak zurück, als hätte sie ihn geohrfeigt, und wurde bleich. »Tut mir leid. Ich …«

Da schlug sie die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Sie wollte ihn schlagen und anschreien, gleichzeitig um Verzeihung anflehen, in den Wald rennen und für immer dortbleiben.

»Es tut mir leid«, schluchzte sie.

Da spürte sie, wie sich sein starker Arm, warm und tröstend, um ihre Schultern legte und sie an seine Brust drückte. Er strich ihr nicht über den Rücken, berührte sie nicht mehr als notwendig, sondern hielt sie einfach fest, als würde sie sonst zusammenbrechen.

Sie wollte mit dem Weinen aufhören, aber in ihr zerbrach etwas. Sie versuchte, ruhig zu atmen, doch sie konnte nur stockend schluchzen. Und immer noch hielt er sie wortlos fest.

Sie erschauerte. Langsam versiegten ihre Tränen. Sie spürte, wie sein Baumwollhemd nass gegen ihre Wange drückte. Der Arm um ihre Schultern bewegte sich nicht. Irgendwo in den Bäumen hörte sie einen Blauhäher, das Plätschern des Bachs in der Nähe. Und doch rührte sie sich nicht, sondern hatte das Gesicht im Hemd dieses Fremden vergraben – eines Fremden, den sie mit Äpfeln beworfen und angeschrien hatte und vor dem sie zusammengebrochen war.

Als sie sich von ihm löste, nahm er den Arm von ihren Schultern.

»Tut mir leid«, sagte sie noch einmal. »Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«

Der junge Mann mit den himmelblauen Augen betrachtete fast zärtlich ihr Gesicht. Zwar konnte sie ihre Trauer nicht in Worte fassen, aber an seinem Blick sah sie, dass er sie zu verstehen schien.

»Ich möchte dich gerne nach Hause bringen«, sagte er entschieden.

Als sie sich mit dem Arm über die Augen wischte, fiel ihr wieder der Riss an ihrer Schulter auf. Müde blickte sie zu ihm auf. »Ich sehe schrecklich aus, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete er und lächelte belustigt. »Katastrophal.«

Sie schnaubte. »Dabei wollte ich doch einen guten ersten Eindruck machen.«

»Eindruck hast du auf jeden Fall gemacht. Wahrscheinlich werde ich nie wieder an diesem Baum vorbeigehen, ohne um mein Leben zu fürchten.«

Sie verdrehte die Augen und lächelte verlegen.

»Hast du je daran gedacht, dich bei der Armee zu melden?«, zog er sie auf. »Wenn du über den Ozean kämst, würden die Deutschen nach einem Tag kapitulieren.«

Lachend verschränkte sie die Arme. »Du genießt das wohl auch noch, oder?«

»Ja, sehr.« Er grinste verschmitzt und hielt ihren Blick fest, bis sein Lächeln sanfter wurde. »Komm schon, Lilymädchen, bringen wir dich nach Hause.«

Sie legte den Kopf schräg.

»Was ist?«

»Du hast mich Lilymädchen genannt.«

»Hm.« Er schien kurz darüber nachzudenken. »Ja, das stimmt wohl.«

Sie überquerten den Hügel und gingen Seite an Seite auf die Sonne zu, die die Pflanzen am Wegrand und die Steine in ein warmes Licht tauchte. Bei jedem Schritt schrammten Lilys alte Arbeitsstiefel, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, an ihren Schienbeinen. Sie waren viel zu groß, aber sie bekam schon seit Jahren keine Blasen mehr davon.

Sie trat von der grasbewachsenen Böschung mitten auf die Straße, ohne nach links und rechts zu sehen. Als sie Andrew etwas zeigte, streifte ihr Arm seine Brust.

»Da unten wohnen die Muellers. Schweinebauern.«

Andrew rümpfte die Nase. »Überrascht mich nicht.«

»Die werden euch sicher auch bald besuchen. Peter Mueller ist etwa so alt wie du. Ihr zwei werdet euch sicher gut verstehen.« Sie musterte ihn neugierig. »Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich das sage, aber du siehst gar nicht wie ein Farmer aus.«

»Nicht?« Verlegen schob er die Hand in die Hosentasche und fragte sich, ob sie damit seine Verletzung meinte. Als er einen Blick zu ihr riskierte, war er beruhigt, denn sie sah ihn offen und ohne jedes Mitleid an. »Tja, ich schätze, es ist egal, ob ich so aussehe oder nicht. Wichtig ist nur, was ich jetzt bin.« Er konnte seinen Blick nicht von ihren Augen lösen.

»Ich wollte mich eigentlich immer um Tiere kümmern.« Seine Stimme wurde leiser. »Ich weiß, das klingt albern, aber das ist es eben, was ich schon immer machen wollte. Ihnen helfen, weißt du?«

Da wurden ihre Augen groß, als wäre sie überrascht, und er erkannte, dass sie das überhaupt nicht albern fand. Er wagte sich weiter vor.

»Manchmal reden sie mit mir.« Lachend verbesserte er sich. »Also, nicht mit Worten, aber ich habe das Gefühl, sie verstehen zu können. Wenn man mal darüber nachdenkt, unterscheiden sie sich nicht besonders von uns Menschen. Sie haben Gefühle wie wir, spüren Angst und Wut.«

Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich zeichne manchmal Tiere. Nicht besonders gut, aber dann fühle ich mich ihnen näher, wie du gesagt hast. Bei ihnen muss ich mich nicht verstecken oder verstellen.« Sie presste die Lippen zusammen, als hätte sie zu viel gesagt.

Andrew lächelte sie breit an. In diesem Moment empfand er eine tiefe Zuneigung zu ihr.

»Ich finde es schön, dass du dich um Tiere kümmerst. Das macht dich zu einem guten Menschen«, sagte sie.

»Gut sind bestimmt auch die Menschen, die Babys zur Welt bringen können.« Er zwinkerte ihr zu.

Sie schwiegen eine Weile. Dann warf sie ihm einen kurzen Blick zu und schaute wieder auf ihre alten Arbeitsstiefel. »Darf ich dir eine Frage stellen? Mrs. Kiser ist nicht deine Ma, oder?«

»Nein, meine Tante.« Er kickte ein Steinchen über die Straße.

»Wo sind denn deine Eltern?«, fragte sie behutsam.

»Meine Mutter ist in Holland. Und mein Vater ist gestorben.« Als er verstummte, sah sie ihn offen an, als warte sie auf eine Erklärung. Doch als er nicht weitersprach, lief sie schweigend weiter.

Er wollte nicht an den Tod denken, sondern einfach weiter mit diesem Mädchen reden, das ein so sanftes Lächeln und so zärtliche Augen hatte. Zum ersten Mal seit seinem Unfall war ihm leicht ums Herz. Um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, stupste er leicht mit dem Ellbogen gegen ihren Arm. »Übrigens ist mein Nachname nicht Kiser, sondern Houghton.«

Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie sie ihn musterte. »Mein Vater war Bergarbeiter im Fayette County«, erklärte er. »Ist bei einem Grubenunglück umgekommen.«

Lily ging abwesend weiter und starrte mit leerer Miene vor sich hin. »Hast du dabei deinen Arm verloren?«, fragte sie. »In der Mine?«

Er wandte den Kopf ab und biss die Zähne zusammen. »Nein. Ich hab mit meinem Onkel bei der Eisenbahn gearbeitet. Einmal war ich auf dem Dach des Zugs und … bin runtergefallen.«

Als er sich ihr zuwandte, traf ihn ihr offener Blick.

»Du kannst von Glück sagen, dass du noch lebst«, stieß sie hervor.

So hatte er das noch nie gesehen. »Wahrscheinlich schon. Fast hätte mich das Fieber umgebracht.«

Ganz leicht berührte sie mit ihrem Ellbogen den seinen. »Ich bin froh, dass es nicht so gekommen ist.«

Eine Weile schwiegen sie, dann fragte sie: »Vermisst du deine Eltern?«

»Ja.« Er lächelte, als er ihre forschende Miene sah, den Ernst ihrer Frage erkannte. »Meinen Vater vermisse ich sehr. Er war ein guter Mensch. Aber eigentlich vermisse ich beide.«

Ein Windzug ließ Lilys Haare um ihren Hals flattern. »Ich habe nicht viele Erinnerungen an meinen Vater«, sagte sie. »Und die wenigen, die ich habe, sind nicht schön.«

Er spürte, wie schwer es ihr fiel, darüber zu sprechen. »Das tut mir leid.«

Sie zuckte die Achseln. »Meine Schwester ist meine Familie.«

»Und dein Schwager.«

Da schoss sie ihm einen hitzigen Blick zu. »Der zählt nicht. Er ist nur der Mann meiner Schwester. Ich musste sogar seinen Nachnamen annehmen.«

Den restlichen Weg zum Haus der Mortons legten sie über Belangloses plaudernd zurück, aber sie spürten eine warme Verbindung, für die sie keine Worte gefunden hätten. Und als sie sich dem langen, gefurchten Schotterweg durch die Bäume näherten, wünschte Andrew, ihr Spaziergang würde noch viel länger dauern.

Das Haus war anders, als er erwartet hatte, und sein Anblick bedrückte ihn. Die Fassade war vom Wetter geschädigt, die Farbe abgesplittert und gewellt. Die Platten des Steinwegs waren so schlimm gesprungen, dass man sie nicht mehr betreten konnte, sondern daneben gehen musste.

Lily wurde immer stiller, und als sie sich der verzogenen Fliegentür näherte, kam es Andrew vor, als hätte er sie nie lächeln sehen.

»Claire?«, rief sie und spähte in die Küche. »Claire, bist du da? Ich wollte dir unseren neuen Nachbarn vorstellen.«

Darauf kam keine Antwort, bis sie über dem Knacken der Dielen unter ihren Schritten ein ersticktes Schluchzen hörten. Lily eilte in die Küche, wo eine Frau in Evelines Alter in einer Ecke kauerte, neben sich einen umgekippten Drahtkorb. Sie saß in einer gelblichen Pfütze, in der Eierschalen schwammen. Lily kniete sich neben ihre Schwester und strich ihr über das blonde Haar. »Was ist denn los, Claire?«

Zitternd starrte die Frau auf die zerbrochenen Eier. »I-i-ich hab sie z-z-zerbrochen, Lil. Alle zerbrochen. Ich hab …«

Andrew fing an, die Schalen aufzusammeln, und warf sie in den Komposteimer. Das Eigelb tropfte ihm von den Fingern.

»Doch nicht mit Absicht, Claire«, flüsterte Lily ihr beruhigend zu und streichelte über ihr Haar. »Du musst dich nicht so aufregen.« Sie nahm ihre ältere Schwester in die Arme, als wäre sie ein Kind. »Ist nicht schlimm, Claire. Versprochen.«

Andrew fing an, mit einem nassen Handtuch den Fußboden zu wischen. Aber Claire wurde trotz der tröstenden Worte ihrer Schwester immer aufgebrachter und rief: »Ich hab sie alle zerbrochen!«

Lily drückte sie fest an sich, obwohl Claires Körper zuckte. Als Andrew sich neben den beiden niederlassen wollte, schüttelte Lily nur den Kopf und formte mit den Lippen die Worte: Geh einfach.

Er ignorierte sie, nahm Claires Hand und hielt sie fest in seiner. »Sehen Sie mich an, Claire«, befahl er sanft. Doch sie war nicht zu beruhigen. Er drückte ihre Hand fester.

»Claire, es ist alles weg. Alles ist gut.« Er ließ ihre Finger los und zeigte auf den Boden um sie herum. »Sehen Sie?«

Sie starrte blinzelnd auf die Dielen, als würde sie endlich aus einem Alptraum erwachen. »Es ist alles gut«, wiederholte er. »Wir haben noch viele Eier. Lily wird Ihnen einen ganzen Korb bringen, mehr, als Sie essen können.«

Claires feuchte Augen leuchteten auf.

»Dann backe ich eben morgen Kuchen.« Sie drückte Lilys Hand. »Du bringst mir die Eier, ja?«

Lily nickte mit zusammengebissenen Zähnen, sie wirkte erschöpft.

Claire stand auf und strich sich über den Rock. Als hätte sie ihren Kummer schon völlig vergessen, sagte sie zu Andrew: »Für Sie backe ich auch einen Kuchen, ja?«

Er nickte und versuchte zu lächeln. Aber ihm war zu schwer ums Herz.

»Gut.« Ohne ein weiteres Wort ging sie zur Spüle, nahm den Komposteimer und brachte ihn nach draußen. Laut knallte die Fliegentür hinter ihr zu.

Andrew starrte ihr nach und wandte sich dann Lily zu, die ihn voller Wärme ansah. Ohne Vorwarnung wurde er rot, weil ihn die Dankbarkeit in ihrem Blick bis ins Mark traf.

»Danke.«

Er betrachtete ihr Gesicht. »Ich habe nur die Eier aufgeräumt«, erwiderte er.

Lily runzelte die Stirn. »Es sind nicht alle so nett zu ihr.«

Andrew starrte betreten auf seine Füße. Dann drehte er sich um, und sie gingen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren.