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28. Kapitel

Der Wechsel der Jahreszeiten brachte einen eigenen Geruch mit sich. Nahezu über Nacht wich der Sommer dem Herbst mit dem ersten Frost. Die welkenden Blätter wurden braun, bis sie von den Ästen fielen und eine dichte Laubdecke bildeten, die unter den Stiefeln raschelte. An sonnigen Tagen strahlte der Himmel in einem stählernen Blau, und es war zwar noch lange hell, aber nicht mehr warm. An bedeckten Tagen rieb die Luft wie Stahlwolle an Kinn und Wangen.

Die ganze Nacht über peitschte der Regen gegen das alte Farmhaus und zeigte die Stellen, wo das Dach repariert werden musste. Töpfe und Eimer wurden in den Räumen aufgestellt, wo das Wasser sich einen Weg durch die Schindeln bahnte. Das endlose Tropfen dauerte bis zum Morgen an, selbst wenn der Regen aufgehört hatte.

Wilhelm schickte Will und Edgar in den Hühnerstall, um die Futtertröge zu säubern und die Eier einzusammeln. Im Frühjahr würden sie die neuen Küken aufziehen, dafür sollten die Schlafplätze der Tiere schon frühzeitig vorbereitet werden. Die Jungen beklagten sich nicht, sondern waren froh, den Tag im warmen Stall zu verbringen, bis Fritz zum Spielen herüberkam.

In der Scheune drückte Andrew Nägel zum Aufhängen von Ketten und Geschirr in die Bretter und hämmerte sie dann tief ins Holz. Draußen mühte sich Wilhelm mit der Kurbel des Wagens ab. »Der Ford springt nicht an!«, brüllte er vorwurfsvoll in die Scheune.

Andrew legte den Hammer nieder und spähte von der Seite unter die Motorhaube. »Was ist das Problem?«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«, rief Wilhelm verbittert. »Sehe ich aus wie ein verdammter Mechaniker?«

Andrew überging seinen Ton. »Ich könnte Frank bitten, mal einen Blick darauf zu werfen.«

Sein Onkel grunzte. »Ich krieg’s schon selbst raus.« Dann knallte er die Motorhaube zu. »Hilf mir, den Pferdewagen zu reparieren.«

Der alte Wagen stammte noch von Mr. Anderson, und sämtliche Speichen, Bolzen und Schrauben waren verrostet. Andrew schmirgelte den Rost ab und tröpfelte Öl auf alle beweglichen Teile. Sie versuchten, das Pferd anzuschirren. Wilhelm hielt die Achse hoch, während Andrew das Pferd rückwärts führte und das Kumt anlegte. Als sie zufrieden waren, schnallten sie das Pferd wieder ab und wollten es wieder in den Stall führen. Doch dabei hob sich die Achse, der Wagen kippte, stieß Wilhelm zu Boden, und eine Ecke bohrte sich in seinen Oberschenkel. Er schrie vor Schmerz auf. Andrew mühte sich ab, seine Schulter unter den Wagen zu schieben und ihn anzuheben, damit sein Onkel das Bein herausziehen konnte. Seine Hose war zerrissen, und eine klaffende Wunde ließ seinen Oberschenkel anschwellen.

Wilhelm entfernte sich humpelnd, trat dann wütend gegen den Wagen und zeigte auf Andrew. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst das Auto nicht draußen lassen! Jetzt steht der gottverdammte Motor unter Wasser.«

»Ich hab es auch nicht draußen gelassen«, erwiderte Andrew ruhig.

»Hast du doch, zur Hölle! Ich hab dir gesagt, es gibt Regen. Hier hab ich gestanden und gesagt, du sollst den verdammten Wagen reinfahren.«

Andrew wartete einen Moment reglos in der kalten Scheune. Dann sah er seinen Onkel an, der weiße Atemwolken ausstieß, und sagte mit klarer Stimme: »Ich habe den Wagen reingefahren. Aber du hast ihn wieder rausgeholt, als du die Schusterbank repariert hast.«

Wilhelm hatte schon den Mund geöffnet, um ihm zu widersprechen, doch da erkannte er die Wahrheit. Er trat noch einmal dumpf gegen den Wagen und wies dann zum Haus. »Ich will, dass die verdammten Schweine von der Veranda runterkommen. Klar?«

Andrew nickte. »Ja, Sir.«

»Ich hab’s satt, ständig über sie zu stolpern und ihr verdammtes Quieken zu hören!« Er rieb sich über sein verletztes Bein und verzog das Gesicht. »Es ist ein Haus und kein gottverfluchter Schweinestall.«

Andrew ließ seinen Onkel toben. Da er ihn noch nie derart aufgebracht erlebt hatte, beäugte er ihn vorsichtig. Wilhelm hatte vor Zorn das Gesicht verzerrt.

»Ich muss die ganze gottverdammte Arbeit hier allein machen!« Er zeigte auf Andrews Schulter und spuckte aus. »Aber mit mir hat niemand Mitleid, oder? Von dir erwartet kein Mensch irgendwas. Kein Mensch erwartet, dass ein Krüppel diese Scheißfarm in irgendwas Nützliches verwandelt.«

Andrews Magen zog sich zusammen. Der Vorwurf brannte heiß auf seinen Wangen. Er drehte sich um und ließ seinen Onkel einfach stehen.

Da bekam Wilhelm doch ein schlechtes Gewissen, und er fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. »Ich hab’s nicht so gemeint.« Er rieb sich die Augen, als hätte er geschlafen. »Es tut mir leid, Andrew. Ich hab kein einziges Wort so gemeint.«

Aber Andrew ging einfach weiter zum Haus, um die Ferkel wegzubringen.

Peter Mueller rammte eine Forke in den Schweinetrog und vermischte die alten Kartoffeln, Äpfel und Pastinaken, die Andrew hineinwarf. »Ich kann’s einfach nicht glauben, dass du die Ferkel gerettet hast«, gestand er. »Ich dachte, die wären verloren.«

Andrew schaufelte die Schweinefäkalien auf den Komposthaufen hinter dem Koben. Inzwischen war er sehr geschickt darin, die Arbeit mit nur einem Arm zu erledigen. Aber die Schmähungen seines Onkels schmerzten immer noch.

»So hast du einfach euren Bestand vervierfacht«, fuhr Peter fassungslos fort. »Wenn das bekannt wird, werden die Farmer im Umkreis von hundert Meilen nach dir rufen.«

Andrew stieß seine Schaufel in den Boden und biss die Zähne zusammen. »Bist du fertig?«

Peter erstarrte. »Wie bitte?«

»Mit dem Versuch, mich aufzubauen.« Er nahm wieder die Schaufel und trat herausfordernd auf seinen Freund zu. »Du musst mir nicht gut zureden«, sagte er warnend. »Ich brauch dein Mitleid nicht.«

Peter kratzte sich am Kopf. »Mitleid?«, erwiderte er irritiert. »Hast du dir selbst mit der Schaufel auf den Kopf gehauen?«

Andrew starrte ihn finster an. »Lass es einfach.«

»Na klar«, sagte Peter, aber seine Miene wurde hart. Er füllte einen der Eimer an der Pumpe und stieß Andrew im Vorbeigehen so heftig an, dass ihm eiskaltes Wasser an die Hose spritzte. »Tut mir leid«, sagte er knapp.

Andrew verzog das Gesicht und starrte auf seine tropfnasse Hose. »Pass doch auf!«

Als Peter das Wasser in die Schweinetränke füllte, warf er Andrew einen kurzen Blick zu. »Also, hast du dir überlegt, ob du mit ins Team kommen willst?«, fragte der gedehnt. »Der Werfer wurde gerade abgeworben. Wir haben üblen Spielerschwund.«

»Nein.« Als ein Schwein zum Fressen an den Trog drängte, hätte es Andrew fast zu Boden geworfen, der nach dem nächtlichen Regenschauer schlammig geworden war. »Gott, diese Schweine …«, brummte er, dann sagte er an Peter gewandt: »Hab zu viel zu tun.«

Peter lachte leise und begann zu pfeifen, als er die Ohren einer seiner ehemaligen Kümmerlinge untersuchte.

»Was ist denn so lustig?« Andrew hatte den Gestank der Schweine in der Nase und sehnte sich danach, ihn bald in einem heißen Bad abzuschrubben.

»Du bist ’ne Memme«, verkündete Peter laut. »Hat dir das schon mal einer gesagt?«

Andrew trat einen Schritt auf ihn zu und spürte, wie sich seine Bauchmuskeln anspannten. »Wie war das?«

»Ich sagte, du bist ’ne Memme.« Peter trat ebenfalls einen Schritt vor.

Die Stimmung zwischen ihnen war mit einem Mal aufs Äußerste angespannt. Die Schweine grunzten und rotteten sich zu einem Haufen auf der anderen Seite des Pferchs zusammen. »Pass bloß auf, was du sagst, Peter.«

Der spuckte auf den Boden, nur einen Zentimeter von Andrews schlammigem Stiefel entfernt. »Sonst was?«

Andrew warf die Schaufel weg und rückte noch näher an Peter heran. »Verschwinde von meinem Grundstück.«

»Deinem Grundstück?« Der junge Mann lachte. Dann verzog er verächtlich den Mund. »Spiel dich nicht so auf, Houghton.«

Er stieß Andrew heftig gegen die Schulter.

»Ich hab dich gewarnt.« Andrew hob seine Faust. »Ich will dich nicht schlagen, Peter.«

»Mich schlagen?« Peter legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Meine kleine Schwester könnte härter zuschlagen als du.«

Andrew musste sich so beherrschen, dass er vor Wut am ganzen Körper zitterte. Peter Mueller stieß ihm hart gegen die Brust. »Dein Grundstück? Sieh mal den Tatsachen ins Gesicht! Du wirst hier höchstens geduldet. Du bist nur der verkrüppelte Sohn eines armen Minenarbeiters.«

Andrew rammte ihm die Faust ins Gesicht, so dass er rückwärts in den Schlamm fiel. Doch er sprang sofort wieder auf, stürzte sich auf Andrew und stieß ihm so heftig mit der Schulter gegen die Brust, dass sie beide wieder zu Boden gingen. Sie wälzten sich im Schlamm und gingen mit den Fäusten aufeinander los.

Edgar und Will kamen herbeigerannt, starrten die beiden an und stiegen auf den Zaun, um besser sehen zu können. »Zeig’s ihm, Andrew!«, brüllte Edgar begeistert. Will, der nicht wollte, dass der Kampf endete, schrie ebenso enthusiastisch: »Zeig du es ihm, Peter!«

Doch plötzlich begann Peter, völlig schlammbedeckt, laut zu lachen und ließ Andrews Hemd los, weil er sich den Bauch halten musste.

Andrew spuckte den Schlamm aus und schüttelte den Kopf, weil ihm nun klarwurde, was Peter mit seiner Stichelei beabsichtigt hatte. Peter rollte sich herum, stand mühsam auf und reichte ihm die Hand.

Andrew sah blinzelnd in die Sonne. »Du bist ein echter Dreckskerl, weißt du das?« Grinsend ergriff er die Hand. Als er aufstand, löste sich sein Hintern schmatzend aus dem Schlamm.

Peter tätschelte ihm den Arm und beruhigte sich langsam. »Hörst du jetzt endlich auf, dir selbst leid zu tun?«

Andrew ließ seine Schulter kreisen, weil sie von seinen Faustschlägen schmerzte. Seine ganze Kleidung war schlammig. »Ja, du hast ja recht.«

Peter schlang ihm einen lehmbedeckten Arm um den Hals. »Also kommst du ins Team, du Riesenmemme?«

»Ja«, gab Andrew nach. Er fühlte sich plötzlich erleichtert. »Ich bin dabei.«

Peter winkte Edgar und Will zu und verneigte sich elegant, als wären sie zahlendes Publikum. »Habt ihr die Show genossen, Jungs?«

Die beiden klatschten und johlten, während Peter sich über seinen angeschlagenen Kiefer rieb und ihn nach links und rechts schob, um sich zu vergewissern, dass nichts gebrochen war. »Wenn du so wirfst, wie du schlägst, könnten wir schon ein Spiel gewinnen.«