Die letzten Apfelblüten lösten sich von ihren Stängeln, bedeckten den Garten mit einem weiß-rosa Teppich und verfingen sich in Evelines Haaren, während sie Unkraut jätete. Wilhelm, Andrew und die Jungen waren vor Morgengrauen zum Markt aufgebrochen, so dass der Tag ihr gehörte.
Sie pflanzte Zinnien, Kosmeen und Kapuzinerkresse an den Zaun, der die Rehe und Kaninchen vom Gemüsegarten fernhalten sollte. Sie setzte Geranien, die wachsen und die Blumenkästen füllen würden, die Andrew für sie gebaut hatte. Die leuchtenden Blumen würden die Schindelfassade verzieren und mit ihrem Duft Moskitos und Fliegen von den geöffneten Fenstern und zerrissenen Fliegengittern fernhalten.
Zwischen den Blumensamen prangten schon leuchtend grüne Salatköpfe, und dahinter wuchs Spargel. Auch die Gurken, Erbsen und Bohnen sprossen bereits. Wilhelm hatte versprochen, ihr noch mehr Samen vom Markt mitzubringen.
Auf der anderen Seite des Hauses schlugen schon die Pfirsich-, Pflaumen- und Apfelbäume aus. Sie und Andrew hatten die Büsche gestutzt – Maulbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren und Blaubeeren –, die zwischen den Obstbäumen wuchsen. Und unter dem großen Apfelbaum standen die Grabkreuze ihrer Kinder. Otto und Harold waren immer da und sahen zu, wie der Garten Gestalt annahm.
Von der Hauptstraße oben bog ein Mann in die Zufahrt ein. Ihr stockte der Atem. Frank. Sie blickte auf ihre schmutzigen Hände und fummelte an ihrem Haarknoten, der sich halb gelöst hatte. Sie eilte ins Haus, um sich die Hände zu waschen und sich im Spiegel zu betrachten. Heftig kniff sie sich in die Wangen, obwohl diese ohnehin gerötet waren. Sie wusste, sie benahm sich albern. Aber es tat so gut, sich wie eine Frau zu fühlen. Nicht wie eine Mutter oder Ehefrau, sondern wie eine Frau. Als es an der Tür klopfte, machte ihr Herz einen Satz.
Eveline trat hinaus in die strahlende Sonne. »Guten Tag, Mr. Morton.« Sie lächelte nervös, fasste sich dann aber. »Das ist aber eine Überraschung.«
Er sah aus, als wollte er etwas sagen, wurde aber ebenso von Nervosität ergriffen. »Tja, jetzt wo ich hier bin, komme ich mir ein bisschen albern vor.«
Das beruhigte sie. Sie verschränkte die Arme über der Brust. »Was führt Sie denn her?« Dann bemerkte sie den Karton vor seinen Füßen. »Ich hoffe doch, Sie haben mir nicht noch einen Kristallkrug mitgebracht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.« Er hob den Karton hoch und reichte ihn ihr. »Aber es ist dennoch etwas für Sie.«
Eveline blinzelte heftig, wedelte abwehrend mit den Händen und wich zurück. »Nein. Sie waren schon zu freundlich zu mir. Noch ein Geschenk kann ich nicht annehmen.«
Er starrte auf seine blank geputzten Cowboystiefel und schwieg einen Moment, bevor er ihr ins Gesicht sah. »Ich weiß, dass sich das nicht gehört, Eveline. Das weiß ich.« Er verzog das Gesicht. »Ein verheirateter Mann sollte einer verheirateten Frau keine Geschenke machen.«
Ein Schauer durchfuhr sie, das Gefühl von etwas Sündhaftem, wonach sie sich heimlich sehnte, ließ ihr Herz schneller schlagen.
Frank strich sich sein Hemd glatt, und mit einem Mal blickte er ihr direkt in die Augen. »Aber diese Geschenke gehören sich immerhin mehr als das, was ich am liebsten mit Ihnen tun würde.«
Ihr Mund klappte auf, und schlagartig wurde ihr heiß. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. »Ich kann nicht«, murmelte sie. »Ich …«
Lächelnd hob er die Hand. »Ich weiß. Sie müssen kein Wort mehr sagen. Ich habe Sie in Verlegenheit gebracht, und das tut mir leid.« Dann lachte er auf. »Ich glaube, Sie müssen jetzt wirklich das Geschenk auspacken. Dann fühle ich mich nicht mehr so schlecht, weil ich solche Dinge zu Ihnen sage.«
Damit ihre Beine nicht unter ihr nachgaben, ließ sich Eveline auf die Stufe sinken, und nur, damit sie sich auf etwas anderes als die Hitze in ihrem Körper konzentrieren konnte, nahm sie den Karton. Das Prickeln in ihrem Bauch wurde immer stärker.
Als Frank neben ihr Platz nahm und mit seiner Schulter ihre berührte, rückte sie ein Stück von ihm ab. Sie konnte nur mühsam atmen und öffnete den Karton. Er war gefüllt mit Samentütchen, deren Inhalt auf bunten Bildchen zu sehen war: Karotten, Gurken, Bohnen, Tomaten – unendlich viele verschiedene Sorten. Eveline war sprachlos.
Er zeigte auf den Karton. »Da ist noch was für Sie drin.«
Sie schüttelte nur den Kopf, wühlte sich bis zum Boden durch und holte einen zarten Strohhut mit korallenrotem Seidenband heraus.
»Ich dachte, wenn Sie so viel säen und pflanzen müssen, brauchen Sie Schutz vor der Sonne«, erklärte er und betrachtete ihr Profil.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, murmelte sie mit tränenerstickter Stimme, so gerührt war sie. Dieses Geschenk war kostbarer als Diamanten.
»Schauen Sie mal die Innenseite des Huts an«, forderte er sie auf.
Sie drehte ihn um und las auf einem schlichten Etikett: Gemaakt in Nederland. »Der kommt aus Holland?«
»Ja. Wegen des Kriegs war es höllisch schwer, ihn zu bekommen, aber … ich hab’s geschafft.«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, wiederholte sie.
»Sie müssen gar nichts sagen, Eveline.« Zwinkernd stand er auf. »Ich bin glücklich, Ihnen ein Geschenk machen zu dürfen. Wenn man es recht bedenkt, war es irgendwie selbstsüchtig.«
Sie lächelte. »Jedenfalls ist das eines der schönsten Geschenke, die ich je im Leben bekommen habe.« Am liebsten hätte sie ihn berührt.
Er schob die Hände in seine Hosentaschen, tappte mit dem Fuß und blickte blinzelnd in die Sonne über ihrem Kopf. »Darf ich ganz ehrlich sein?«
Sie nickte, obwohl sie nicht sicher war, ob sie aushalten würde, was er sagen wollte.
»Ich mache mir Sorgen um Sie.«
»Um mich?«, fragte sie und zuckte erstaunt zurück. »Aber wieso denn?«
»Im Moment ist überall viel Unruhe. Ich hab selbst immer wieder damit zu tun. Keine gute Zeit, wenn man Deutscher ist. Ich weiß natürlich, dass Sie nur durch Heirat Deutsche sind, aber das ist den Leuten egal. Was ich sagen will: Geben Sie auf sich acht.«
Sie dachte an ihren Mann, der auf dem Markt versuchte, ihre Produkte zu verkaufen. Sie führten das Leben, das sie für ihre Familie gewollt hatte – und plötzlich überkam sie tiefe Reue. Sie wich vor Frank zurück und verdrängte die Empfindungen, die er in ihr ausgelöst hatte. Sie war stolz, Wilhelms Frau zu sein, und sie war stolz, seinen Namen zu tragen.
»Die Vorurteile anderer kümmern uns nicht. Wir sind eine starke Familie, Mr. Morton.«
Er erstarrte angesichts ihres veränderten Tonfalls und ihrer Förmlichkeit und zupfte unsicher an seinem Ohrläppchen. Als er wieder zu sprechen anfing, klang seine Stimme schärfer.
»Tja, das sehe ich. Es könnte nur sein, dass schwere Zeiten auf Sie zukommen, mehr sage ich ja nicht. Durch den Krieg könnte es nicht so leicht für Wilhelm werden, das Darlehen zurückzuzahlen, das er von mir wollte.«
Eveline richtete sich auf und blinzelte überrascht. »Ein Darlehen?«
»Hat er Ihnen das nicht erzählt?«
»Nein.« Eveline wandte sich ab. Sie hörte ein Geräusch auf der Zufahrt, achtete aber nicht darauf, weil die Neuigkeit, die Frank ihr gerade enthüllt hatte, sie so beschäftigte. »Wann?«
»Vor dem Schneesturm. Ich dachte, er hätte es Ihnen erzählt. Sollte ein Mann eine solche Entscheidung nicht gemeinsam mit seiner Frau treffen?« Seine Miene wurde härter. »Ich dachte, über so was redet ein Paar, wenn es das Bett teilt.«
Sie fühlte sich nicht gut, ihr wurde schwindelig. Sie schluckte, weil sie nicht wusste, was sie sagen oder fühlen sollte.
Frank nahm den Fuß von der Stufe und schob sich das Hemd tiefer in die Hose. Er nahm den Strohhut aus dem Karton und setzte ihn Eveline auf. Wie in Trance nahm sie seine Bewegungen wahr. Er ließ das Seidenband an ihrer Wange heruntergleiten und strich ihr eine Strähne hinters Ohr. Und sie nahm seine Annäherungsversuche wortlos hin.
Er rückte den Hut zurecht. »Sie sehen richtig hübsch aus, Eveline.«
»Nehmen Sie die Hände von meiner Frau!«
Mit bleichem Gesicht und geballten Fäusten tauchte Wilhelm hinter Frank auf. Am ganzen Körper zitternd, riss sich Eveline den Hut vom Kopf und stopfte ihn in den Karton.
Frank hob in spöttischer Abwehr die Hände. »Ganz ruhig, Mann«, sagte er beschwichtigend. »Claire hatte ein Geschenk für Ihre Frau, und ich habe es ihr nur gebracht.«
Wilhelm schnaubte wie ein gereizter Stier. Er trat so dicht vor Frank, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. »Sie rühren meine Frau nicht an.«
Als Eveline nach seinem Arm griff, war er so hart wie Stein. Sie zog ihre Hand weg. »Er hat sich nichts dabei gedacht, Will.«
Wilhelm schnappte sich den Karton und drückte ihn Frank gegen die Brust. »Nehmen Sie Ihr Geschenk, und verschwinden Sie von meinem Grundstück.«
»Aufgepasst, Kiser.« Franks Augen schimmerten schwarz, und er stieß den Karton so kräftig gegen Wilhelms Brust, dass der einen Schritt zurücktaumelte. »Das Geschenk war nicht für Sie, sondern für Ihre Frau.« Dann trat er auf den Gehweg und schnalzte mit der Zunge. »Und was Ihr Grundstück betrifft, lege ich Ihnen nahe, endlich Ihr Darlehen zurückzuzahlen. Sonst können Sie mich vielleicht nicht mehr lange auffordern zu gehen.«
Er tippte sich an den Cowboyhut und zwinkerte Wilhelms Frau zu. »War mir wie immer ein Vergnügen, Eveline.«