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45. Kapitel

Seit dem Brand hatte Wilhelm sich völlig verändert. Seine Miene war ausdruckslos, der Mund nur noch ein Strich. Will und Edgar machten einen weiten Bogen um ihren Vater, weil ihnen die Stille, die ihn umgab, Angst einflößte. Wenn er von der Feldarbeit zurück ins Haus kam und man an seinen sauberen Kleidern sah, dass er nicht gearbeitet hatte, flohen die Kinder ins Freie. Und wenn er das Haus verließ, um in der Dämmerung herumzuirren und auf die kohlschwarze Fläche zu starren, wo einst die Scheune gestanden hatte, dann fanden Will und Edgar rasch eine Arbeit in der Küche. Die Kinder erkannten ihn nicht mehr wieder, hatten Angst vor seiner düsteren Stimmung.

Andrew arbeitete noch härter auf den Feldern. Der Traktor hatte in jener Nacht draußen gestanden und war daher als einziges Fahrzeug noch einsatzbereit. Andrew schuftete, bis ihn Schmerz und Erschöpfung ins Bett trieben, auf das er sich fallen ließ, ohne sich zu waschen oder auch nur auszuziehen. Er arbeitete auch, um nicht nachdenken zu müssen, aber vor allem, weil Wilhelm es nicht konnte. Der Mann sah nur noch die toten Kühe, die toten Zwillinge, die verbrannten Balken der Scheune und die Schulden.

Eveline hatte einen trockenen Mund. Ihre Haut juckte. Und immer wieder verkrampfte sich ihr Magen schmerzhaft. Sie befand sich in einem Alptraum, von dem sie nicht wusste, ob sie daraus erwachen würde, Trauer und Schuld lasteten schwer auf ihr. Wenn sie an Frank dachte, wurde ihr übel. Sie war so dumm gewesen! Sie hatte jedes Wort mit angehört, das dieser Mann zu Andrew gesagt hatte, wie er ihn demütigte und verletzte, ihn als Krüppel beschimpfte. Sie wusste nun, dass Frank Andrew nicht aus dem Gefängnis geholt, sondern ihn im Gegenteil erst hineingebracht hatte. Sie wusste, dass es die American Protective League war, die das Leben im Ort für ihre Familie und so viele andere unerträglich machte. Und als die Scheune verbrannte und die Flammen in die pechschwarze Nacht stiegen, da wusste sie mit verzweifelter Klarheit, dass der Mann, den sie begehrt hatte, auf die eine oder andere Weise dafür verantwortlich war.

Eveline warf sich im Bett hin und her. Sie war so blind gewesen. Sie wusste nicht, wie viel sie noch ertragen konnte. Aber dann war da noch ihr Mann. Beim Gedanken an ihn stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie fühlte sich so schlecht. Sie liebte ihn für das, was er für seine Familie geopfert hatte, und dafür, dass er tapfer aushielt, wo andere längst zusammengebrochen wären. Sie schämte sich für die Gefühle, die sie für Frank entwickelt hatte.

Sie drehte sich zu Wilhelm, schlang beide Arme um seine Taille und hoffte, ihn nicht zu wecken. Es tut mir leid, Wilhelm, sagte sie im Stillen, und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Ich mache es wieder gut. Sie drückte ihr Gesicht zwischen seine Schultern.

Eveline musste doch noch eingeschlafen sein, denn sie wurde von den Sonnenstrahlen geweckt, die durch das Fenster direkt auf ihr Bett fielen. Sie war erleichtert, dass Wilhelm schon aufgestanden war. Das heißt, dass er melken gegangen ist, dachte sie. Das heißt, er arbeitet, macht weiter. Er musste es schaffen, sich selbst aus dem Loch ziehen, in dem er sich versteckte, in dem er sich schon lange vor dem Brand versteckt hatte. Sie hätte schon längst versuchen müssen, ihm zu helfen. Sie würde es wiedergutmachen.

Sie bereitete das Frühstück zu und wartete auf Will und Edgar. Sie alle waren erschöpft. Andrew aß schweigend und schaufelte sich abwesend Eier, Brot und Speck in den Mund. Die Kinder hatten kaum Appetit, aber sie machte ihnen keinen Vorwurf. Ihr war auch die Lust am Essen vergangen.

Nachdem das Frühstück abgeräumt und die morgendlichen Pflichten erledigt waren, schnappte sich Eveline ihren Korb und ging zum Garten. Wenn der Winter so wurde wie der letzte, dann brauchten sie jede Bohne, Gurke und Beere für den Vorratskeller.

Eveline kam an dem alten Apfelbaum vorbei, hob ein paar zerbrochene Zweige auf und schleuderte sie Richtung Zaun. Ein Tritthocker lag umgekippt am Stamm des Baums. »Die kleinen Satansbraten räumen einfach nichts weg«, murmelte sie. Sie stellte den Hocker wieder auf.

Als sie ein kühler Luftzug erreichte, stellten sich ihr die Härchen am Nacken und an den Armen auf. Über ihr knackte ein Ast, der zu viel Gewicht trug. Ein Schatten glitt über sie hinweg. Nein. Nein! Ihre Hand fuhr zu ihrem Herzen, die Zeit schien stillzustehen. Sie fing am ganzen Körper an zu zittern. Dann blickte sie auf, bemerkte die Stiefelspitzen. Wilhelms Körper schaukelte zwischen den Ästen hin und her.

Eveline schnappte nach Luft, ein Schluchzen brach aus ihr hervor. Dann fing sie an zu schreien.