Kapitel 16

Fenja war in ein Gespräch mit Frau Jacobs vertieft. Ich wartete, bis die Intensität ihres Gesprächs augenscheinlich nachließ. Ich trat näher und verabschiedete mich von Fenja, sie nahm die Gelegenheit wahr, stellte mich ihrer Förderin vor. Frau Jacobs wirkte ruhig, beunruhigend ruhig. Ihre Bewegungen und Reaktionen kamen verzögert, sie wirkte wie ruhiggestellt. Ihr Blick ging durch mich hindurch, und ich bezweifelte, dass sie meinen Namen überhaupt registriert hatte. Ich sagte etwas Positives über die Ausstellung, entschuldigte mich, zog meine Jacke über und verließ die Galerie. Draußen schneite es in dicken Flocken, der Schnee knarzte unter den Füßen. Die Straßen waren fast wie ausgestorben, die Geräusche gedämpft. Das Tageslicht erstarb in einem fleckigen Grau, und als ich in die Luisenstraße einbog, erhob sich der alte Hotelbau mit blinden Fenstern dunkel und leblos. Die Straßenbeleuchtung war noch nicht angesprungen. Ich blieb stehen, sah mich nach allen Seiten um, schaute zu jedem Fenster, von dem man mich hätte beobachten können. Niemand war zu sehen, niemand schaute heraus, niemand spielte Else Kling. Viele Wohnungen schienen unbewohnt, ein Straßenzug im Dornröschenschlaf. Ich begab mich wieder auf die Rückseite des Hotels, und wieder ließ ich meinen Adlerblick schweifen. Dieses Mal sollte mir eine Bemerkung des Nachbarn erspart bleiben – die oberen Ränge waren leer. Auf Anhieb fand ich das Kellerfenster, näherte mich ihm, sah mich noch einmal um und beugte mich hinab. Auf dem Gitter lag ein dicker Stein, ich kullerte ihn beiseite, der war kalt und glitschig wie ein Poggenbauch. Das Gitter war zwar unverschlossen, aber angefroren. Mit einem kräftigen Ruck hatte sich das erledigt, ich zog es hoch, schob es beiseite, ließ mich den Lichtschacht hinab, stieß mit dem Fuß gegen das Fenster, aber es sprang nicht auf. In der rechten oberen Ecke fehlte ein Stück Glas, ich langte vorsichtig hindurch und bewegte den Griff senkrecht, der Rest war kein Problem. Etwas umständlich bewegte ich mich abwärts, konnte aber nicht sehen, wo meine Füße landen würden. Ich hoffte nur, nicht den Raum mit dem Hotelpool erwischt zu haben. Ich hielt mich am Fensterrahmen fest, plötzliches Gezeter und Geraschel unter mir. Die Ratten nahmen reißaus. Nur noch wenige Zentimeter, und die Erde hatte mich wieder. Ich streute eine Prise LED-Licht aus dem Smartphone in den hell gefliesten Raum mit rost- und dreckverschmierten Stellplätzen für Waschmaschinen. Vielleicht die ehemalige Wäscherei des Hotels. Als Nächstes trat ich einen Erkundungsgang durch die Katakomben des Hauses an, schaute hinter jede Kellertür. Da waren Werkstatt, Trockenzimmer, Heizungsraum, Umkleide- und Aufenthaltsräume und zwei winzige Schlafzimmer, vielleicht Unterkünfte fürs Personal. Hier unten war es totenstill. Keine Hausgeräusche, kein Knarren, kein Quietschen, nicht einmal Rutschen in verborgenen Rohren, keine vorbeifahrenden Autos auf der Straße, kein Wind, der an der Hausfassade zerrte, nicht mal mehr Ratten, allein mein eigener Herzschlag. Es ging weiter, ich suchte nach dem Treppenaufgang. Am Ende einer Abzweigung links gelangte ich an eine Metalltür – die einzige Tür, die verschlossen war. Die massive Zarge forderte mich heraus. Ich ging zurück in den Werksraum, suchte nach einer Brechstange oder ähnlichem Kram. Ich fand den Kuhfuß an einen Schrank gelehnt, packte ihn und spazierte zurück. Das Drücken auf den Lichtschalter brachte leider nichts, darum positionierte ich das LED-Licht des Handys schräg an der Wand, um wenigstens dieses Licht nutzen zu können. In meinem Rücken war es stockdunkel. Ich setzte den Kuhfuß der Reihe nach an allen vier Seiten an, um einen Schwachpunkt der Tür auszumachen. Den gab es nicht, aber es war eine Metalltür aus den Achtzigerjahren, veralteter Standard. Die kurze Krümmung der Stange setzte ich am unteren Türspalt an und trat auf den langen Steg. Die Tür ließ sich minimal anheben. Diese Prozedur wiederholte ich auf allen vier Seiten, um die Scharniere zu lockern. Als Nächstes setzte ich die Stange direkt am Schloss an, ich bog sie mehrere Male, um Riegel und Türzarge zu lockern. Die Tür bewegte sich, nun das Finale. Ich setzte die Stange erneut ans Schloss, zog voll durch und trat mit voller Wucht dagegen. Der Riegel sprang aus dem Blech, die Tür flog mit lautem Getöse auf, die Stange knallte hart auf den Betonboden, ohrenbetäubendes Scheppern. Die unerwartete Wucht warf mich für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht. Beinahe wäre ich auf den harten Beton geknallt, konnte meinen Sturz aber an der Wand abfedern. Schnaubend konzentrierte ich mich auf meine Atemzüge, sie liefen wieder rund. Ich nahm das Handy wieder an mich, trat in den Raum und probierte den Lichtschalter. Zwei kalte Neonröhren flackerten auf. Es war ein kühler Raum mit fleckigen Wänden. Fünf große, weiße Kisten standen herum, sonst nichts. Es waren Kühltruhen. Die Aggregate zeigten keinerlei Lebenszeichen, waren nicht in Betrieb. Die Truhen standen da wie Särge für Übergewichtige. Diese Assoziation ließ mich erschaudern – nicht noch eine Leiche! Ich näherte mich der ersten Truhe, fasste unter den Griff, der Deckel ließ sich nicht öffnen. Ich setzte die Brechstange an, drückte sie mit ganzer Kraft herunter. Der Deckel sprang auf. Der Anblick, der sich mir bot, war nur ein weiteres Puzzleteil in dem Gefüge, meine Überraschung hielt sich in Grenzen. Ich starrte auf eine hübsche Ansammlung Pan-Am-Taschen.

„Lange nicht gesehen, Freunde“, sagte ich leise. Mein Verdacht, dass Gronewold hinter dem Kokainhandel steckte, erhärtete sich gerade. Erst das Familienanwesen am Nordstrand als Umschlagplatz, jetzt das Basislager Nordstern-Hotel, über das Gronewold die Schlüsselgewalt hatte. Aber darum sollte sich Deeken kümmern. Bei Gelegenheit würde ich es ihm unter die Nase reiben. Hier unten hatte ich alles gesehen, bis auf den Treppenaufgang, am rechten Ende der Abzweigung. Ich stapfte die Stufen zur Lobby hinauf. Gegenüber fiel noch etwas Tageslicht durch den ehemaligen Haupteingang. Der Schnee ließ das Innere des Hotels heller erscheinen. Gespenstische Stille in den mintgrünen Fluren des Erdgeschosses. Ich ging zum Empfangstresen mit schwarz-weißem Schachbrettmuster und lachsfarbenen Art-déco-Applikationen.

In einem der unteren Regalfächer lag ein abgewetztes Gästebuch, ich blätterte darin, fand aber nichts Aufregendes. Zwischen der vorletzten und der letzten Seite lagen Zeitungsausschnitte und handschriftliche Hotelbewertungen aus besseren Tagen, als wären sie aus einem älteren Gästebuch herausgerissen worden. Ich überflog die Zeitungsausschnitte aus dem Giftschrank des Hotels. Zum Ende hin kam das Haus wohl aus den Negativschlagzeilen nicht heraus: verdreckte Räume, vernachlässigter Pool, Schimmel in der Sauna. Ich klappte das Buch zu, legte es zurück, setzte meinen Rundgang fort. Es ging weiter über die breite Treppe, ich wollte hinauf bis ins Dachgeschoss, aber das war nicht mehr möglich. Die letzten Stufen waren versperrt von Schutt, Dämmmaterial, Ziegeln und Dachbalken, als sei das oberste Stockwerk bei einem der letzten Stürme in sich zusammengestürzt. Der Zugang war mit Folie versiegelt worden. Ich stieg das halbe Stockwerk wieder hi­nab, hörte das Echo meiner eigenen Schritte – oder waren es Schritte anderer? Ich blieb stehen und horchte. Das Echo verstummte, ich spähte die Treppe hinunter, niemand zu sehen. Im dritten Stock bog ich rechts auf einen Korridor, nahm alles in Augenschein, wanderte durch die Gänge, blickte in fast jeden Raum. Ich verzichtete darauf, das Licht einzuschalten, das LED-Licht in meiner Hand reichte aus. Türkisblaue und pinke Wandverkleidungen mit Flamingo- und Palmenmotiven ließen mich in der Zeit rückwärts und durch ein riesenhaftes Poesiealbum der Achtzigerjahre wandern. Die Atmosphäre war bedrückend, die Luft abgestanden, die fleckige Auslegeware in den Korridoren mittig ausgetreten, und das war noch das Angenehmste, was man dazu sagen konnte. Zwar kam mir niemand mit einer Machete entgegen, aber es hing der Geruch von Verfall und Schimmel in der Luft, der das Atmen schwer machte. In einem Zimmer der süßlich-saure Geruch von Erbrochenem, jemand hatte in Neongelb „Dieter Forever“ neben einem Poster von „Modern Talking“ an die Wand gesprayt, als böse Vorahnung. In den nächsten drei Zimmern hausten offenbar Obdachlose oder Hausbesetzer. Leere Plastikflaschen, fettverschmierte Zeitungsseiten, Brotkrumen, Plastikverpackungen von Käse und Wurst, leere Raviolidosen. Ich schaute nur kurz hinein und ging weiter. Die Tür des nächsten Zimmers hing schief in den Angeln, es mochte eine Unterkunft für Saisonkräfte gewesen sein, schlichte Möblierung, ein hoher Tisch aus den Sechzigern mit Messingfüßen, ein verbeultes Sofa, drei Holzstühle, eine verschrammte Kommode und ein Schrank aus furnierter Spanplatte. An den vergilbten Wänden hingen kaum Bilder, außer einem Schaltplan für Breitbandfernsehen von der Bundespost mit dem Konterfei des Bundespostministers Schwarz-Schilling, an drei Heftzwecken befestigt, die rechte Ecke hochgerollt. Alles reif fürs Museum.

Am Ende des Korridors links ein heruntergekommener Hauswirtschaftsraum mit Spül- und Waschmaschine, Teeküche und einem schmalen Gang in ein Büro. Verschlissenes Linoleum auf dem Fußboden, weiß gestrichene Holzvertäfelung an den Wänden. Die Farbe hatte mittlerweile vor dem Schmutz kapituliert, und das Duftbäumchen, das in der Lage gewesen wäre, den üblen Geruch zu überdecken, hätte die Größe einer Nordmanntanne haben müssen. Die Vertäfelung setzte sich nebenan im quadratischen Büro fort, auf dem Boden ein nicht mehr ganz junger, schlammgrüner Teppichbelag. In der Mitte ein Schreibtisch und drei braune Aktenschränke, voll mit Norderneyer Luft, nichts weiter. Der Anstrich zwischen den beiden Schränken sah frischer aus als an anderen Stellen. Ich stand davor und drückte sanft gegen die Wand, dann etwas kräftiger. Mit einem leisen Quietschen öffnete sich ein Durchgang in der Vertäfelung. Ich schob die Tür weiter auf. Rechts ein Lichtschalter, den ich drückte. Ein Strahler leuchtete von der Decke herab. Das Zimmer war nicht fensterlos, aber das Fenster war mit einer Hartfaserplatte verrammelt. Die Größe des Raumes war mit der anderer Hotelzimmer vergleichbar. In der Mitte stand ein französisches Einzelbett, links an der Wand ein massiver Kleiderschrank, rechts davon eine Kommode, darauf eine große, runde Glasvase mit einem Strauß langstieliger Rosen, die frisch aussahen. Der Raum wirkte ebenso frisch und, für die Verhältnisse hier, freundlich und sauber.

Auf einmal hörte ich von unten ein „Rrrrrums“. Verflixt! Ich hatte nicht auf die Zeit geachtet, meine Uhr zeigte kurz nach achtzehn Uhr. Ich lief zurück in den Korridor und lauschte. Ein kicherndes Pärchen kam die Stufen hinauf. Ich lief zurück ins Büro. An- und abschwellendes Gegluckse und Gelächter auf den Gängen, ich zog mich weiter ins separate Schlafzimmer zurück, drückte leise die vertäfelte Tür zu und schaute unters Bett, aber da passte ich nicht drunter. Ich öffnete den Kleiderschrank, der war leer, also stieg ich hinein und stieß mit dem Kopf an eine Kleiderstange aus Messing. Die nahm ich kurzerhand aus der Halterung, stellte sie an die Rückwand und zog die Schranktür hinter mir zu. Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, das Licht zu löschen – es war zu spät. Im selben Augenblick hörte ich, wie die verborgene Tür sich quietschend öffnete. Darauf folgten lautes Lachen und ein erstaunter Ausruf: „Nanu, du hast ja schon alles vorbereitet, sogar das Licht ist schon an“, sagte die weibliche Stimme, es war Fenjas.

„Hm, das ... ich dachte, ich hätte es ausgeschaltet ...“ Es war Jan Gronewold – eindeutig!

„Ist egal jetzt ...“, sagte Fenja. Sie lachte ein heiseres Lachen, aber es verebbte, niemand sagte mehr etwas. Ich wurde unruhig, rechnete jede Sekunde damit, dass die Schranktür aufgerissen wurde und ich das passende Hemd herausreichen sollte, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen kurzes Getöse, Schuhe flogen gegen Wand und Schrank. Mir setzte für einen Moment das Herz aus. Ich hörte gepresste Laute und Gekeuche, vermischt mit Schmatzern. Unmittelbar darauf albernes Gequieke und ein grunzender Laut. Sie waren vermutlich dabei, sich die Klamotten vom Leib zu reißen. Gronewold und Fenja hatten sich aufs Bett geworfen, Metallfedern quietschten. Ich hörte sie hecheln und lecken, stimmhaftes Atmen nach leidenschaftlichen, unvollendeten Sätzen. Sie knutschten munter drauflos, atemlos, ausgehungert, animalisch, keine Atempause für sinnige Dialoge, ausschließlich ekstatische Ausrufe. Das Bett ächzte in Intervallen, es bewegte sich stoßweise durch den Raum. Ich kam nicht umhin, den Zirkus geduldig abzuwarten, mit der Aussicht, am Ende mit neuen Informationen nach Hause gehen zu können. Es wurde hektischer. Die beiden trieben gemeinsam auf das Finale zu, ein letztes Aufstöhnen ...

Ruhe kehrte ein, und bei mir machte sich ein Krampf in der Wade bemerkbar. Es fiel mir zunehmend schwerer, bewegungslos in der schiefen und geduckten Haltung zu bleiben. Ich verlagerte meinen Schwerpunkt auf den anderen Fuß. Es gelang fast geräuschlos, aber es knarrte.

Fenja fragte: „Wie hat dir die Vernissage gefallen?“ Eine Pause. Ein Feuerzeug schnippte.

Gronewold antwortete: „Gelungen. Den Leuten hat’s gefallen! Sag mal, hast du das eben gehört?“

„Was denn?“, fragte sie schnell.

„Na, dieses Knarren vorhin? Es kam von da.“

„Nee, da war nichts“, sagte Fenja, sie ließ ein paar Sekunden verstreichen. „Jan, worüber denkst du nach? Irgendwie bist du ... abwesend, nicht ganz bei der Sache. Bedrückt dich was?“

Er sagte: „Gestern bekam ich einen Anruf von meinem Geschäftsfreund, mit dem ich die Firma aufgebaut habe.“

„Gibt’s Probleme?“ Die Frage kam undeutlich. Vielleicht zog sie sich an.

Er hat ein Problem, aber es könnte auch zu meinem werden. Er erzählte, jemand aus der Stadtverwaltung habe ihm gesteckt, das LKA habe sich über uns erkundigt. Es gab wohl eine offizielle Anfrage beim Handelsregister.“

Sie lachte auf. „Das LKA? Und was versprechen die sich davon? Du hast doch nichts verbrochen – eigentlich bist du ein ganz Lieber, abgesehen von den Phasen, wo du es nicht bist.“

Gronewold war anscheinend nicht zum Lachen aufgelegt. Mürrisch fragte er: „Sag mal, kennst du diesen Typen Gerdes, der hier seit ein paar Tagen herumgeistert? Gestern Abend war der bei Nele, die beiden waren wohl mal ein Paar, als Nele noch in Hamburg lebte.“

Fenja stutzte. „Echt jetzt? Das wusste ich ja gar nicht. Frank Gerdes ist ein Freund von Antje Meiners.“

„Meiners? Muss ich die kennen?“ Jan Gronewold machte eine Kunstpause, Fenja antwortete nicht. Vielleicht schüttelte sie mit dem Kopf, keine Ahnung. Gronewold ließ das anscheinend keine Ruhe. „Heute war dieser Gerdes sogar bei deiner Vernissage. Kennst du ihn näher, was will der Knabe hier?“

„Ich hatte ihn dazu eingeladen, weil er ein netter Kerl ist. Mach dich nicht verrückt, der ist harmlos. Antje meinte, dass er schreibt. Über Kultur und Kirche auf Norderney und so ’n Zeug. Genau weiß ich das nicht mehr.“

Ich lächelte in mich hinein, Fenja hatte soeben meine wahren Absichten kaschiert – das rechnete ich ihr hoch an. Es war wohl Gronewold, der Nikotin inhalierte, der Qualm zog durch die Ritzen des alten Schranks.

„Ich traue dem nicht. Werde ihn mir mal vorknüpfen“, sagte Gronewold. „Erst fliegt das Lager auf, meine Leute müssen türmen, dann finden die Bullen eine Leiche in unserem Teich. Keine Ahnung, wie die da reinkam. Tage später ist der Gerdes in meinem Haus, und jetzt die Anfrage vom LKA. Ziemlich viele Auffälligkeiten in den letzten Tagen.“

„Welches Lager meinst du, und welchen Teich? Euer Haus hat doch gar keinen Teich“, fragte sie hörbar misstrauisch. Sie wollte der Frage noch etwas hinzufügen, er aber unterbrach sie.

„Ach, vergiss es“, brummelte er.

Fenja seufzte tief, sie hakte nach: „Meinst du, Frank und Nele haben noch was miteinander?“

Er klang genervt. „Ach, für dich ist er schon Frank?“

„Was geht es dich an? Nerv mich nicht!“

Als er fortfuhr, klang seine Stimme unsicher. „Ist ja schon gut, ich bin nur vorsichtig geworden. Überleg mal. Im Dezember wurde Pfarrer Sander umgebracht, im Januar Doktor Jacobs. Ich glaube, das hat etwas mit einer alten Sache zu tun ... die ist fast dreißig Jahre her.“

Fenja reagierte nicht sofort, sie räkelte sich oder war immer noch dabei, sich anzuziehen. Auf einmal sagte sie: „Ja, und? Da warst du doch erst zwanzig oder so. Und da war dein Body bestimmt noch ganz stramm.“ Sie klatschte ihm mit der flachen Hand auf den nackten Körper und kicherte.

Die Besorgnis in seiner Stimme blieb. „Ich war neunzehn ... ja, das stimmt.“ Stille. „Aber alt genug für ... Dummheiten.“

„Solche Dummheiten wie jetzt?“ Sie küsste ihn irgendwohin, ich hörte es schmatzen.

„Und noch schlimmere.“ Weiter sprach Gronewold nicht, aber es hatte den Anschein, als warte Fenja auf etwas, das Gronewold ihr beichten wollte. Ich hörte gespannt zu, während der Krampf in meiner Wade trotz Entlastung immer stärker wurde. Vorsichtig richtete ich mich auf.

Gronewold lieferte nach, er stammelte: „Damals ... im Sommer 89, du ... kanntest Julia doch auch, Julia Heymann meine ich ...“

Plötzlich rutschte die Messingstange hinter mir. Sie knallte scheppernd auf den leeren Schrankboden. Mist, verdammter! Ich hockte da wie angewurzelt und überlegte, was zu tun war. Wenn ich wenigstens mit den ersten Kritiken von der Vernissage hätte aufwarten können ...

Die Entscheidung wurde mir abgenommen, wenn auch nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Schranktür wurde aufgerissen.

„Du schon wieder, Arschloch!?!“, brüllte Gronewold.

Eine Stahlfaust kam geflogen, ein Knall und der Schrank füllte sich mit Sternenstaub. Ich sauste ab in eine tiefe Dunkelheit, dunkler als jede noch so schwarze Nacht.