7

Die Geschichte

Sie sind nicht das Produkt Ihrer Umgebung, wie Ihre Geschichte das gerne hätte .

Beim Gang durchs Leben sammeln Menschen Erinnerungen an das, was auf ihrer Reise passiert ist. Im Laufe der Zeit werden diese Erinnerungen umgearbeitet und redigiert, angewendet und gepredigt, bis sie mit einer falschen Identität übereinstimmen, die von einer „Geschichte“ unterstützt wird. Der Zweck der Geschichte ist ein dreifacher: (1.) den Erzähler ins recht und andere ins unrecht zu setzen, (2.) die Gründe zu erklären, wegen derer die Dinge so geworden sind, wie sie sind, und (3.) dem Erzähler ein Gefühl davon zu geben, wer er ist, und was es ohne die Geschichte anscheinend nicht gibt.

Merkwürdig genug versagt die Geschichte in all diesen Punkten, verharrt jedoch im Verstand, um Ängste zu mildern. Zwangsläufig stimmt die Geschichte nicht mit der Wahrheit dessen überein, was geschehen ist. Ihrer Tendenz nach entspricht sie eher dem, was der Erzähler gern hätte: dass passiert wäre, was seiner Meinung nach hätte passieren sollen. Bei diesem Vorgang können Erinnerungen wirklich umgearbeitet und verändert werden. In der Psychoanalyse ist so etwas als „Deckerinnerung“ bekannt. Tatsächlich haben wir alle in irgendeiner Form Deckerinnerungen, obwohl wir die Letzten sind, die sich dessen bewusst werden. Falls die Geschichte überhaupt etwas bewirkt, dann, dass sie Ihnen aufgrund der krassen Ungenauigkeiten unrecht gibt.

In Punkt zwei ist die Geschichte mehr oder weniger erfolgreich. Sie verschafft dem Erzähler ein gewisses Maß an Vernünftigkeit in Bezug darauf, „warum“ die Dinge so geworden sind. Die Antworten auf das „Warum?“ verschaffen jedoch niemals Meisterschaft darüber, wie die Dinge sich jetzt entwickeln. Vernünftigkeit ist somit gleichbedeutend mit Unbrauchbarkeit, und so ist die Geschichte ein absoluter Fehlschlag.

Der dritte Faktor, Identität, ist ziemlich irreführend. Zunächst sieht es wirklich so aus, als ob wir all dies seien: Kinder unserer Mutter, Produkte der Schulen, die wir besucht haben, die Gesamtsumme unserer Überzeugungen, Haltungen, Meinungen, Vorlieben und so weiter. Und doch kommt und vergeht diese Art von Identität so schnell. Das Ganze lässt einen mit einem gewissen Mangel an Zufriedenheit mit dem „Wer bin ich?“ zurück. Ganz abgesehen davon, dass menschliche Wesen regelmäßig Dinge erschaffen, die durch vorhergehende Erlebnisse nicht erklärt werden können.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie nicht das Produkt Ihrer Umgebung sind, wie Ihre Geschichte das gerne hätte. Ich möchte Sie ebenfalls darauf hinweisen, dass Ihre Geschichte Ihnen nicht recht gibt, ohne dass Ihre Lebendigkeit stark beschnitten wird. Ich behaupte, dass Ihre Geschichte die Dinge keinesfalls so erklärt, dass sie Ihnen Meisterschaft in Ihrem Leben verschafft. Und nicht zuletzt verweise ich Sie darauf, dass Sie das Bewusstsein sind, welches den Verstand bewohnt, der diese Geschichte zusammengestellt hat. Somit ist die Identifikation dessen, wer Sie sind, das Letzte, wozu Sie eine Geschichte gebrauchen können. Erleuchtet zu werden hat eine Menge mit dem Aufgeben der „Bedeutsamkeit“ Ihrer Geschichte in allen drei Punkten zu tun, letztlich mit dem Aufgeben Ihrer Geschichte überhaupt. Erst wenn Sie die „Bedeutsamkeit“ Ihrer Geschichte aufgegeben haben, können Sie anfangen, eine bedeutsame Wirkung auf die Welt zu haben. Ihre Geschichte hält Sie nur davon ab, der Welt zu dienen, und lässt Sie für den Rest Ihrer Tage Verstandes-Zeug rezitieren.