Propaganda und gelenkte Öffentlichkeit
In den Monaten nach der Enthauptung der SA, der Hindenburg-Nachfolge durch Hitler und den »Wahlen« bemühte sich das Regime mit aller Macht darum, seine Herrschaft weiter zu konsolidieren. Ein wichtiges Mittel war eine neue Welle von Großveranstaltungen und Kampagnen, mit deren Hilfe man ein ungebrochenes Selbstbewußtsein zur Schau stellen und die Geschlossenheit der »Volksgemeinschaft« vorführen wollte. Es war nun an Goebbels zu demonstrieren, in welchem Umfang Partei und Staat in der Lage waren, das öffentliche Erscheinungsbild des »Dritten Reiches« mit nationalsozialistischen Symbolen, Ritualen und Propagandaphrasen zu beherrschen.
Am 26. August eröffnete er gemeinsam mit Hitler eine Saar-Ausstellung in Köln und begleitete ihn anschließend zu einer Großkundgebung auf dem Ehrenbreitstein in Koblenz. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin flogen die Goebbels mit Tochter Helga dann zum Obersalzberg, wohin Hitler sie für einige Tage eingeladen hatte.1 Dort überlegten sie gemeinsam mit Hitler erneut, ob sie sich nicht ein Grundstück auf dem Obersalzberg zulegen sollten, um dort, wie andere Angehörige der NS-Prominenz, eine Nebenresidenz zur Verfügung zu haben.2
Vom Obersalzberg reiste Goebbels am 4. September zum jährlichen Parteitag in Nürnberg: Paraden, Aufmärsche, Appelle, Fackelzüge, militärische Vorführungen der Wehrmacht und endlose Reden. Goebbels hielt seine übliche Ansprache vor den Reichspropagandaleitern und dankte den Winterhilfswerk-Helfern der NS-Volkswohlfahrt.3 Als Chefpropagandist des NS-Regimes spielte Goebbels allerdings weder bei der Gestaltung des Parteitages noch bei der medialen Nachbereitung des Nürnberger Spektakels eine wesentliche Rolle. Erstere lag in den Händen der Münchner Parteileitung, und den Ruhm für die propagandistische Auswertung erntete nicht er, sondern die von ihm wenig geschätzte Leni Riefenstahl.
Im Frühjahr 1934 hatte Hitler erneut Riefenstahl mit der Herstellung eines Films über den im September stattfindenden Reichsparteitag beauftragt. Diesmal wurde der Film aus Mitteln der Partei und nicht durch das Propagandaministerium finanziert, und es wurde eine organisatorische Lösung gefunden, die Riefenstahl von Einwirkungen der Reichspropagandaleitung freistellte. Es kann nicht verwundern, daß der auf diese Weise umgangene Goebbels dem Projekt nur bedingt Sympathie entgegenbrachte. Vor Beginn der Dreharbeiten unkte er: »Das wird ja nicht viel. Sie ist zu fahrig.«4
Der Film, der unter dem Titel Triumph des Willens zum bekanntesten Propagandafilm des NS-Regimes werden sollte, unterschied sich von konventionellen Dokumentarfilmen durch eine äußerst bewegliche Kameraführung und ungewohnte, ja spektakuläre Einstellungen, durch Schnittfolgen, die man eher aus dem Spielfilm kannte. Perfekt war nicht nur die technische Gestaltung des Films, sondern perfekt traten auch die Abläufe der Veranstaltung hervor. Im Gegensatz zu dem ersten Parteitagsfilm Riefenstahls erschien nun das gesamte Parteitagsgeschehen als eine um Hitler zentrierte, wohlgeordnete Zeremonie. Die »Ornamentierung der Massen« im Nationalsozialismus ist wohl nie eindrücklicher vorgeführt worden als in dem Film Riefenstahls.
Die bombastische Uraufführung des Films, der Goebbels am 28. März 1935 zusammen mit Hitler im eigens von Albert Speer umdekorierten Ufa-Palast in Berlin beiwohnte, kommentierte er eher lakonisch. Er attestierte zwar »Lenis große[n] Erfolg«, sah aber doch Längen in dem Film. »Natürlich glänzende Kritiken.«5
Nach dem Parteitag im Jahre 1934 schlossen sich in schneller Folge weitere Großveranstaltungen an; bereits im zweiten Jahr der NS-Herrschaft hatte sich das »NS-Feierjahr« eingespielt, unter anderem mit der Erntedankfest-Veranstaltung auf dem Bückeberg,6 den Sammelaktionen des Winterhilfswerks,7 den Feierlichkeiten zum mißlungenen NS-Putsch im November8 und öffentlichen Bescherungen zu Weihnachten.9
In den Herbst- und Wintermonaten sollten erneut die massive Winterhilfswerk-Propaganda und die zahlreichen freiwilligen Spendensammler mit ihren Sammelbüchsen das öffentliche Erscheinungsbild des »Dritten Reiches« beherrschen. Goebbels ordnete an, die Reichspropagandaleitung solle das Winterhilfswerk mit einer Versammlungswelle unterstützen. Die Mahnung der Reichspropagandaleitung an die Parteigenossen, man solle das Volk keinesfalls durch »Drohungen oder Gewaltmaßnahmen« zum Besuch der geplanten »Zehn- und Hunderttausenden von Versammlungen« veranlassen, spricht Bände.10 Sanfter Druck genügte jedoch meistens, um für volle Häuser zu sorgen. Wie schon bei der intensiv betriebenen Aktion gegen »Miesmacher und Kritikaster« war es für die Bürger schwer, sich den freundlichen Aufforderungen seitens der Partei zu entziehen.11
Obwohl man sich dem Sammeleifer der Winterhilfswerk-Helfer ebenfalls kaum versagen konnte – Spender wurden mit diversen Abzeichen belohnt, so daß unwillige Geber schnell auffielen –, wurden die Sammelergebnisse durch die Propaganda als das Resultat einer funktionierenden »Volksgemeinschaft« und als generelle Zustimmung zur Politik des Regimes ausgegeben. Goebbels’ Tagebücher verraten allerdings, daß das Ergebnis – einige Millionen mehr als im Vorjahr – nur erreicht werden konnte, nachdem man Ende Oktober die Sammelanstrengungen mit ihrem nachhaltigen Appell an die Freiwilligkeit noch einmal erheblich intensiviert hatte.12
Am 25. Oktober nahm Goebbels an einer Gauleitertagung in München teil. Im Mittelpunkt der Tagung stand diesmal die Reichsreform; Goebbels fand die Debatte wieder einmal wenig ersprießlich: »Jeder wärmt seinen Brei auf. […] Theoretiker und Romantiker! Kein Schwung, keine Begeisterung. Handwerker!«13
Goebbels’ Kommentar vermittelt den Eindruck, daß die Sitzungen dieser Runde, die Hitler ursprünglich einberufen hatte, um die Gauleiter aus erster Hand über die nächsten Schritte seiner Politik zu informieren – 1933 scheinen sechs solche Treffen stattgefunden zu haben, und dies war bereits das achte im Jahre 1934 –, mittlerweile zur Routine erstarrt waren. Weder erfuhren die Gauleiter hier Wesentliches über Hitlers politische Pläne, noch hatten die Treffen einen unmittelbaren Einfluß auf die Regierungspolitik; sie waren auch nur begrenzt in der Lage, die Politik der Gauleiter und der Reichsstatthalter zu koordinieren. Allenfalls als Gelegenheit zum Informations- und Erfahrungsaustausch scheinen sie von Bedeutung gewesen zu sein. Die »Gauleiter-Parlamente müssen weg«, erklärte Hitler, der immer seltener an diesen Treffen teilnahm, schließlich im Oktober 1936 gegenüber Goebbels.14 Doch die Treffen fanden weiterhin statt.
Eigenartigerweise sind die Goebbels-Tagebücher die einzige erhaltene schriftliche Quelle, in denen sich die Treffen der Parteielite – es gab daneben selbständige Tagungen der Reichsleiter und gemeinsame Gau- und Reichsleitertreffen – von 1933 bis zum Ende des »Dritten Reiches« als eine Serie von einigermaßen regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen widerspiegeln; alle anderen Informationen sind nur höchst bruchstückhaft. Die Themen der dort gehaltenen Referate, der Tenor und der Inhalt von Hitlers Ansprachen vor dieser Runde, die Stimmung der Versammelten, ja in vielen Fällen die Tatsache, daß diese Treffen stattfanden – all das wissen wir fast ausschließlich aus Goebbels’ Aufzeichnungen.
Die aufwendigen Feiern, Massenkundgebungen und Propagandaaktionen, die das Regime fortwährend veranstaltete, waren darauf angelegt, die angeblich geradezu enthusiastische Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung zur Politik des Regimes zu dokumentieren. Darüber hinaus war es dem Regime im zweiten Jahr seiner Herrschaft schon in erheblichem Umfang gelungen, das alltägliche Erscheinungsbild des »Dritten Reiches« systematisch an nationalsozialistische Vorgaben anzupassen.
Insbesondere hatten es die Nationalsozialisten geschafft, den öffentlichen Raum mit ihren Ritualen und Symbolen weitgehend zu beherrschen. Man denke an die allgegenwärtigen Plakate und Transparente, an die Schaukästen, in denen die »Wochensprüche« der Partei und Exemplare des Stürmers ausgehängt wurden, an die Umdekorierung ganzer Straßenzüge bei Großveranstaltungen, an die Umbenennung von Straßen und Plätzen, an das Eindringen nationalsozialistischer Stereotype in die Alltagssprache, wie es Victor Klemperer als erster so eindringlich beschrieben hat,15 an die »Ausrichtung« großer Massen zu Marschkolonnen und geschlossenen Blöcken bei Appellen und Aufmärschen, aber auch die komplette Umgestaltung öffentlicher Räume vermittels einer repräsentativen Herrschaftsarchitektur, durch die ein »tausendjähriger« Rahmen für die Formierung der Massen geschaffen werden sollte.16 Diese Beherrschung der Öffentlichkeit läßt sich auch in relativ unpolitische Bereiche hineinverfolgen, etwa im Hinblick auf die Durchdringung der Werbung, der gewöhnlichen Schaufensterdekoration und der Gebrauchsgraphik mit nationalsozialistischen Inhalten.17 Auch gab es – allerdings relativ erfolglose – Bemühungen, eine Mode der »arischen Wesensart«, gereinigt von allen »undeutschen« Einflüssen, zu propagieren.18
Die große Mehrheit der Bevölkerung hatte sich daran gewöhnt, durch ihr alltägliches Verhalten zu dokumentieren, daß sie – wie von ihr erwartet – dem Regime grundsätzlich positiv gegenüberstand: Dies geschah zum Beispiel durch den offiziell erwünschten Hitler-Gruß,19 dadurch, daß erhebliche Teile der Bevölkerung Uniformen trugen oder sich doch zumindest durch äußerliche Abzeichen als Sympathisanten des Regimes zu erkennen gaben, durch die Beflaggung der eigenen Wohnung, durch den Besuch von Parteiveranstaltungen und Massenkundgebungen, durch die schon erwähnte Spendenbereitschaft bei Straßensammlungen, durch das gemeinsame Verfolgen von Rundfunkübertragungen auf öffentlichen Plätzen, aber auch durch die schrittweise Ausgrenzung der zu Staatsfeinden abgestempelten Juden aus dem alltäglichen Umgang und durch anderes mehr.
Es wäre nun aber vollkommen falsch anzunehmen, die Deutschen hätten zwischen 1933 und 1945 in einer Art totalitärer Uniformität gelebt. Aus einer Unmenge von Forschungen wissen wir, daß es im Nationalsozialismus in erheblichem Ausmaß Unzufriedenheiten, abweichendes Verhalten und oppositionelle Auffassungen gab. Allerdings waren solche kritischen Stimmen weitgehend auf den privaten oder halböffentlichen Bereich beschränkt, also etwa auf Kollegen- und Freundeskreise, den Stammtisch, die unmittelbare Nachbarschaft. Sie konnten sich allenfalls in den noch bestehenden, von den Nationalsozialisten nicht niedergewalzten Strukturen traditioneller sozialer Milieus hörbar machen – also etwa innerhalb von Pfarrgemeinden, in Dorfgemeinschaften, in Zirkeln der konservativen Elite, in bürgerlichen Kreisen oder im sozialistischen Untergrund. Doch das Regime setzte alles daran, diese abweichenden Stimmen nicht öffentlich werden zu lassen.
Infolge der Beherrschung der Öffentlichkeit war die deutsche Gesellschaft unter dem Nationalsozialismus tatsächlich weitgehend atomisiert und verfügte nicht mehr über ausreichende Kommunikationsforen und diskursive Mechanismen, um unabhängig vom Regime eine alternative öffentliche Meinung etablieren zu können.
Für die Goebbelssche Propaganda war es ein leichtes, einerseits die Kontrolle der Öffentlichkeit und die weitgehende Anpassung an nationalsozialistische Verhaltensnormen, andererseits die Sprachlosigkeit von oppositionellen Strömungen als breite Zustimmung der Bevölkerung zum Regime darzustellen. Auch die zahlreichen Stimmungsberichte, die das Regime erstellen ließ, dienten primär diesem Zweck: Sie dokumentierten die Erfolge dieser Propaganda und sollten die Einheit der »Volksgemeinschaft« weiter befördern. Allerdings zeigt dieses Material auch häufig die Grenzen der vom Regime erzwungenen Konformität auf, ohne daß die Verfasser der Berichte tatsächlich die Absicht verfolgt hätten, oppositionelle Strömungen oder Unzufriedenheit exakt auszumessen.20
Erst vor diesem Hintergrund einer weitgehenden Beherrschung der Öffentlichkeit konnte die nationalsozialistische Kontrolle der Massenmedien ihre volle Wirksamkeit entfalten.
Nach der Entmachtung der SA-Spitze und der Monopolisierung der politischen Macht durch die Partei im Sommer 1934 war das Regime in der Lage, gewisse Lücken, die bei der Ausrichtung der Medien im nationalsozialistischen Sinne noch bestanden, zu schließen: Hatte das Regime vor dem 30. Juni gelegentlich noch abweichende Auffassungen zugelassen (oder zumindest scheinbar zugelassen), so war damit nun Schluß.
Nachdem Goebbels bereits im Frühjahr 1934 eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Vertretern der bürgerlichen Presse geführt hatte, unternahm er im Herbst 1934 einen weiteren Versuch, die Presseberichterstattung zu kontrollieren. Er verschickte hierzu allgemeine, 15 Punkte umfassende »Richtlinien« an alle deutschen Redaktionen, die allerdings bei näherer Betrachtung darauf hinausliefen, den »Schriftleitern« mitzuteilen, welche Bereiche für eine kritische oder auch nur eine eigenständige Berichterstattung tabu waren.21
Es solle, so hieß es beispielsweise unter Punkt 1, keinesfalls über »repräsentative Veranstaltungen in breitester Form« geschrieben werden; Goebbels kam damit auf eines seiner Lieblingsthemen zurück, die Vermeidung von »Pomp« im »Dritten Reich«.22 Mit dem Gedanken des »Führerstaates« sei es zudem nicht vereinbar, wenn Gesetzesentwürfe kontrovers diskutiert würden.23 Ebenso seien Erörterungen über die Staatsform »untragbar«.24 Bei der Berichterstattung über politische Prozesse sei es nicht erwünscht, daß man sich mit »falschen Behauptungen, die Gegenstand des Prozesses sind, […] im einzelnen auseinandersetze«.25 Ferner stellten Goebbels’ Richtlinien bündig fest: »Die Kirchenfrage ist heute enschieden.« Um Verwirrung sowie eine unerwünschte Reaktion seitens der ausländischen Propaganda zu vermeiden, seien in Kirchenangelegenheiten nur Berichte des Deutschen Nachrichtenbüros zu verwenden.26 Und was die häufig beklagte Uniformität der deutschen Presse anbelangte, so untersagte Goebbels schlichtweg die Thematisierung der Eintönigkeit der deutschen Presse.27
Der Chefredakteur der rechtskonservativen Deutschen Allgemeinen Zeitung Karl Silex, einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands, machte diese in vertraulicher Form ergangene Regulierung der Öffentlichkeit etwas durchschaubarer, indem er sie in einem Leitartikel vorstellte und kommentierte. Es handelte sich um einen der seltenen Fälle, in denen der Leser etwas über die Mechanismen der Presselenkung unter der NS-Diktatur aus der Zeitung erfahren konnte. Wenn Silex feststellte, daß der Journalistenberuf ein »öffentliches Amt« geworden sei,28 dann brachte er damit die Entmündigung der Presse auf den Punkt. Goebbels reagierte unmittelbar auf diese Provokation.
Am 18. November hielt er eine Rede vor dem Reichsvorstand der Presse, in der er die Haltung, die die deutschen Journalisten mittlerweile zum NS-Regime gefunden hatten, voller Ironie als »neue Sachlichkeit« charakterisierte. Als vorbildliches Beispiel nannte er die Situation nach dem Tod Hindenburgs: »Ein leiser Wink genügte, um der Presse klarzumachen: Jetzt gibt’s keine Diskussionen über Staatsrecht! […] Dinge, die an die nationale Existenz eines Volkes rühren und deshalb von der Regierung gelöst werden müssen, die darf die Presse nur zur Kenntnis nehmen. Denn dadurch, daß sie darüber diskutiert, werden sie auch nicht anders.«29 Zwei Tage später konstatierte er zynisch, seine Ausführungen seien in der Presse »mit sehr anständigen Leitartikeln« bedacht worden. »Jetzt hab ich die Presse ganz für mich.«30
Und damit hatte er ohne Zweifel recht.
Ein Jahr später, Ende November 1935, äußerte sich Goebbels auf einer Pressetagung in Köln – sozusagen abschließend – zum Problem der Pressefreiheit. Wann und wo, fragte Goebbels seine Zuhörer, habe es denn zu früheren Zeiten das Recht der freien Meinungsäußerung gegeben? »Wir haben«, so fuhr Goebbels fort, »den Schriftleiter aus der demütigenden und entwürdigenden Abhängigkeit von Parteien und Wirtschaftsgruppen herausgehoben und haben ihn damit in eine ehrenvolle und loyale Abhängigkeit vom Staate gebracht. Denn wir sehen die Freiheit des deutschen Mannes nicht in der Möglichkeit, zu tun und zu lassen, was man will, sondern in der Möglichkeit, sich freiwillig und verantwortungsvoll in die höheren Gesetze und höheren sittlichen Gebote eines Staates einzufügen.«31
Goebbels verfügte zwar in seinem Ministerium über die notwendigen Instrumente, um die Journalisten gefügig zu machen, doch was die Struktur der Presselandschaft anbelangte, mußte er das Feld einem Konkurrenten überlassen. Im April 1935 gab Max Amann, als Reichsleiter der NSDAP für die Presse zuständig, in seiner Eigenschaft als Präsident der Reichspressekammer mehrere Anordnungen heraus, die zu nachhaltigen Veränderungen führen sollten. Künftig war es Amann möglich, Zeitungsverlage zwecks »Beseitigung ungesunder Wettbewerbsverhältnisse« oder aus anderen Gründen zu schließen: Amann konnte nun insbesondere katholische Blätter und die sogenannte Generalanzeigerpresse, also die unpolitischen, vorwiegend unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betriebenen Zeitungen, schließen oder deren Verleger zum Verkauf ihrer Unternehmen an Holdinggesellschaften zwingen, die durch den parteieigenen Eher-Verlag kontrolliert wurden.32 Bis Ende 1936 sollten auf diese Weise 500 bis 600 Zeitungen geschlossen werden, und 1944 war ihre Zahl von über 3000 im Jahr 1933 auf 975 reduziert. 80 Prozent der gesamten deutschen Zeitungsauflage wurde damit von Blättern des Eher-Verlages bestritten.33
Goebbels war an der Formulierung der Erlasse, mit denen Amann seine Schließungs- und Erwerbspolitik 1935 begründete, nicht nur nicht beteiligt, sondern ihre Herausgabe erfolgte gegen seinen Widerspruch. Amanns Erlasse, so hielt er in seinem Tagebuch fest, liefen auf die »Vernichtung der bürgerlichen Presse« hinaus. In nachträglichen Verhandlungen mit Amann glaubte er, immerhin die Beteiligung des Propagandaministeriums an der Durchführung der Erlasse sichergestellt zu haben.34 In der Tat ergibt sich aus seinen Tagebucheintragungen in den folgenden Jahren eine solche Beteiligung (aber auch nicht mehr), wenn er mit Amann über das Schicksal einzelner Zeitungen verhandelte; hierauf wird noch im einzelnen einzugehen sein. Seine relativ schwache Stellung auf dem Gebiet der Pressestruktur hatte einen konkreten Hintergrund: Goebbels befand sich infolge diverser, äußerst lukrativer Autorenverträge in finanzieller Abhängigkeit von Amann.35
In der zweiten Jahreshälfte, nach der Ausschaltung der »revolutionären« Kräfte innerhalb der NS-Bewegung, sah Goebbels’ kulturpolitischer Hauptrivale, Alfred Rosenberg, die Zeit für gekommen, seinen Auftrag zur »Überwachung« der NS-Weltanschauung zu nutzen, um massiv gegen den Propagandaminister vorzugehen.
Nachdem er sich im Juli bei Heß über Goebbels’ Rede zum 30. Juni 1934 beschwert hatte, weil er sie für unpassend hielt,36 begann Rosenberg – laut Goebbels ein »sturer eigensinniger Dogmatiker« – im August, Goebbels wegen angeblich allzu großer kulturpolitischer Laxheit ins Kreuzfeuer zu nehmen.37 Rosenberg schrieb Goebbels einen Brief, in dem er Richard Strauss, die wohl renommierteste Persönlichkeit des deutschen Musiklebens, von Goebbels zum Präsidenten der Reichsmusikkammer ernannt und am 70. Geburtstag groß gefeiert,38 scharf angriff: Strauss habe sich das Libretto zu seiner Oper Die schweigsame Frau von dem »Jude[n] Zweig« schreiben lassen, der Kontakte zur Emigration unterhalte.
Goebbels stellte in seinem Antwortbrief, den er selbst als »gepfeffert« bezeichnete, richtig, daß es sich bei dem Betreffenden nicht um den »Emigranten Arnold Zweig« handelte (was Rosenberg gar nicht behauptet hatte), sondern um den in Österreich lebenden Stefan Zweig, und er riet Rosenberg von oben herab, sich künftig besser zu informieren.39 Im übrigen fand die Aufführung der Oper, die Goebbels ursprünglich hatte verhindern wollen, im Juni 1935 statt, von Goebbels nun ausdrücklich genehmigt.40
Ende August 1934 schrieb Rosenberg dem Propagandaminister einen weiteren Brief, in dem er ihm vorwarf, sich mit jüdischen Persönlichkeiten wie Arnold Zweig, Bruno Walter und Hugo von Hofmannsthal gemein gemacht zu haben; zudem griff er ihn wegen einer Ausstellung italienischer Futuristen an, die im März 1934 mit Goebbels’ Unterstützung in Berlin stattgefunden hatte: Er habe sich hinter den Italienern versteckt, um durch die Hintertür schädliche moderne Elemente in die deutsche Kunstszene einzuführen.41
Mit Rosenbergs Angriffen waren grundsätzliche Fragen der künftigen Ausrichtung der NS-Kulturpolitik aufgeworfen. Hitler selbst sollte den Parteitag im September 1934 benutzen, um hierzu Stellung zu nehmen. Überraschenderweise wandte sich der Diktator in seiner kulturpolitischen Ansprache aber nicht nur gegen die modernen »Kunstverderber«, sondern er sprach sich zugleich gegen die »Rückwärtse« und ihre »teutsche Kunst« aus, also gegen die Rosenbergsche Richtung.42
Nach dieser Grundsatzerklärung Hitlers befand sich Goebbels in seinem Streit mit Rosenberg in einer wesentlich besseren Ausgangssituation: Denn Rosenbergs Einfluß auf das Kulturleben beruhte auf einem Dogmatismus, dem Hitler deutlich Grenzen gezogen hatte, während Goebbels, der über kein eigenes Kunstkonzept verfügte, lediglich seine gelegentliche Unterstützung »moderner« Kunsttendenzen aufgeben mußte, um die kulturpolitische Führungsrolle zu übernehmen. Goebbels ging daher noch Ende 1934 dazu über, ein für allemal deutlich zu machen, daß Restbestände künstlerischer Libertinage im deutschen Kulturleben nicht mehr geduldet werden würden. Der unnachgiebige Kurs fand ein prominentes Opfer: Deutschlands Stardirigent Wilhelm Furtwängler, mit dem sich Goebbels – scheinbar konzessionsbereit – noch im Jahre 1933 auf eine öffentliche Diskussion über die Freiheit der Kunst eingelassen hatte.
Furtwängler, unter anderem stellvertretender Leiter der Reichsmusikkammer, hatte in einem Artikel in der Deutschen Allgemeinen Zeitung am 25. November 1934 den Komponisten Paul Hindemith, der von nationalsozialistischer Seite, namentlich von Rosenbergs NS-Kulturorganisation, als »nichtarisch versippt« und politisch nicht tragbar angegriffen worden war, offen verteidigt. Der Dirigent hatte Hindemiths neuestes Werk Mathis der Maler im März uraufgeführt und plante, im Mai eine Oper des Komponisten zum gleichen Thema – das Leben des Renaissancemalers Matthias Grünewald – in der Berliner Staatsoper erstmals auf die Bühne zu bringen, mußte aber erfahren, daß Hitler sich gegen die Aufführung ausgesprochen hatte.43
Auf Furtwänglers öffentliche Intervention für Hindemith schlug die NS-Presse massiv zurück: Der Angriff etwa fragte in einem Leitartikel, warum der »Konjunktur-Musiker« Hindemith »Vorschuß-Lorbeeren« erhalten solle.44 Die Affäre, die ausweislich der Goebbels-Tagebücher ihn und die NS-Führungsspitze mehrere Tage intensiv beschäftigte – wobei Goebbels, der Hindemith zunächst im deutschen Musikleben halten wollte,45 nun für einen unnachgiebigen Standpunkt plädierte –, endete schließlich damit, daß Furtwängler als Vizepräsident der Reichsmusikkammer und als Leiter des Berliner Philharmonischen Orchesters zurücktrat.46 Goebbels kartete nach und richtete in einer Rede, die er am 6. Dezember 1934 vor der Reichskulturkammer hielt, scharfe Angriffe auf den Dirigenten (ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen).47
Ende Februar 1935 traf er sich auf dessen Wunsch mit Furtwängler.48 Man einigte sich nach einem längeren Gespräch auf eine Erklärung, wonach Furtwänglers Hindemith-Artikel des vorigen November »vom Standpunkt der Musik aus« geschrieben war; es habe ihm ferngelegen, so Furtwänglers weitere Erklärung, »in die »Reichskunstpolitik« einzugreifen. Die Erklärung war – zusammen mit einer Reihe anderer Gesten Furtwänglers gegenüber dem Regime – die Bedingung für Furtwänglers Wiederaufnahme seiner Dirigententätigkeit im April und wurde von Goebbels als »großer moralischer Erfolg« verbucht.49 Tatsächlich jedoch war die Rehabilitierung Furtwänglers das deutliche Eingeständnis des Regimes, daß die Lücke, die dessen künstlerische Zwangspause in das deutsche Musikleben gerissen hatte, nicht zu schließen gewesen war.50 Andererseits eröffnete der Rücktritt Furtwänglers dem Propagandaministerium die Chance, seinen Einfluß auf die Berliner Philharmoniker, die 1933 vom Propagandaministerium auf das Reich übernommen worden waren, nun maßgeblich zu vergrößern: Das »Reichsorchester« sollte durch seine zahlreichen Gastauftritte im Ausland und durch sein erstklassiges Ansehen im internationalen Musikleben deutlich machen, daß Kultur im nationalsozialistischen Deutschland nach wie vor zu Hause war.51
Furtwängler, dessen Konzerte Hitler, Göring und Goebbels im Frühjahr 1935 ostentativ besuchten, willigte ein, am Vorabend der Eröffnung des Reichsparteitags im September in Nürnberg die Meistersinger zu dirigieren – doch dem Ansinnen, auf der Kulturtagung der NSDAP während des Parteitags Beethovens Fünfte aufzuführen, entzog er sich.52
Wenn es Goebbels’ Absicht gewesen sein sollte, mit der Rehabilitierung von Furtwängler auch die Rückkehr von Hindemith in das offizielle Musikleben des »Dritten Reiches« vorzubereiten, dann wurde er in dieser Hinsicht enttäuscht: Denn mit Erfolg intervenierte Rosenberg im Mai bei Rust dagegen, daß Hindemith seine Tätigkeit als Professor an der Berliner Hochschule für Musik, von der er Ende 1934 beurlaubt worden war, wiederaufnahm; das Propagandaministerium hatte letzteres bereits befürwortet. Einige Zeit später emigrierte der Komponist.53
Im Kampf mit Rosenberg gewann Goebbels nur mühsam Terrain. Parallel zu dem Musikerstreit hatte Rosenberg im Dezember 1934 im Völkischen Beobachter einen – wie Goebbels meinte – »frechen Aufsatz« verfaßt; Rosenberg hatte hier selbstbewußt seinen Führungsanspruch in der Kulturpolitik betont und sich dagegen gewehrt, daß »Persönlichkeiten, die sich bisher mit nationalsozialistischer Kultur und Kunst nur wenig oder gar nicht befaßt haben«, die Arbeit der von ihm eingesetzten »NS-Kulturgemeinde« erschwerten.54 Weitere negative Kommentare des Völkischen Beobachters über von Goebbels geförderte kulturelle Anstrengungen, hinter denen er Rosenberg vermutete, trafen ihn besonders hart.55
Im Juni 1935 erlaubte sich Rosenberg auf einer Reichstagung seiner »NS-Kulturgemeinde« in Düsseldorf weitere Angriffe gegen Goebbels,56 die dieser wenige Tage später in einer Rede vor der Reichstheaterkammer, allerdings »nur für Kenner«, beantwortete, indem er die von Rosenberg als segensreich dargestellte Einflußnahme der Kulturgemeinde auf die Spielpläne der deutschen Theater als im Ergebnis zu wenig nationalsozialisitisch kritisierte.57
Im Juli 1935 mußte er allerdings die neben Furtwängler zweite Größe im deutschen Musikleben, Richard Strauss, als Präsidenten der Reichsmusikkammer fallenlassen, nachdem ihn Rosenberg auf einen von der Gestapo abgefangenen Brief aufmerksam gemacht hatte, den Strauss an den emigrierten Stefan Zweig geschrieben hatte. Strauss’ Formulierung, er »mime« den Musikkammerpräsidenten, ließ ihn als untragbar erscheinen.58 Strauss’ Oper Die schweigsame Frau verschwand nach wenigen Aufführungen von der Dresdner Opernbühne.
Mittlerweile war Goebbels auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst darangegangen, einen eindeutig antimodernen Kurs zu beziehen: Im April 1935 versammelte er eine Reihe prominenter Künstler um sich, darunter seinen alten Freund Hans Herbert Schweitzer, Albert Speer, den Maler Adolf Ziegler und den Bildhauer Kurt Schmidt-Ehm, und ermahnte sie, »sich gegen die Kubisten durch[zu]setzen«.59
Diese Beispiele zeigen, daß Goebbels 1934/35 keineswegs der unumschränkt herrschende und virtuos lenkende Alleinherrscher über Deutschlands Kultur und Medien war, als der er sich gerne gab: Kontrolle und Regie mußte er mit anderen teilen.
Ein weiterer Fall mag dies verdeutlichen. Im Frühjahr 1935 lenkte die Gestapo Goebbels’ Aufmerksamkeit auf die Berliner Kabaretts »Katakombe« und »Tingeltangel«, in denen unter dem Deckmantel der Unterhaltung »staatsschädliche, ja hier und da staatsfeindliche Propaganda betrieben« werde.60 Geschlossen wurden die Lokale schließlich in Absprache mit Goebbels durch die Gestapo, auch wenn Goebbels in seinen Tagebüchern den Eindruck erweckte, als ob die Schließung auf seine Anordnung erfolgt sei.61 Goebbels forderte seinerseits die Gestapo auf, sechs Mitglieder der Ensembles, die inzwischen verhaftet worden waren, für zunächst 6 Wochen in ein KZ zu sperren.62
Die Schließung wurde im Völkischen Beobachter vom 11. Mai 1935 unter dem Titel »Jüdische Unverschämtheiten in Berliner Kabaretts« groß herausgestellt: »Da ein Teil der Mitwirkenden […] über wichtige Einrichtungen des neuen Staates, an denen sie ihr kritisches Mütchen kühlten, entweder nur sehr oberflächlich oder überhaupt nicht unterrichtet war, wird diesen Leuten Gelegenheit gegeben werden, das allzulange Versäumte bei anständiger und solider Arbeit in einem Lager nachzuholen.«
Die Gerichtsverhandlung gegen fünf Schauspieler beider Bühnen endete im übrigen im Oktober 1936 mit Freispruch in allen Fällen.63 Doch das Regime hatte demonstriert, daß es, wenn es um öffentlich geäußerte Kritik an seiner Politik ging, keinen Spaß verstand. Goebbels sollte diese Linie auch in den kommenden Jahren konsequent fortsetzen, wobei er sicherstellte, daß ihm die Gestapo, wie in diesem Falle, nicht den Rang ablief.
So erwirkte er im Frühjahr 1936 einen Führererlaß, der seine Stellung außerordentlich stärkte: Der Erlaß bestimmte, daß das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda für alle Angelegenheiten, die in seinen Zuständigkeitsbereich fielen, die polizeilichen Kompetenzen besäße, also zum Beispiel mit Strafandrohungen verknüpfte Verbote aussprechen konnte.64
Im Juni gab das Propagandaministerium zudem auf der Pressekonferenz eine interne Dienstanweisung bekannt, wonach es allen Behörden, Organisationen und Verbänden verboten sei, der Presse irgendwelche Anweisungen oder Anordnungen zu geben. Ebenso habe niemand das Recht, Kritik an der Presse zu üben.65 Im April 1937 wies das Propagandaministerium die Presse noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß es eine Monopolstellung im Bereich der Presselenkung besäße; alle anderen Versuche, »auf die Presse durch Beeinflussung und Drohung einzuwirken«, seien zurückzuweisen.66
Auch im Bereich des Films versuchte Goebbels in den Jahren 1934/35 einen bestimmenden Einfluß auszuüben – keineswegs mit durchschlagendem Erfolg.
Nachdem Goebbels im September 1933 die Tätigkeit im Filmwesen von der Mitgliedschaft in der Reichsfilmkammer abhängig gemacht hatte, sorgte er zunächst dafür, daß seine Kontrollmöglichkeiten durch das Lichtspielgesetz vom 16. Februar 1934 erheblich erweitert wurden:67 Filme konnten nun wegen der Verletzung des »nationalsozialistischen« oder des »künstlerischen Empfindens« verboten werden,68 und das Gesetz straffte das Prüfverfahren in einer Weise,69 die es Goebbels ermöglichte, durch einfache Anordnungen einzelne Filme direkt verbieten zu lassen, was er prompt »aus geschmacklichen Gründen« tat.70
Das Gesetz führte auch eine Prädikatisierung von Filmen durch die staatliche Prüfstelle ein: Die Filmprüfer waren berechtigt, Filme als »staatspolitisch wertvoll«, »künstlerisch«, »volksbildend« oder als »kulturell wertvoll« einzustufen und damit die Filme von der Vergnügungssteuer zu befreien.71 Außerdem sah das Gesetz die Einsetzung eines »Reichsfilmdramaturgen« vor, dem – unabhängig von der Zensur – alle Filmprojekte im Entwurf und als Drehbuch vorgelegt werden mußten.72 Besetzt wurde die Position des Filmdramaturgen im Februar 1934 mit dem bisherigen Redakteur des Angriffs, Willi Krause.73 Auf ihn folgte in den Jahren 1936/37 der Schriftsteller Hans Jürgen Nierentz, der ebenfalls aus der Redaktion des Angriffs stammte, über dessen Arbeit sich Goebbels aber schon bald unzufrieden zeigte;74 1937 wurde das Amt von Fritz Hippler übernommen.
Am 9. Februar 1934 hielt Goebbels in der Berliner Kroll-Oper einen Vortrag vor den »Filmschaffenden«. Goebbels gab sich konziliant: Er verwahrte sich »gegen die Unterstellung […], wir hätten die Absicht, den Film nationalsozialistischprogrammatisch umzufälschen«. Der Nationalsozialismus sollte nicht durch die »Auswahl des Stoffes zur Darstellung kommen, sondern durch die Gestaltung des Stoffes«.75
Nur wenige Monate nach seinem Vortrag in der Kroll-Oper stellte Goebbels in einer weiteren Ansprache vor führenden Vertretern des Films klar, daß seine Forderungen doch weiter gingen: Auf einer Sitzung im Propagandaministerium, an dem die maßgeblichen Filmfunktionäre, führende Vertreter der Filmindustrie sowie namhafte Schauspieler, darunter Heinrich George, Heinz Rühmann und Hans Albers, teilnahmen, erklärte Goebbels am 21. Juni, er verlange keine »nationalsozialistischen Programmfilme«, jedoch eine »Durchdringung des Stoffes mit nationalsozialistischen Ideen und Problemen und eine Anerkennung und Darstellung des Prinzips höchster Verantwortung, aber auch höchster Autorität«. Er sei nicht gegen den »Lustspielfilm« als solchen, jedoch gegen den »geistlosen Lustspielfilm«.76
Daß die meisten Unterhaltungsfilme tatsächlich an Banalität kaum zu übertreffen waren (Goebbels’ Tagebücher sprechen in dieser Hinsicht Bände)77 und die politisch-ideologische Filmpropaganda sich weitgehend in nationalen Klischees erschöpfte, lag natürlich vor allem an der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Filmindustrie, dem schwer durchschaubaren Zensursystem sowie einem Mangel an Leitvorstellungen seitens des Propagandaministers: Die Filmindustrie war nicht gewillt, irgendwelche Risiken einzugehen.78 Goebbels suchte diesen unbefriedigenden Zustand zu ändern, indem er Ende 1934 für ein Gesetz sorgte, durch das der Aufgabenbereich des Reichsfilmdramaturgen so verändert wurde, daß er keine Verantwortung mehr für die Masse der Unterhaltungsfilme trug.79
Seit Ende 1934 verfolgte Goebbels aber selbst eine Reihe von Filmprojekten, mit deren Hilfe er den großen »künstlerischen Film« der Filmindustrie als Vorbild für ihre künftige Arbeit empfehlen wollte. Dr. Joseph Goebbels war entschlossen, als eine Art von Inspirator in die deutsche Filmgeschichte einzugehen. Im November 1934 hielt er eine Konferenz mit Filmschaffenden ab und entwickelte drei Projekte: ein Film über Oliver Cromwell, ein Werk zu den Befreiungskriegen und ein Epos zu den Jahren 1918 bis 1932. Hinzu kamen bald zwei weitere Projekte: Jeanne d’Arc sowie ein »Auswanderungsfilm«, den Trenker betreute.80
Im Februar 1935 hielt Goebbels anläßlich der Eröffnung des Reichsfilmarchivs in Berlin eine Rede, in der er sich als Reformator des deutschen Films pries. Goebbels führte hier aus, er vermißte in der gegenwärtigen Produktion den »künstlerisch und weltanschaulich gesicherten Film«. Ebenso fehlte aber auch, so Goebbels weiter, »der gute, gekonnte, mit Witz und Laune oder überlegener Satire gedrehte deutsche Unterhaltungsfilm«. Die verschiedenen Maßnahmen, die das Regime seit 1933 auf dem Gebiet des Films getroffen habe (Gründung der Filmbank, Einführung der Reichfilmdramaturgie, Auslobung von Filmpreisen etc), hätten »doch einen überragenden Erfolg auf dem Gebiete des Films vermissen lassen«.81
Von den großen Projekten, die Goebbels hier noch einmal herausstellte, scheint nur eines verwirklicht worden zu sein: 1935 kam Das Mädchen Johanna heraus, der das Jeanne d’Arc-Thema verarbeitete. Goebbels hatte das Projekt mit großem Interesse und Enthusiasmus verfolgt,82 doch das fertige Produkt enttäuschte ihn, und – was entscheidender war – es enttäuschte auch Hitler und kam für den Nationalpreis nicht in Frage.83 Damit war Goebbels’ Versuch, durch die Förderung bestimmter Projekte beispielhaft auf das »Filmschaffen« einzuwirken, endgültig gescheitert.
Auf einem »internationalen« Filmkongreß im April 1935 – tatsächlich nahmen neben Deutschland nur Vertreter aus Österreich und der Tschechoslowakei teil – stellte Goebbels sieben »Grundsätze« für den künftigen deutschen Film vor. Insbesondere wandte er sich hier gegen die Bühnenlastigkeit des deutschen Films – im internationalen Vergleich in der Tat eine seiner wesentlichen ästhetischen Schwächen. Außerdem ermahnte er die Filmindustrie, sie solle »sich freimachen von der vulgären Plattheit des bloßen Massenamüsements«. Der Film müsse »wie jede andere Kunst zeitnahe bleiben, um zeitnahe zu wirken«. In der Praxis zeigte sich, daß solche allgemeinen, zum Teil selbstgefälligen Richtlinien des Propagandaministers der Filmindustrie kaum Orientierung boten.84
Ähnliches gilt für seine Bemühungen zur Regulierung der Filmkritik. Als er im Dezember Kritiker der verschiedenen Kultursparten in das Propagandaministerium einlud, hatte er nicht mehr zu bieten als eine Reihe von Gemeinplätzen, die vor allem eins verdeutlichten: Der durch die Diktatur subventionierte und reglementierte Kulturbetrieb vertrug sich nicht mit Kunstkritik.85
Am 15. Dezember 1935 hielt Goebbels in der Berliner Kroll-Oper eine weitere großangelegte Rede vor den »Filmschaffenden«.86 Hier erkannte er zwar grundsätzlich die Berechtigung des »Unterhaltungsfilms« an, wandte sich jedoch deutlich gegen dessen »Verblödung« und gegen die »Serienfabrikation der Nachläufer«. Fast drei Jahre nach der »Machtergreifung« war das ein ziemlich vernichtendes Zeugnis für sein eigenes Wirken auf dem Gebiet des Films,87 obwohl es ihm durch eine Änderung des Lichtspielgesetzes und durch Anordnungen Hitlers im Laufe des Jahres 1935 gelungen war, seine persönlichen Befugnisse auf dem Gebiet der Filmzensur erheblich zu stärken.88
Da all seine Ermahnungen, Grundsätze und Richtlinien in Goebbels’ Augen die Qualität des Films nicht grundsätzlich verbessern konnten, sollte er sich daher im Jahre 1936 entschließen, die großen Filmstudios unter seine direkte Kontrolle zu bringen.
Bei all seinen Aktivitäten, die Goebbels im Bereich der Medien- und Kulturpolitik entfaltete, war für ihn eines entscheidend: das enge Verhältnis zu Hitler, mit dem er immer wieder die einzelnen Maßnahmen auf seinem Arbeitsgebiet absprach und nach dessen künstlerischem Geschmack und persönlichen Vorlieben er seine Arbeit ausrichtete. Es war daher für ihn verheerend, als er im Herbst 1934 bemerken mußte, daß die persönlichen Beziehungen, die er und Magda zu Hitler unterhielten, in eine schwere Krise gerieten.
Mitte Oktober 1934 stellte Goebbels konsterniert fest, daß Hitler zu ihm plötzlich auf Distanz zu gehen schien, ohne daß er sich dieses Verhalten erklären konnte. Am 15. Oktober hielt er in seinem Tagebuch fest: »Führer ruft nicht zum Abendessen. Wir haben das Gefühl, daß ihn jemand gegen uns eingenommen hat. Wir leiden beide sehr darunter. Schweren Herzens zu Bett.« Bei einem Zusammentreffen am nächsten Tag stellte er fest, daß Hitler »etwas zurückhaltend« ihm gegenüber sei. Magda sollte helfen; doch als sie um ein Treffen bat, um »Klarheit zu bekommen«, hatte Hitler keine Zeit. Auch ihre in den nächsten Tagen unternommenen Versuche, zu Hitler zugelassen zu werden, blieben, so hielt Goebbels minutiös fest, ohne Erfolg.89 Als es ihr einige Tage später doch gelang, vorgelassen zu werden, erfuhr sie von Hitler, er sei das Opfer eines großen »Klatsches« geworden, den Frau von Schirach inszeniert hätte, und habe darob beschlossen, sich gesellschaftlich in Zukunft Zurückhaltung aufzuerlegen: »Keine Damen mehr in der Reichskanzlei.« Schließlich erzählte Hitler die Geschichte Goebbels noch einmal selber unter vier Augen. Auf seine Frage, ob auch er sich künftig in gesellschaftlicher Beziehung zurückziehen solle, scheint Hitler nicht direkt geantwortet, sondern Goebbels nur in allgemeiner Form versichert zu haben, er besäße »sein ganzes Vertrauen«. Goebbels empfand »Schmerz darüber, daß nun unsere Freundschaft eine Trübung erfahren soll. Ich bin ganz deprimiert. Dabei an der Sache so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.«90 Zwar nahm Goebbels alsbald seine Routinebesuche in der Reichskanzlei wieder auf, hielt aber fest, daß er unter den angespannten Verhältnissen leide. Damit war er nicht allein: »Magda ist krank darüber geworden.«91
Die Episode zeigt deutlich, wie tief die emotionale Abhängigkeit von Hitler bei beiden Goebbels entwickelt war; schon der bloße Verdacht, in der Gunst des Führers zurückzufallen, löste bei beiden eine regelrechte Depression aus.
Kurze Zeit später hatte er einen schweren Streit mit Magda, der zur Zerreißprobe für ihre Ehe wurde. Der Anlaß ist nicht klar; in der kaum lesbaren Passage des Tagebuches heißt es, es ginge um die Frage »ihres Nachkommens«, also offenbar um Harald. Im Frühjahr hatte Goebbels eine heftige Auseinandersetzung mit Haralds Vater Günther Quandt darüber gehabt, bei welchem Elternteil Harald künftig leben sollte; möglicherweise hatte dieser Streit, den Goebbels laut Tagebuch zu seinen Gunsten entschieden hatte, noch weitere Folgen gehabt.92 In jedem Fall wollte Magda, so hielt Goebbels unter dem 20. November fest, »weg von mir«, aber er gebe in der strittigen Frage nicht nach. Sie packte bereits ihre Sachen zusammen; es herrschte »Kriegszustand«.93
Am Bußtag eskalierte der Streit schließlich zur »Katastrophe«: »Entgegen meinem Verbot fährt sie mit ruppigem Abschied nach Dresden ab. Damit ist der Bruch da.« In einem langen Gespräch mit Magdas Schwägerin Ello, von der er »wenig erfreuliche Einzelheiten« erfuhr, kam er zu der Schlußfolgerung, die Trennung sei unvermeidlich. Im Tagebuch ließ er seinem Selbstmitleid freien Lauf und rang sich am nächsten Morgen dazu durch, in einem letzten Versuch Magda am Telephon zum Einlenken zu bringen: »Befehl zu sofortiger Rückkehr. Sie ist pampig, sehr unsicher. Gehorcht sie nicht, dann werde ich handeln.«94
Tatsächlich fügte sich Magda und kehrte aus ihrem Dresdner Exil zurück, es gab jedoch noch eine »schwere Auseinandersetzung«: Man war schon bei der Scheidung, doch dann gab sie nach und versprach »eine bessere Ehe«. Auch Goebbels lenkte ein: »Ich habe ja auch Fehler gemacht. Ewiger Konflikt: Ehe Partei.«95 Im neuen Jahr ließ sich die Beziehung zu Magda wesentlich harmonischer an; einer der Gründe war die Tatsache, daß Magda wieder schwanger war.96
Mit der allmählichen Festigung des Regimes und dem Ausbau des Propagandaministeriums zum Kontroll- und Führungsorgan über die deutsche Öffentlichkeit ging Goebbels mehr und mehr dazu über, die Bedeutung seiner Position auch durch Äußerlichkeiten zu betonen. Die ostentative Bescheidenheit, um die sich Goebbels noch 1933 so angestrengt bemüht hatte, fiel jetzt immer mehr von ihm ab.
Als Amtschef des Propagandaministeriums legte Goebbels großen Wert auf einen repräsentativen Stil. Das Hohenzollern-Palais, in dem das Ministerium angesiedelt war, verfügte über eine Reihe aufwendig ausgestatteter historischer Säle, die Goebbels für große festliche Empfänge und andere Feierlichkeiten nutzte,97 so zum Beispiel jedes Jahr anläßlich der Berliner Automobilausstellung98 oder im November, im Anschluß an die Tagung seines Reichskultursenats.99 Nachdem der Theatersaal des Ministeriums 1938 vergrößert worden war, konnten hier regelrechte Aufführungen stattfinden.100
Im Gegensatz zu den Jahren vor 1933, als er sein antibürgerliches Image gern durch das Tragen einer Lederjacke oder eines abgetragenen Trenchcoats pflegte, legte Goebbels als Minister großen Wert auf ausgesuchte, gepflegte Kleidung. Fotos aus der Zeit zwischen 1933 bis 1939 zeigen ihn meist in tadellosen Anzügen gehobener Qualität, ob bei Abendgesellschaften oder bei seinen Freizeitaktivitäten, so etwa als Bootsbesitzer, stets war er dem Anlaß entsprechend gekleidet.101 Die Kleiderschränke in seinen diversen Wohnsitzen waren wohlsortiert: So befanden sich in seiner Dienstwohnung in der Göringstraße neben zahlreichen Uniformen unter anderem 3 Fracks, 4 Smokings, 3 Teeanzüge, 1 Gehrock mit Hose, 30 weitere Anzüge, 13 Paar Straßenhandschuhe und 12 Paar weiße Handschuhe.102 Aber Goebbels legte auch Wert darauf, daß seine Mitarbeiter erstklassig gewandet waren: Den leitenden Beamten seines Ministeriums gewährte er im Herbst 1937 einen Zuschuß von je 1000 Reichsmark zur »besseren Einkleidung«.103
Die Goebbels gewöhnten sich nun mehr und mehr daran, daß ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung ihnen einen gewissen Luxus gestattete. Zwischen März und Juni 1935 wurde die Wohnung in der Göringstraße nach Plänen von Speer umgebaut.104 Als einer der ersten Besucher zeigte sich Hitler »begeistert« von dem Ergebnis der Baumaßnahmen.105 Zu den Annehmlichkeiten, die man dort genoß, gehörte seit Februar 1935 ein Fernsehapparat, und immer wieder erfreute sich der Propagandaminister im Kreise der Familie an dem Programm, das allerdings nur stundenweise und zu Testzwecken ausgestrahlt wurde.106 Im Oktober 1934 nahm er eine neue 5-Liter-Karosse in Empfang (»Ein rassiges, edles Tier«),107 im Februar 1935 kaufte er für Magda einen »wundervollen neuen Wagen«, einen Mercedes, den er auf der Automobilausstellung gesehen hatte, und er selbst leistete sich im Mai einen neuen Horch.108
In anderer Hinsicht war sein Lebensstil weniger opulent. Kulinarisch war Goebbels weiterhin anspruchslos,109 in seinen gesamten Tagebüchern findet sich keine einzige Bemerkung über die Qualität des von ihm eingenommenen Essens. Den Alkohol mied er, seitdem er seine politische Laufbahn begonnen hatte, nur bei Erkältungen versetzte er sich mit Hilfe einiger Gläser in einen Tiefschlaf. Das Rauchen hingegen konnte er sich, trotz diverser Anläufe,110 nie abgewöhnen.
Während des Frühjahrs und Sommers bezogen die Goebbels wieder ihre Sommerresidenz in Kladow.111 Ende März traf ein neues Boot ein, für Goebbels ein »wahres Erholungsinstitut«.112 Unter den Gästen, die er während des ganzen Sommers auf seinem Boot empfing, befand sich, wie im letzten Jahr auch, Hitler.113
Das nahe Verhältnis zu Hitler, das im Oktober vorübergehend in Distanz abzugleiten drohte, hatte sich wieder eingerenkt. Mit wachsender Sorge hatte Goebbels seit Ende 1934 Hitlers Gesundheitszustand verfolgt. Im Dezember war Hitler so massiv erkrankt, daß Goebbels, der eine Vergiftung vermutete, bereits die schlimmsten Befürchtungen hegte, als Hitler im Kabinett seine Nachfolge durch ein Eilgesetz – das nie veröffentlicht wurde – regelte.114 Wiederholt nahm er sich vor, Hitler einen wirklich guten Arzt zu besorgen.115 Einige Monate später befürchtete er, die massiv auftretenden Halsbeschwerden könnten auf eine Krebserkrankung Hitlers hindeuten. Doch im Juni stellte sich heraus, daß es sich um eine harmlose Wucherung handelte.116
Sorgen machte ihm wieder einmal Hitlers Privatleben. Ende Januar blieb er an einem Abend bis um 3 Uhr in dessen Wohnung in der Reichskanzlei:117 »Er erzählt mir von seinem einsamen und freudlosen Privatleben. Ohne Frauen, ohne Liebe, immer noch von der Erinnerung an Geli erfüllt.« Ein paar Tage später rührte Hitler das Thema erneut an: »Frauen, Ehe, Liebe und Einsamkeit«. Und mit sichtlichem Stolz vermerkte Goebbels: »So spricht er wohl nur mit mir.«118
Die Wiederherstellung der alten Harmonie hatte auch zur Folge, daß Goebbels weiterhin allen Wünschen Hitlers nachkam, auch wenn sie tief in sein privates Leben eingriffen. Ein Beispiel: Im April 1935 teilte ihm Hitlers Adjutant Schaub telefonisch mit, er solle sich am nächsten Tag gemeinsam mit seiner Frau in München einfinden. Dort brachte Hitler Goebbels, der einen stürmischen Flug zurückgelegt hatte, mit dem englischen Faschistenführer Oswald Mosley zusammen, parlierte noch etwas mit ihm über seine Außenpolitik und entließ ihn sodann nach Berlin, wo Goebbels noch am Nachmittag wieder eintraf. Die Nacht verbrachte er im Hotel – die Dienstwohnung wurde gerade umgebaut –, bis spät mit Arbeit beschäftigt. Warum Hitler Magda nach München bestellt hatte, verrät das Tagebuch nicht.119