Volda, 1999, Tag 38
Er musste Rebekka sehen. Sofort. Nicht erst in ein paar Stunden. Sie brauchten auch gar nicht miteinander zu reden. Ihm war es nur wichtig, sie zu sehen. Aus der Entfernung. Ohne selbst gesehen zu werden. Nur so, um sie betrachten zu können. Er wollte sie nur reden sehen und musste nicht verstehen, was gesagt wurde. Sie lachen sehen, ohne zu wissen warum. Oder noch besser: Er wollte nur zusehen, wie sie ihren eigenen Gedanken nachhing und in sich hineinlächelte, wie sie es früher schon ein paarmal getan hatte.
Wollte darüber lächeln, dass sie die Seine war.
Er ging ins Stadtzentrum hinunter und näherte sich der Kreuzung, an der Gemeindehaus, Ärztezentrum und Kino lagen. Er dachte an den bevorstehenden Abend, und daran, was Rebekka am Telefon gesagt hatte, als sie ihn gestern anrief. Oder eher: was sie nicht gesagt hatte. Sie hatte nämlich nur gefragt, ob sie am Abend zu ihm kommen könne, weil sie mit ihm über etwas Wichtiges reden müsse. Vielleicht hatte sich deshalb dieser Drang gemeldet, sie zu sehen. Weil da irgendetwas war. Etwas, das ihn irritierte. Er hatte es auch ihrer Stimme angemerkt, denn sie klang zögernd, unsicher, vielleicht sogar etwas niedergeschlagen.
Das wäre dann Rendezvous Nummer zwölf. Oder date , wie Rebekka es nannte. Sie hatte so herrlich gelacht, als er nach ihrem ersten gemeinsamen Kinobesuch gesagt hatte, dass er sich auf das nächste Rendezvous freue. »Niemand sagt heute mehr Rendezvous«, hatte sie gesagt, »es heißt date .« Eigentlich fand er nicht, dass es darüber etwas zu lachen gab. Ein Date konnte alles Mögliche bedeuten, sogar so etwas Unspektakuläres wie eine Verabredung zum Kaffee. Das war es aber nicht. Es war eine Begegnung zwischen zwei Menschen, die dabei waren, sich ineinander zu verlieben.
Für gewöhnlich hielten sie sich in seinem Zimmer auf, das er oben beim Krankenhaus gemietet hatte, es sei denn, sie waren draußen und gingen spazieren. Niemals waren sie bei ihr zu Hause. Sie hatte schon beim ersten Rendezvous erklärt, weswegen das nicht möglich war. Trine, die sowohl ihre Mitbewohnerin als auch ihre Cousine war, hielt sich oft zu Hause auf. Ein Privatleben konnte man dort also schlichtweg vergessen. Außerdem war sie ein Plappermaul, das ihrer Mutter jedes Detail zutrug, die wiederum alles ihrem Mann weitererzählte – Rebekkas Onkel. Von dort aus war es nur ein kurzer Weg zu Rebekkas Vater, und die Tatsache, dass sie sich mit einem Kerl traf, der kein gläubiger Christ war, würde den Boden unter dem elterlichen Haus in Südnorwegen erzittern lassen. Da spielte es auch keine Rolle, dass sie volljährig war. Denn Herr und Frau Vehler würden nicht nur einen Finger mit im Spiel haben wollen, wenn es um den Auserkorenen ihrer Tochter ging, sondern am liebsten alle vier Hände.
Was war bloß so wichtig? Warum hatte sie es nicht am Telefon gesagt? Hoffentlich war es nichts, was ihn wütend machen würde. Denn diese Seite hatte sie an ihm bisher noch nicht kennengelernt.