Kapitel 11

Mittwoch, 20. November

Magnus und die anderen Ermittler saßen im dritten Stock des Polizeigebäudes in einem der kleineren Besprechungsräume an einem Tisch. An der Wand hing eine Karte, die den halben Regierungsbezirk Østfold zeigte, von Sarpsborg und Fredrikstad im Westen bis nach Halden im Osten. Mit gelben Klebezetteln waren drei Orte markiert: Die Stelle, an der Cecilie Olin nach eigener Aussage aus dem Wagen geworfen worden war, die Wohnung, die sie in Skjærviken mit ihrem Ehemann geteilt hatte, sowie der Fundort der Leiche in Hansemakerkilen in Skjeberg. Darüber hinaus zeigten unzählige Stecknadeln im Zentrum von Fredrikstad an, wo die Ermittler Aufnahmen von Überwachungskameras beschlagnahmt hatten.

Magnus blätterte durch die Mappe, während er Cathrine Mathisen zuhörte, die vor der zwei Quadratmeter großen Leinwand stand und den Bericht von Telenor durchging. Die Analystin war in seinem Alter. Ihre Haare waren blond und reichten ihr bis auf die Schultern. Sogar in der etwas sackartigen Hose, die sie trug, machte sie eine gute Figur. Alle Ermittler waren im Besitz einer Kopie des von Mogens Poulsen erstellten vorläufigen Berichts, der gemeinsam mit den Fotos, die er von Cecilie Olin auf dem Stahltisch gemacht hatte, oben in der Mappe lag. Magnus blätterte die Papiere durch. Er fand DIN -A4-große Fotos vom Fundort der Leiche, danach eine Transkription der Vernehmung, die Lars Weberg mit Adele Ferking durchgeführt hatte, und schließlich Cecilie Olins Handydaten der letzten drei Monate.

»Und dies hier …« Cathrine Mathisen drückte auf eine Taste ihres Laptops. Der Projektor an der Decke warf eine Grafik auf die weiße Leinwand hinter ihr. »Dies hier zeigt die Anzahl der Handyverbindungen im Bereich der Basisstation, die Hansemakerkilen abdeckt, in der Nacht auf Sonntag zwischen 01:00 und 08:00 Uhr.«

»Null?«

Die Frage kam von einer Ermittlerin Ende dreißig.

»Ja. Da draußen liegen überwiegend Hütten, und um diese Jahreszeit ist da nicht viel los. Laut Telenor ist es bei diesem Sendemast erst um drei Minuten vor elf am Sonntagmittag zu einer neuen Verbindung gekommen.«

»Ist Cecilie Olins Handtasche wieder aufgetaucht?«, fragte Magnus.

»Nein. Handtasche, Handy und Geldbörse wurden nicht gefunden«, erwiderte Lars Weberg. »Das Gleiche gilt für ihren Ehering.«

Cathrine Mathisen wechselte zu einem neuen Bild, einer Luftaufnahme von Skjærviken. Sie zeigte auf die Straße, die gleich unterhalb der Grundschule Borge vorbeiführte. »Wir glauben, dass Cecilie hier aus dem Wagen geworfen wurde, der sie nach Hause fahren sollte, u…«

»Gibt’s eigentlich neue Erkenntnisse zu dem Wagen?«, unterbrach Magnus.

»Nein, wir müssen noch eine Menge Filmmaterial durchforsten.« Sie legte eine Hand auf ihre Hüfte, drehte sich halbwegs zur Wand und zeigte erneut auf die Straße. »Von hier stammt das letzte gesicherte Lebenszeichen. Erst hat Cecilie mit Adele Ferking telefoniert, danach mit ihrem Ehemann. Interessanterweise verschwindet ihr Handy genau in diesem Bereich.«

»Verschwindet?«, fragte Lars Weberg.

»Ja, es verliert den Kontakt mit der Basisstation Borge um 03:05 Uhr, also sieben Minuten nachdem sie ihren Mann angerufen hat. Entweder war ihr Akku leer, oder das Gerät wurde ausgeschaltet. Wo genau das auf dieser Strecke passiert ist, lässt sich unmöglich sagen.« Sie zeigte auf die anderthalb Kilometer lange Straße zwischen der Schule und den ersten Häusern in Skjærviken.

»Was ist mit dem Handy ihres Mannes?«, fragte Magnus. »Lässt sich feststellen, ob er in Bewegung gewesen ist?«

»Gut möglich, dass er sich bewegt hat«, erwiderte Cathrine Mathisen, »aber dann ohne Handy. Jedenfalls hat sein Telefon den Bereich der Basisstation nicht verlassen.«

»Danke.«

»Das war’s erst mal von mir.« Cathrine Mathisen trat auf die Tür zu, blieb aber plötzlich mitten im Raum stehen. »Hat noch jemand Fragen?«

Niemand sagte etwas.

»In Ordnung«, fuhr sie fort. »Dann gehe ich wieder und sehe mir die restlichen Videoaufnahmen an.«

Die Tür fiel hinter ihr zu.

»Wie lange hat das Gespräch mit dem Ehemann gedauert?«

Magnus’ Frage war an Lars Weberg gerichtet.

»Zweiundsechzig Sekunden.«

»Nachdem sie das Gespräch beendet haben, dauert es also noch etwa sechs Minuten bis ihr Handy entweder zerstört oder abgeschaltet wird.«

»Was zumindest ausschließt, dass sie nach Hause gekommen und ihr dann dort etwas zugestoßen ist«, sagte Helge Pedersen oder Pettersen. Magnus konnte sich nicht genau erinnern.

»Nein, das nicht«, sagte Magnus. »Aber es schließt aus, dass sie das letzte Stück gegangen ist und ihr danach zu Hause etwas zugestoßen ist. Das hätte sie zeitlich nicht geschafft.« Er konzentrierte sich auf die Karte an der Wand, ließ die flache Hand über die Straße zwischen der Borge Schule und Skjærviken kreisen. »Was ist in diesen Minuten passiert? Wir wissen, dass der Wagen, aus dem sie hinausgeworfen wurde, dann zurückgekommen ist. So hat es jedenfalls der Ehemann interpretiert, und momentan ist das alles, woran wir uns orientieren können. Hat der Fahrer noch mal angehalten? Hatte er sich anders entschieden? Hat er ein paar Minuten gebraucht, um sie erneut zum Einsteigen zu überreden? Ist er mit Gewalt über sie hergefallen, um dann sofort das Handy zu zerstören oder auszuschalten, sobald sie wieder im Wagen saß? Vielleicht hat er auch gar nicht angehalten und ist weitergefahren? Laut dem Ehemann hat Cecilie nicht erwähnt, dass der Wagen stoppte. Bloß ›Jetzt kommt er zurück‹, wir wissen es also nicht.«

»Auch der Ehemann kann doch sofort losgefahren sein und sie abgeholt haben, oder?« Wieder der Ermittler, an dessen Nachnamen Magnus sich nicht erinnerte. »Ist es nicht meistens der Ehemann?«

»Ich finde, wir sollten uns auf die Identifizierung des Wagens und des Fahrers konzentrieren.« Magnus sah auf die Uhr. »Dann treffen wir uns hier morgen früh um acht Uhr wieder?«

»Acht ist in Ordnung.« Lars Weberg öffnete eine dünne, dunkelblaue Aktenmappe, die vor ihm lag. Sie schien nur ein paar Blätter zu enthalten. »Vor einer halben Stunde kam ein Anruf von Kristin Mayer von der Polizei in Moss. Lisette Ness, eine fünfunddreißigjährige Frau, die auf Jeløy wohnt, ist seit gestern Abend verschwunden. Sie hatte in letzter Zeit Eheprobleme, weswegen bis jetzt noch nichts Größeres unternommen wurde. Kristin Mayer glaubt zwar, dass Lisette Ness sich freiwillig aus dem Verkehr gezogen hat, wollte uns angesichts des hiesigen Falls aber dennoch informieren.«

Lars Weberg erhob sich. Die Besprechung war beendet.