Kapitel 29

Donnerstag, 21. November

Ein Kleeblatt aus vier Teenagern unterhielt sich lautstark in der hintersten Ecke von Nelly’s Kebab House, während sie gleichzeitig Essen in sich hineinschlangen. In dem Gespräch ging es um irgendeine Aurora, die irgendeinen Kaveh gevögelt hatte und dass diese Aurora eigentlich mit Fatim herummachte. Magnus kannte weder eine Aurora noch einen Kaveh oder Fatim und ließ die Unterhaltung weiterplätschern, ohne ihr noch zu lauschen.

»Mild, mittel oder scharf?«, fragte der Verkäufer.

»Mittel«, erwiderte Magnus und zog seine Geldbörse hervor.

Der Verkäufer sah zu seinem Kollegen in der Küche und rief ihm die Bestellung zu: großer Kebab im Pitabrot, mittelstark gewürzt, ohne Tomaten und Zwiebeln. Er bekam ein »Okay« zur Antwort.

Magnus bezahlte und blieb an der Kasse stehen, bis das Essen fertig war. Dann nahm er die Tüte mit der würfelförmigen Pappverpackung entgegen und trat in die abendliche Dunkelheit, wo er seinen Mantelkragen aufstellte.

Das Handy signalisierte eine neue SMS . Der Absender war Lars Weberg. Die Nachricht lautete: »Gerade Antwort von Karen Thoen bekommen. Hat morgen um elf Zeit für ein kurzes Gespräch, Gefängnis Halden.« Magnus antwortete mit einem erhobenen Daumen.

Fünfzig Sekunden nachdem er das Quartett aus Auroras und Kavehs Freunden hinter sich gelassen hatte, schloss er die Haustür in der Agentgate auf und nahm den Fahrstuhl in den zweiten Stock. Dort zog er Jackett und Mantel aus, nahm einen Teller aus dem Schrank, legte den Kebab darauf und vergewisserte sich, dass er weder Tomaten noch Zwiebeln enthielt, ehe er den ersten Bissen nahm. Er trat in den Flur und nahm sein Handy aus der Innentasche des Jacketts. Auf dem Display sah er eine Meldung von Facebook. Es war eine neue positive Bewertung für das Profilbild, das er vor einem Monat gegen das alte ausgetauscht hatte. Der erhobene Daumen kam von Martin Fjeld, einem ehemaligen Kollegen von der Schutzpolizei in Fredrikstad. Magnus nahm den Teller mit zum Sofa und platzierte ihn auf seinem Schoß, ehe er abermals in den Kebab biss. Er fand die Fernbedienung, die sich zwischen den Kissen versteckt hatte, und schaltete den Fernseher ein. Es lief eine Sendung mit Leuten, die ehemals bekannt gewesen waren und nun einer Teilnahme zugestimmt hatten, weil sie darauf hofften, es bald wieder zu werden. Magnus kannte zwei von ihnen.

Er verfolgte das Programm, ohne zu wissen, worum es ansonsten eigentlich ging, und aß weiter. Als er den Kebab halb aufgegessen hatte, klingelte das Handy. Mogens Poulsen privat leuchtete ihm vom Display entgegen. Magnus schluckte und nahm den Anruf entgegen.

»Hallo, Torp«, sagte der Däne. »Störe ich?«

»Schon in Ordnung. Sie erwischen mich zwischen zwei Bissen Kebab. Wie ist es denn in Bergen?«

»Nass. Na, immerhin gab’s heute Vormittag keinen Regen. Ich sitze gerade mit einem alten Bekannten in der Hotelbar.«

Das ergab Sinn, denn Magnus hatte schon geahnt, dass Alkohol im Spiel war. Da war etwas mit der Stimme des Dänen. Oder vielleicht lag es auch am Akzent. Magnus fand jedenfalls, dass er sich noch einen Hauch dänischer anhörte als für gewöhnlich.

»Wie viele Tuborg waren es denn schon?«

Mogens Poulsen antwortete, doch eine Frau, die im Hintergrund kreischend lachte, übertönte seine Worte. Magnus bat ihn, seine Worte zu wiederholen.

»Ich sagte: Jede Menge. Eigentlich wollte ich bis zu meiner Rückkehr morgen früh warten, bevor ich Sie anrufe, aber je mehr wir hier darüber gesprochen haben, desto sinnvoller erschien es mir, mich noch heute Abend bei Ihnen zu melden.«

Magnus legte seinen Kebap auf den Teller, lehnte sich im Sofa zurück und unterdrückte ein Rülpsen.

»Worüber wollen Sie denn reden?«

»Ich sitze hier mit Ole Sadé, kennen Sie ihn?«

Magnus überlegte. Sadés Institut für Pathologie. Ole Sadé war Rechtsmediziner mit Sitz in Bergen.

»Ja.«

»Ole und ich kennen uns seit Ewigkeiten. Er hat früher im Rikshospital gearbeitet, aber keine Angst, ich werde Ihnen die Tour durch die Memory Lane ersparen. Langer Rede kurzer Sinn: Als Sie gestern Morgen bei mir waren, habe ich Ihnen erzählt, dass ich ähnlich schlimme Verletzungen wie bei Cecilie Olin nie gesehen hätte, mit Ausnahme solcher, die entstehen, wenn man von einem Fahrzeug überfahren wird. Erinnern Sie sich?«

»Ja.«

Magnus richtete sich auf, stellte den Ton am Fernseher ab und starrte auf den dunklen Küchenbereich.

»Als wir vor zwei Stunden zu Abend gegessen haben, sind wir natürlich ein bisschen auf die Arbeit zu sprechen gekommen. Ich habe ihm von dem Fall erzählt. Was Cecilie Olin widerfahren ist, liegt jenseits jeder Art von Wut- oder Gewaltausbruch.«

Magnus nickte zustimmend in sich hinein.

»Ole wurde neugierig, und …«

Im Hintergrund waren klirrende Gläser und schallendes Gelächter zu hören. Der Däne entschuldigte sich und bat Magnus, einen Augenblick am Apparat zu bleiben. Nach zwanzig Sekunden war er ohne Lärm im Hintergrund wieder da.

»Wo war ich stehen geblieben?«

»Sadé wurde neugierig.«

»Ja. Wir sind nach dem Essen hinauf auf mein Zimmer gegangen. Ich habe ihm die Fotos gezeigt und meine vorläufige Analyse. Es sind bestimmt zwei Minuten vergangen, ohne dass er einen Ton sagte, aber dann erzählte er mir etwas Interessantes über einen alten Fall. Klar, ist natürlich schon lange her, aber wirklich interessant.«