Kapitel 31

Donnerstag, 21. November

»Ich habe von dem Fall gelesen …« Magnus hatte sich mit dem Handy am Ohr mitten ins Zimmer gestellt. Die Wände und der Fußboden in der dunklen Wohnung wurden vom scharfen Fernseherlicht erhellt. »Mir war allerdings nicht klar, dass sie erwürgt wurde. Das war also die Todesursache? Nicht stumpfe Gewalt?«

»Ja, erwürgt«, erwiderte der Däne. »Mit einer solchen Kraft, dass ihr Kehlkopf zerdrückt wurde. Danach wurde sie beinahe bis zur Unkenntlichkeit verprügelt. Sie wurde auch geschlagen, bevor man sie erwürgt hat, aber als Todesursache spielt das keine Rolle. Wie bei Cecilie Olin ist die stumpfe Gewalt überwiegend post mortem erfolgt. Keine Anzeichen eines sexuellen Übergriffs. Ist übrigens ihre Handtasche wieder aufgetaucht?«

»Nein, die ist spurlos verschwunden. Vermutlich hat der Täter sie an sich genommen.«

»Rebekka Vehlers Handtasche wurde auch nie gefunden. Und der Hauptgrund, weswegen ich mit meinem Anruf nicht bis morgen warten wollte: der Täter ebenso wenig.«

Magnus trat ans Fenster. Das Quartett aus der Kebab-Bude kam gerade aus der Tür. Sie umarmten einander und gingen in verschiedene Richtungen davon.

»Torp?«

»Ja …« Magnus stellte sich mit dem Rücken ans Fenster und sprach weiter. »Ist Sadé davor oder danach noch einmal etwas Ähnliches untergekommen?«

»Niemals. Deshalb war er auch … ja, ich will nicht sagen völlig perplex, aber überrascht. Damals war es ganz genauso , hat Ole gesagt, und er weiß nicht mal, dass Cecilie Olins Handtasche immer noch verschwunden ist, da ich mir diesbezüglich nicht ganz sicher war. Tja, wie ich gestern Morgen schon gesagt habe: Man muss echt krank sein, um so etwas zu tun, und glücklicherweise gibt es da draußen nicht viele von dieser Sorte.«

»Sie denken, es könnte derselbe Täter sein?«

»Jetzt bewegen wir uns wieder im Reich der Spekulationen, Torp. Und das ist Ihre Aufgabe. Ich halte mich an …?«

»Medizinische Fakten.«

»Jetzt wissen Sie immerhin, dass vor etwas über zwanzig Jahren in Volda eine junge Frau auf exakt dieselbe Weise umgebracht wurde.« Der Däne fröstelte hörbar. »Jetzt muss ich aber wieder rein, ehe ich mir noch eine Erkältung zuziehe.«

»Augenblick«, sagte Magnus. »Hat Sadé irgendwelche Informationen vorliegen?«

»Ich hab ihm gesagt, dass ich Sie anrufen werde, und da meinte Ole, er könnte morgen früh den Obduktionsbericht rüberschicken. Den hat er in seinem Büro. Zu weiteren Fallunterlagen hat er keinen Zugang, aber wie er selbst sagte: Es gibt zwei Dinge, die die Fälle Rebekka Vehler und Cecilie Olin unterscheiden

»Und welche?«

»Name und Alter. Daher bin ich mir auch nicht sicher, ob der Obduktionsbericht so eine große Hilfe ist.« Eine Tür wurde geöffnet, und der Lärm im Hintergrund war wieder da. Laute Stimmen. Gelächter. »Bis bald, Torp.«

Mehr sagte Mogens Poulsen nicht, bevor er auflegte. Magnus holte seinen Laptop, schob den Teller mit dem halb verzehrten Kebab beiseite und loggte sich ins Netzwerk der Kripo ein. Er gab Rebekka Vehler ein, erhielt aber keinen Treffer. Gut möglich, dass die Fallakte nicht digitalisiert worden war. Er wechselte zu Google und schrieb den Namen in das dortige Suchfeld. Der oberste Eintrag betraf einen fünf Jahre alten Zeitungsartikel, der sich mit unaufgeklärten Morden in Norwegen beschäftigte. Magnus rief den Link auf, entdeckte ihren Namen und klickte ihn an. Ein Foto von ihr füllte fast die ganze Seite aus. Die Haare ergossen sich über ihre Schultern. Sie hatte zwei schwach erkennbare Lachfältchen, war hübsch, nein, dachte Magnus, nicht hübsch, schön. Ihre verführerischen Augen waren genauso blau wie das Mittelmeer auf Postkarten. Sie trug ein helles Sommerkleid. Das Bild war auf einer Veranda aufgenommen worden. Im Hintergrund konnte man das Meer erahnen. Am Rand des Fotos war gerade noch ein männlicher Unterarm zu sehen. Er ruhte auf dem Tisch, an dem Rebekka Vehler saß. Magnus klickte auf Mehr lesen. Eine neue Seite erschien auf dem Bildschirm.

REBEKKA VEHLER (19)

TATORT : Volda, Regierungsbezirk Møre & Romsdal

ZEITPUNKT : 22. September 1999

MORDMETHODE : Erwürgen

Im Weiteren stand dort, dass niemand des Mordes beschuldigt worden war, dass die offizielle Ermittlung im Frühjahr 2002 abgeschlossen wurde, der Fall aber noch ungeklärt sei. Am Ende des Eintrags wurde die Öffentlichkeit gebeten, sich mit eventuellen Hinweisen an das Lensmannbüro Volda og Ørsta zu wenden.

Magnus rief abermals Google auf und überflog die weiteren Treffer. Es gab keine Websites, die irgendetwas Neues zu berichten hatten. Er stieß auf einen alten Artikel aus der Zeitung Møre-Nytt , in dem ein Foto vom Tatort abgebildet war. Er sah kahle Bäume, die ihre Äste in den Himmel reckten. Am Ende des Wegs schienen die langen Zweige ineinanderzuwachsen. Einige Meter vor der Fußgängerbrücke, die über einen schmalen Fluss führte, lag ein mit einer Plane bedeckter Körper.

Magnus ging zurück zu der Seite der ungelösten Mordfälle und notierte die aufgeführte Fallnummer.