Donnerstag, 21. November
»Ich habe mir den Fall vor ein paar Monaten noch mal angesehen«, sagte Lensmann Sigmund Aasen vom Lensmannbüro in Volda.
»Ach ja?« Magnus hatte sich mit dem Handy am Ohr aufs Sofa gesetzt. »Wieso?«
»Aus keinem besonderen Grund. Ich nehme ihn mir regelmäßig wieder vor. Ich hoffe wohl, eines Tages das zu entdecken, was mein Vorgänger nicht gesehen hat. Aber ein Teil des Problems, oder … das eigentliche Problem ist, dass es nicht viel Material gibt, mit dem sich arbeiten ließe. Natürlich gibt es viele Zeugenvernehmungen. Das waren meist andere Studenten, die aus dem einfachen Grund befragt wurden, dass sie zusammen mit Rebekka auf der Hochschule waren. Aber da gibt es nichts Aussagekräftiges zu holen. Wieso interessieren Sie sich für den Fall?«
Magnus benötigte ein paar Minuten, um von der ermordeten Cecilie Olin und von dem zu berichten, was der Rechtsmediziner über die Obduktion von Rebekka Vehler im Jahr 1999 gesagt hatte.
Es entstand eine Pause, bis Sigmund Aasen das Schweigen schließlich brach.
»Das hat er gesagt …?« Sein Tonfall hatte sich verändert. »Dass nur Name und Alter der Opfer die beiden Fälle voneinander unterscheiden?«
»Ja. Der Fall Cecilie Olin war so außergewöhnlich, dass der Rechtsmediziner Mogens Poulsen meinte, etwas Ähnliches sei ihm nie untergekommen. Und genauso ist es Ole Sadé mit Rebekka Vehler ergangen. Klar, das beweist natürlich nichts, aber gleichzeitig reden wir hier von zwei Rechtsmedizinern, die zusammengenommen über achtzig oder neunzig Jahre Berufserfahrung verfügen. Jedenfalls wäre es dumm, einen Zusammenhang auszuschließen, ohne das in irgendeiner Weise zu untersuchen.«
»Da stimme ich Ihnen zu.«
»Ich konnte in der Datenbank der Kripo nichts über Rebekka Vehler finden. Wer hatte den Fall damals?«
»Der technische Bericht ist mit S. Haro signiert.«
»Sylvia Haro. Ich kenne sie. Aber ich meinte, wer für die taktische Unterstützung zuständig war.«
»Die Kripo hat gar keine taktische Unterstützung geleistet, nur technische.«
»Wie? Hat ein kleines Lensmannbüro ganz allein die Verantwortung für die Ermittlungen getragen?«
»John-Einar Gjelsvik war 1999 hier Lensmann. Sagt Ihnen der Name was?«
»Nein.«
»Er hat bei der Kripo gearbeitet, ehe er 1993 in heimische Gefilde zurückkehrte. Er war lange Jahre bei der damals sogenannten Mordkommission und hatte deswegen beschlossen, die Ermittlungen selbst zu leiten, was ja nicht so verwunderlich war. Er bekam Unterstützung von ein paar Ermittlern aus Ålesund und aus zwei weiteren Nachbarbezirken, aber das war mehr aufgrund der Kapazitäten. John-Einar war gründlich, fähig und routiniert. Er ist leider im letzten Winter gestorben. Wie gesagt, ich habe mir den Fall mehrmals angesehen, und da gibt es nichts, was nicht unternommen wurde. Deshalb ist das ja auch so besonders frustrierend.«
»Haben Sie sich oft darüber unterhalten?«
»Ja. Er war mein Vorgesetzter von 2008 bis zu seiner Pensionierung 2013. Da habe ich dann als Lensmann übernommen. Rebekka war ein Thema, wenn auch nicht wöchentlich, so doch regelmäßig. Wir w…«
»Tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche«, sagte Magnus, der nebenher die Website der Fluggesellschaft Widerøe aufgerufen hatte, »aber ich sehe gerade, dass morgen um 12:45 Uhr eine Maschine von Gardermoen nach Ørsta geht.«
»Wollen Sie herkommen?«
»Ja. Oder Moment mal.« Es gab noch eine Verbindung um 22:10 Uhr an diesem Abend. Wenn er die nahm, könnte er im Flugzeug etwas schlafen und morgen in aller Frühe im Lensmannbüro sein.