Volda, 1999, Tag 61
Er wartete, bis er sah, wie Trine das Geschäft verließ, ehe er zur Kasse eilte, eine Flasche Mineralwasser bezahlte und sich mit langen Schritten auf den Parkplatz hinausbewegte. Sie war in Richtung Osten unterwegs, den Blick zu Boden gerichtet. Als ob sie niemanden ansehen wollte. Plötzlich wurde ihm klar, dass sich kaum mehr als hundertfünfzig, maximal zweihundert Meter Luftlinie entfernt die Stelle befand, wo er Rebekka das Leben genommen hatte. Deshalb blickte sie nach unten. Sie wollte nicht in die Richtung sehen. Ja, so war es, denn als sie kurz darauf die Industrigate in nördliche Richtung entlangging, hatte sie den Kopf wieder gehoben.
Er blieb stehen und ließ den Abstand zwischen ihnen größer werden, ehe er sich wieder in Bewegung setzte. Er glaubte, das sie nach Hause wollte. Die Studentenbude, die sie jetzt vermutlich allein bewohnte, lag in dieser Richtung.
Es war so, als ob er Rebekka aus der Entfernung sähe. Einzig die Haarfarbe unterschied die beiden. Rebekka war blond gewesen. Trines Haar war ein paar Nuancen dunkler.
Erneut blieb er stehen, musste schnell entscheiden, weil Trine, als sie die Halkjelsgate überquert hatte, nicht weiter geradeaus ging, sondern den Busbahnhof betrat. Er konnte am Zebrastreifen nicht so stehen bleiben, wie er es bereits neun, zehn, elf Sekunden lang getan hatte. So steif. Als ob er plötzlich nicht mehr wüsste, wo er sich befand und wohin er wollte. Wie ein debiler Spasti, der auf seinen Betreuer wartete. Geh, dachte er, geh einfach über die Straße. Mit zähen Schritten bewegte er sich weiter, während er im Augenwinkel sah, dass Trine einen Bus bestieg, auf dem 101 stand. Sie sprach mit dem Fahrer, bezahlte und nahm einen Fahrschein entgegen. Er sah wieder geradeaus und schaffte es eben noch bis zum Kreisverkehr, ehe er hinter sich den Bus starten hörte, der daraufhin losfuhr und sich vom Busbahnhof entfernte. Er ging zurück und inspizierte den laminierten Fahrplan an der Wand. Bus 101 fuhr nach Ørsta.
Er blieb stehen und starrte in die Luft. Es konnte sein, dass Trine ihrer Cousine viel mehr ähnelte, als es Rebekka klar gewesen war. Von außen betrachtet war Rebekka auch ein etwas schüchternes und naiv-fröhliches Christenmädchen gewesen, doch sobald man sehr eng mit ihr bekannt wurde, war sie ein Flittchen. Eine Nutte. Vielleicht verhielt es sich mit Trine ebenso, vielleicht hatte sie in der Nachbargemeinde einen Liebhaber, genauso heimlich wie er es einst gewesen war. Er inspizierte erneut den Busfahrplan. Der letzte Bus aus Ørsta kam um 23:20 Uhr an.
Hoffentlich war sie vor diesem Zeitpunkt zurück. Er musste am nächsten Tag früh zur Arbeit.