Volda, 1999, Tag 61
Die Dunkelheit war schon längst über die Hügelkämme gekrochen, von denen Volda umgeben war, als Bus 101 um 21:50 Uhr am Busbahnhof hielt. Das Fahrzeug senkte sich ein paar Zentimeter zur Seite und seufzte schwer, als der Fahrer die Luft aus der Federung ließ. Ein schwaches Kussgeräusch erklang, während die Türen aufglitten. Die ersten vier Fahrgäste, die ausstiegen, schienen alle Teenager zu sein. Sie waren schon ein Stück zur Halkjelsgate hinübergegangen, als Trine aus der hintersten Tür trat. Sie wickelte sich einen Schal um den Hals, schob die Hände in die Jackentaschen und bewegte sich in Richtung Studentenwohnheim.
Er folgte ihr in einiger Entfernung. Sie schien es eilig zu haben, denn ihre Schritte waren schnell und zielgerichtet. Plötzlich wurde ihm klar, dass ihre schnellen Schritte nichts Besonderes bedeuteten. Ihre Cousine war in der gleichen Situation gewesen wie Trine jetzt: Sie hatte sich auf dem Heimweg befunden. Dann war es passiert. Es war zum endgültigen Schlusspunkt gekommen. Ihm. Dem Idioten, der sich vierzig Tage lang an der Nase hatte herumführen lassen. Und dann war Schluss mit den Lügen gewesen. Schluss mit allem.
Trine bewegte sich jetzt nicht mehr normal, sondern sie, ah, er kam nicht darauf, wie man sie noch mal nannte, diese Bewegung, bei der man weder rannte noch lief. Bei der es eigentlich nur wichtig war, so feminin wie möglich über die Straße zu gleiten, die Schinken aneinanderzureiben wie eine Tunte auf dem Catwalk.
Wie weit vor ihm war sie jetzt? Sechzig oder siebzig Meter?
Gehen! So nannte sich die Sportart, bei der man diese seltsamen Bewegungen machte. Er erhöhte das Tempo, ließ die Füße Siebenmeilenschritte tun. Er glaubte nicht, dass sie ihn registriert hatte, weil sie nicht ein einziges Mal über die Schulter geblickt hatte, seit sie aus dem Bus gestiegen war. Wahrscheinlich war sie nur ängstlich. Am liebsten wäre es ihr wohl gewesen, wenn eine Freundin sie vom Bus abgeholt hätte, sodass sie die knapp 350 oder 400 Meter nicht allein nach Hause hätte zurücklegen müssen.
Vielleicht hätte er ganz ungeniert dort unten am Busbahnhof stehen, lächeln und »Hallo!« sagen sollen, als sie ausgestiegen war. Genauso wie er es bei Rebekka getan hatte, als er ihr zum ersten Mal im Grünen Baum begegnet war. Oder eigentlich hatte er sie dort gesehen, und nachdem sie sich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte, hatte er den letzten Schluck Bier getrunken und war ihr nachgegangen. Rebekka hatte nicht das gleiche Tempo wie ihre Cousine vorgelegt. Sie war langsam gegangen, so langsam, dass er sie eingeholt hatte, ohne es überhaupt zu wollen, und dann hatte er sie nach der Uhrzeit gefragt. Sie hatte es nicht genau gewusst, meinte aber, dass es etwa halb zehn sei. Danach hatten sie sich unterhalten, während sie gemeinsam weitergegangen waren. Er hatte gesagt, er könne sie nach Hause bringen, hatte zugegeben, dass es zwar ein Umweg sei, aber er wolle gern noch weiter mit ihr reden, und auch wenn das hieß, dass er ein paar Extraschritte machen müsste, wäre ihm das egal. Sie hatte bis zu den Augen hinauf gelächelt und erwidert, das sei wirklich süß von ihm.
Plötzlich wurde ihm klar, dass er Trine an diesem Abend nicht mehr kennenlernen würde; sie hatte ihre Schritte beschleunigt.