Kapitel 68

Sonntag, 24. November

Der Nachmittag war schon fortgeschritten, als Anton den Porsche über die E6 nach Süden lenkte. Das aufgerissene Maul des Nøstvettunnels in der Ferne war bereit, ihn zu verschlingen. In der Jackentasche klingelte das Handy. Anton warf einen schnellen Blick auf das Display und nahm den Anruf an: »Ich bin in einer Stunde zu Hause.«

»Alles gut, Anton, mach dir keinen Stress«, sagte Magnus. Der Tonfall war ganz anders als beim letzten Gespräch. »Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich getan habe, worum du mich gebeten hast.«

»Du hast Didrik Ryde überprüft?«

»Ja. Wie du gesagt hast, hat er im St. Olavs in Trondheim und im Krankenhaus Tromsø gearbeitet. An beiden Orten nicht länger als zwei Jahre. Nach Tromsø hat er dann in Kalnes angefangen.«

»Und das hast du rausgefunden?« Anton sah in den Außenspiegel und überprüfte den toten Winkel. Dann zog er auf die linke Spur und fuhr in den Nøstvettunnel hinein. »Das ist doch das Gleiche, was ich dir erzählt habe, Torp.« Er seufzte. »Das hättest du dir sparen können.«

»Ich habe schon damit gerechnet, dass du damit nicht zufrieden bist, also habe ich noch ein paar Anrufe getätigt …« Magnus’ Ton änderte sich, als wollte er eine bestimmte Erwartung wecken. Anton merkte, wie sich seine Herzfrequenz erhöhte.

»Ja …?«

»Didrik Ryde hat während der letzten zehn Jahre in sechs verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen gearbeitet. Weder Trondheim noch Tromsø hatten etwas an ihm auszusetzen. Ich bin dann noch etwas weiter zurückgegangen, bis ins Jahr 2015. Da hat er im Psychiatrischen Zentrum des Distrikts Lillehammer gearbeitet. Ich habe mit jemandem gesprochen, der sich gut an ihn erinnerte. Er hat mir erzählt, dass Didrik Ryde dort schon nach kurzer Zeit wieder aufhörte, also nach drei oder vier Monaten. Die Probezeit war noch nicht mal vorbei, als er schon wieder gekündigt hat.«

»Und der Grund dafür?«

»Offiziell? Dass er ein besseres Stellenangebot in der Jugendfürsorge in Halden bekommen hatte.«

»Und inoffiziell?«

»Die Gerüchte besagen, dass er ein Verhältnis mit einer sechzehnjährigen Patientin eingegangen ist. Als sich das unter den Angestellten herumgesprochen hat, beschloss er, zu kündigen. Ich habe seinen alten Kollegen gefragt, ob das überprüft wurde. Und ja, das wurde es.«

»Und?«

»Didrik Ryde hat alles abgestritten.«

»Und die Patientin?«

»Da haben die Gerüchte ja ihren Anfang genommen … Es stand Aussage gegen Aussage, und die Vorgeschichte der Patientin hat nicht eben für sie gesprochen. Da gab’s so einiges, darunter Mythomanie – obwohl der ehemalige Kollege betont hat, dass das an sich keine Diagnose sei.«

»Ihr wurde also nicht geglaubt.«

»Nein. Didrik hat das längere Streichholz gezogen, aber der Kollege hatte keine Zweifel, ich zitiere: Warum sollte er seine Arbeit für ein besseres Angebot aufgeben, nur um dann mehrere Monate arbeitslos zu sein

»Was war mit dieser Einrichtung in Halden?«

»Der Kollege glaubt nicht, dass es dort überhaupt ein Stellenangebot gegeben hat. Und!« Magnus hob die Stimme. »2012 hat er im Krankenhaus Vestfold gearbeitet. Da konnte ich mit einer netten Frau sprechen, die anderthalb Jahre mit ihm zusammengearbeitet hat. Und jetzt rate, was da passiert ist.«

»Exakt das Gleiche«, sagte Anton.

»Schlimmer. Da ist eine der Patientinnen schwanger geworden. Laut ihrer Aussage hat Didrik Ryde sie zur Abtreibung gezwungen. Das Ganze ist erst ein paar Jahre später ans Licht gekommen. Er wurde dann zu einer Unterredung einbestellt, hat aber natürlich alles abgestritten. Er hätte nichts damit zu tun gehabt. Er hat zwar zugegeben, sie an einem Wochenende, an dem sie Ausgang hatte, mit dem Wagen zu einer Abtreibungsklinik in Schweden gebracht zu haben – und hat deswegen auch Selbstkritik geübt und gemeint, er hätte sich privat nicht einmischen dürfen, aber dass er ein Verhältnis mit ihr gehabt haben soll, das hat er kategorisch abgestritten.«

»Und danach durfte er weiter in dem Bereich arbeiten?«

»Die konnten nichts beweisen.«

»Die Patientin in Vestfold. Gibt’s da einen Namen?«

»Ja, Renate Iversen, aber die ist 2017 gestorben. Drogen.«

»Wo ist er 1999 gewesen?«

»So weit zurück bin ich nicht gegangen.«

»Und wieso nicht?«

»Weil wir die Verknüpfung mit Volda gefunden haben.«