»Super warʼs?? Ich denk, du stehst nicht auf klassische Musik.« Franz beäugt Martin, der enthusiastisch vom Konzertabend mit Caro erzählt, voller Zweifel.
»Ja eh. Mahler, das ist nicht so meins, ich find es auch ganz schön lang. Aber seit ich selber Saxofon lern, hab ich ganz allgemein einen anderen Zugang zu Musik und einfach irrsinnigen Respekt vor den Musikern. – Sag, kannst nicht die Klimaanlage einschalten? Man kommt ja um vor Hitze.«
Sie sind in Fassls Auto unterwegs ins Cafe Fingerlos, um sich dort das berühmte Frühstück zu genehmigen. Wobei »unterwegs« übertrieben ist, denn genau genommen stehen sie. Im Stau. Auf der Staatsbrücke. »Klimaanlage? Denk an die Umwelt«, kontert Franz und öffnet stattdessen die Fenster, durch die ein Bukett aus heißer Luft und Abgasen nach innen strömt.
Martin rümpft die Nase und schließt seines sofort wieder.
»Und dieser Respekt vor den Musikern hat bewirkt, dass du ein Mahler-Konzert plötzlich super gefunden hast? Oder war da sonst noch was?« Fassl kann auch sarkastisch sein.
Doch Martin ist in Gedanken noch beim gestrigen Abend und bemerkt es gar nicht. Begeistert fährt er fort: »Und nachher erst im Carpe Diem, ich sag dirʼs, Franz! So ein gutes Beuschel hab ich noch nie gegessen. Sehr klein halt. Alles eigentlich nur Fingerfood, weißt? Aber so gut!«
»Weiß ich, Martin. Ich leb seit ein paar Monaten in dieser Stadt, schon vergessen? Und war ganz zufällig schon ein paarmal dort. Obwohl diese Miniportionen ja nix für mich sind. Also Mahler und Beuschel, okay. Aber jetzt zum Wesentlichen: Wie schaut sie aus?«
Martin lächelt versonnen. Gerade als Fassl nachhaken will, antwortet er. »Eigentlich auf den ersten Blick ganz normal. Nett. Fesch, nicht direkt schön. Aber schon sehr attraktiv. Und ihre Haut! Die strahlt irgendwie. Mehr von innen heraus, wenn du weißt, was ich mein. ›Glow‹ sagen die Engländer.«
Fassl schüttelt entgeistert den Kopf. »Na, dich möcht ich nicht als Zeugen befragen müssen. Nett, fesch, Glow – geht’s vielleicht ein bissel konkreter fürs Phantombild? Groß, klein? Dunkelhaarig, blond? Augenfarbe? So was in der Art, wennʼs nicht zu viel verlangt ist.«
Jetzt muss Martin lachen. Ja, als Personenbeschreibung wär das wirklich nicht zu gebrauchen gewesen. »Sie ist ungefähr so groß wie ich, vielleicht acht, neun Jahre jünger, sportliche Figur, halblange braune Haare, blaue Augen – fast türkis, würd ich sagen.«
Inzwischen hat sich der Stau aufgelöst, und plötzlich sind die Autos vor ihnen wie ins Nichts verschwunden. Als wär nie was gewesen, fahren sie zügig in die Franz-Josef-Straße zum Fingerlos. Franz wollte an diesem Vormittag noch einmal zu Professor Pongauer, doch der ist in Wien und erst morgen wieder greifbar. Daher hat sich ein unerwartetes Zeitfenster aufgetan, das er nun für einen Kaffeehausbesuch mit Martin nutzt.
Kurz darauf sitzen sie bei den Frühstücksvariationen »Mirabell« und »Fingerlos« im Schanigarten des Cafés. Die Neugier von Franz ist noch lang nicht gestillt: »Hat sie eigentlich auch Fehler? Oder hast noch keine entdeckt?«, nimmt Fassl zwischen zwei Bissen Eierspeis das Thema wieder auf.
Kurzes Nachdenken. »Na ja, sie redet vielleicht ein bissel viel und nicht alles, was sie sagt, macht für mich auch Sinn. Besonders das ganze Kulturzeugs.« Martin beißt herzhaft von seinem Salzstangerl ab. »Aber wie sie es sagt, Franz, wie! Die Stimme hat so einen warmen Klang …«
Fassl legt sein Besteck nieder und starrt den Freund fassungslos an: »Jessas, Martin, dich hatʼs ja voll erwischt!«
Der lächelt verlegen. »Aber geh. Blödsinn. Gefallen tut sie mir natürlich schon. Aber erwischt, nein. Du weißt, ich hab mit den Frauen vorerst einmal abgeschlossen. Bei meinem legendären Griff ins Unglückshäferl! Da müsst schon eine ganz Besondere kommen.«
»Könnt ja sein, dass diese Caro so eine ganz Besondere …« Fassls Mutmaßungen werden von Martins Handy unterbrochen.
»Romana? Wie gehtʼs dir denn? Wie? Was? Ich schau mirʼs gleich an.«
Martin und die Frauen, seufzt Franz innerlich, schiebt das leere Eierspeisreindl weg und widmet sich dem Teller mit Schinken, Käse und Salami. Um diese Uraltfreundin, die nervige Romana, beneidet er ihn ja nicht. Und seinerzeit die zickige Larissa – na danke! Aber die Lily, die hätt ihm auch gefallen. Außerdem hat die gern gegessen. Aber das hat Martin total vergeigt, aus Feigheit wahrscheinlich. Bindungsangst. Franz würde sich nur zu gern binden. An seine Ex-Jutta zum Beispiel. Wenn er an sie denkt, tut’s immer noch ein bisserl weh.
Martin hat das Telefonat mit Romana beendet und steht wortlos auf. Franz schaut ihm nach, wie er ins Café geht. Kurz darauf kommt er zurück mit der Salzburger Kronenzeitung in der Hand. Schon von Weitem sieht Fassl den Aufmacher: »Verlobte packt aus: Die Wahrheit über Flocks Tod.«
***
Die Schlagzeile klingt schlimmer, als das Interview tatsächlich ist. Abgesehen davon, dass Romana sich als Verlobte Flocks bezeichnet und die Witwe als Ex-Frau, zieht sie zwar über Iris Flock und deren Geliebten her, nennt ihn aber nicht namentlich. Hauptsächlich schildert sie den Heiratsantrag auf der Stein-Terrasse und dann die Situation beim Jedermann in allen Einzelheiten. Ein paar Seitenhiebe, dass die Ex wohl die Einzige sei, die ein Motiv gehabt hätte, kann sie sich allerdings nicht verkneifen. Am Schluss noch eine Prise Pathos: »Jemand hat einmal gesagt: ›Im Sommer schlägt das Herz der Welt in Salzburg.‹ Das Herz meiner Welt hat ausgerechnet in Salzburg aufgehört zu schlagen.«
Fassl ist richtig gerührt, als er ihm das vorliest. Martin eher nicht. Er ruft Romana zurück und verdreht gleich die Augen, als sie loslegt.
»Hast gʼsehn, was sie für ein schiaches Foto von mir gʼnommen haben? Dabei hat der Fotograf da ewig herumgetan, sogar auf die Stein-Terrasse sind wir, und dann habenʼs eins ausgesucht, wo ich ausschau wie siebzig. Kann ich die Krone auf seelische Grausamkeit verklagen? Was meinst?«
Martin verzichtet darauf, sie an ihr tatsächliches Alter zu erinnern. Allerdings wendet er ein, sie solle froh sein, wenn Iris Flock nicht zum Anwalt geht – wegen Rufschädigung.
Romana, unbeeindruckt: »Soll sie doch. Die wird sowieso im Gefängnis landen.«
Bevor er auflegt, spricht Romana für den Abend noch eine Einladung in die Blaue Gans aus. Weil sie sich bei Fassl und Martin für die Gastfreundschaft bedanken will – und überhaupt, weil sie nicht gern alleine isst. Da sie auf der Titelseite ist, hatte sie übrigens kein Problem, dort im letzten Moment einen Tisch zu bekommen. »Ich bin jetzt ein Promi, Martin. Aber der Preis war zu hoch.«
Nach dem Frühstück ist Martin wieder einmal unterwegs nach Gnigl, zur Anabolika-Oma. Als er dort ankommt, steht das Haustor offen. Er betritt das Haus und checkt vom Erdgeschoss aufwärts die Türschilder. Im zweiten Stock – ohne Lift – wird er fündig. Wie die gehbehinderte alte Frau das schafft? Er läutet. Tatsächlich scheint jemand da zu sein. Er hört Geräusche, dann wird die Tür von einer Frau Mitte fünfzig geöffnet. Definitiv nicht die alte Dame, die er verfolgt hat. Sie sieht ihn nur fragend an, ohne was zu sagen.
»Frau Wallner?«, versucht er es.
Sie ist misstrauisch, aber nicht unfreundlich. »Na, i bin die Nachbarin und gieß die Blumen. Die Wallner is auf Kur.«
Ausgerechnet, denkt Martin enttäuscht. »Aha, wo kann ich sie denn erreichen?«
»Waß i net. Irgendwo in Slowenien oder Slowakei. Kann i was ausrichten, wenn sie zruckkommt? Is aber erst in vier Wochen. Und wer san Sie eigentlich? Kommens eina, sonst ziagts, weil i grad lüft.«
Martin leistet der Einladung Folge und betritt die Wohnung. »Ich bin ...«, setzt er zu einer Antwort an, doch in dem Moment schlägt das Fenster zu, eine blau-weiß gemusterte Vase fällt vom Fensterbrett und zerbricht klirrend. Die Nachbarin schreit entsetzt auf. Mit einem vorwurfsvollen Blick auf den Besucher: »Na, do homa den Salod. I hab Inan ja g’sogt, es ziagt!«
Er fühlt sich unschuldig, tut aber so, als tät es ihm leid.
»Helfen Sʼ ma wenigstens aufklauben, vielleicht kann maʼs no zsammpicken. Wer weiß, was die wert is.« Ob die Vase wertvoll war, kann auch Martin nicht sagen. Jedenfalls ist das Muster eher ungewöhnlich, nämlich kariert.
Martin beginnt die Scherben einzusammeln und sieht sich dabei diskret in der Wohnung um. Sauber und gediegen, bescheidene Landhausstilgemütlichkeit mit Holzvertäfelung, Wandverbau, grobem Holztisch, Holzkommoden, großem Blumenfenster. Auf Luxus durch Extraeinnahmen aus einem Anabolikahandel deutet absolut nichts hin. Dahinter stecken eindeutig andere, für die die alte Frau ihren Namen hergibt und Botendienste macht. Vielleicht ein Sohn oder Enkel?
»Wohnt der Enkel von der Frau Wallner in der Nähe?«, wagt er einen Schuss ins Blaue.
»Enkel?« Die Nachbarin scheucht Martin vom »Tatort« weg, er ist ihr im Weg, während sie die letzten Scherben aufkehrt. »Die Wallner hat ja keine Kinder, woher soll da a Enkel kommen? Vom heiligen Geist?«
»Gibtʼs sonst irgendwie Verwandte?«
Uninteressiertes Schulterzucken, während die Frau jede einzelne Scherbe auf die mögliche Wiederzusammensetzung der Vase begutachtet.
Na gut, Martin wird Marta Wallner durch den Polizeicomputer laufen lassen. Dann weiß er mehr. Er verabschiedet sich höflich und wird mit einem vorwurfsvollen Kopfschütteln entlassen.
Zwei Stunden später sitzt er mit einem Espresso und seinem Laptop auf dem Balkon von Fassls Wohnung und ist so klug wie zuvor. Vor sich auf dem Bildschirm hat er die Mail der Wiener Kollegen, der zufolge Marta Wallner keinerlei Vorstrafen hat. Alles, was sie über die Frau herausgefunden haben: Sie stammt aus Slowenien, lebt seit fast vierzig Jahren in Salzburg, wo sie mit einem Tischler verheiratet war. Nona, bei der Einrichtung, denkt Martin. Beruf Hausfrau, kinderlos, allerdings gibt es aus der ersten Ehe des Tischlers eine Tochter. Vor fünfzehn Jahren starb der Ehemann, seither bezieht Frau Wallner eine kleine Witwenrente.
Er greift zum Telefon, um die Kollegen in Wien zu bitten, sicherheitshalber auch die Stieftochter zu checken. Haben sie bereits, ob er denn das zweite Dossier nicht erhalten habe? Sie schicken es gleich noch einmal los.
Die Stieftochter heißt Brigitte Semmler, ist geschieden und arbeitet in der Salzburger Paracelsus-Klinik als Krankenschwester. Sie hat einen einundzwanzigjährigen Sohn, der Sportwissenschaften studiert. Vielleicht handelt ja der mit Anabolika, und die Stiefoma wird vorgeschickt und kann sich so ein Körberlgeld verdienen? Natürlich ist es nicht per se verdächtig, als Krankenschwester zu arbeiten oder Sport zu studieren. Aber ins Bild passen würde das Ganze schon irgendwie, denkt Martin.
Außerdem ist es unvorstellbar, dass die alte Frau für einen fremden Drogenhändler den Strohmann – gendermäßig natürlich richtig: die Strohfrau – gibt. Auf jeden Fall ist es einen Versuch wert, die beiden aufzusuchen. Er sieht im Bericht der Kollegen nach, wo Mutter und Sohn wohnen. Bingo! Hier, in Maxglan – einen Katzensprung von Fassls Wohnung entfernt. Besser gehtʼs ja gar nicht.
Martin überlegt kurz, ob er gleich hingehen soll, verschiebt das Vorhaben jedoch auf den nächsten Tag. Franz wird jeden Moment nach Hause kommen, und dann müssen sie eh bald los, weil Romana den Tisch bereits für achtzehn Uhr bestellt hat. Vermutlich »erste Sitzung«, und sie werden zwei Stunden später hinausgeworfen, wenn die Festspielgäste kommen.
Der nächste Anruf gilt seiner Assistentin Barbara in Wien, die mit der Postdirektion in Kontakt war. Er braucht einen Schlüssel für das Postfach fünfhundertdreizehn. Vielleicht findet sich ja unter den Bestellern ein Hinweis auf die Händler. Das Telefonat mit Barbaras Kontaktmann ist wenig ergiebig. Frau Wallner habe das Postfach gekündigt. Es ist bereits anderweitig vergeben. Was mit der einlangenden Post geschieht, will Martin wissen. Die gehe an die Absender zurück. Auf seine Bitte, man möge ihm bzw. der Polizeidirektion diese Briefe übermitteln, kommt die wenig überraschende Antwort, das müsse alles seinen Dienstweg gehen und er brauche ein schriftliches …
Franz ist früh daheim, sodass sich noch ein gemeinsames Bier ausgeht, bevor sie losziehen. »Ich weiß nicht, Martin, ich hab mir heute deinen Schrittmacher-Artikel noch einmal genau durchgelesen, und da sind mir schon Zweifel gekommen. Natürlich versteh ich nicht alle Details, aber die behaupten doch, dass es definitiv möglich ist, mit einer Handy-App einen Schrittmacher zu manipulieren.«
»Sag ich ja. Und wenn das möglich ist, hätte der Mörder doch nur irgendwo in der Nähe sitzen müssen. Dann kommen praktisch alle im Publikum infrage.«
»Inklusive der Tod auf beziehungsweise hinter der Bühne – und natürlich die Romana«, ergänzt Fassl.
»Vorausgesetzt, der- oder diejenige hat das entsprechende technische Know-how. Was bei der Romana sicher zutrifft.« Martin zwinkert seinem Freund zu.
Über Romanas technisches Know-how muss sogar Fassl lachen. Sie hat es anfangs nicht einmal geschafft, die Dusche auf warm zu stellen. Bevor sie aufbrechen, beschließen sie, morgen dem Professor Pongauer gemeinsam einen Besuch abzustatten und ihn zum Thema Schrittmacher noch einmal zu befragen.
***
Sie suchen Romana zunächst vergeblich im Gastgarten der Blauen Gans. Doch dort war last minute wohl auch für das Krone-Covergirl kein Platz mehr. Sie sitzt drinnen, allerdings wie eine Königin an einem schönen Ecktisch, vor sich ein Glas Champagner. In Witwen-Schwarz gekleidet und dezent geschminkt wirkt sie so elegant, dass Fassl und Martin beinahe versucht sind, ihr die Hand zu küssen. Wenn sie denn Handküsser wären.
Beim bereitstehenden Kellner bestellt sie mit einem Kopfnicken zwei weitere Champagner für ihre Gäste. Diese hätten lieber Bier, trauen sich aber nicht, das zu sagen. Passt irgendwie nicht im Moment.
Sie hält sich nicht lange mit Floskeln auf, sondern kommt sofort zur Sache, als Martin und Fassl Platz genommen haben. »Stellt euch vor, die Ex-Tussi will mich tatsächlich verklagen wegen Verleumdung und allem Möglichen sonst noch. Ich hab mir nicht alles gemerkt.« Siegessicher und wenig damenhaft hebt sie den Mittelfinger. »Heute Nachmittag hat mich ihr Anwalt angerufen und gemeint, wenn ich in der Zeitung meine Interviewaussagen widerrufe, dann verzichten sie darauf.«
»Und – wirst du?«, fragt Martin.
»Einen Scheiß werd ich. Es ist mir nur recht, wenn sie mich anzeigt, dann geht das Ganze vor Gericht, die werden nachforschen und herausfinden, dass sie und ihr Gschamsterer die Mörder sind.«
Kein Kommentar von den beiden, nur ein Blickaustausch.
»Außer ihr zwei klärt den Mord vorher noch auf. Habt ihr eigentlich das Handy vom Hugo schon ausgewertet?«, setzt sie in leicht vorwurfsvollem Ton nach.
»Gut schaust aus«, wechselt Martin das Thema. Fassl nickt beipflichtend.
»Ah geh, Kinder, ihr brauchts mir nix vormachen, nur weil ich mich über das Foto in der Krone so aufgeregt hab. Ich bin ja wirklich alt, was sollʼs. Aber selber sieht man sich halt immer anders, jünger, schöner, was weiß ich.« Romana hat heute ihren ehrlichen Tag, die sind selten, das weiß sie selbst.
Der Kellner bringt die zwei Gläser und die Speisekarten. Das enthebt Martin und Fassl falscher Proteste.
Nachdem sie Zander, Schweinsbackerln und ausgelöstes Backhendl bestellt haben, fährt Romana mit ihrem Exkurs über das Alter fort. »Als ich jung war, da waren alte Menschen für mich immer eine eigene Spezies. So, als wären sie immer schon alt gewesen. Beim Hugo war das natürlich anders, den hab ich ja in seinen Vierzigern kennengelernt und sein Älterwerden gar nicht so bemerkt. Jetzt ist er tot, und ich bin selber alt.« Ein kurzes Aufschluchzen, entweder der Trauer oder dem Selbstmitleid geschuldet.
Martin legt ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter.
»Wie hat Herr Flock denn eigentlich auf die Droh-SMS reagiert?«, versucht Franz das Gespräch wieder in ermittlungstechnisch ergiebigere Bahnen zu lenken.
»Ach, das war ihm wurscht. Das hat er komischerweise nicht ernst genommen, obwohl er sonst so panisch war, dass er wegen seinem vielen Geld entführt oder ermordet wird.« Romana wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Hatte er denn einen Verdacht, von wem die SMS waren?«, bohrt Fassl nach.
»Er hat sich schon gedacht, dass die von der Tussi sind, weil er ihr kurz vorher erklärt hat, dass sie mit Nullkommajosef aus der Scheidung aussteigen wird. Damals hat er aber auch ganz andere Probleme gehabt, die mit dem Sohn, dem Christian.«
Ob es sich um einen Sohn mit Ehefrau Iris handelt, will Martin wissen. Bei Erwähnung der »Ehefrau« wirft Romana ihm einen bösen Blick zu.
»Natürlich nicht. Nein, der Christian war aus der ersten Ehe. Der war ja schon um die fünfzig und hat dann Bauchspeicheldrüsenkrebs gekriegt. Eine Zeit lang hatʼs ausgeschaut, als könnte er geheilt werden. Es ging ihm schon richtig gut. Und dann hat er einen Schlaganfall bekommen. So ein Pech musst haben.«
Inzwischen stehen die bestellten Speisen auf dem Tisch, aber angesichts des Gesprächsthemas traut sich niemand anzufangen. Fassl nimmt als Erster sein Besteck zur Hand, räuspert sich und fragt höflich: »Da muss der Hugo Flock ja am Boden zerstört gewesen sein. Den Sohn verlieren. Noch dazu in seinem Alter.«
Jetzt nimmt auch die Gastgeberin einen Bissen von ihrem Zander, legt die Gabel aber gleich wieder weg. Alter, Tod – lauter Themen, die einem den Appetit verderben. »Vor allem hat es ihn so wahnsinnig zornig gemacht. So wütend hab ich den Hugo in vierzig Jahren nie erlebt. Er hat immer von Rache gefaselt. ›An wem?‹, hab ich ihn gefragt. Am sogenannten lieben Gott?«
Unter dem Nebentisch liegt ein Hund, was Martin an Alex erinnert. »Wie gehtʼs denn deinem Alex?«, fragt er Romana.
»Ja, wegen dem muss ich morgen zurück. Wenn ich gebraucht werd, komm ich natürlich jederzeit wieder. Aber der Alex hat ein Fotoshooting und fährt nach Wien. Da ist der Alex dann ganz allein. Also reise ich morgen ab.«
Fassl blickt verständnislos von Romana zu Martin. »Alex? Wer ist das?«
»Der eine Alex ist Romanas Dauermieter in der Wörthersee-Villa und im Moment ihr Hundesitter. Der andere Alex ist Romanas Hund«, erklärt Martin.
»Mein vierbeiniger Lebensgefährte«, ergänzt Romana. »Die letzte Liebe hat oft ein Fell.«